Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

Joh. Schulze. Eilers.
Ministern besaß er nur an Thile und Savigny nahe Gesinnungsgenossen,
und in seinem eigenen Departement fand er fast nur Gegner vor, er-
klärte Hegelianer oder aufgeklärte Beamte von dem alten rationalistischen
Schlage. Aus den Kreisen dieser unzufriedenen Geheimen Räthe gingen
nachher, unter Varnhagen's eifriger Mitwirkung, viele der anonymen Zei-
tungsartikel hervor, welche den Minister als einen beschränkten Pietisten ver-
lästerten. Dem Monarchen entgingen diese Mißstände nicht. Wieder und
wieder dachte er an die Berufung frischer Arbeitskräfte schon weil er seinen
Freund "vom Todtarbeiten retten" wollte;*) schließlich scheute er sich doch,
durch einen umfassenden Personenwechsel das Selbstgefühl der alten Beamten
zu verletzen. So blieb denn der Staatsmann, der eine widerstrebende
Welt zum lebendigen Christenthum zurückführen sollte, fast ganz allein.
Mit seinem Ministerialdirektor Ladenberg lebte er in offener Feindschaft;
dem unermüdlichen Johannes Schulze entzog er sogleich einen Theil seiner
Amtsgeschäfte, und schmerzlich genug vermißten die Professoren bald die
collegialische Freundlichkeit ihres feurig aufbrausenden und doch so wohl-
wollenden Ioannes parvulus, der eben erst, durch die Berufung Ritschl's
nach Bonn, wieder einmal seinen Scharfblick bewährt hatte und auch
mit Gegnern so gut auskam, daß Leo ihm dankbar die Italienische Ge-
schichte widmete.

Der einzige Geheime Rath, der dem Minister mit freudiger Zustim-
mung half und demnach auch überall mitwirken mußte, war der neu be-
rufene Pädagog Gerd Eilers, ein friesischer Bauernsohn, der als Knabe
zu Schlosser's Füßen gesessen und sich dann in einem erfahrungsreichen
Leben den strengen lutherischen Glauben seines Vaterhauses, den Abscheu
gegen alle philosophische Zweifelsucht treu bewahrt hatte. Ein ehrlicher,
uneigennütziger Patriot, ein brauchbarer praktischer Schulmann von
mannichfachen, allerdings ungleichmäßigen Kenntnissen, blieb Eilers doch
immer ein unklarer Kopf, geschwätzig, formlos, verworren, wie seine chaotische
Selbstbiographie "meine Wanderung durch das Leben". Ueber Menschen
und Dinge urtheilte er mit eigensinniger Willkür. Er verehrte Schlosser
und Dahlmann, während er Gervinus, der zwischen Beiden etwa in der
Mitte stand, für einen gefährlichen Volksverderber hielt; er verdammte
den süddeutschen Liberalismus, doch dem Bannerträger der Triaspolitik,
Wangenheim zollte er warme Bewunderung. Alle diese rein subjectiven
Ansichten vertrat er mit friesischer Schroffheit, und obwohl er als abge-
sagter Feind der Metternich'schen Politik die Demagogenverfolgungen, denen
mehrere seiner nächsten Freunde zum Opfer gefallen waren, entrüstet verur-
theilte, so hielt er doch für ganz natürlich, daß die Staatsgewalt Alle, die
nach seinem Ermessen offenbare Atheisten oder Revolutionäre waren, sich
kurzerhand aus dem Wege räumte. Ein solcher Rathgeber konnte auf den

*) König Friedrich Wilhelm an Thile, 23. Febr. 1844.

Joh. Schulze. Eilers.
Miniſtern beſaß er nur an Thile und Savigny nahe Geſinnungsgenoſſen,
und in ſeinem eigenen Departement fand er faſt nur Gegner vor, er-
klärte Hegelianer oder aufgeklärte Beamte von dem alten rationaliſtiſchen
Schlage. Aus den Kreiſen dieſer unzufriedenen Geheimen Räthe gingen
nachher, unter Varnhagen’s eifriger Mitwirkung, viele der anonymen Zei-
tungsartikel hervor, welche den Miniſter als einen beſchränkten Pietiſten ver-
läſterten. Dem Monarchen entgingen dieſe Mißſtände nicht. Wieder und
wieder dachte er an die Berufung friſcher Arbeitskräfte ſchon weil er ſeinen
Freund „vom Todtarbeiten retten“ wollte;*) ſchließlich ſcheute er ſich doch,
durch einen umfaſſenden Perſonenwechſel das Selbſtgefühl der alten Beamten
zu verletzen. So blieb denn der Staatsmann, der eine widerſtrebende
Welt zum lebendigen Chriſtenthum zurückführen ſollte, faſt ganz allein.
