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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
Personen im Grunde wenig galten. Mit erstaunlicher Kälte konnte er
sich von altbewährten Vertrauten trennen, wenn sie ihre abweichende Mei-
nung öffentlich kundgaben und ihm seine Zirkel störten. In jedem er-
klärten politischen Gegner sah er einen persönlichen Feind, und nach der
Weise aller Gemüthsmenschen behandelte er dann die entfremdeten Freunde
ebenso hart und ungerecht wie vordem zärtlich und liebevoll, obgleich er
es oft als seinen heißesten Herzenswunsch aussprach gegen Jedermann
streng gerecht zu sein.

Nicht bloß seine äußere Erscheinung, auch sein edel aber unglücklich
angelegter Geist gemahnte an das Dichterbild des Hamlet. Wie reich war
er an schönen, hohen Gedanken, und doch so unsicher in seinen Ent-
schlüssen, daß seine Minister beim Schlusse einer Sitzung nie errathen
konnten, ob er noch dieselbe Meinung hegen würde wie am Anfang. Seine
Frömmigkeit kam aus den Tiefen eines gottbegeisterten Herzens, seine
milde Hand schwelgte in den Werken einer jeden Schein verschmähenden
christlichen Barmherzigkeit; und dieser Gütige konnte, wenn der Jähzorn
ihn übermannte, sich bis zur Grausamkeit verfolgungssüchtig zeigen. Selber
sittenstreng urtheilte er hart, fast prüde über lockeren Lebenswandel; das
schloß nicht aus, daß er an saftigen Eulenspiegeleien und Berliner Straßen-
witzen seine Freude fand. Wie groß war sein Wissen und sein Wissens-
drang; aber die reinste Blüthe aller Bildung, die Einfachheit des Fühlens
und Denkens blieb ihm unverständlich und unerreichbar; überall suchte
er das Absonderliche, weitab von der Heerstraße; immer mußte er witzig
und geistreich sein, selbst wenn er durch einen paradoxen Einfall den Er-
folg eines politischen Geschäfts gefährdete. Die männliche Kraft des Leibes
und der Seele, welche allein so viele widersprechende Gaben im Einklang
halten konnte, war ihm versagt, und zuweilen ließen sich schon die Spuren
einer schlechthin krankhaften Anlage erkennen.

Der alte König hatte immer, oft allzu ängstlich, die Gegensätze zu
beschwichtigen versucht, immer gehandelt nach dem alten Grundsatze, daß
die erste Pflicht jeder Regierung gebietet bestimmte politische Ueberliefe-
rungen festzuhalten; zuletzt, in den Tagen seines erstarrenden Alters, war
es dahin gekommen, daß Minister Alvensleben beruhigt sagte: wir kennen
die Meinungen des Monarchen ganz genau und können unsere Berichte
stets also abfassen, daß wir der Genehmigung sicher sind.*) Wie anders
der neue Herrscher. Er beabsichtigte ebenfalls die Traditionen seiner alten
Monarchie in Ehren zu halten; doch durch seine vielverheißenden Reden,
durch die Fülle seiner Pläne, durch sein unstet abspringendes Wesen, durch
das beständige Aussprechen persönlicher Gefühle wirkte er überall so
aufregend und aufreizend, daß bald ein Sturm der Leidenschaften sein
ruhiges Land durchtobte und er selbst dem Schicksal des Zauberlehrlings

*) Nach Kühne's Aufzeichnungen.

V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
Perſonen im Grunde wenig galten. Mit erſtaunlicher Kälte konnte er
ſich von altbewährten Vertrauten trennen, wenn ſie ihre abweichende Mei-
nung öffentlich kundgaben und ihm ſeine Zirkel ſtörten. In jedem er-
klärten politiſchen Gegner ſah er einen perſönlichen Feind, und nach der
Weiſe aller Gemüthsmenſchen behandelte er dann die entfremdeten Freunde
ebenſo hart und ungerecht wie vordem zärtlich und liebevoll, obgleich er
es oft als ſeinen heißeſten Herzenswunſch ausſprach gegen Jedermann
ſtreng gerecht zu ſein.

Nicht bloß ſeine äußere Erſcheinung, auch ſein edel aber unglücklich
angelegter Geiſt gemahnte an das Dichterbild des Hamlet. Wie reich war
er an ſchönen, hohen Gedanken, und doch ſo unſicher in ſeinen Ent-
ſchlüſſen, daß ſeine Miniſter beim Schluſſe einer Sitzung nie errathen
konnten, ob er noch dieſelbe Meinung hegen würde wie am Anfang. Seine
Frömmigkeit kam aus den Tiefen eines gottbegeiſterten Herzens, ſeine
milde Hand ſchwelgte in den Werken einer jeden Schein verſchmähenden
chriſtlichen Barmherzigkeit; und dieſer Gütige konnte, wenn der Jähzorn
ihn übermannte, ſich bis zur Grauſamkeit verfolgungsſüchtig zeigen. Selber
ſittenſtreng urtheilte er hart, faſt prüde über lockeren Lebenswandel; das
ſchloß nicht aus, daß er an ſaftigen Eulenſpiegeleien und Berliner Straßen-
witzen ſeine Freude fand. Wie groß war ſein Wiſſen und ſein Wiſſens-
drang; aber die reinſte Blüthe aller Bildung, die Einfachheit des Fühlens
und Denkens blieb ihm unverſtändlich und unerreichbar; überall ſuchte
er das Abſonderliche, weitab von der Heerſtraße; immer mußte er witzig
und geiſtreich ſein, ſelbſt wenn er durch einen paradoxen Einfall den Er-
folg eines politiſchen Geſchäfts gefährdete. Die männliche Kraft des Leibes
und der Seele, welche allein ſo viele widerſprechende Gaben im Einklang
halten konnte, war ihm verſagt, und zuweilen ließen ſich ſchon die Spuren
einer ſchlechthin krankhaften Anlage erkennen.

