Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

unsrem Zusammenleben nur eine stärkere Unterlage von
Geschehenem und Verarbeitetem zu.

Aber auch an wichtigen Gegenständen konnt' ich
meine Betrachtung in dieser Zeit üben. Unerwartet
fand ich mich mit der Freimaurerei beschäftigt. Ich
hatte gehört, daß Fichte, nachdem er weder bei den
Gelehrten noch beim großen Publikum hatte durchdrin¬
gen können, zu dem Versuche gekommen war, seine
Lehre dem Freimaurerorden zur Pflege und Ausbreitung
zu übergeben, und diesem selbst dadurch eine neue Weihe
zu verschaffen. Der Gedanke, diese geheimnißvolle Ge¬
sellschaft, die sich in ihrer eignen Geschichte und Bedeu¬
tung längst nicht mehr zurecht zu finden schien, und
deßhalb nach Umständen, bald abentheuerlicher Sehnsucht,
bald menschenfreundlichen Allgemeinheiten ihre weite Form
und bequeme Masse leihen mußte, diesen in allen Welt¬
theilen wirksamen Bund von Verbrüderten zu einem
Organ der Philosophie zu machen, die Stufen seiner
Weihe nach dem Lichte der Wissenschaft bestimmen zu
lassen, und gleichsam ein Pythagoräisches Institut in
unsrer Zeit wieder hervorzurufen, ein solcher Gedanke
hatte allerdings etwas Großes und Lockendes, womit
grade ein Fichte die hoffnungsvollsten Aussichten ver¬
binden durfte. Freilich war die Sache gleich bei der
ersten Berührung völlig gescheitert, und es zeigte sich,
daß man über die Fähigkeit des Ordens wie über die
Stimmung der Mitglieder durchaus falsch geurtheilt hatte,

unſrem Zuſammenleben nur eine ſtaͤrkere Unterlage von
Geſchehenem und Verarbeitetem zu.