Mit ſeinem Miniſterialdirektor Ladenberg lebte er in offener Feindſchaft;
dem unermüdlichen Johannes Schulze entzog er ſogleich einen Theil ſeiner
Amtsgeſchäfte, und ſchmerzlich genug vermißten die Profeſſoren bald die
collegialiſche Freundlichkeit ihres feurig aufbrauſenden und doch ſo wohl-
wollenden Ioannes parvulus, der eben erſt, durch die Berufung Ritſchl’s
nach Bonn, wieder einmal ſeinen Scharfblick bewährt hatte und auch
mit Gegnern ſo gut auskam, daß Leo ihm dankbar die Italieniſche Ge-
ſchichte widmete.

Der einzige Geheime Rath, der dem Miniſter mit freudiger Zuſtim-
mung half und demnach auch überall mitwirken mußte, war der neu be-
rufene Pädagog Gerd Eilers, ein frieſiſcher Bauernſohn, der als Knabe
zu Schloſſer’s Füßen geſeſſen und ſich dann in einem erfahrungsreichen
Leben den ſtrengen lutheriſchen Glauben ſeines Vaterhauſes, den Abſcheu
gegen alle philoſophiſche Zweifelſucht treu bewahrt hatte. Ein ehrlicher,
uneigennütziger Patriot, ein brauchbarer praktiſcher Schulmann von
mannichfachen, allerdings ungleichmäßigen Kenntniſſen, blieb Eilers doch
immer ein unklarer Kopf, geſchwätzig, formlos, verworren, wie ſeine chaotiſche
Selbſtbiographie „meine Wanderung durch das Leben“. Ueber Menſchen
und Dinge urtheilte er mit eigenſinniger Willkür. Er verehrte Schloſſer
und Dahlmann, während er Gervinus, der zwiſchen Beiden etwa in der
Mitte ſtand, für einen gefährlichen Volksverderber hielt; er verdammte
den ſüddeutſchen Liberalismus, doch dem Bannerträger der Triaspolitik,
Wangenheim zollte er warme Bewunderung. Alle dieſe rein ſubjectiven
Anſichten vertrat er mit frieſiſcher Schroffheit, und obwohl er als abge-
ſagter Feind der Metternich’ſchen Politik die Demagogenverfolgungen, denen
mehrere ſeiner nächſten Freunde zum Opfer gefallen waren, entrüſtet verur-
theilte, ſo hielt er doch für ganz natürlich, daß die Staatsgewalt Alle, die
nach ſeinem Ermeſſen offenbare Atheiſten oder Revolutionäre waren, ſich
kurzerhand aus dem Wege räumte. Ein ſolcher Rathgeber konnte auf den

*) König Friedrich Wilhelm an Thile, 23. Febr. 1844.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0245" n="231"/><fw place="top" type="header">Joh. Schulze. Eilers.</fw><lb/>
Mini&#x017F;tern be&#x017F;aß er nur an Thile und Savigny nahe Ge&#x017F;innungsgeno&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
und in &#x017F;einem eigenen Departement fand er fa&#x017F;t nur Gegner vor, er-<lb/>
klärte Hegelianer oder aufgeklärte Beamte von dem alten rationali&#x017F;ti&#x017F;chen<lb/>
Schlage. Aus den Krei&#x017F;en die&#x017F;er unzufriedenen Geheimen Räthe gingen<lb/>
nachher, unter Varnhagen&#x2019;s eifriger Mitwirkung, viele der anonymen Zei-<lb/>
tungsartikel hervor, welche den Mini&#x017F;ter als einen be&#x017F;chränkten Pieti&#x017F;ten ver-<lb/>&#x017F;terten. Dem Monarchen entgingen die&#x017F;e Miß&#x017F;tände nicht. Wieder und<lb/>
wieder dachte er an die Berufung fri&#x017F;cher Arbeitskräfte &#x017F;chon weil er &#x017F;einen<lb/>
Freund &#x201E;vom Todtarbeiten retten&#x201C; wollte;<note place="foot" n="*)">König Friedrich Wilhelm an Thile, 23. Febr. 1844.</note> &#x017F;chließlich &#x017F;cheute er &#x017F;ich doch,<lb/>
