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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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XXXIV. Der Prinz von Preußen und die Verfassungspläne.
an mit dem schmerzlichen Geständniß, daß er in den beschlossenen Institutionen "nicht
das Heil des Thrones und des Vaterlandes erblicken könne", und faßte alsdann seine
Bedenken in vier Hauptpunkten zusammen. Zum Ersten wendete er sich gegen die ver-
fehlte Zusammensetzung des Vereinigten Landtages; und wer mag heute noch bezweifeln,
daß diese unförmliche Versammlung von mehr als 600 Köpfen als dauernde Institution
unmöglich fortbestehen konnte? Der Prinz erhob dawider einen gewichtigen Einwand,
der, so nahe er lag, seltsamerweise noch von keinem der vielen Mitrathenden bemerkt
worden war; er sagte einfach: "Diese ständische Versammlung ist theils unlenksam, theils
unauflöslich." Allgemeine Wahlen im ganzen Königreiche -- Urwahlen, wie man damals
sagte -- wollte der König unter allen Umständen vermeiden. Er hielt sie -- hierin mit
dem Bruder ganz übereinstimmend -- für einen Fieberzustand, wovor man das Volk
bewahren müsse, und rühmte als einen Vorzug seines Vereinigten Landtages, daß dieser
nicht aus allgemeinen Wahlen, sondern aus den Provinzialständen hervorgehe. Nun
wies der Prinz schlagend nach: der Vereinigte Landtag solle ja nicht aus gewählten
Deputirten der Provinzialstände bestehen, dann könnte "aufgelöst und in den Provinzial-
landtagen neu gewählt werden"; er solle vielmehr die Gesammtheit der acht Provinzial-
landtage selber umfassen und könne folglich nie aufgelöst werden, wenn man nicht in
allen acht Provinzen zugleich Neuwahlen ausschreiben wolle. "Somit stehet diese neue
berathende preußische Ständeversammlung weit mächtiger da als die constitutionellen
Kammern anderer Staaten, welche alle sich für extreme Fälle die Auflösung und Neu-
wahlen vorbehalten haben."

Eine solche Versammlung, so fuhr die Denkschrift fort, lasse sich nur dann in
Schranken halten, wenn ihr ein Herrenstand als selbständige, gleichberechtigte Macht
gegenüberstehe. Der Plan, die Spitzen der Aristokratie zu einer besonderen ständischen
Bank zu vereinigen -- unzweifelhaft einer der glücklichsten politischen Gedanken Friedrich
Wilhelm's IV. -- war leider nicht zur vollen Reife gelangt; der König hatte bisher,
zum lebhaften Unwillen der Ritterschaft des Ostens, nur eine kleine Anzahl erblicher
Herren berufen und behielt sich noch vor, über die Organisation des Herrenstandes
Weiteres zu bestimmen. Dem praktischen Sinne des Prinzen war dies Zaudern unbe-
greiflich. Er sagte: "Es will nicht einleuchten, wie es in irgend einer Weise zu recht-
fertigen wäre, wenn eine ganz neue ständische Aera geschaffen wird, man diese Institu-
tionen nicht gleich ganz und komplett schafft, sondern in einem Paragraphen sich die
wichtigste Einrichtung zu creiren noch vorbehält." Auch fand er es ungerecht, den treuen
Adel der alten Provinzen durch Zurücksetzung zu kränken Sein Rath war, der König möge
sogleich ein geordnetes Zweikammersystem einführen, etwa 82 Fürsten und Grundherren
in das Oberhaus berufen und diese nach freiem Ermessen durch Virilstimmen verstärken:
ein solcher Herrenstand würde ein starkes Gegengewicht bilden gegen die zweite Bank.