Aber auch an wichtigen Gegenſtaͤnden konnt’ ich
meine Betrachtung in dieſer Zeit uͤben. Unerwartet
fand ich mich mit der Freimaurerei beſchaͤftigt. Ich
hatte gehoͤrt, daß Fichte, nachdem er weder bei den
Gelehrten noch beim großen Publikum hatte durchdrin¬
gen koͤnnen, zu dem Verſuche gekommen war, ſeine
Lehre dem Freimaurerorden zur Pflege und Ausbreitung
zu uͤbergeben, und dieſem ſelbſt dadurch eine neue Weihe
zu verſchaffen. Der Gedanke, dieſe geheimnißvolle Ge¬
ſellſchaft, die ſich in ihrer eignen Geſchichte und Bedeu¬
tung laͤngſt nicht mehr zurecht zu finden ſchien, und
deßhalb nach Umſtaͤnden, bald abentheuerlicher Sehnſucht,
bald menſchenfreundlichen Allgemeinheiten ihre weite Form
und bequeme Maſſe leihen mußte, dieſen in allen Welt¬
theilen wirkſamen Bund von Verbruͤderten zu einem
Organ der Philoſophie zu machen, die Stufen ſeiner
Weihe nach dem Lichte der Wiſſenſchaft beſtimmen zu
laſſen, und gleichſam ein Pythagoraͤiſches Inſtitut in
unſrer Zeit wieder hervorzurufen, ein ſolcher Gedanke
hatte allerdings etwas Großes und Lockendes, womit
grade ein Fichte die hoffnungsvollſten Ausſichten ver¬
binden durfte. Freilich war die Sache gleich bei der
erſten Beruͤhrung voͤllig geſcheitert, und es zeigte ſich,
daß man uͤber die Faͤhigkeit des Ordens wie uͤber die
Stimmung der Mitglieder durchaus falſch geurtheilt hatte,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0050" n="36"/>
un&#x017F;rem Zu&#x017F;ammenleben nur eine &#x017F;ta&#x0364;rkere Unterlage von<lb/>
Ge&#x017F;chehenem und Verarbeitetem zu.</p><lb/>
          <p>Aber auch an wichtigen Gegen&#x017F;ta&#x0364;nden konnt&#x2019; ich<lb/>
meine Betrachtung in die&#x017F;er Zeit u&#x0364;ben. Unerwartet<lb/>
fand ich mich mit der Freimaurerei be&#x017F;cha&#x0364;ftigt. Ich<lb/>
hatte geho&#x0364;rt, daß Fichte, nachdem er weder bei den<lb/>
Gelehrten noch beim großen Publikum hatte durchdrin¬<lb/>
gen ko&#x0364;nnen, zu dem Ver&#x017F;uche gekommen war, &#x017F;eine<lb/>
Lehre dem Freimaurerorden zur Pflege und Ausbreitung<lb/>
zu u&#x0364;bergeben, und die&#x017F;em &#x017F;elb&#x017F;t dadurch eine neue Weihe<lb/>
zu ver&#x017F;chaffen. Der Gedanke, die&#x017F;e geheimnißvolle Ge¬<lb/>
&#x017F;ell&#x017F;chaft, die &#x017F;ich in ihrer eignen Ge&#x017F;chichte und Bedeu¬<lb/>
tung la&#x0364;ng&#x017F;t nicht mehr zurecht zu finden &#x017F;chien, und<lb/>
deßhalb nach Um&#x017F;ta&#x0364;nden, bald abentheuerlicher Sehn&#x017F;ucht,<lb/>
bald men&#x017F;chenfreundlichen Allgemeinheiten ihre weite Form<lb/>
und bequeme Ma&#x017F;&#x017F;e leihen mußte, die&#x017F;en in allen Welt¬<lb/>
theilen wirk&#x017F;amen Bund von Verbru&#x0364;derten zu einem<lb/>
Organ der Philo&#x017F;ophie zu machen, die Stufen &#x017F;einer<lb/>
Weihe nach dem Lichte der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft be&#x017F;timmen zu<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, und gleich&#x017F;am ein Pythagora&#x0364;i&#x017F;ches In&#x017F;titut in<lb/>
un&#x017F;rer Zeit wieder hervorzurufen, ein &#x017F;olcher Gedanke<lb/>
hatte allerdings etwas Großes und Lockendes, womit<lb/>
grade ein Fichte die hoffnungsvoll&#x017F;ten Aus&#x017F;ichten ver¬<lb/>
binden durfte. Freilich war die Sache gleich bei der<lb/>
er&#x017F;ten Beru&#x0364;hrung vo&#x0364;llig ge&#x017F;cheitert, und es zeigte &#x017F;ich,<lb/>
daß man u&#x0364;ber die Fa&#x0364;higkeit des Ordens wie u&#x0364;ber die<lb/>
Stimmung der Mitglieder durchaus fal&#x017F;ch geurtheilt hatte,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0050] unſrem Zuſammenleben nur eine ſtaͤrkere Unterlage von Geſchehenem und Verarbeitetem zu. Aber auch an wichtigen Gegenſtaͤnden konnt’ ich meine Betrachtung in dieſer Zeit uͤben. Unerwartet fand ich mich mit der Freimaurerei beſchaͤftigt. Ich hatte gehoͤrt, daß Fichte, nachdem er weder bei den Gelehrten noch beim großen Publikum hatte durchdrin¬ gen koͤnnen, zu dem Verſuche gekommen war, ſeine Lehre dem Freimaurerorden zur Pflege und Ausbreitung zu uͤbergeben, und dieſem ſelbſt dadurch eine neue Weihe zu verſchaffen. Der Gedanke, dieſe geheimnißvolle Ge¬ ſellſchaft, die ſich in ihrer eignen Geſchichte und Bedeu¬ tung laͤngſt nicht mehr zurecht zu finden ſchien, und deßhalb nach Umſtaͤnden, bald abentheuerlicher Sehnſucht, bald menſchenfreundlichen Allgemeinheiten ihre weite Form und bequeme Maſſe leihen mußte, dieſen in allen Welt¬ theilen wirkſamen Bund von Verbruͤderten zu einem Organ der Philoſophie zu machen, die Stufen ſeiner Weihe nach dem Lichte der Wiſſenſchaft beſtimmen zu laſſen, und gleichſam ein Pythagoraͤiſches Inſtitut in unſrer Zeit wieder hervorzurufen, ein ſolcher Gedanke hatte allerdings etwas Großes und Lockendes, womit grade ein Fichte die hoffnungsvollſten Ausſichten ver¬ binden durfte. Freilich war die Sache gleich bei der erſten Beruͤhrung voͤllig geſcheitert, und es zeigte ſich, daß man uͤber die Faͤhigkeit des Ordens wie uͤber die Stimmung der Mitglieder durchaus falſch geurtheilt hatte,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/50
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/50>, abgerufen am 18.04.2024.