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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Rheinische Gemeindeordnung.
den ständischen Berathungen veröffentlichen solle.*) Die Commission wagte
jedoch keine Neuerung, weil man den Landtagen offenbare Ungesetzlichkeit
nicht nachweisen konnte. So erschienen denn zum Jahresschlusse die acht
Landtagsabschiede in der hergebrachten Form: die Anträge der Landtage
waren alle einzeln beantwortet und, soweit sie allgemeine Landesangelegen-
heiten betrafen, fast sämmtlich abgelehnt, in einem schnöden, väterlich ver-
weisenden Tone, der freie Männer beleidigen mußte. Immer wieder hieß
es: Uebereilte Berathungen sind nicht geeignet einen Einfluß auf Unsere
wohlerwogenen Absichten auszuüben; Wir werden Uns in der Ausführung
Unserer wohlerwogenen Entschlüsse nicht hemmen lassen; Wir werden die
Richtung, die Wir nach reiflicher Prüfung als gedeihlich erkannt haben,
einhalten. Zählte man zusammen, so hatte die Krone an hundert An-
träge ihrer getreuen Stände rundweg zurückgewiesen; und welche Regierung
auf der Welt war stark genug, um aller zwei Jahre hundertmal feierlich
Nein zu sagen?

Das einzige bleibende Ergebniß dieser unfruchtbaren Tagung war
die Rheinische Gemeindeordnung, die nach so vielen vergeblichen Versuchen**)
jetzt in neuer Fassung dem Provinziallandtage vorgelegt und dann am
23. Juli 1845 veröffentlicht wurde. Mit ihr errangen der rheinische
Sondergeist und der napoleonische Verwaltungsdespotismus, der hierzu-
lande Freiheit hieß, einen vollständigen Sieg über die deutschrechtlichen
Grundsätze der Krone. In Westphalen waren doch mindestens die Städte
des Segens altländischer Selbstverwaltung theilhaftig geworden; am Rhein
blieb jeder rechtliche Unterschied zwischen Stadt und Land beseitigt. In
den Städten und in den ländlichen Bürgermeistereien schaltete, fast so un-
umschränkt wie einst der Maire, der von der Regierung ernannte Bürger-
meister; der aus den Meistbeerbten gebildete Gemeinderath besaß wenig
mehr als die kümmerlichen Befugnisse eines französischen Conseils, da die
Regierung jeden seiner Beschlüsse als ungesetzlich oder schädlich aufheben
konnte. Das rheinische Gemeindewesen war weit unfreier als die altlän-
dischen Städteordnungen, unfreier sogar als die altväterische gutsherrliche
Selbstverwaltung. Doch dies bureaukratische Regiment entsprach der Be-
quemlichkeit des Beamtenthums und den Interessen der großen Gewerbtrei-
benden, deren Fabriken theils auf dem Lande theils in den Städten lagen;
es entsprach den Gewohnheiten der Provinz und vornehmlich ihrem socialen
Gleichheitsdrange, der in der Trennung von Stadt und Land nur einen
feudalen Mißbrauch sehen wollte. Jeder Unterschied von Grundherren,
Städtern und Bauern sollte verschwinden in dem kahlen Begriffe des
Staatsbürgerthums. "Ich will es Euch nennen: Bürger heißt das

*) Graf Arnim an die Immediatcommission, 18. Sept. 1843, nebst drei Denk-
schriften: über das Petitionsrecht, über die Veröffentlichung der Landtagsverhandlungen,
über das Verfahren der Verwaltung gegenüber den Landtagen.
**) s. o. IV. 554.

Rheiniſche Gemeindeordnung.
den ſtändiſchen Berathungen veröffentlichen ſolle.*) Die Commiſſion wagte
jedoch keine Neuerung, weil man den Landtagen offenbare Ungeſetzlichkeit
nicht nachweiſen konnte. So erſchienen denn zum Jahresſchluſſe die acht
Landtagsabſchiede in der hergebrachten Form: die Anträge der Landtage
waren alle einzeln beantwortet und, ſoweit ſie allgemeine Landesangelegen-
heiten betrafen, faſt ſämmtlich abgelehnt, in einem ſchnöden, väterlich ver-
weiſenden Tone, der freie Männer beleidigen mußte. Immer wieder hieß
es: Uebereilte Berathungen ſind nicht geeignet einen Einfluß auf Unſere
wohlerwogenen Abſichten auszuüben; Wir werden Uns in der Ausführung
Unſerer wohlerwogenen Entſchlüſſe nicht hemmen laſſen; Wir werden die
Richtung, die Wir nach reiflicher Prüfung als gedeihlich erkannt haben,
einhalten. Zählte man zuſammen, ſo hatte die Krone an hundert An-
träge ihrer getreuen Stände rundweg zurückgewieſen; und welche Regierung
auf der Welt war ſtark genug, um aller zwei Jahre hundertmal feierlich
Nein zu ſagen?

