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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Neuenburgs Unterwerfung.
Der alte König hatte nach der Juli-Revolution fast sein ganzes Heer auf
Kriegsfuß gesetzt um Deutschlands Neutralität zu schützen; der Sohn wagte
für die Neuenburger Royalisten nicht einmal eine Brigade aufzubieten
und jammerte dann noch über seine Ohnmacht. Daß die große Mehrheit
der Neuenburger die schützenden Truppen ihres Fürsten mit offenen Armen
aufgenommen hätte verstand sich von selbst; die Tagsatzung aber konnte
nimmermehr wagen zugleich gegen den Sonderbund und gegen Preußen
zu kämpfen. So lange die Eidgenossen noch nicht wußten, was man
diesem Könige bieten durfte, hüteten sie sich sorgfältig seine mächtige Krone
zu beleidigen. General Dufour weigerte sich entschieden, das Fürstenthum
zu besetzen, obgleich der König es unbeschützt ließ, und selbst der grobe
Ochsenbein wagte nicht offen zu widersprechen, als der preußische Gesandte
Sydow zu Anfang Novembers mündlich die thatsächliche Schonung der
Neutralität Neuenburgs verlangte.*) Die beiden Schweizer wollten er-
sichtlich abwarten, was das Kriegsglück bringen würde; vor Waffen konnten
aber nur Waffen sichern.

Als nun die Eidgenossen siegten, da war der König tief beschämt.
Nichts, gar nichts hatte er gethan um die Neutralität seines Landes zu
beschirmen -- was doch in ähnlichen Fällen selbst schwache Staaten wie
Belgien nie verabsäumten. Auch seine Diplomatie verfuhr unbegreiflich
langsam. Erst am 26. Nov. überreichte Sydow eine Note, welche der
Tagsatzung ankündigte, daß der König jede Verletzung der Neutralität als
Friedensbruch und Feindseligkeit gegen sich selbst betrachten müsse; zugleich
erbot sich Friedrich Wilhelm zur Vermittlung und lud die Eidgenossen
ein, auf einem europäischen Congresse, der in der neutralen Stadt Neuen-
burg abgehalten werden sollte, ihre Klagen und Gegenklagen vorzulegen.
Was konnte ein solcher Vorschlag fruchten -- zwei Tage nachdem Luzern
gefallen und der Sonderbund so gut wie vernichtet war? Die Tagsatzung
lehnte die Vermittlung ab und bestritt dem Könige das Recht in den
inneren Angelegenheiten der Schweiz mitzureden. Nunmehr mußte auch
der Canton für die Schlaffheit seines Fürsten büßen; er wurde von der
Tagsatzung verurtheilt, etwa 440,000 Fr. Strafe für die unterlassene
Heeresfolge zu zahlen, und schutzlos wie er war konnte er sich den völlig
widerrechtlichen Forderungen der Sieger nicht widersetzen. Dabei verfuhr
die Tagsatzung noch immer mit einiger Schonung, weil sie den König nicht
zu sehr verletzen wollte und weil die rechtschaffene Haltung der Neuenburger
Royalisten doch selbst die radicalen Gegner zur Achtung zwang. Der Can-
ton blieb von eidgenössischer Einquartierung verschont; die Strafsumme
wurde niedrig bemessen, weit niedriger als die schweren, den Sonderbunds-
cantonen auferlegten Brandschatzungen, und überdies, um die Form zu
wahren, nur zur Unterstützung der Verwundeten und Hinterbliebenen

*) So erzählte Canitz an Knyphausen (dessen Bericht 12. Nov. 1847).
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 47

Neuenburgs Unterwerfung.
Der alte König hatte nach der Juli-Revolution faſt ſein ganzes Heer auf
Kriegsfuß geſetzt um Deutſchlands Neutralität zu ſchützen; der Sohn wagte
für die Neuenburger Royaliſten nicht einmal eine Brigade aufzubieten
und jammerte dann noch über ſeine Ohnmacht. Daß die große Mehrheit
der Neuenburger die ſchützenden Truppen ihres Fürſten mit offenen Armen
aufgenommen hätte verſtand ſich von ſelbſt; die Tagſatzung aber konnte
nimmermehr wagen zugleich gegen den Sonderbund und gegen Preußen
zu kämpfen. So lange die Eidgenoſſen noch nicht wußten, was man
dieſem Könige bieten durfte, hüteten ſie ſich ſorgfältig ſeine mächtige Krone
zu beleidigen. General Dufour weigerte ſich entſchieden, das Fürſtenthum
zu beſetzen, obgleich der König es unbeſchützt ließ, und ſelbſt der grobe
Ochſenbein wagte nicht offen zu widerſprechen, als der preußiſche Geſandte
Sydow zu Anfang Novembers mündlich die thatſächliche Schonung der
Neutralität Neuenburgs verlangte.*) Die beiden Schweizer wollten er-
ſichtlich abwarten, was das Kriegsglück bringen würde; vor Waffen konnten
aber nur Waffen ſichern.

