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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Verhandlungen der Vereinigten Ausschüsse.
der Zeit" sein, das neue Verkehrsmittel solle das Gefühl der Einheit in
den so weit entlegenen Provinzen erwecken, ihre Volkswirthschaft kräftigen,
ihre militärische Vertheidigung sichern; denn daß die Eisenbahnen mindestens
Infanteriemassen befördern könnten, hielt man jetzt für möglich. Nur
der brandenburgische Landtagsmarschall Rochow-Stülpe und einige andere
seiner conservativen Landsleute wollten an den Nutzen der Neuerung noch
nicht glauben, und Graf Raczynski meinte traurig, der kümmerliche Ge-
werbfleiß der Städte Posens könnte den Wettbewerb, den die Eisenbahnen
bringen würden, schwerlich ertragen. Nunmehr erhob sich die schwierigere
Frage, was der Staat für den Bau der Eisenbahnen thun solle, und
bei dieser Berathung ward Allen fühlbar, in welcher Verwirrung sich
das Staatsrecht des Landes befand. Die große Mehrheit der Ausschuß-
Mitglieder -- Graf Arnim selbst gestand dies späterhin ehrlich zu*) --
wünschte im Stillen, daß der Staat die Hauptlinien selbst bauen sollte;
man fürchtete im Lande den Actien-Wucher der Börsen und begriff
nicht, woher die armen Ostprovinzen das genügende Privatcapital auf-
treiben könnten. Die Regierung aber stand nicht auf der Höhe der Zeit;
sie entbehrte eines staatsmännischen Sachverständigen wie ihn die Badener
an ihrem Nebenius besaßen; sie hielt den Staatsbau für ein zweifelhaftes
Wagniß und fühlte sich zudem unfrei, weil sie Anleihen ohne Reichsstände
nicht aufnehmen konnte.

Darum erklärte Bodelschwingh auf das nachdrücklichste, die Regierung
habe beschlossen, in den nächsten Jahren keine Eisenbahn selbst zu bauen,
sie sei jedoch bereit, wie sie es bisher schon mehrmals gethan, den Pri-
vatbahnen für wenige Jahre eine mäßige Verzinsung des Anlagecapitals
zu verbürgen. Eine solche Zinsengarantie war im Grunde auch nichts
anderes als eine Vermehrung der Staatsschuld. Niemand wußte das
besser als der kluge Generalsteuerdirektor Kühne;**) indeß mußte er schwei-
gend mit anhören, wie sein vorgesetzter Minister die Versammlung dahin
belehrte: zwischen einem Bürgen und einem Hauptschuldner bestehe doch
ein großer Unterschied. Durch die bestimmte Weigerung des Ministers
wurden die Ausschüsse verhindert, sich über den Staatsbau zu äußern,
da sie ja nur vorgelegte Fragen beantworten sollten. Die Stimmung
im Saale ward recht unbehaglich, obgleich man die ruhige Haltung be-
wahrte; die Reden, die von den ungeübten Sprechern meist abgelesen
wurden, klangen verlegen; auf Allen lastete das drückende Gefühl, daß man
seine wahre Meinung nicht sagen konnte. Ganz frei von der Leber weg
sprach nur ein Heißsporn vom Rhein, Kaufmann Brust aus Boppard;
der meinte, ohne die Reichsstände könne die Krone keine Zinsengarantie
übernehmen, und verlangte erst genaue Mittheilungen über den Stand

*) Arnim, Denkschrift über die ständischen Angelegenheiten, 13. Mai 1845.
**) So gesteht er selbst in seinen Denkwürdigkeiten.

Verhandlungen der Vereinigten Ausſchüſſe.
der Zeit“ ſein, das neue Verkehrsmittel ſolle das Gefühl der Einheit in
den ſo weit entlegenen Provinzen erwecken, ihre Volkswirthſchaft kräftigen,
ihre militäriſche Vertheidigung ſichern; denn daß die Eiſenbahnen mindeſtens
Infanteriemaſſen befördern könnten, hielt man jetzt für möglich. Nur
der brandenburgiſche Landtagsmarſchall Rochow-Stülpe und einige andere
ſeiner conſervativen Landsleute wollten an den Nutzen der Neuerung noch
nicht glauben, und Graf Raczynski meinte traurig, der kümmerliche Ge-
werbfleiß der Städte Poſens könnte den Wettbewerb, den die Eiſenbahnen
bringen würden, ſchwerlich ertragen. Nunmehr erhob ſich die ſchwierigere
Frage, was der Staat für den Bau der Eiſenbahnen thun ſolle, und
bei dieſer Berathung ward Allen fühlbar, in welcher Verwirrung ſich
das Staatsrecht des Landes befand. Die große Mehrheit der Ausſchuß-
Mitglieder — Graf Arnim ſelbſt geſtand dies ſpäterhin ehrlich zu*)
wünſchte im Stillen, daß der Staat die Hauptlinien ſelbſt bauen ſollte;
man fürchtete im Lande den Actien-Wucher der Börſen und begriff
nicht, woher die armen Oſtprovinzen das genügende Privatcapital auf-
treiben könnten. Die Regierung aber ſtand nicht auf der Höhe der Zeit;
ſie entbehrte eines ſtaatsmänniſchen Sachverſtändigen wie ihn die Badener
an ihrem Nebenius beſaßen; ſie hielt den Staatsbau für ein zweifelhaftes
Wagniß und fühlte ſich zudem unfrei, weil ſie Anleihen ohne Reichsſtände
nicht aufnehmen konnte.

