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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Roth und die bairischen Protestanten.
wesen, nach Beseitigung des grob rationalistischen Schulraths Stephani,
wieder ein kräftiges religiöses Leben erweckt. Neuerdings bemühte er
sich eifrig, die pfälzische Unionskirche, deren Vereinigungsurkunde allein
die heilige Schrift als Glaubensgrund und Lehrnorm gelten ließ, auch
zur förmlichen Anerkennung der symbolischen Bücher zu bewegen; dies
Unternehmen verwickelte ihn von Neuem in Streit mit seinem alten
Gegner Paulus und konnte ohne Gewissenszwang unmöglich gelingen,
da der Rationalismus in den Gemeinden der Pfalz noch vorherrschte.*)
Also in beständiger Reibung mit den Epigonen der Aufklärung gelangte
er zu einem verhängnißvollen Irrthum, der im Norden häufiger vor-
kommt als in dem besser erfahrenen Süden; er betrachtete die Ultramon-
tanen als seine natürlichen Bundesgenossen im Kampfe gegen den Un-
glauben. Der König zeichnete den hochverdienten Beamten geflissentlich
aus, Abel wußte ihn stets zu beschwichtigen, und mit Schmerz bemerkte
der preußische Gesandte, wie viel Unbill das Oberconsistorium von den
Clericalen hinnahm.**) Endlich gingen dem glaubensstarken Präsidenten
doch die Augen auf, und seit er die Bedrängniß seiner Kirche erkannt
hatte, vertheidigte er ihre Rechte mit kluger Entschlossenheit. Er war es,
der das schlimmste kirchliche Aergerniß beseitigte; durch einen freimüthigen
Brief an den König erreichte er, daß der schon mehrmals gemilderte
Kniebeugungsbefehl im Dec. 1845 gänzlich aufgehoben wurde. Sieben
Jahre hindurch waren also, ohne Sinn und Zweck, die Gewissen der Prote-
stanten geängstigt und gequält worden. Am letzten Ende gereichten diese
Händel der protestantischen Kirche des Landes zum Segen. Sie hatte
durch tapfere Bekenntnißtreue ihr Gemeingefühl gekräftigt, viele Gleich-
giltige wiedergewonnen, selbst die Gegner zur Achtung gezwungen; sobald
die ultramontane Sturmfluth verrauschte, gestaltete sich das Verhältniß
der beiden Kirchen grade in Baiern sehr friedlich.

Mittlerweile war der Landtag von 1842 noch ohne heftige Stürme
vorübergegangen. Die Abgeordneten klagten über die theueren Pracht-
bauten, andererseits über die Verwahrlosung der Schulen und die Knau-
serei dieser Regierung, die so viele wichtige Aemter unbesetzt ließ, alte
Beamte stets vor Ablauf des fünfzigsten Dienstjahres verabschiedete um
ihnen die volle Pension vorzuenthalten. Doch der böse Streit wegen der
Erübrigungen wurde wieder durch das persönliche Einschreiten des Königs
beseitigt. Ludwig glaubte nur sein Kronrecht auszuüben, wenn er über
die Ersparnisse frei verfügte, und nachdem er mehrere Landstände münd-
lich ermahnt, schrieb er einem Getreuen kurzab: "Da unthunlich, alle
gutgesinnten, mir ergebenen Abgeordneten kommen zu lassen, schreib ich
Ihnen, dem mir sehr ergebenen Auerweck, daß Sie können den Anderen

*) Vgl. o. II. 242.
**) Dönhoff's Berichte, 2. Jan. 1840 ff.
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 21

Roth und die bairiſchen Proteſtanten.
weſen, nach Beſeitigung des grob rationaliſtiſchen Schulraths Stephani,
wieder ein kräftiges religiöſes Leben erweckt. Neuerdings bemühte er
ſich eifrig, die pfälziſche Unionskirche, deren Vereinigungsurkunde allein
die heilige Schrift als Glaubensgrund und Lehrnorm gelten ließ, auch
zur förmlichen Anerkennung der ſymboliſchen Bücher zu bewegen; dies
Unternehmen verwickelte ihn von Neuem in Streit mit ſeinem alten
Gegner Paulus und konnte ohne Gewiſſenszwang unmöglich gelingen,
da der Rationalismus in den Gemeinden der Pfalz noch vorherrſchte.*)
Alſo in beſtändiger Reibung mit den Epigonen der Aufklärung gelangte
er zu einem verhängnißvollen Irrthum, der im Norden häufiger vor-
kommt als in dem beſſer erfahrenen Süden; er betrachtete die Ultramon-
tanen als ſeine natürlichen Bundesgenoſſen im Kampfe gegen den Un-
glauben. Der König zeichnete den hochverdienten Beamten gefliſſentlich
aus, Abel wußte ihn ſtets zu beſchwichtigen, und mit Schmerz bemerkte
der preußiſche Geſandte, wie viel Unbill das Oberconſiſtorium von den
Clericalen hinnahm.**) Endlich gingen dem glaubensſtarken Präſidenten
doch die Augen auf, und ſeit er die Bedrängniß ſeiner Kirche erkannt
hatte, vertheidigte er ihre Rechte mit kluger Entſchloſſenheit. Er war es,
der das ſchlimmſte kirchliche Aergerniß beſeitigte; durch einen freimüthigen
Brief an den König erreichte er, daß der ſchon mehrmals gemilderte
Kniebeugungsbefehl im Dec. 1845 gänzlich aufgehoben wurde. Sieben
Jahre hindurch waren alſo, ohne Sinn und Zweck, die Gewiſſen der Prote-
ſtanten geängſtigt und gequält worden. Am letzten Ende gereichten dieſe
Händel der proteſtantiſchen Kirche des Landes zum Segen. Sie hatte
durch tapfere Bekenntnißtreue ihr Gemeingefühl gekräftigt, viele Gleich-
giltige wiedergewonnen, ſelbſt die Gegner zur Achtung gezwungen; ſobald
die ultramontane Sturmfluth verrauſchte, geſtaltete ſich das Verhältniß
der beiden Kirchen grade in Baiern ſehr friedlich.

