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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 3. Enttäuschung und Verwirrung.

Vergoß um nichts Märtyrerblut.
Im Opernhause kann man's sehn:
Der König, der muß flöten gehn. Hurrah!

Der mittellosen Tochter des Verbrechers nahm sich der König gnädig
an; er ließ sie auf seine Kosten bei einem braven Pfarrer in Westphalen
unterbringen. Das trotzige, ganz in den Gedanken des Vaters befangene
Mädchen sah aber in der Wohlthat nur eine Strafe. Von dem badischen
Liberalen Hecker unterstützt, entfloh sie in das Elsaß, nachher in die Schweiz,
wo sie durch Rauschenplatt und Dulk in die Geheimbünde der wildesten
Demagogen eingeführt wurde und ein Buch über ihres Vaters Leben ver-
faßte -- eine der ruchlosesten Schriften dieser verworrenen Zeit: da ward
der Königsmord wie die einfachste Sache von der Welt dargestellt, die gar
keiner Erklärung bedurfte, und der gesetzmäßige Richterspruch wie ein grau-
samer Frevel. Derweil die Schriften der Flüchtlinge sich in wüthenden
Schmähungen wider die Berliner Blutrichter ergingen, hielt Otto v. Ger-
lach seiner armen Gemeinde in der Elisabethkirche eine erschütternde Pre-
digt: es ist ein Bann unter Dir, Israel. Er hatte dem Verurtheilten
während seiner letzten Lebenstage beigestanden -- so liebevoll, daß Tschech
selbst die geistliche Hilfe nicht ganz ablehnte -- und nach diesen frischen
Eindrücken schilderte er nun mit dem Muthe des treuen Seelsorgers das
Verbrechen, wie es wirklich war: als eine That persönlicher Rachsucht und
zugleich als ein Zeichen des unbotmäßigen Hochmuths dieser Tage. Die
Rede enthielt kein unwahres, kein fanatisches Wort; als Gerlach sie je-
doch auf den Wunsch der tief ergriffenen Hörer zum Drucke geben wollte,
da verweigerten die ängstlichen Behörden die Erlaubniß. Sie befürchteten,
die allgemeine Aufregung würde noch steigen, wenn ein tapferer Mann
in die offenen Wunden der Zeit den Finger legte; daß die Schmäh-Ar-
tikel der Demagogen überall über die Grenze drangen, vermochten sie frei-
lich nicht zu hindern. Also wuchs die Rathlosigkeit der Regierung, und
mit ihr die Frechheit der revolutionären Partei; noch weiter auf diesem
Wege, und eine friedliche Lösung ward unmöglich. --

Friedrich Wilhelm ahnte das selbst und begann nunmehr seine Ver-
fassungspläne ernstlich auszuarbeiten. Auf einer Reise durch Oesterreich
besprach er sich darüber mit Metternich, der nachher noch durch den Ge-
sandten Canitz genauere Mittheilungen erhielt, aber, wie sich voraussehen
ließ, nur mit ehrerbietigen Abmahnungen antwortete. Nicht eigentlich um
den Rath des Oesterreichers war es dem Könige zu thun; er wünschte nur
sein Herz auszuschütten vor dem verehrten Staatsmanne, den er für Preu-
ßens wärmsten Freund hielt, ihm die Nothwendigkeit der geplanten Refor-
men unwiderleglich zu erweisen. Heimgekehrt brachte er seine Gedanken
endlich zum Abschluß und ertheilte am 24. Dec. 1844 dem Ministerrathe
seine Weisungen für das Verfassungswerk. Er wollte zum ersten die Pro-
vinziallandtage erhalten mit dem Rechte der Berathung über Provinzial-

V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.

Vergoß um nichts Märtyrerblut.
Im Opernhauſe kann man’s ſehn:
Der König, der muß flöten gehn. Hurrah!

Der mittelloſen Tochter des Verbrechers nahm ſich der König gnädig
an; er ließ ſie auf ſeine Koſten bei einem braven Pfarrer in Weſtphalen
unterbringen. Das trotzige, ganz in den Gedanken des Vaters befangene
Mädchen ſah aber in der Wohlthat nur eine Strafe. Von dem badiſchen
Liberalen Hecker unterſtützt, entfloh ſie in das Elſaß, nachher in die Schweiz,
wo ſie durch Rauſchenplatt und Dulk in die Geheimbünde der wildeſten
Demagogen eingeführt wurde und ein Buch über ihres Vaters Leben ver-
faßte — eine der ruchloſeſten Schriften dieſer verworrenen Zeit: da ward
der Königsmord wie die einfachſte Sache von der Welt dargeſtellt, die gar
keiner Erklärung bedurfte, und der geſetzmäßige Richterſpruch wie ein grau-
ſamer Frevel. Derweil die Schriften der Flüchtlinge ſich in wüthenden
Schmähungen wider die Berliner Blutrichter ergingen, hielt Otto v. Ger-
lach ſeiner armen Gemeinde in der Eliſabethkirche eine erſchütternde Pre-
digt: es iſt ein Bann unter Dir, Israel. Er hatte dem Verurtheilten
während ſeiner letzten Lebenstage beigeſtanden — ſo liebevoll, daß Tſchech
ſelbſt die geiſtliche Hilfe nicht ganz ablehnte — und nach dieſen friſchen
Eindrücken ſchilderte er nun mit dem Muthe des treuen Seelſorgers das
Verbrechen, wie es wirklich war: als eine That perſönlicher Rachſucht und
zugleich als ein Zeichen des unbotmäßigen Hochmuths dieſer Tage. Die
Rede enthielt kein unwahres, kein fanatiſches Wort; als Gerlach ſie je-
doch auf den Wunſch der tief ergriffenen Hörer zum Drucke geben wollte,
da verweigerten die ängſtlichen Behörden die Erlaubniß. Sie befürchteten,
die allgemeine Aufregung würde noch ſteigen, wenn ein tapferer Mann
in die offenen Wunden der Zeit den Finger legte; daß die Schmäh-Ar-
tikel der Demagogen überall über die Grenze drangen, vermochten ſie frei-
lich nicht zu hindern. Alſo wuchs die Rathloſigkeit der Regierung, und
mit ihr die Frechheit der revolutionären Partei; noch weiter auf dieſem
Wege, und eine friedliche Löſung ward unmöglich. —