Zum Zweiten wendet sich die Denkschrift gegen das Recht des Vereinigten Land-
tags, neue Steuern zu bewilligen. Das Steuerbewilligungsrecht der alten Stände ist
nach und nach untergegangen, "weil es die Nothwendigkeit so mit sich brachte. Preußen
wäre seit dem Großen Kurfürsten nie das geworden, was es ist, wenn es von diesem
Rechte abhängig geblieben wäre." Darum erklärt das Allgemeine Landrecht das Be-
steuerungsrecht für ein Majestätsrecht; auch die Gesetze von 1815 und 1823 verheißen
den Landständen nur die Berathung, nicht die Bewilligung der Steuergesetze. "Ich halte
die Aufgabe des Steuererhebungsrechts durch die Krone für eine solche Beeinträchtigung
der Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Thrones, daß ich mich nicht für ermächtigt
halte, allein in die Aufgabe dieses Majestätsrechtes zu willigen."

Zum Dritten mißbilligt die Denkschrift, daß der Staatshaushaltsplan auch den
Vereinigten Ausschüssen vorgelegt werden solle. Dies kann nur zum Mißbrauch des
Petitionsrechtes führen; "daher werden Concessionen des Gouvernements unerläßlich
werden, selbst gegen die bessere Ueberzeugung desselben." Alle Finanzsachen gehören viel-
mehr ausschließlich vor den Vereinigten Landtag.


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XXXIV. Der Prinz von Preußen und die Verfaſſungspläne.
an mit dem ſchmerzlichen Geſtändniß, daß er in den beſchloſſenen Inſtitutionen „nicht
das Heil des Thrones und des Vaterlandes erblicken könne“, und faßte alsdann ſeine
Bedenken in vier Hauptpunkten zuſammen. Zum Erſten wendete er ſich gegen die ver-
fehlte Zuſammenſetzung des Vereinigten Landtages; und wer mag heute noch bezweifeln,
daß dieſe unförmliche Verſammlung von mehr als 600 Köpfen als dauernde Inſtitution
unmöglich fortbeſtehen konnte? Der Prinz erhob dawider einen gewichtigen Einwand,
der, ſo nahe er lag, ſeltſamerweiſe noch von keinem der vielen Mitrathenden bemerkt
worden war; er ſagte einfach: „Dieſe ſtändiſche Verſammlung iſt theils unlenkſam, theils
unauflöslich.“ Allgemeine Wahlen im ganzen Königreiche — Urwahlen, wie man damals
ſagte — wollte der König unter allen Umſtänden vermeiden. Er hielt ſie — hierin mit
dem Bruder ganz übereinſtimmend — für einen Fieberzuſtand, wovor man das Volk
bewahren müſſe, und rühmte als einen Vorzug ſeines Vereinigten Landtages, daß dieſer
nicht aus allgemeinen Wahlen, ſondern aus den Provinzialſtänden hervorgehe. Nun
wies der Prinz ſchlagend nach: der Vereinigte Landtag ſolle ja nicht aus gewählten
Deputirten der Provinzialſtände beſtehen, dann könnte „aufgelöſt und in den Provinzial-
landtagen neu gewählt werden“; er ſolle vielmehr die Geſammtheit der acht Provinzial-
landtage ſelber umfaſſen und könne folglich nie aufgelöſt werden, wenn man nicht in
allen acht Provinzen zugleich Neuwahlen ausſchreiben wolle. „Somit ſtehet dieſe neue
berathende preußiſche Ständeverſammlung weit mächtiger da als die conſtitutionellen
Kammern anderer Staaten, welche alle ſich für extreme Fälle die Auflöſung und Neu-
wahlen vorbehalten haben.“