Das einzige bleibende Ergebniß dieſer unfruchtbaren Tagung war
die Rheiniſche Gemeindeordnung, die nach ſo vielen vergeblichen Verſuchen**)
jetzt in neuer Faſſung dem Provinziallandtage vorgelegt und dann am
23. Juli 1845 veröffentlicht wurde. Mit ihr errangen der rheiniſche
Sondergeiſt und der napoleoniſche Verwaltungsdespotismus, der hierzu-
lande Freiheit hieß, einen vollſtändigen Sieg über die deutſchrechtlichen
Grundſätze der Krone. In Weſtphalen waren doch mindeſtens die Städte
des Segens altländiſcher Selbſtverwaltung theilhaftig geworden; am Rhein
blieb jeder rechtliche Unterſchied zwiſchen Stadt und Land beſeitigt. In
den Städten und in den ländlichen Bürgermeiſtereien ſchaltete, faſt ſo un-
umſchränkt wie einſt der Maire, der von der Regierung ernannte Bürger-
meiſter; der aus den Meiſtbeerbten gebildete Gemeinderath beſaß wenig
mehr als die kümmerlichen Befugniſſe eines franzöſiſchen Conſeils, da die
Regierung jeden ſeiner Beſchlüſſe als ungeſetzlich oder ſchädlich aufheben
konnte. Das rheiniſche Gemeindeweſen war weit unfreier als die altlän-
diſchen Städteordnungen, unfreier ſogar als die altväteriſche gutsherrliche
Selbſtverwaltung. Doch dies bureaukratiſche Regiment entſprach der Be-
quemlichkeit des Beamtenthums und den Intereſſen der großen Gewerbtrei-
benden, deren Fabriken theils auf dem Lande theils in den Städten lagen;
es entſprach den Gewohnheiten der Provinz und vornehmlich ihrem ſocialen
Gleichheitsdrange, der in der Trennung von Stadt und Land nur einen
feudalen Mißbrauch ſehen wollte. Jeder Unterſchied von Grundherren,
Städtern und Bauern ſollte verſchwinden in dem kahlen Begriffe des
Staatsbürgerthums. „Ich will es Euch nennen: Bürger heißt das

*) Graf Arnim an die Immediatcommiſſion, 18. Sept. 1843, nebſt drei Denk-
ſchriften: über das Petitionsrecht, über die Veröffentlichung der Landtagsverhandlungen,
über das Verfahren der Verwaltung gegenüber den Landtagen.
**) ſ. o. IV. 554.
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[263/0277] Rheiniſche Gemeindeordnung. den ſtändiſchen Berathungen veröffentlichen ſolle. *) Die Commiſſion wagte jedoch keine Neuerung, weil man den Landtagen offenbare Ungeſetzlichkeit nicht nachweiſen konnte. So erſchienen denn zum Jahresſchluſſe die acht Landtagsabſchiede in der hergebrachten Form: die Anträge der Landtage waren alle einzeln beantwortet und, ſoweit ſie allgemeine Landesangelegen- heiten betrafen, faſt ſämmtlich abgelehnt, in einem ſchnöden, väterlich ver- weiſenden Tone, der freie Männer beleidigen mußte. Immer wieder hieß es: Uebereilte Berathungen ſind nicht geeignet einen Einfluß auf Unſere wohlerwogenen Abſichten auszuüben; Wir werden Uns in der Ausführung Unſerer wohlerwogenen Entſchlüſſe nicht hemmen laſſen; Wir werden die Richtung, die Wir nach reiflicher Prüfung als gedeihlich erkannt haben, einhalten. Zählte man zuſammen, ſo hatte die Krone an hundert An- träge ihrer getreuen Stände rundweg zurückgewieſen; und welche Regierung auf der Welt war ſtark genug, um aller zwei Jahre hundertmal feierlich Nein zu ſagen? Das einzige bleibende Ergebniß dieſer unfruchtbaren Tagung war die Rheiniſche Gemeindeordnung, die nach ſo vielen vergeblichen Verſuchen **) jetzt in neuer Faſſung dem Provinziallandtage vorgelegt und dann am 23. Juli 1845 veröffentlicht wurde. Mit ihr errangen der rheiniſche Sondergeiſt und der napoleoniſche Verwaltungsdespotismus, der hierzu- lande Freiheit hieß, einen vollſtändigen Sieg über die deutſchrechtlichen Grundſätze der Krone. In Weſtphalen waren doch mindeſtens die Städte des Segens altländiſcher Selbſtverwaltung theilhaftig geworden; am Rhein blieb jeder rechtliche Unterſchied zwiſchen Stadt und Land beſeitigt. In den Städten und in den ländlichen Bürgermeiſtereien ſchaltete, faſt ſo un- umſchränkt wie einſt der Maire, der von der Regierung ernannte Bürger- meiſter; der aus den Meiſtbeerbten gebildete Gemeinderath beſaß wenig mehr als die kümmerlichen Befugniſſe eines franzöſiſchen Conſeils, da die Regierung jeden ſeiner Beſchlüſſe als ungeſetzlich oder ſchädlich aufheben konnte. Das rheiniſche Gemeindeweſen war weit unfreier als die altlän- diſchen Städteordnungen, unfreier ſogar als die altväteriſche gutsherrliche Selbſtverwaltung. Doch dies bureaukratiſche Regiment entſprach der Be- quemlichkeit des Beamtenthums und den Intereſſen der großen Gewerbtrei- benden, deren Fabriken theils auf dem Lande theils in den Städten lagen; es entſprach den Gewohnheiten der Provinz und vornehmlich ihrem ſocialen Gleichheitsdrange, der in der Trennung von Stadt und Land nur einen feudalen Mißbrauch ſehen wollte. Jeder Unterſchied von Grundherren, Städtern und Bauern ſollte verſchwinden in dem kahlen Begriffe des Staatsbürgerthums. „Ich will es Euch nennen: Bürger heißt das *) Graf Arnim an die Immediatcommiſſion, 18. Sept. 1843, nebſt drei Denk- ſchriften: über das Petitionsrecht, über die Veröffentlichung der Landtagsverhandlungen, über das Verfahren der Verwaltung gegenüber den Landtagen. **) ſ. o. IV. 554.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/277>, abgerufen am 25.04.2024.