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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
aus dem bairischen Walde, von einem bairischen Katholiken, von einem
Pfarrer der Diöcese Eichstädt, und wie die Verfasser sich sonst nannten.
Da hieß es: die katholische Kirche ist in Baiern um ein halb Jahrtausend
älter als das Haus Wittelsbach -- oder auch: vergesset nicht, daß der
größte und der körperlich kräftigste Theil des bairischen Volkes für die
römische Kirche zu kämpfen bereit ist! Höfler aber, bei weitem noch nicht
der Wildeste unter den Clericalen, sagte in einer Schrift über Wrede's
Anträge: wenn manche der hochgeborenen Reichsräthe glaubten, die Mönche
wären nicht im Geiste der Zeit, so meine das Volk vielmehr, der Adel
sei nicht mehr im Geiste der Zeit; auf den Vorwurf, die Redemptoristen
störten den kirchlichen Frieden, erwiderte er höhnisch: dieser Friede ist längst
zerstört, seit Luther's Auftreten. Also suchte die Partei, da sie ihren Sturz
nahe sah, sich durch terroristische Drohungen noch krampfhaft zu halten.
Dem Könige indessen drängte sich nun doch die Frage auf, ob sein Haus
sich auf solche geistliche Jacobiner stützen könne, und er verbat sich zunächst
weitere Adressen.

Hierauf gingen die Clericalen im Landtage selbst zum Angriff vor.
Es genügte ihnen nicht mehr, daß der Clerus das gesetzliche Verbot des
Uebertrittes Unmündiger beharrlich umging; sie verlangten jetzt Aufhebung
des Verbots. Zur Unterstützung dieses Antrags wurde der greise Münchener
Erzbischof Gebsattel von seinem streitbaren Canonicus Windischmann auf-
gestiftet. Der gutmüthige Herr veröffentlichte noch kurz vor seinem Tode
einen feierlichen Protest, der sich auf die Großthaten der heiligen Kinder
Vitus und Agnes berief und dann zu dem bündigen Schlusse gelangte:
da das Concordat die vigens ecclesiae disciplina anerkenne, so müsse
auch der Uebertritt der Kinder gestattet werden. Dieser dreiste Versuch,
das Concordat über die Verfassung zu stellen, beunruhigte den König von
Neuem. In der Kammer drangen die Ultramontanen nicht durch. Die Libe-
ralen ließen sich auch nicht schrecken als Döllinger, jetzt der feurigste Redner
der Regierungspartei, ihnen revolutionäre Absichten vorwarf; sie witterten
Morgenluft und wagten schon wieder Anträge auf Preßfreiheit und öffent-
liches Gerichtsverfahren einzubringen. Die aufgeregten Verhandlungen
wurden zwar im Mai 1846 durch das erprobte Mittel der plötzlichen
Landtagsschließung abgeschnitten. Doch die Unruhe im Lande hielt an,
Graf Bernstorff berichtete traurig: es geht nicht mehr weiter.*) Aehnlich
empfand der König selbst, er bereitete schon einen Systemwechsel vor. Gise
und Schrenck, die unfähigen Minister des Auswärtigen und der Justiz
wurden entlassen; der Kriegsminister Gumppenberg blieb freilich zunächst
noch im Amte, obwohl die wüste Zuchtlosigkeit in den überfüllten Münchener
Kasernen täglich zeigte, wie gewissenlos die Militärverwaltung ihre Pflichten
verabsäumte.


*) Bernstorff's Bericht, 13. Juni 1846.

V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
aus dem bairiſchen Walde, von einem bairiſchen Katholiken, von einem
Pfarrer der Diöceſe Eichſtädt, und wie die Verfaſſer ſich ſonſt nannten.
Da hieß es: die katholiſche Kirche iſt in Baiern um ein halb Jahrtauſend
älter als das Haus Wittelsbach — oder auch: vergeſſet nicht, daß der
größte und der körperlich kräftigſte Theil des bairiſchen Volkes für die
römiſche Kirche zu kämpfen bereit iſt! Höfler aber, bei weitem noch nicht
der Wildeſte unter den Clericalen, ſagte in einer Schrift über Wrede’s
Anträge: wenn manche der hochgeborenen Reichsräthe glaubten, die Mönche
wären nicht im Geiſte der Zeit, ſo meine das Volk vielmehr, der Adel
ſei nicht mehr im Geiſte der Zeit; auf den Vorwurf, die Redemptoriſten
ſtörten den kirchlichen Frieden, erwiderte er höhniſch: dieſer Friede iſt längſt
zerſtört, ſeit Luther’s Auftreten. Alſo ſuchte die Partei, da ſie ihren Sturz
nahe ſah, ſich durch terroriſtiſche Drohungen noch krampfhaft zu halten.
Dem Könige indeſſen drängte ſich nun doch die Frage auf, ob ſein Haus
ſich auf ſolche geiſtliche Jacobiner ſtützen könne, und er verbat ſich zunächſt
weitere Adreſſen.

