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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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auch nicht geschlafen habe. Zwei Tage waren sehr schöne,
muntere Kosacken in unserem Viertel, die Ostern hatten, und
nicht wenig tobten. Sie sangen und schrieen, und pochten an
den Häusern bis 2 Uhr nachts, und um 5 stellten sie sich schon
unter meinem Fenster, wo sie ihre Pferde anbanden. Meine
Scheiben glaubte ich entzwei: ließ aber doch die Laden bis
9 Uhr zu, wo sie abritten. Diese Nacht um halb 4 ein Ko-
boldslärm im Hause; um 5 höre ich einen Wagen: ich, zu
krank nachzusehn, klingele Dore, und lasse nachsehn, weil ich
denke, es ist ein Arzt, den man geholt hat. Es ist der Mieths-
fuhrmann von drüben, und sie fahren mit allen Vorräthen
nach Spandau, wo heute Berlin hin zieht: denn es ist über.
Heute zogen sie aus: siebentausend Gewehre, viele hundert
Zentner Pulver, hundertfünfzig Stück großes und kleines Ge-
schütz. Ein Baurath, der wegen der Dämme schon gestern drau-
ßen war, hat meinen Brüdern versichert, solch ein Zerschießen
geschähe nur selten. Noch wenige Fuß, und alles Pulver,
Spandau, Stadt, Besatzung, Menschen, und vielleicht Bela-
gerer, wären in der Luft gewesen. Drum zogen sie ab: und
darum wurde es bewilligt. Ein Kapitain Ludwig soll Wun-
der gethan haben, und einer der ersten Artilleristen sein. Nur
sechszig haben wir Todte und Verwundete zusammen. Reil
hat zwölf im Klinikum; Einer davon stirbt nur. Mit zer-
hacktem Blei schossen sie heraus! das soll Unrecht sein. Man
sieht's an den Wunden. Drei Tage wurde es doch nur be-
lagert. Meine Seligkeit kannst du dir denken, daß der
Gräuel aus ist. Wie habe ich Gott gedankt!! -- Ich habe
die Mädchen beschenkt. Line Kleid, Dore Tuch; eins meiner

auch nicht geſchlafen habe. Zwei Tage waren ſehr ſchöne,
muntere Koſacken in unſerem Viertel, die Oſtern hatten, und
nicht wenig tobten. Sie ſangen und ſchrieen, und pochten an
den Häuſern bis 2 Uhr nachts, und um 5 ſtellten ſie ſich ſchon
unter meinem Fenſter, wo ſie ihre Pferde anbanden. Meine
Scheiben glaubte ich entzwei: ließ aber doch die Laden bis
9 Uhr zu, wo ſie abritten. Dieſe Nacht um halb 4 ein Ko-
boldslärm im Hauſe; um 5 höre ich einen Wagen: ich, zu
krank nachzuſehn, klingele Dore, und laſſe nachſehn, weil ich
denke, es iſt ein Arzt, den man geholt hat. Es iſt der Mieths-
fuhrmann von drüben, und ſie fahren mit allen Vorräthen
nach Spandau, wo heute Berlin hin zieht: denn es iſt über.
Heute zogen ſie aus: ſiebentauſend Gewehre, viele hundert
Zentner Pulver, hundertfünfzig Stück großes und kleines Ge-
ſchütz. Ein Baurath, der wegen der Dämme ſchon geſtern drau-
ßen war, hat meinen Brüdern verſichert, ſolch ein Zerſchießen
geſchähe nur ſelten. Noch wenige Fuß, und alles Pulver,
Spandau, Stadt, Beſatzung, Menſchen, und vielleicht Bela-
gerer, wären in der Luft geweſen. Drum zogen ſie ab: und
darum wurde es bewilligt. Ein Kapitain Ludwig ſoll Wun-
der gethan haben, und einer der erſten Artilleriſten ſein. Nur
ſechszig haben wir Todte und Verwundete zuſammen. Reil
hat zwölf im Klinikum; Einer davon ſtirbt nur. Mit zer-
hacktem Blei ſchoſſen ſie heraus! das ſoll Unrecht ſein. Man
ſieht’s an den Wunden. Drei Tage wurde es doch nur be-
lagert. Meine Seligkeit kannſt du dir denken, daß der
Gräuel aus iſt. Wie habe ich Gott gedankt!! — Ich habe
die Mädchen beſchenkt. Line Kleid, Dore Tuch; eins meiner

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[94/0102] auch nicht geſchlafen habe. Zwei Tage waren ſehr ſchöne, muntere Koſacken in unſerem Viertel, die Oſtern hatten, und nicht wenig tobten. Sie ſangen und ſchrieen, und pochten an den Häuſern bis 2 Uhr nachts, und um 5 ſtellten ſie ſich ſchon unter meinem Fenſter, wo ſie ihre Pferde anbanden. Meine Scheiben glaubte ich entzwei: ließ aber doch die Laden bis 9 Uhr zu, wo ſie abritten. Dieſe Nacht um halb 4 ein Ko- boldslärm im Hauſe; um 5 höre ich einen Wagen: ich, zu krank nachzuſehn, klingele Dore, und laſſe nachſehn, weil ich denke, es iſt ein Arzt, den man geholt hat. Es iſt der Mieths- fuhrmann von drüben, und ſie fahren mit allen Vorräthen nach Spandau, wo heute Berlin hin zieht: denn es iſt über. Heute zogen ſie aus: ſiebentauſend Gewehre, viele hundert Zentner Pulver, hundertfünfzig Stück großes und kleines Ge- ſchütz. Ein Baurath, der wegen der Dämme ſchon geſtern drau- ßen war, hat meinen Brüdern verſichert, ſolch ein Zerſchießen geſchähe nur ſelten. Noch wenige Fuß, und alles Pulver, Spandau, Stadt, Beſatzung, Menſchen, und vielleicht Bela- gerer, wären in der Luft geweſen. Drum zogen ſie ab: und darum wurde es bewilligt. Ein Kapitain Ludwig ſoll Wun- der gethan haben, und einer der erſten Artilleriſten ſein. Nur ſechszig haben wir Todte und Verwundete zuſammen. Reil hat zwölf im Klinikum; Einer davon ſtirbt nur. Mit zer- hacktem Blei ſchoſſen ſie heraus! das ſoll Unrecht ſein. Man ſieht’s an den Wunden. Drei Tage wurde es doch nur be- lagert. Meine Seligkeit kannſt du dir denken, daß der Gräuel aus iſt. Wie habe ich Gott gedankt!! — Ich habe die Mädchen beſchenkt. Line Kleid, Dore Tuch; eins meiner

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/102>, abgerufen am 29.03.2024.