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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 3. Enttäuschung und Verwirrung.
in Posen." Und Eugen von Breza hatte den Muth, in einer Flugschrift
über Posener Zustände auszusprechen: der beste Pole seit Casimir dem
Großen sei der Bauernbefreier Friedrich Wilhelm III. gewesen. Aber solche
vereinzelte Stimmen wurden durch den Terrorismus der Revolutionäre
rasch niedergedonnert; gegen Breza schrieb Aug. Hatzfeld eine höhnische
Erwiderung, die unzweifelhaft die Meinung der polnischen Mehrheit wieder-
gab. Die "Centralisation" der polnischen Propaganda in Paris und Ver-
sailles unterhielt seit Jahren, durch Palmerston beschützt, mit den Posener
Landsleuten einen geheimen Verkehr, den die englische Gesandtschaft in
Berlin vermittelte;*) und trotz der Beschwerden des preußischen Hofes hörte
diese Verrätherei der britischen Freunde selbst als die Torys zur Regie-
rung gelangten nicht gänzlich auf. Auch unmittelbar wurden, mit Um-
gehung der Post, regelmäßige Botschaften zwischen Paris und Posen aus-
getauscht.**)

Gerade die Großpolen um Posen und Gnesen besaßen im höchsten
Maße jenen tolldreisten, abenteuerlichen Sinn, welcher den Polen bei
ihren östlichen Nachbarn den Namen der Hirnlosen verschafft hatte. Nach
den Erfahrungen des Flottwell'schen Regiments mußten sie auch wohl
glauben, daß Gefahr im Verzuge sei, und das Deutschthum im polnischen
Rom dereinst noch siegen könnte. Als Menschen, so sagten sie oft, befin-
den wir uns besser, als Polen schlechter denn unsere Brüder in Galizien
und Warschau. Seit dem Jahre 1842 suchte die Centralisation grades-
wegs einen neuen Aufstand vorzubereiten; sie gründete in Versailles eine
eigene Kriegsschule, Mieroslawski und Wysocki hielten militärische Vor-
träge, viele junge Polen besuchten französische Militärbildungsanstalten.
Jedermann fühlte, daß ein Sturm in der Luft lag. Erzbischof Dunin,
der kaum begnadigte, gebärdete sich wie der Herr des Landes; das ge-
schmeidige Pfäfflein mit dem violetten Käppchen lächelte verständnißinnig,
wenn ihm der Adel als dem Primas von Polen huldigte. Zum Dank
für seine Befreiung ernannte er den Official Brodzizewski, den eigent-
lichen Anstifter des Kirchenstreites***) zum Weihbischof von Gnesen und
verlangte, daß alle Schulbücher der Provinz der erzbischöflichen Curie zur
Genehmigung eingereicht würden. Er wagte in seinen Rundschreiben
an den Clerus die Regierung offen anzugreifen und beklagte sich vor
dem Monarchen über "die unerhörte Arroganz" der königlichen Beamten
in so frechem Tone, daß ihm Eichhorn einen scharfen Verweis senden
mußte.+) Das persönliche Verhältniß zwischen Deutschen und Polen
ward um so kälter, je leiser die Regierung auftrat; selbst Graf Raczynski,

*) Rochow an Graf Maltzan, 29. Dec. 1841.
**) Nagler an Minister Werther, 20. Mai 1841.
***) s. o. IV. 708.
+) Dunin, Eingabe an den König, 29. Jan.; Eichhorn an Dunin, 22. Febr.,
Bericht an den König, 24. Febr. 1841.

V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
in Poſen.“ Und Eugen von Breza hatte den Muth, in einer Flugſchrift
über Poſener Zuſtände auszuſprechen: der beſte Pole ſeit Caſimir dem
Großen ſei der Bauernbefreier Friedrich Wilhelm III. geweſen. Aber ſolche
vereinzelte Stimmen wurden durch den Terrorismus der Revolutionäre
raſch niedergedonnert; gegen Breza ſchrieb Aug. Hatzfeld eine höhniſche
Erwiderung, die unzweifelhaft die Meinung der polniſchen Mehrheit wieder-
gab. Die „Centraliſation“ der polniſchen Propaganda in Paris und Ver-
ſailles unterhielt ſeit Jahren, durch Palmerſton beſchützt, mit den Poſener
Landsleuten einen geheimen Verkehr, den die engliſche Geſandtſchaft in
Berlin vermittelte;*) und trotz der Beſchwerden des preußiſchen Hofes hörte
dieſe Verrätherei der britiſchen Freunde ſelbſt als die Torys zur Regie-
rung gelangten nicht gänzlich auf. Auch unmittelbar wurden, mit Um-
gehung der Poſt, regelmäßige Botſchaften zwiſchen Paris und Poſen aus-
getauſcht.**)