Friedrich Wilhelm ahnte das ſelbſt und begann nunmehr ſeine Ver-
faſſungspläne ernſtlich auszuarbeiten. Auf einer Reiſe durch Oeſterreich
beſprach er ſich darüber mit Metternich, der nachher noch durch den Ge-
ſandten Canitz genauere Mittheilungen erhielt, aber, wie ſich vorausſehen
ließ, nur mit ehrerbietigen Abmahnungen antwortete. Nicht eigentlich um
den Rath des Oeſterreichers war es dem Könige zu thun; er wünſchte nur
ſein Herz auszuſchütten vor dem verehrten Staatsmanne, den er für Preu-
ßens wärmſten Freund hielt, ihm die Nothwendigkeit der geplanten Refor-
men unwiderleglich zu erweiſen. Heimgekehrt brachte er ſeine Gedanken
endlich zum Abſchluß und ertheilte am 24. Dec. 1844 dem Miniſterrathe
ſeine Weiſungen für das Verfaſſungswerk. Er wollte zum erſten die Pro-
vinziallandtage erhalten mit dem Rechte der Berathung über Provinzial-

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[270/0284] V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung. Vergoß um nichts Märtyrerblut. Im Opernhauſe kann man’s ſehn: Der König, der muß flöten gehn. Hurrah! Der mittelloſen Tochter des Verbrechers nahm ſich der König gnädig an; er ließ ſie auf ſeine Koſten bei einem braven Pfarrer in Weſtphalen unterbringen. Das trotzige, ganz in den Gedanken des Vaters befangene Mädchen ſah aber in der Wohlthat nur eine Strafe. Von dem badiſchen Liberalen Hecker unterſtützt, entfloh ſie in das Elſaß, nachher in die Schweiz, wo ſie durch Rauſchenplatt und Dulk in die Geheimbünde der wildeſten Demagogen eingeführt wurde und ein Buch über ihres Vaters Leben ver- faßte — eine der ruchloſeſten Schriften dieſer verworrenen Zeit: da ward der Königsmord wie die einfachſte Sache von der Welt dargeſtellt, die gar keiner Erklärung bedurfte, und der geſetzmäßige Richterſpruch wie ein grau- ſamer Frevel. Derweil die Schriften der Flüchtlinge ſich in wüthenden Schmähungen wider die Berliner Blutrichter ergingen, hielt Otto v. Ger- lach ſeiner armen Gemeinde in der Eliſabethkirche eine erſchütternde Pre- digt: es iſt ein Bann unter Dir, Israel. Er hatte dem Verurtheilten während ſeiner letzten Lebenstage beigeſtanden — ſo liebevoll, daß Tſchech ſelbſt die geiſtliche Hilfe nicht ganz ablehnte — und nach dieſen friſchen Eindrücken ſchilderte er nun mit dem Muthe des treuen Seelſorgers das Verbrechen, wie es wirklich war: als eine That perſönlicher Rachſucht und zugleich als ein Zeichen des unbotmäßigen Hochmuths dieſer Tage. Die Rede enthielt kein unwahres, kein fanatiſches Wort; als Gerlach ſie je- doch auf den Wunſch der tief ergriffenen Hörer zum Drucke geben wollte, da verweigerten die ängſtlichen Behörden die Erlaubniß. Sie befürchteten, die allgemeine Aufregung würde noch ſteigen, wenn ein tapferer Mann in die offenen Wunden der Zeit den Finger legte; daß die Schmäh-Ar- tikel der Demagogen überall über die Grenze drangen, vermochten ſie frei- lich nicht zu hindern. Alſo wuchs die Rathloſigkeit der Regierung, und mit ihr die Frechheit der revolutionären Partei; noch weiter auf dieſem Wege, und eine friedliche Löſung ward unmöglich. — Friedrich Wilhelm ahnte das ſelbſt und begann nunmehr ſeine Ver- faſſungspläne ernſtlich auszuarbeiten. Auf einer Reiſe durch Oeſterreich beſprach er ſich darüber mit Metternich, der nachher noch durch den Ge- ſandten Canitz genauere Mittheilungen erhielt, aber, wie ſich vorausſehen ließ, nur mit ehrerbietigen Abmahnungen antwortete. Nicht eigentlich um den Rath des Oeſterreichers war es dem Könige zu thun; er wünſchte nur ſein Herz auszuſchütten vor dem verehrten Staatsmanne, den er für Preu- ßens wärmſten Freund hielt, ihm die Nothwendigkeit der geplanten Refor- men unwiderleglich zu erweiſen. Heimgekehrt brachte er ſeine Gedanken endlich zum Abſchluß und ertheilte am 24. Dec. 1844 dem Miniſterrathe ſeine Weiſungen für das Verfaſſungswerk. Er wollte zum erſten die Pro- vinziallandtage erhalten mit dem Rechte der Berathung über Provinzial-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/284>, abgerufen am 25.04.2024.