Hierauf gingen die Clericalen im Landtage ſelbſt zum Angriff vor.
Es genügte ihnen nicht mehr, daß der Clerus das geſetzliche Verbot des
Uebertrittes Unmündiger beharrlich umging; ſie verlangten jetzt Aufhebung
des Verbots. Zur Unterſtützung dieſes Antrags wurde der greiſe Münchener
Erzbiſchof Gebſattel von ſeinem ſtreitbaren Canonicus Windiſchmann auf-
geſtiftet. Der gutmüthige Herr veröffentlichte noch kurz vor ſeinem Tode
einen feierlichen Proteſt, der ſich auf die Großthaten der heiligen Kinder
Vitus und Agnes berief und dann zu dem bündigen Schluſſe gelangte:
da das Concordat die vigens ecclesiae disciplina anerkenne, ſo müſſe
auch der Uebertritt der Kinder geſtattet werden. Dieſer dreiſte Verſuch,
das Concordat über die Verfaſſung zu ſtellen, beunruhigte den König von
Neuem. In der Kammer drangen die Ultramontanen nicht durch. Die Libe-
ralen ließen ſich auch nicht ſchrecken als Döllinger, jetzt der feurigſte Redner
der Regierungspartei, ihnen revolutionäre Abſichten vorwarf; ſie witterten
Morgenluft und wagten ſchon wieder Anträge auf Preßfreiheit und öffent-
liches Gerichtsverfahren einzubringen. Die aufgeregten Verhandlungen
wurden zwar im Mai 1846 durch das erprobte Mittel der plötzlichen
Landtagsſchließung abgeſchnitten. Doch die Unruhe im Lande hielt an,
Graf Bernſtorff berichtete traurig: es geht nicht mehr weiter.*) Aehnlich
empfand der König ſelbſt, er bereitete ſchon einen Syſtemwechſel vor. Giſe
und Schrenck, die unfähigen Miniſter des Auswärtigen und der Juſtiz
wurden entlaſſen; der Kriegsminiſter Gumppenberg blieb freilich zunächſt
noch im Amte, obwohl die wüſte Zuchtloſigkeit in den überfüllten Münchener
Kaſernen täglich zeigte, wie gewiſſenlos die Militärverwaltung ihre Pflichten
verabſäumte.


*) Bernſtorff’s Bericht, 13. Juni 1846.
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[324/0338] V. 4. Die Parteiung in der Kirche. aus dem bairiſchen Walde, von einem bairiſchen Katholiken, von einem Pfarrer der Diöceſe Eichſtädt, und wie die Verfaſſer ſich ſonſt nannten. Da hieß es: die katholiſche Kirche iſt in Baiern um ein halb Jahrtauſend älter als das Haus Wittelsbach — oder auch: vergeſſet nicht, daß der größte und der körperlich kräftigſte Theil des bairiſchen Volkes für die römiſche Kirche zu kämpfen bereit iſt! Höfler aber, bei weitem noch nicht der Wildeſte unter den Clericalen, ſagte in einer Schrift über Wrede’s Anträge: wenn manche der hochgeborenen Reichsräthe glaubten, die Mönche wären nicht im Geiſte der Zeit, ſo meine das Volk vielmehr, der Adel ſei nicht mehr im Geiſte der Zeit; auf den Vorwurf, die Redemptoriſten ſtörten den kirchlichen Frieden, erwiderte er höhniſch: dieſer Friede iſt längſt zerſtört, ſeit Luther’s Auftreten. Alſo ſuchte die Partei, da ſie ihren Sturz nahe ſah, ſich durch terroriſtiſche Drohungen noch krampfhaft zu halten. Dem Könige indeſſen drängte ſich nun doch die Frage auf, ob ſein Haus ſich auf ſolche geiſtliche Jacobiner ſtützen könne, und er verbat ſich zunächſt weitere Adreſſen. Hierauf gingen die Clericalen im Landtage ſelbſt zum Angriff vor. Es genügte ihnen nicht mehr, daß der Clerus das geſetzliche Verbot des Uebertrittes Unmündiger beharrlich umging; ſie verlangten jetzt Aufhebung des Verbots. Zur Unterſtützung dieſes Antrags wurde der greiſe Münchener Erzbiſchof Gebſattel von ſeinem ſtreitbaren Canonicus Windiſchmann auf- geſtiftet. Der gutmüthige Herr veröffentlichte noch kurz vor ſeinem Tode einen feierlichen Proteſt, der ſich auf die Großthaten der heiligen Kinder Vitus und Agnes berief und dann zu dem bündigen Schluſſe gelangte: da das Concordat die vigens ecclesiae disciplina anerkenne, ſo müſſe auch der Uebertritt der Kinder geſtattet werden. Dieſer dreiſte Verſuch, das Concordat über die Verfaſſung zu ſtellen, beunruhigte den König von Neuem. In der Kammer drangen die Ultramontanen nicht durch. Die Libe- ralen ließen ſich auch nicht ſchrecken als Döllinger, jetzt der feurigſte Redner der Regierungspartei, ihnen revolutionäre Abſichten vorwarf; ſie witterten Morgenluft und wagten ſchon wieder Anträge auf Preßfreiheit und öffent- liches Gerichtsverfahren einzubringen. Die aufgeregten Verhandlungen wurden zwar im Mai 1846 durch das erprobte Mittel der plötzlichen Landtagsſchließung abgeſchnitten. Doch die Unruhe im Lande hielt an, Graf Bernſtorff berichtete traurig: es geht nicht mehr weiter. *) Aehnlich empfand der König ſelbſt, er bereitete ſchon einen Syſtemwechſel vor. Giſe und Schrenck, die unfähigen Miniſter des Auswärtigen und der Juſtiz wurden entlaſſen; der Kriegsminiſter Gumppenberg blieb freilich zunächſt noch im Amte, obwohl die wüſte Zuchtloſigkeit in den überfüllten Münchener Kaſernen täglich zeigte, wie gewiſſenlos die Militärverwaltung ihre Pflichten verabſäumte. *) Bernſtorff’s Bericht, 13. Juni 1846.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/338>, abgerufen am 25.04.2024.