Als nun die Eidgenoſſen ſiegten, da war der König tief beſchämt.
Nichts, gar nichts hatte er gethan um die Neutralität ſeines Landes zu
beſchirmen — was doch in ähnlichen Fällen ſelbſt ſchwache Staaten wie
Belgien nie verabſäumten. Auch ſeine Diplomatie verfuhr unbegreiflich
langſam. Erſt am 26. Nov. überreichte Sydow eine Note, welche der
Tagſatzung ankündigte, daß der König jede Verletzung der Neutralität als
Friedensbruch und Feindſeligkeit gegen ſich ſelbſt betrachten müſſe; zugleich
erbot ſich Friedrich Wilhelm zur Vermittlung und lud die Eidgenoſſen
ein, auf einem europäiſchen Congreſſe, der in der neutralen Stadt Neuen-
burg abgehalten werden ſollte, ihre Klagen und Gegenklagen vorzulegen.
Was konnte ein ſolcher Vorſchlag fruchten — zwei Tage nachdem Luzern
gefallen und der Sonderbund ſo gut wie vernichtet war? Die Tagſatzung
lehnte die Vermittlung ab und beſtritt dem Könige das Recht in den
inneren Angelegenheiten der Schweiz mitzureden. Nunmehr mußte auch
der Canton für die Schlaffheit ſeines Fürſten büßen; er wurde von der
Tagſatzung verurtheilt, etwa 440,000 Fr. Strafe für die unterlaſſene
Heeresfolge zu zahlen, und ſchutzlos wie er war konnte er ſich den völlig
widerrechtlichen Forderungen der Sieger nicht widerſetzen. Dabei verfuhr
die Tagſatzung noch immer mit einiger Schonung, weil ſie den König nicht
zu ſehr verletzen wollte und weil die rechtſchaffene Haltung der Neuenburger
Royaliſten doch ſelbſt die radicalen Gegner zur Achtung zwang. Der Can-
ton blieb von eidgenöſſiſcher Einquartierung verſchont; die Strafſumme
wurde niedrig bemeſſen, weit niedriger als die ſchweren, den Sonderbunds-
cantonen auferlegten Brandſchatzungen, und überdies, um die Form zu
wahren, nur zur Unterſtützung der Verwundeten und Hinterbliebenen

*) So erzählte Canitz an Knyphauſen (deſſen Bericht 12. Nov. 1847).
v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 47
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[737/0751] Neuenburgs Unterwerfung. Der alte König hatte nach der Juli-Revolution faſt ſein ganzes Heer auf Kriegsfuß geſetzt um Deutſchlands Neutralität zu ſchützen; der Sohn wagte für die Neuenburger Royaliſten nicht einmal eine Brigade aufzubieten und jammerte dann noch über ſeine Ohnmacht. Daß die große Mehrheit der Neuenburger die ſchützenden Truppen ihres Fürſten mit offenen Armen aufgenommen hätte verſtand ſich von ſelbſt; die Tagſatzung aber konnte nimmermehr wagen zugleich gegen den Sonderbund und gegen Preußen zu kämpfen. So lange die Eidgenoſſen noch nicht wußten, was man dieſem Könige bieten durfte, hüteten ſie ſich ſorgfältig ſeine mächtige Krone zu beleidigen. General Dufour weigerte ſich entſchieden, das Fürſtenthum zu beſetzen, obgleich der König es unbeſchützt ließ, und ſelbſt der grobe Ochſenbein wagte nicht offen zu widerſprechen, als der preußiſche Geſandte Sydow zu Anfang Novembers mündlich die thatſächliche Schonung der Neutralität Neuenburgs verlangte. *) Die beiden Schweizer wollten er- ſichtlich abwarten, was das Kriegsglück bringen würde; vor Waffen konnten aber nur Waffen ſichern. Als nun die Eidgenoſſen ſiegten, da war der König tief beſchämt. Nichts, gar nichts hatte er gethan um die Neutralität ſeines Landes zu beſchirmen — was doch in ähnlichen Fällen ſelbſt ſchwache Staaten wie Belgien nie verabſäumten. Auch ſeine Diplomatie verfuhr unbegreiflich langſam. Erſt am 26. Nov. überreichte Sydow eine Note, welche der Tagſatzung ankündigte, daß der König jede Verletzung der Neutralität als Friedensbruch und Feindſeligkeit gegen ſich ſelbſt betrachten müſſe; zugleich erbot ſich Friedrich Wilhelm zur Vermittlung und lud die Eidgenoſſen ein, auf einem europäiſchen Congreſſe, der in der neutralen Stadt Neuen- burg abgehalten werden ſollte, ihre Klagen und Gegenklagen vorzulegen. Was konnte ein ſolcher Vorſchlag fruchten — zwei Tage nachdem Luzern gefallen und der Sonderbund ſo gut wie vernichtet war? Die Tagſatzung lehnte die Vermittlung ab und beſtritt dem Könige das Recht in den inneren Angelegenheiten der Schweiz mitzureden. Nunmehr mußte auch der Canton für die Schlaffheit ſeines Fürſten büßen; er wurde von der Tagſatzung verurtheilt, etwa 440,000 Fr. Strafe für die unterlaſſene Heeresfolge zu zahlen, und ſchutzlos wie er war konnte er ſich den völlig widerrechtlichen Forderungen der Sieger nicht widerſetzen. Dabei verfuhr die Tagſatzung noch immer mit einiger Schonung, weil ſie den König nicht zu ſehr verletzen wollte und weil die rechtſchaffene Haltung der Neuenburger Royaliſten doch ſelbſt die radicalen Gegner zur Achtung zwang. Der Can- ton blieb von eidgenöſſiſcher Einquartierung verſchont; die Strafſumme wurde niedrig bemeſſen, weit niedriger als die ſchweren, den Sonderbunds- cantonen auferlegten Brandſchatzungen, und überdies, um die Form zu wahren, nur zur Unterſtützung der Verwundeten und Hinterbliebenen *) So erzählte Canitz an Knyphauſen (deſſen Bericht 12. Nov. 1847). v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 47

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 737. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/751>, abgerufen am 25.04.2024.