Mittlerweile war der Landtag von 1842 noch ohne heftige Stürme
vorübergegangen. Die Abgeordneten klagten über die theueren Pracht-
bauten, andererſeits über die Verwahrloſung der Schulen und die Knau-
ſerei dieſer Regierung, die ſo viele wichtige Aemter unbeſetzt ließ, alte
Beamte ſtets vor Ablauf des fünfzigſten Dienſtjahres verabſchiedete um
ihnen die volle Penſion vorzuenthalten. Doch der böſe Streit wegen der
Erübrigungen wurde wieder durch das perſönliche Einſchreiten des Königs
beſeitigt. Ludwig glaubte nur ſein Kronrecht auszuüben, wenn er über
die Erſparniſſe frei verfügte, und nachdem er mehrere Landſtände münd-
lich ermahnt, ſchrieb er einem Getreuen kurzab: „Da unthunlich, alle
gutgeſinnten, mir ergebenen Abgeordneten kommen zu laſſen, ſchreib ich
Ihnen, dem mir ſehr ergebenen Auerweck, daß Sie können den Anderen

*) Vgl. o. II. 242.
**) Dönhoff’s Berichte, 2. Jan. 1840 ff.
v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 21
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[321/0335] Roth und die bairiſchen Proteſtanten. weſen, nach Beſeitigung des grob rationaliſtiſchen Schulraths Stephani, wieder ein kräftiges religiöſes Leben erweckt. Neuerdings bemühte er ſich eifrig, die pfälziſche Unionskirche, deren Vereinigungsurkunde allein die heilige Schrift als Glaubensgrund und Lehrnorm gelten ließ, auch zur förmlichen Anerkennung der ſymboliſchen Bücher zu bewegen; dies Unternehmen verwickelte ihn von Neuem in Streit mit ſeinem alten Gegner Paulus und konnte ohne Gewiſſenszwang unmöglich gelingen, da der Rationalismus in den Gemeinden der Pfalz noch vorherrſchte. *) Alſo in beſtändiger Reibung mit den Epigonen der Aufklärung gelangte er zu einem verhängnißvollen Irrthum, der im Norden häufiger vor- kommt als in dem beſſer erfahrenen Süden; er betrachtete die Ultramon- tanen als ſeine natürlichen Bundesgenoſſen im Kampfe gegen den Un- glauben. Der König zeichnete den hochverdienten Beamten gefliſſentlich aus, Abel wußte ihn ſtets zu beſchwichtigen, und mit Schmerz bemerkte der preußiſche Geſandte, wie viel Unbill das Oberconſiſtorium von den Clericalen hinnahm. **) Endlich gingen dem glaubensſtarken Präſidenten doch die Augen auf, und ſeit er die Bedrängniß ſeiner Kirche erkannt hatte, vertheidigte er ihre Rechte mit kluger Entſchloſſenheit. Er war es, der das ſchlimmſte kirchliche Aergerniß beſeitigte; durch einen freimüthigen Brief an den König erreichte er, daß der ſchon mehrmals gemilderte Kniebeugungsbefehl im Dec. 1845 gänzlich aufgehoben wurde. Sieben Jahre hindurch waren alſo, ohne Sinn und Zweck, die Gewiſſen der Prote- ſtanten geängſtigt und gequält worden. Am letzten Ende gereichten dieſe Händel der proteſtantiſchen Kirche des Landes zum Segen. Sie hatte durch tapfere Bekenntnißtreue ihr Gemeingefühl gekräftigt, viele Gleich- giltige wiedergewonnen, ſelbſt die Gegner zur Achtung gezwungen; ſobald die ultramontane Sturmfluth verrauſchte, geſtaltete ſich das Verhältniß der beiden Kirchen grade in Baiern ſehr friedlich. Mittlerweile war der Landtag von 1842 noch ohne heftige Stürme vorübergegangen. Die Abgeordneten klagten über die theueren Pracht- bauten, andererſeits über die Verwahrloſung der Schulen und die Knau- ſerei dieſer Regierung, die ſo viele wichtige Aemter unbeſetzt ließ, alte Beamte ſtets vor Ablauf des fünfzigſten Dienſtjahres verabſchiedete um ihnen die volle Penſion vorzuenthalten. Doch der böſe Streit wegen der Erübrigungen wurde wieder durch das perſönliche Einſchreiten des Königs beſeitigt. Ludwig glaubte nur ſein Kronrecht auszuüben, wenn er über die Erſparniſſe frei verfügte, und nachdem er mehrere Landſtände münd- lich ermahnt, ſchrieb er einem Getreuen kurzab: „Da unthunlich, alle gutgeſinnten, mir ergebenen Abgeordneten kommen zu laſſen, ſchreib ich Ihnen, dem mir ſehr ergebenen Auerweck, daß Sie können den Anderen *) Vgl. o. II. 242. **) Dönhoff’s Berichte, 2. Jan. 1840 ff. v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 21

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/335>, abgerufen am 28.03.2024.