Eine ſolche Verſammlung, ſo fuhr die Denkſchrift fort, laſſe ſich nur dann in
Schranken halten, wenn ihr ein Herrenſtand als ſelbſtändige, gleichberechtigte Macht
gegenüberſtehe. Der Plan, die Spitzen der Ariſtokratie zu einer beſonderen ſtändiſchen
Bank zu vereinigen — unzweifelhaft einer der glücklichſten politiſchen Gedanken Friedrich
Wilhelm’s IV. — war leider nicht zur vollen Reife gelangt; der König hatte bisher,
zum lebhaften Unwillen der Ritterſchaft des Oſtens, nur eine kleine Anzahl erblicher
Herren berufen und behielt ſich noch vor, über die Organiſation des Herrenſtandes
Weiteres zu beſtimmen. Dem praktiſchen Sinne des Prinzen war dies Zaudern unbe-
greiflich. Er ſagte: „Es will nicht einleuchten, wie es in irgend einer Weiſe zu recht-
fertigen wäre, wenn eine ganz neue ſtändiſche Aera geſchaffen wird, man dieſe Inſtitu-
tionen nicht gleich ganz und komplett ſchafft, ſondern in einem Paragraphen ſich die
wichtigſte Einrichtung zu creiren noch vorbehält.“ Auch fand er es ungerecht, den treuen
Adel der alten Provinzen durch Zurückſetzung zu kränken Sein Rath war, der König möge
ſogleich ein geordnetes Zweikammerſyſtem einführen, etwa 82 Fürſten und Grundherren
in das Oberhaus berufen und dieſe nach freiem Ermeſſen durch Virilſtimmen verſtärken:
ein ſolcher Herrenſtand würde ein ſtarkes Gegengewicht bilden gegen die zweite Bank.

Zum Zweiten wendet ſich die Denkſchrift gegen das Recht des Vereinigten Land-
tags, neue Steuern zu bewilligen. Das Steuerbewilligungsrecht der alten Stände iſt
nach und nach untergegangen, „weil es die Nothwendigkeit ſo mit ſich brachte. Preußen
wäre ſeit dem Großen Kurfürſten nie das geworden, was es iſt, wenn es von dieſem
Rechte abhängig geblieben wäre.“ Darum erklärt das Allgemeine Landrecht das Be-
ſteuerungsrecht für ein Majeſtätsrecht; auch die Geſetze von 1815 und 1823 verheißen
den Landſtänden nur die Berathung, nicht die Bewilligung der Steuergeſetze. „Ich halte
die Aufgabe des Steuererhebungsrechts durch die Krone für eine ſolche Beeinträchtigung
der Selbſtändigkeit und Unabhängigkeit des Thrones, daß ich mich nicht für ermächtigt
halte, allein in die Aufgabe dieſes Majeſtätsrechtes zu willigen.“

Zum Dritten mißbilligt die Denkſchrift, daß der Staatshaushaltsplan auch den
Vereinigten Ausſchüſſen vorgelegt werden ſolle. Dies kann nur zum Mißbrauch des
Petitionsrechtes führen; „daher werden Conceſſionen des Gouvernements unerläßlich
werden, ſelbſt gegen die beſſere Ueberzeugung deſſelben.“ Alle Finanzſachen gehören viel-
mehr ausſchließlich vor den Vereinigten Landtag.


