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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
zunächst genauere Beweise, doch man merkte ihm an, daß seine Polen ihn
schon halb gewonnen hatten.

Nicht ganz so gnädig behandelte er die preußischen Landstände, als
sie ihm am 11. Sept. ihren treuherzigen Dank für den Landtagsabschied
aussprechen ließen. Sie sagten in ihrer Adresse: "Fester noch, ist es
möglich, als vorher ist das Demantband gezogen, welches um Preußens
königlichen Herrscher und sein treues Volk sich schlingt." Der König aber
hielt den Abgesandten eine lehrhafte, an feinen Bemerkungen reiche An-
sprache, welche leider die allgemeine Verwirrung nur steigern konnte.
Auf das Lebhafteste versicherte er seinen Widerwillen gegen alle auf Per-
gament geschriebenen Staatsgrundgesetze und hob hervor, England biete,
kraft einer ganz eigenartigen Geschichte, das einzige Beispiel einer glück-
lichen constitutionellen Verfassung. So sagte er wohl was er nicht wollte;
was er selbst beabsichtigte blieb im Dunkeln. Begreiflich daher, daß als-
bald sehr verschiedene Berichte über seine Rede umliefen, und Rochow in
der Königsberger Zeitung erklären ließ, die Worte des Königs seien miß-
verstanden worden. Inzwischen reiste Friedrich Wilhelm ab, und nun ent-
spann sich ein häßlicher Zeitungskrieg, an dem auch mehrere Mitglieder
jener letzten ständischen Abgesandtschaft theilnahmen. Jedermann fühlte,
daß Rochow und Schön hinter den Streitenden standen; die Nebenbuhler
bekämpften einander durch die Federn Dritter, Beide mit der gleichen Hef-
tigkeit persönlichen und politischen Hasses. Endlich erwirkte Rochow,
daß ihn der König durch Cabinetsordre vom 4. Oct. beauftragte die Königs-
berger Verhandlungen bekannt zu machen, "um jeder irrigen Ansicht ent-
gegenzutreten, als ob ich meine Zustimmung zu dem Antrage auf Ent-
wicklung der Landesverfassung im Sinne der Verordnung vom 22. Mai
1815 ausgesprochen hätte". Die Ordre sagte im Grunde nur das Näm-
liche wie der Landtagsabschied, doch sie sagte es in scharfem, schneidendem
Tone und zerstörte mit einem Schlage alle die holden Träume der Ost-
preußen. Wie Schuppen fiel es ihnen von den Augen, sie glaubten sich
in dem Könige getäuscht zu haben, und von Stund' an erhob die Oppo-
sition, die während der Festtage fast verschwunden gewesen, wieder ihr
Haupt. Schön aber, der die Hoffnung noch nicht aufgab, verbreitete ge-
flissentlich das Gerücht, diese unzweifelhaft die Herzensmeinung Friedrich
Wilhelm's aussprechende Ordre habe Rochow dem Monarchen durch Ueber-
raschung abgelistet.

Außerhalb Ostpreußens bemerkte man von diesem unerquicklichen
Nachspiele gar nichts; so gering war noch, Dank den Provinzialständen,
der politische Verkehr zwischen den Landestheilen der Monarchie. Die Ber-
liner wollten sich nicht gedulden bis zu dem zweiten Huldigungsfeste, das
in der Hauptstadt vor den Vertretern aller deutschen Bundeslande des
Königs abgehalten werden sollte, sondern verlangten das Herrscherpaar
schon bei seiner Heimkehr festlich zu begrüßen, und Friedrich Wilhelm

V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
zunächſt genauere Beweiſe, doch man merkte ihm an, daß ſeine Polen ihn
ſchon halb gewonnen hatten.

Nicht ganz ſo gnädig behandelte er die preußiſchen Landſtände, als
ſie ihm am 11. Sept. ihren treuherzigen Dank für den Landtagsabſchied
ausſprechen ließen. Sie ſagten in ihrer Adreſſe: „Feſter noch, iſt es
möglich, als vorher iſt das Demantband gezogen, welches um Preußens
königlichen Herrſcher und ſein treues Volk ſich ſchlingt.“ Der König aber
hielt den Abgeſandten eine lehrhafte, an feinen Bemerkungen reiche An-
ſprache, welche leider die allgemeine Verwirrung nur ſteigern konnte.
Auf das Lebhafteſte verſicherte er ſeinen Widerwillen gegen alle auf Per-
gament geſchriebenen Staatsgrundgeſetze und hob hervor, England biete,
kraft einer ganz eigenartigen Geſchichte, das einzige Beiſpiel einer glück-
lichen conſtitutionellen Verfaſſung. So ſagte er wohl was er nicht wollte;
was er ſelbſt beabſichtigte blieb im Dunkeln. Begreiflich daher, daß als-
bald ſehr verſchiedene Berichte über ſeine Rede umliefen, und Rochow in
der Königsberger Zeitung erklären ließ, die Worte des Königs ſeien miß-
verſtanden worden. Inzwiſchen reiſte Friedrich Wilhelm ab, und nun ent-
ſpann ſich ein häßlicher Zeitungskrieg, an dem auch mehrere Mitglieder
jener letzten ſtändiſchen Abgeſandtſchaft theilnahmen. Jedermann fühlte,
daß Rochow und Schön hinter den Streitenden ſtanden; die Nebenbuhler
bekämpften einander durch die Federn Dritter, Beide mit der gleichen Hef-
tigkeit perſönlichen und politiſchen Haſſes. Endlich erwirkte Rochow,
daß ihn der König durch Cabinetsordre vom 4. Oct. beauftragte die Königs-
berger Verhandlungen bekannt zu machen, „um jeder irrigen Anſicht ent-
gegenzutreten, als ob ich meine Zuſtimmung zu dem Antrage auf Ent-
wicklung der Landesverfaſſung im Sinne der Verordnung vom 22. Mai
1815 ausgeſprochen hätte“. Die Ordre ſagte im Grunde nur das Näm-
liche wie der Landtagsabſchied, doch ſie ſagte es in ſcharfem, ſchneidendem
Tone und zerſtörte mit einem Schlage alle die holden Träume der Oſt-
preußen. Wie Schuppen fiel es ihnen von den Augen, ſie glaubten ſich
in dem Könige getäuſcht zu haben, und von Stund’ an erhob die Oppo-
ſition, die während der Feſttage faſt verſchwunden geweſen, wieder ihr
Haupt. Schön aber, der die Hoffnung noch nicht aufgab, verbreitete ge-
fliſſentlich das Gerücht, dieſe unzweifelhaft die Herzensmeinung Friedrich
Wilhelm’s ausſprechende Ordre habe Rochow dem Monarchen durch Ueber-
raſchung abgeliſtet.