Gerade die Großpolen um Poſen und Gneſen beſaßen im höchſten
Maße jenen tolldreiſten, abenteuerlichen Sinn, welcher den Polen bei
ihren öſtlichen Nachbarn den Namen der Hirnloſen verſchafft hatte. Nach
den Erfahrungen des Flottwell’ſchen Regiments mußten ſie auch wohl
glauben, daß Gefahr im Verzuge ſei, und das Deutſchthum im polniſchen
Rom dereinſt noch ſiegen könnte. Als Menſchen, ſo ſagten ſie oft, befin-
den wir uns beſſer, als Polen ſchlechter denn unſere Brüder in Galizien
und Warſchau. Seit dem Jahre 1842 ſuchte die Centraliſation grades-
wegs einen neuen Aufſtand vorzubereiten; ſie gründete in Verſailles eine
eigene Kriegsſchule, Mieroslawski und Wyſocki hielten militäriſche Vor-
träge, viele junge Polen beſuchten franzöſiſche Militärbildungsanſtalten.
Jedermann fühlte, daß ein Sturm in der Luft lag. Erzbiſchof Dunin,
der kaum begnadigte, gebärdete ſich wie der Herr des Landes; das ge-
ſchmeidige Pfäfflein mit dem violetten Käppchen lächelte verſtändnißinnig,
wenn ihm der Adel als dem Primas von Polen huldigte. Zum Dank
für ſeine Befreiung ernannte er den Official Brodzizewski, den eigent-
lichen Anſtifter des Kirchenſtreites***) zum Weihbiſchof von Gneſen und
verlangte, daß alle Schulbücher der Provinz der erzbiſchöflichen Curie zur
Genehmigung eingereicht würden. Er wagte in ſeinen Rundſchreiben
an den Clerus die Regierung offen anzugreifen und beklagte ſich vor
dem Monarchen über „die unerhörte Arroganz“ der königlichen Beamten
in ſo frechem Tone, daß ihm Eichhorn einen ſcharfen Verweis ſenden
mußte.†) Das perſönliche Verhältniß zwiſchen Deutſchen und Polen
ward um ſo kälter, je leiſer die Regierung auftrat; ſelbſt Graf Raczynski,

*) Rochow an Graf Maltzan, 29. Dec. 1841.
**) Nagler an Miniſter Werther, 20. Mai 1841.
***) ſ. o. IV. 708.
†) Dunin, Eingabe an den König, 29. Jan.; Eichhorn an Dunin, 22. Febr.,
Bericht an den König, 24. Febr. 1841.
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[152/0166] V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung. in Poſen.“ Und Eugen von Breza hatte den Muth, in einer Flugſchrift über Poſener Zuſtände auszuſprechen: der beſte Pole ſeit Caſimir dem Großen ſei der Bauernbefreier Friedrich Wilhelm III. geweſen. Aber ſolche vereinzelte Stimmen wurden durch den Terrorismus der Revolutionäre raſch niedergedonnert; gegen Breza ſchrieb Aug. Hatzfeld eine höhniſche Erwiderung, die unzweifelhaft die Meinung der polniſchen Mehrheit wieder- gab. Die „Centraliſation“ der polniſchen Propaganda in Paris und Ver- ſailles unterhielt ſeit Jahren, durch Palmerſton beſchützt, mit den Poſener Landsleuten einen geheimen Verkehr, den die engliſche Geſandtſchaft in Berlin vermittelte; *) und trotz der Beſchwerden des preußiſchen Hofes hörte dieſe Verrätherei der britiſchen Freunde ſelbſt als die Torys zur Regie- rung gelangten nicht gänzlich auf. Auch unmittelbar wurden, mit Um- gehung der Poſt, regelmäßige Botſchaften zwiſchen Paris und Poſen aus- getauſcht. **) Gerade die Großpolen um Poſen und Gneſen beſaßen im höchſten Maße jenen tolldreiſten, abenteuerlichen Sinn, welcher den Polen bei ihren öſtlichen Nachbarn den Namen der Hirnloſen verſchafft hatte. Nach den Erfahrungen des Flottwell’ſchen Regiments mußten ſie auch wohl glauben, daß Gefahr im Verzuge ſei, und das Deutſchthum im polniſchen Rom dereinſt noch ſiegen könnte. Als Menſchen, ſo ſagten ſie oft, befin- den wir uns beſſer, als Polen ſchlechter denn unſere Brüder in Galizien und Warſchau. Seit dem Jahre 1842 ſuchte die Centraliſation grades- wegs einen neuen Aufſtand vorzubereiten; ſie gründete in Verſailles eine eigene Kriegsſchule, Mieroslawski und Wyſocki hielten militäriſche Vor- träge, viele junge Polen beſuchten franzöſiſche Militärbildungsanſtalten. Jedermann fühlte, daß ein Sturm in der Luft lag. Erzbiſchof Dunin, der kaum begnadigte, gebärdete ſich wie der Herr des Landes; das ge- ſchmeidige Pfäfflein mit dem violetten Käppchen lächelte verſtändnißinnig, wenn ihm der Adel als dem Primas von Polen huldigte. Zum Dank für ſeine Befreiung ernannte er den Official Brodzizewski, den eigent- lichen Anſtifter des Kirchenſtreites ***) zum Weihbiſchof von Gneſen und verlangte, daß alle Schulbücher der Provinz der erzbiſchöflichen Curie zur Genehmigung eingereicht würden. Er wagte in ſeinen Rundſchreiben an den Clerus die Regierung offen anzugreifen und beklagte ſich vor dem Monarchen über „die unerhörte Arroganz“ der königlichen Beamten in ſo frechem Tone, daß ihm Eichhorn einen ſcharfen Verweis ſenden mußte. †) Das perſönliche Verhältniß zwiſchen Deutſchen und Polen ward um ſo kälter, je leiſer die Regierung auftrat; ſelbſt Graf Raczynski, *) Rochow an Graf Maltzan, 29. Dec. 1841. **) Nagler an Miniſter Werther, 20. Mai 1841. ***) ſ. o. IV. 708. †) Dunin, Eingabe an den König, 29. Jan.; Eichhorn an Dunin, 22. Febr., Bericht an den König, 24. Febr. 1841.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/166>, abgerufen am 29.03.2024.