Der alte König hatte immer, oft allzu ängſtlich, die Gegenſätze zu
beſchwichtigen verſucht, immer gehandelt nach dem alten Grundſatze, daß
die erſte Pflicht jeder Regierung gebietet beſtimmte politiſche Ueberliefe-
rungen feſtzuhalten; zuletzt, in den Tagen ſeines erſtarrenden Alters, war
es dahin gekommen, daß Miniſter Alvensleben beruhigt ſagte: wir kennen
die Meinungen des Monarchen ganz genau und können unſere Berichte
ſtets alſo abfaſſen, daß wir der Genehmigung ſicher ſind.*) Wie anders
der neue Herrſcher. Er beabſichtigte ebenfalls die Traditionen ſeiner alten
Monarchie in Ehren zu halten; doch durch ſeine vielverheißenden Reden,
durch die Fülle ſeiner Pläne, durch ſein unſtet abſpringendes Weſen, durch
das beſtändige Ausſprechen perſönlicher Gefühle wirkte er überall ſo
aufregend und aufreizend, daß bald ein Sturm der Leidenſchaften ſein
ruhiges Land durchtobte und er ſelbſt dem Schickſal des Zauberlehrlings

*) Nach Kühne’s Aufzeichnungen.
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[14/0028] V. 1. Die frohen Tage der Erwartung. Perſonen im Grunde wenig galten. Mit erſtaunlicher Kälte konnte er ſich von altbewährten Vertrauten trennen, wenn ſie ihre abweichende Mei- nung öffentlich kundgaben und ihm ſeine Zirkel ſtörten. In jedem er- klärten politiſchen Gegner ſah er einen perſönlichen Feind, und nach der Weiſe aller Gemüthsmenſchen behandelte er dann die entfremdeten Freunde ebenſo hart und ungerecht wie vordem zärtlich und liebevoll, obgleich er es oft als ſeinen heißeſten Herzenswunſch ausſprach gegen Jedermann ſtreng gerecht zu ſein. Nicht bloß ſeine äußere Erſcheinung, auch ſein edel aber unglücklich angelegter Geiſt gemahnte an das Dichterbild des Hamlet. Wie reich war er an ſchönen, hohen Gedanken, und doch ſo unſicher in ſeinen Ent- ſchlüſſen, daß ſeine Miniſter beim Schluſſe einer Sitzung nie errathen konnten, ob er noch dieſelbe Meinung hegen würde wie am Anfang. Seine Frömmigkeit kam aus den Tiefen eines gottbegeiſterten Herzens, ſeine milde Hand ſchwelgte in den Werken einer jeden Schein verſchmähenden chriſtlichen Barmherzigkeit; und dieſer Gütige konnte, wenn der Jähzorn ihn übermannte, ſich bis zur Grauſamkeit verfolgungsſüchtig zeigen. Selber ſittenſtreng urtheilte er hart, faſt prüde über lockeren Lebenswandel; das ſchloß nicht aus, daß er an ſaftigen Eulenſpiegeleien und Berliner Straßen- witzen ſeine Freude fand. Wie groß war ſein Wiſſen und ſein Wiſſens- drang; aber die reinſte Blüthe aller Bildung, die Einfachheit des Fühlens und Denkens blieb ihm unverſtändlich und unerreichbar; überall ſuchte er das Abſonderliche, weitab von der Heerſtraße; immer mußte er witzig und geiſtreich ſein, ſelbſt wenn er durch einen paradoxen Einfall den Er- folg eines politiſchen Geſchäfts gefährdete. Die männliche Kraft des Leibes und der Seele, welche allein ſo viele widerſprechende Gaben im Einklang halten konnte, war ihm verſagt, und zuweilen ließen ſich ſchon die Spuren einer ſchlechthin krankhaften Anlage erkennen. Der alte König hatte immer, oft allzu ängſtlich, die Gegenſätze zu beſchwichtigen verſucht, immer gehandelt nach dem alten Grundſatze, daß die erſte Pflicht jeder Regierung gebietet beſtimmte politiſche Ueberliefe- rungen feſtzuhalten; zuletzt, in den Tagen ſeines erſtarrenden Alters, war es dahin gekommen, daß Miniſter Alvensleben beruhigt ſagte: wir kennen die Meinungen des Monarchen ganz genau und können unſere Berichte ſtets alſo abfaſſen, daß wir der Genehmigung ſicher ſind. *) Wie anders der neue Herrſcher. Er beabſichtigte ebenfalls die Traditionen ſeiner alten Monarchie in Ehren zu halten; doch durch ſeine vielverheißenden Reden, durch die Fülle ſeiner Pläne, durch ſein unſtet abſpringendes Weſen, durch das beſtändige Ausſprechen perſönlicher Gefühle wirkte er überall ſo aufregend und aufreizend, daß bald ein Sturm der Leidenſchaften ſein ruhiges Land durchtobte und er ſelbſt dem Schickſal des Zauberlehrlings *) Nach Kühne’s Aufzeichnungen.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/28>, abgerufen am 29.03.2024.