Außerhalb Oſtpreußens bemerkte man von dieſem unerquicklichen
Nachſpiele gar nichts; ſo gering war noch, Dank den Provinzialſtänden,
der politiſche Verkehr zwiſchen den Landestheilen der Monarchie. Die Ber-
liner wollten ſich nicht gedulden bis zu dem zweiten Huldigungsfeſte, das
in der Hauptſtadt vor den Vertretern aller deutſchen Bundeslande des
Königs abgehalten werden ſollte, ſondern verlangten das Herrſcherpaar
ſchon bei ſeiner Heimkehr feſtlich zu begrüßen, und Friedrich Wilhelm

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[48/0062] V. 1. Die frohen Tage der Erwartung. zunächſt genauere Beweiſe, doch man merkte ihm an, daß ſeine Polen ihn ſchon halb gewonnen hatten. Nicht ganz ſo gnädig behandelte er die preußiſchen Landſtände, als ſie ihm am 11. Sept. ihren treuherzigen Dank für den Landtagsabſchied ausſprechen ließen. Sie ſagten in ihrer Adreſſe: „Feſter noch, iſt es möglich, als vorher iſt das Demantband gezogen, welches um Preußens königlichen Herrſcher und ſein treues Volk ſich ſchlingt.“ Der König aber hielt den Abgeſandten eine lehrhafte, an feinen Bemerkungen reiche An- ſprache, welche leider die allgemeine Verwirrung nur ſteigern konnte. Auf das Lebhafteſte verſicherte er ſeinen Widerwillen gegen alle auf Per- gament geſchriebenen Staatsgrundgeſetze und hob hervor, England biete, kraft einer ganz eigenartigen Geſchichte, das einzige Beiſpiel einer glück- lichen conſtitutionellen Verfaſſung. So ſagte er wohl was er nicht wollte; was er ſelbſt beabſichtigte blieb im Dunkeln. Begreiflich daher, daß als- bald ſehr verſchiedene Berichte über ſeine Rede umliefen, und Rochow in der Königsberger Zeitung erklären ließ, die Worte des Königs ſeien miß- verſtanden worden. Inzwiſchen reiſte Friedrich Wilhelm ab, und nun ent- ſpann ſich ein häßlicher Zeitungskrieg, an dem auch mehrere Mitglieder jener letzten ſtändiſchen Abgeſandtſchaft theilnahmen. Jedermann fühlte, daß Rochow und Schön hinter den Streitenden ſtanden; die Nebenbuhler bekämpften einander durch die Federn Dritter, Beide mit der gleichen Hef- tigkeit perſönlichen und politiſchen Haſſes. Endlich erwirkte Rochow, daß ihn der König durch Cabinetsordre vom 4. Oct. beauftragte die Königs- berger Verhandlungen bekannt zu machen, „um jeder irrigen Anſicht ent- gegenzutreten, als ob ich meine Zuſtimmung zu dem Antrage auf Ent- wicklung der Landesverfaſſung im Sinne der Verordnung vom 22. Mai 1815 ausgeſprochen hätte“. Die Ordre ſagte im Grunde nur das Näm- liche wie der Landtagsabſchied, doch ſie ſagte es in ſcharfem, ſchneidendem Tone und zerſtörte mit einem Schlage alle die holden Träume der Oſt- preußen. Wie Schuppen fiel es ihnen von den Augen, ſie glaubten ſich in dem Könige getäuſcht zu haben, und von Stund’ an erhob die Oppo- ſition, die während der Feſttage faſt verſchwunden geweſen, wieder ihr Haupt. Schön aber, der die Hoffnung noch nicht aufgab, verbreitete ge- fliſſentlich das Gerücht, dieſe unzweifelhaft die Herzensmeinung Friedrich Wilhelm’s ausſprechende Ordre habe Rochow dem Monarchen durch Ueber- raſchung abgeliſtet. Außerhalb Oſtpreußens bemerkte man von dieſem unerquicklichen Nachſpiele gar nichts; ſo gering war noch, Dank den Provinzialſtänden, der politiſche Verkehr zwiſchen den Landestheilen der Monarchie. Die Ber- liner wollten ſich nicht gedulden bis zu dem zweiten Huldigungsfeſte, das in der Hauptſtadt vor den Vertretern aller deutſchen Bundeslande des Königs abgehalten werden ſollte, ſondern verlangten das Herrſcherpaar ſchon bei ſeiner Heimkehr feſtlich zu begrüßen, und Friedrich Wilhelm

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/62>, abgerufen am 23.04.2024.