durch einen umfa&#x017F;&#x017F;enden Per&#x017F;onenwech&#x017F;el das Selb&#x017F;tgefühl der alten Beamten<lb/>
zu verletzen. So blieb denn der Staatsmann, der eine wider&#x017F;trebende<lb/>
Welt zum lebendigen Chri&#x017F;tenthum zurückführen &#x017F;ollte, fa&#x017F;t ganz allein.<lb/>
Mit &#x017F;einem Mini&#x017F;terialdirektor Ladenberg lebte er in offener Feind&#x017F;chaft;<lb/>
dem unermüdlichen Johannes Schulze entzog er &#x017F;ogleich einen Theil &#x017F;einer<lb/>
Amtsge&#x017F;chäfte, und &#x017F;chmerzlich genug vermißten die Profe&#x017F;&#x017F;oren bald die<lb/>
collegiali&#x017F;che Freundlichkeit ihres feurig aufbrau&#x017F;enden und doch &#x017F;o wohl-<lb/>
wollenden <hi rendition="#aq">Ioannes parvulus,</hi> der eben er&#x017F;t, durch die Berufung Rit&#x017F;chl&#x2019;s<lb/>
nach Bonn, wieder einmal &#x017F;einen Scharfblick bewährt hatte und auch<lb/>
mit Gegnern &#x017F;o gut auskam, daß Leo ihm dankbar die Italieni&#x017F;che Ge-<lb/>
&#x017F;chichte widmete.</p><lb/>
          <p>Der einzige Geheime Rath, der dem Mini&#x017F;ter mit freudiger Zu&#x017F;tim-<lb/>
mung half und demnach auch überall mitwirken mußte, war der neu be-<lb/>
rufene Pädagog Gerd Eilers, ein frie&#x017F;i&#x017F;cher Bauern&#x017F;ohn, der als Knabe<lb/>
zu Schlo&#x017F;&#x017F;er&#x2019;s Füßen ge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en und &#x017F;ich dann in einem erfahrungsreichen<lb/>
Leben den &#x017F;trengen lutheri&#x017F;chen Glauben &#x017F;eines Vaterhau&#x017F;es, den Ab&#x017F;cheu<lb/>
gegen alle philo&#x017F;ophi&#x017F;che Zweifel&#x017F;ucht treu bewahrt hatte. Ein ehrlicher,<lb/>
uneigennütziger Patriot, ein brauchbarer prakti&#x017F;cher Schulmann von<lb/>
mannichfachen, allerdings ungleichmäßigen Kenntni&#x017F;&#x017F;en, blieb Eilers doch<lb/>
immer ein unklarer Kopf, ge&#x017F;chwätzig, formlos, verworren, wie &#x017F;eine chaoti&#x017F;che<lb/>
Selb&#x017F;tbiographie &#x201E;meine Wanderung durch das Leben&#x201C;. Ueber Men&#x017F;chen<lb/>
und Dinge urtheilte er mit eigen&#x017F;inniger Willkür. Er verehrte Schlo&#x017F;&#x017F;er<lb/>
und Dahlmann, während er Gervinus, der zwi&#x017F;chen Beiden etwa in der<lb/>
Mitte &#x017F;tand, für einen gefährlichen Volksverderber hielt; er verdammte<lb/>
den &#x017F;üddeut&#x017F;chen Liberalismus, doch dem Bannerträger der Triaspolitik,<lb/>
Wangenheim zollte er warme Bewunderung. Alle die&#x017F;e rein &#x017F;ubjectiven<lb/>
An&#x017F;ichten vertrat er mit frie&#x017F;i&#x017F;cher Schroffheit, und obwohl er als abge-<lb/>
&#x017F;agter Feind der Metternich&#x2019;&#x017F;chen Politik die Demagogenverfolgungen, denen<lb/>
mehrere &#x017F;einer näch&#x017F;ten Freunde zum Opfer gefallen waren, entrü&#x017F;tet verur-<lb/>
theilte, &#x017F;o hielt er doch für ganz natürlich, daß die Staatsgewalt Alle, die<lb/>
nach &#x017F;einem Erme&#x017F;&#x017F;en offenbare Athei&#x017F;ten oder Revolutionäre waren, &#x017F;ich<lb/>