Darum erklärte Bodelſchwingh auf das nachdrücklichſte, die Regierung
habe beſchloſſen, in den nächſten Jahren keine Eiſenbahn ſelbſt zu bauen,
ſie ſei jedoch bereit, wie ſie es bisher ſchon mehrmals gethan, den Pri-
vatbahnen für wenige Jahre eine mäßige Verzinſung des Anlagecapitals
zu verbürgen. Eine ſolche Zinſengarantie war im Grunde auch nichts
anderes als eine Vermehrung der Staatsſchuld. Niemand wußte das
beſſer als der kluge Generalſteuerdirektor Kühne;**) indeß mußte er ſchwei-
gend mit anhören, wie ſein vorgeſetzter Miniſter die Verſammlung dahin
belehrte: zwiſchen einem Bürgen und einem Hauptſchuldner beſtehe doch
ein großer Unterſchied. Durch die beſtimmte Weigerung des Miniſters
wurden die Ausſchüſſe verhindert, ſich über den Staatsbau zu äußern,
da ſie ja nur vorgelegte Fragen beantworten ſollten. Die Stimmung
im Saale ward recht unbehaglich, obgleich man die ruhige Haltung be-
wahrte; die Reden, die von den ungeübten Sprechern meiſt abgeleſen
wurden, klangen verlegen; auf Allen laſtete das drückende Gefühl, daß man
ſeine wahre Meinung nicht ſagen konnte. Ganz frei von der Leber weg
ſprach nur ein Heißſporn vom Rhein, Kaufmann Bruſt aus Boppard;
der meinte, ohne die Reichsſtände könne die Krone keine Zinſengarantie
übernehmen, und verlangte erſt genaue Mittheilungen über den Stand

*) Arnim, Denkſchrift über die ſtändiſchen Angelegenheiten, 13. Mai 1845.
**) So geſteht er ſelbſt in ſeinen Denkwürdigkeiten.
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[185/0199] Verhandlungen der Vereinigten Ausſchüſſe. der Zeit“ ſein, das neue Verkehrsmittel ſolle das Gefühl der Einheit in den ſo weit entlegenen Provinzen erwecken, ihre Volkswirthſchaft kräftigen, ihre militäriſche Vertheidigung ſichern; denn daß die Eiſenbahnen mindeſtens Infanteriemaſſen befördern könnten, hielt man jetzt für möglich. Nur der brandenburgiſche Landtagsmarſchall Rochow-Stülpe und einige andere ſeiner conſervativen Landsleute wollten an den Nutzen der Neuerung noch nicht glauben, und Graf Raczynski meinte traurig, der kümmerliche Ge- werbfleiß der Städte Poſens könnte den Wettbewerb, den die Eiſenbahnen bringen würden, ſchwerlich ertragen. Nunmehr erhob ſich die ſchwierigere Frage, was der Staat für den Bau der Eiſenbahnen thun ſolle, und bei dieſer Berathung ward Allen fühlbar, in welcher Verwirrung ſich das Staatsrecht des Landes befand. Die große Mehrheit der Ausſchuß- Mitglieder — Graf Arnim ſelbſt geſtand dies ſpäterhin ehrlich zu *) — wünſchte im Stillen, daß der Staat die Hauptlinien ſelbſt bauen ſollte; man fürchtete im Lande den Actien-Wucher der Börſen und begriff nicht, woher die armen Oſtprovinzen das genügende Privatcapital auf- treiben könnten. Die Regierung aber ſtand nicht auf der Höhe der Zeit; ſie entbehrte eines ſtaatsmänniſchen Sachverſtändigen wie ihn die Badener an ihrem Nebenius beſaßen; ſie hielt den Staatsbau für ein zweifelhaftes Wagniß und fühlte ſich zudem unfrei, weil ſie Anleihen ohne Reichsſtände nicht aufnehmen konnte. Darum erklärte Bodelſchwingh auf das nachdrücklichſte, die Regierung habe beſchloſſen, in den nächſten Jahren keine Eiſenbahn ſelbſt zu bauen, ſie ſei jedoch bereit, wie ſie es bisher ſchon mehrmals gethan, den Pri- vatbahnen für wenige Jahre eine mäßige Verzinſung des Anlagecapitals zu verbürgen. Eine ſolche Zinſengarantie war im Grunde auch nichts anderes als eine Vermehrung der Staatsſchuld. Niemand wußte das beſſer als der kluge Generalſteuerdirektor Kühne; **) indeß mußte er ſchwei- gend mit anhören, wie ſein vorgeſetzter Miniſter die Verſammlung dahin belehrte: zwiſchen einem Bürgen und einem Hauptſchuldner beſtehe doch ein großer Unterſchied. Durch die beſtimmte Weigerung des Miniſters wurden die Ausſchüſſe verhindert, ſich über den Staatsbau zu äußern, da ſie ja nur vorgelegte Fragen beantworten ſollten. Die Stimmung im Saale ward recht unbehaglich, obgleich man die ruhige Haltung be- wahrte; die Reden, die von den ungeübten Sprechern meiſt abgeleſen wurden, klangen verlegen; auf Allen laſtete das drückende Gefühl, daß man ſeine wahre Meinung nicht ſagen konnte. Ganz frei von der Leber weg ſprach nur ein Heißſporn vom Rhein, Kaufmann Bruſt aus Boppard; der meinte, ohne die Reichsſtände könne die Krone keine Zinſengarantie übernehmen, und verlangte erſt genaue Mittheilungen über den Stand *) Arnim, Denkſchrift über die ſtändiſchen Angelegenheiten, 13. Mai 1845. **) So geſteht er ſelbſt in ſeinen Denkwürdigkeiten.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/199>, abgerufen am 18.04.2024.