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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

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Gegenstand seiner tiefsten Verehrung und Sehnsucht,
und unsre Bestrebungen in diesem Gebiete arbeiteten
seitdem im förderlichsten Verein. War aber sein Geist
durchaus den Deutschen zugewandt, so hatte doch in
seinem Herzen eine schöne Landsmännin den Vorzug
behalten, welche durch Schicksale hierher verschlagen war;
sie vereinte mit tiefer Schönheit eine seltne Bildung, wie
sie denn Englisch und Italiänisch vollkommen sprach,
und eben so den Shakspeare und Tasso wie ihren Racine
las. Ihre Auszeichnung und Lage deutete auf höhere,
doch unglückliche Verwickelungen, deren Geheimniß aber,
aller Forschungen ungeachtet, stets bewahrt geblieben.

Unser verstärkter Bund gerieth nun in thätige Be¬
wegung, wir bereicherten durch Austausch unsre Gefühle
und Ansichten, theilten einander unsre Schriftsteller mit,
und suchten uns gemeinschaftlich zur Höhe der Littera¬
tur emporzuheben. Ich begann Klopstock, Voß und
Wieland weniger festzuhalten, wiewohl ich sie nicht auf¬
gab, sondern ihren schon mißkannten Werth noch mit
Glück behauptete, selbst einmal gegen Adam Müller,
der mir auch Hölty, Salis und andre solche noch ein¬
räumen mußte. Dagegen stieg Schiller mächtig empor,
und alle überragte mehr und mehr Goethe, dessen
Schriften, und besonders Wilhelm Meister, unsre Haupt¬
bücher wurden. Die Paradoxen des Athenäums und
die Sprüche des Novalis führte hauptsächlich Lippe bei
uns ein, die Gedichte von Wilhelm Schlegel las ich

Gegenſtand ſeiner tiefſten Verehrung und Sehnſucht,
und unſre Beſtrebungen in dieſem Gebiete arbeiteten
ſeitdem im foͤrderlichſten Verein. War aber ſein Geiſt
durchaus den Deutſchen zugewandt, ſo hatte doch in
ſeinem Herzen eine ſchoͤne Landsmaͤnnin den Vorzug
behalten, welche durch Schickſale hierher verſchlagen war;
ſie vereinte mit tiefer Schoͤnheit eine ſeltne Bildung, wie
ſie denn Engliſch und Italiaͤniſch vollkommen ſprach,
und eben ſo den Shakſpeare und Taſſo wie ihren Racine
las. Ihre Auszeichnung und Lage deutete auf hoͤhere,
doch ungluͤckliche Verwickelungen, deren Geheimniß aber,
aller Forſchungen ungeachtet, ſtets bewahrt geblieben.

Unſer verſtaͤrkter Bund gerieth nun in thaͤtige Be¬
wegung, wir bereicherten durch Austauſch unſre Gefuͤhle
und Anſichten, theilten einander unſre Schriftſteller mit,
und ſuchten uns gemeinſchaftlich zur Hoͤhe der Littera¬
tur emporzuheben. Ich begann Klopſtock, Voß und
Wieland weniger feſtzuhalten, wiewohl ich ſie nicht auf¬
gab, ſondern ihren ſchon mißkannten Werth noch mit
Gluͤck behauptete, ſelbſt einmal gegen Adam Muͤller,
der mir auch Hoͤlty, Salis und andre ſolche noch ein¬
raͤumen mußte. Dagegen ſtieg Schiller maͤchtig empor,
und alle uͤberragte mehr und mehr Goethe, deſſen
Schriften, und beſonders Wilhelm Meiſter, unſre Haupt¬
buͤcher wurden. Die Paradoxen des Athenaͤums und
die Spruͤche des Novalis fuͤhrte hauptſaͤchlich Lippe bei
uns ein, die Gedichte von Wilhelm Schlegel las ich

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[31/0045] Gegenſtand ſeiner tiefſten Verehrung und Sehnſucht, und unſre Beſtrebungen in dieſem Gebiete arbeiteten ſeitdem im foͤrderlichſten Verein. War aber ſein Geiſt durchaus den Deutſchen zugewandt, ſo hatte doch in ſeinem Herzen eine ſchoͤne Landsmaͤnnin den Vorzug behalten, welche durch Schickſale hierher verſchlagen war; ſie vereinte mit tiefer Schoͤnheit eine ſeltne Bildung, wie ſie denn Engliſch und Italiaͤniſch vollkommen ſprach, und eben ſo den Shakſpeare und Taſſo wie ihren Racine las. Ihre Auszeichnung und Lage deutete auf hoͤhere, doch ungluͤckliche Verwickelungen, deren Geheimniß aber, aller Forſchungen ungeachtet, ſtets bewahrt geblieben. Unſer verſtaͤrkter Bund gerieth nun in thaͤtige Be¬ wegung, wir bereicherten durch Austauſch unſre Gefuͤhle und Anſichten, theilten einander unſre Schriftſteller mit, und ſuchten uns gemeinſchaftlich zur Hoͤhe der Littera¬ tur emporzuheben. Ich begann Klopſtock, Voß und Wieland weniger feſtzuhalten, wiewohl ich ſie nicht auf¬ gab, ſondern ihren ſchon mißkannten Werth noch mit Gluͤck behauptete, ſelbſt einmal gegen Adam Muͤller, der mir auch Hoͤlty, Salis und andre ſolche noch ein¬ raͤumen mußte. Dagegen ſtieg Schiller maͤchtig empor, und alle uͤberragte mehr und mehr Goethe, deſſen Schriften, und beſonders Wilhelm Meiſter, unſre Haupt¬ buͤcher wurden. Die Paradoxen des Athenaͤums und die Spruͤche des Novalis fuͤhrte hauptſaͤchlich Lippe bei uns ein, die Gedichte von Wilhelm Schlegel las ich

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/45>, abgerufen am 19.04.2024.