kurzerhand aus dem Wege räumte. Ein &#x017F;olcher Rathgeber konnte auf den<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[231/0245] Joh. Schulze. Eilers. Miniſtern beſaß er nur an Thile und Savigny nahe Geſinnungsgenoſſen, und in ſeinem eigenen Departement fand er faſt nur Gegner vor, er- klärte Hegelianer oder aufgeklärte Beamte von dem alten rationaliſtiſchen Schlage. Aus den Kreiſen dieſer unzufriedenen Geheimen Räthe gingen nachher, unter Varnhagen’s eifriger Mitwirkung, viele der anonymen Zei- tungsartikel hervor, welche den Miniſter als einen beſchränkten Pietiſten ver- läſterten. Dem Monarchen entgingen dieſe Mißſtände nicht. Wieder und wieder dachte er an die Berufung friſcher Arbeitskräfte ſchon weil er ſeinen Freund „vom Todtarbeiten retten“ wollte; *) ſchließlich ſcheute er ſich doch, durch einen umfaſſenden Perſonenwechſel das Selbſtgefühl der alten Beamten zu verletzen. So blieb denn der Staatsmann, der eine widerſtrebende Welt zum lebendigen Chriſtenthum zurückführen ſollte, faſt ganz allein. Mit ſeinem Miniſterialdirektor Ladenberg lebte er in offener Feindſchaft; dem unermüdlichen Johannes Schulze entzog er ſogleich einen Theil ſeiner Amtsgeſchäfte, und ſchmerzlich genug vermißten die Profeſſoren bald die collegialiſche Freundlichkeit ihres feurig aufbrauſenden und doch ſo wohl- wollenden Ioannes parvulus, der eben erſt, durch die Berufung Ritſchl’s nach Bonn, wieder einmal ſeinen Scharfblick bewährt hatte und auch mit Gegnern ſo gut auskam, daß Leo ihm dankbar die Italieniſche Ge- ſchichte widmete. Der einzige Geheime Rath, der dem Miniſter mit freudiger Zuſtim- mung half und demnach auch überall mitwirken mußte, war der neu be- rufene Pädagog Gerd Eilers, ein frieſiſcher Bauernſohn, der als Knabe zu Schloſſer’s Füßen geſeſſen und ſich dann in einem erfahrungsreichen Leben den ſtrengen lutheriſchen Glauben ſeines Vaterhauſes, den Abſcheu gegen alle philoſophiſche Zweifelſucht treu bewahrt hatte. Ein ehrlicher, uneigennütziger Patriot, ein brauchbarer praktiſcher Schulmann von mannichfachen, allerdings ungleichmäßigen Kenntniſſen, blieb Eilers doch immer ein unklarer Kopf, geſchwätzig, formlos, verworren, wie ſeine chaotiſche Selbſtbiographie „meine Wanderung durch das Leben“. Ueber Menſchen und Dinge urtheilte er mit eigenſinniger Willkür. Er verehrte Schloſſer und Dahlmann, während er Gervinus, der zwiſchen Beiden etwa in der Mitte ſtand, für einen gefährlichen Volksverderber hielt; er verdammte den ſüddeutſchen Liberalismus, doch dem Bannerträger der Triaspolitik, Wangenheim zollte er warme Bewunderung. Alle dieſe rein ſubjectiven Anſichten vertrat er mit frieſiſcher Schroffheit, und obwohl er als abge- ſagter Feind der Metternich’ſchen Politik die Demagogenverfolgungen, denen mehrere ſeiner nächſten Freunde zum Opfer gefallen waren, entrüſtet verur- theilte, ſo hielt er doch für ganz natürlich, daß die Staatsgewalt Alle, die nach ſeinem Ermeſſen offenbare Atheiſten oder Revolutionäre waren, ſich kurzerhand aus dem Wege räumte. Ein ſolcher Rathgeber konnte auf den *) König Friedrich Wilhelm an Thile, 23. Febr. 1844.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/245
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/245>, abgerufen am 28.03.2024.