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[771/0785] XXXIV. Der Prinz von Preußen und die Verfaſſungspläne. an mit dem ſchmerzlichen Geſtändniß, daß er in den beſchloſſenen Inſtitutionen „nicht das Heil des Thrones und des Vaterlandes erblicken könne“, und faßte alsdann ſeine Bedenken in vier Hauptpunkten zuſammen. Zum Erſten wendete er ſich gegen die ver- fehlte Zuſammenſetzung des Vereinigten Landtages; und wer mag heute noch bezweifeln, daß dieſe unförmliche Verſammlung von mehr als 600 Köpfen als dauernde Inſtitution unmöglich fortbeſtehen konnte? Der Prinz erhob dawider einen gewichtigen Einwand, der, ſo nahe er lag, ſeltſamerweiſe noch von keinem der vielen Mitrathenden bemerkt worden war; er ſagte einfach: „Dieſe ſtändiſche Verſammlung iſt theils unlenkſam, theils unauflöslich.“ Allgemeine Wahlen im ganzen Königreiche — Urwahlen, wie man damals ſagte — wollte der König unter allen Umſtänden vermeiden. Er hielt ſie — hierin mit dem Bruder ganz übereinſtimmend — für einen Fieberzuſtand, wovor man das Volk bewahren müſſe, und rühmte als einen Vorzug ſeines Vereinigten Landtages, daß dieſer nicht aus allgemeinen Wahlen, ſondern aus den Provinzialſtänden hervorgehe. Nun wies der Prinz ſchlagend nach: der Vereinigte Landtag ſolle ja nicht aus gewählten Deputirten der Provinzialſtände beſtehen, dann könnte „aufgelöſt und in den Provinzial- landtagen neu gewählt werden“; er ſolle vielmehr die Geſammtheit der acht Provinzial- landtage ſelber umfaſſen und könne folglich nie aufgelöſt werden, wenn man nicht in allen acht Provinzen zugleich Neuwahlen ausſchreiben wolle. „Somit ſtehet dieſe neue berathende preußiſche Ständeverſammlung weit mächtiger da als die conſtitutionellen Kammern anderer Staaten, welche alle ſich für extreme Fälle die Auflöſung und Neu- wahlen vorbehalten haben.“ Eine ſolche Verſammlung, ſo fuhr die Denkſchrift fort, laſſe ſich nur dann in Schranken halten, wenn ihr ein Herrenſtand als ſelbſtändige, gleichberechtigte Macht gegenüberſtehe. Der Plan, die Spitzen der Ariſtokratie zu einer beſonderen ſtändiſchen Bank zu vereinigen — unzweifelhaft einer der glücklichſten politiſchen Gedanken Friedrich Wilhelm’s IV. — war leider nicht zur vollen Reife gelangt; der König hatte bisher, zum lebhaften Unwillen der Ritterſchaft des Oſtens, nur eine kleine Anzahl erblicher Herren berufen und behielt ſich noch vor, über die Organiſation des Herrenſtandes Weiteres zu beſtimmen. Dem praktiſchen Sinne des Prinzen war dies Zaudern unbe- greiflich. Er ſagte: „Es will nicht einleuchten, wie es in irgend einer Weiſe zu recht- fertigen wäre, wenn eine ganz neue ſtändiſche Aera geſchaffen wird, man dieſe Inſtitu- tionen nicht gleich ganz und komplett ſchafft, ſondern in einem Paragraphen ſich die wichtigſte Einrichtung zu creiren noch vorbehält.“ Auch fand er es ungerecht, den treuen Adel der alten Provinzen durch Zurückſetzung zu kränken Sein Rath war, der König möge ſogleich ein geordnetes Zweikammerſyſtem einführen, etwa 82 Fürſten und Grundherren in das Oberhaus berufen und dieſe nach freiem Ermeſſen durch Virilſtimmen verſtärken: ein ſolcher Herrenſtand würde ein ſtarkes Gegengewicht bilden gegen die zweite Bank. Zum Zweiten wendet ſich die Denkſchrift gegen das Recht des Vereinigten Land- tags, neue Steuern zu bewilligen. Das Steuerbewilligungsrecht der alten Stände iſt nach und nach untergegangen, „weil es die Nothwendigkeit ſo mit ſich brachte. Preußen wäre ſeit dem Großen Kurfürſten nie das geworden, was es iſt, wenn es von dieſem Rechte abhängig geblieben wäre.“ Darum erklärt das Allgemeine Landrecht das Be- ſteuerungsrecht für ein Majeſtätsrecht; auch die Geſetze von 1815 und 1823 verheißen den Landſtänden nur die Berathung, nicht die Bewilligung der Steuergeſetze. „Ich halte die Aufgabe des Steuererhebungsrechts durch die Krone für eine ſolche Beeinträchtigung der Selbſtändigkeit und Unabhängigkeit des Thrones, daß ich mich nicht für ermächtigt halte, allein in die Aufgabe dieſes Majeſtätsrechtes zu willigen.“ Zum Dritten mißbilligt die Denkſchrift, daß der Staatshaushaltsplan auch den Vereinigten Ausſchüſſen vorgelegt werden ſolle. Dies kann nur zum Mißbrauch des Petitionsrechtes führen; „daher werden Conceſſionen des Gouvernements unerläßlich werden, ſelbſt gegen die beſſere Ueberzeugung deſſelben.“ Alle Finanzſachen gehören viel- mehr ausſchließlich vor den Vereinigten Landtag. 49*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 771. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/785>, abgerufen am 24.04.2024.