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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 2. Die Kriegsgefahr.
Nachfolger brachte die Sache vor den Bundestag. Die kriegerische Stim-
mung des Augenblicks geschickt benutzend ließ der neue König den un-
ermüdlichen Radowitz noch einmal an den süddeutschen Höfen umherreisen
und versprach hochherzig, zu den noch bei Amschel Rothschild aufbe-
wahrten französischen Contributionsgeldern einen beträchtlichen Zuschuß
zu leisten. Weil die für den Bau der vierten Bundesfestung bestimmten
20 Mill. Fr. französischer Contributionsgelder voraussichtlich für zwei
Festungen nicht ausreichten, so erklärte er sich bereit einen beträchtlichen
Zuschuß (noch gegen 10 Mill. Fr.) zu zahlen, obgleich Preußen bereits die
niederrheinischen Festungen, gutentheils aus seinen eigenen Mitteln, er-
baut hatte. Also bewirkte er, daß die Bundesversammlung am 26. März
1841 endlich den Bau beider Festungen beschloß. Ulm sollte als süd-
deutscher Hauptwaffenplatz dienen, Rastatt nur als Verbindungs- und
Grenzfestung, aber zugleich auch als Waffenplatz für das achte Bundescorps,
obwohl bisher noch nie ein Staat auf den wundersamen Gedanken gerathen
war, seine Militärvorräthe in einer Grenzfestung unterzubringen. Nur
für ein solches, den Ansprüchen Aller zusagendes Compromiß konnte
man die Mehrheit gewinnen. König Friedrich Wilhelm war überglücklich
und ließ der Versammlung seine Freude über ihre föderative Gesinnung
aussprechen. Geh. Rath v. Sydow aber, der nach dem Tode des Generals
Schöler die Geschäfte der deutschen Bundesgesandtschaft führte, sagte weh-
müthig voraus: "Auch die diesjährige Arbeitszeit wird ganz vorübergehen,
ohne daß man in Ulm oder Rastatt eine Schaufel bewegt."*)

Er kannte seine Leute. Schon bei der Abstimmung hatte Herr v. Mieg
einen der beliebten bairischen Vorbehalte gestellt, da "die deutsch-patriotische
Gesinnung", welche König Ludwig bei dem Bau von Germersheim bewährt
habe, besondere Rücksichten verdiene.**) Bald darauf verlangte er nach-
drücklich, der Gouverneur von Ulm müsse abwechselnd von Baiern und
von Württemberg ernannt werden; denn die alte Reichsstadt selbst
war württembergisch, das kleine Neu-Ulm auf dem rechten Donauufer
bairisch. Dawider der Schwabenkönig hochentrüstet: er habe schon genug
Opfer gebracht, indem er seine gute Stadt zur Bundesfestung hergegeben.
Also entspann sich zwischen diesen beiden Königen, welche die liberale
Partei vor Zeiten als die Bannerträger der nationalen Einheit gefeiert
hatte, ein grimmiger Zank um das Commando einer Festung, die noch
gar nicht gebaut war. Dies Schauspiel freundnachbarlicher Eintracht
entfaltete seinen ganzen Reiz erst als Mieg eine Zeit lang die württem-
bergische Stimme führte und mithin genöthigt war sich selber die schwä-
bischen Anzüglichkeiten vor dem Bundestage feierlich vorzulesen. Ein
voreiliger Bundesbeschluß, erklärte Württemberg, könne die Verständigung

*) Sydow's Bericht, 22. Jan. 1841.
**) Sydow's Bericht, 27. März 1841.

V. 2. Die Kriegsgefahr.
Nachfolger brachte die Sache vor den Bundestag. Die kriegeriſche Stim-
mung des Augenblicks geſchickt benutzend ließ der neue König den un-
ermüdlichen Radowitz noch einmal an den ſüddeutſchen Höfen umherreiſen
und verſprach hochherzig, zu den noch bei Amſchel Rothſchild aufbe-
wahrten franzöſiſchen Contributionsgeldern einen beträchtlichen Zuſchuß
zu leiſten. Weil die für den Bau der vierten Bundesfeſtung beſtimmten
20 Mill. Fr. franzöſiſcher Contributionsgelder vorausſichtlich für zwei
Feſtungen nicht ausreichten, ſo erklärte er ſich bereit einen beträchtlichen
Zuſchuß (noch gegen 10 Mill. Fr.) zu zahlen, obgleich Preußen bereits die
niederrheiniſchen Feſtungen, gutentheils aus ſeinen eigenen Mitteln, er-
baut hatte. Alſo bewirkte er, daß die Bundesverſammlung am 26. März
1841 endlich den Bau beider Feſtungen beſchloß. Ulm ſollte als ſüd-
deutſcher Hauptwaffenplatz dienen, Raſtatt nur als Verbindungs- und
Grenzfeſtung, aber zugleich auch als Waffenplatz für das achte Bundescorps,
obwohl bisher noch nie ein Staat auf den wunderſamen Gedanken gerathen
war, ſeine Militärvorräthe in einer Grenzfeſtung unterzubringen. Nur
für ein ſolches, den Anſprüchen Aller zuſagendes Compromiß konnte
man die Mehrheit gewinnen. König Friedrich Wilhelm war überglücklich
und ließ der Verſammlung ſeine Freude über ihre föderative Geſinnung
ausſprechen. Geh. Rath v. Sydow aber, der nach dem Tode des Generals
Schöler die Geſchäfte der deutſchen Bundesgeſandtſchaft führte, ſagte weh-
müthig voraus: „Auch die diesjährige Arbeitszeit wird ganz vorübergehen,
ohne daß man in Ulm oder Raſtatt eine Schaufel bewegt.“*)

Er kannte ſeine Leute. Schon bei der Abſtimmung hatte Herr v. Mieg
einen der beliebten bairiſchen Vorbehalte geſtellt, da „die deutſch-patriotiſche
Geſinnung“, welche König Ludwig bei dem Bau von Germersheim bewährt
habe, beſondere Rückſichten verdiene.**) Bald darauf verlangte er nach-
drücklich, der Gouverneur von Ulm müſſe abwechſelnd von Baiern und
von Württemberg ernannt werden; denn die alte Reichsſtadt ſelbſt
war württembergiſch, das kleine Neu-Ulm auf dem rechten Donauufer
bairiſch. Dawider der Schwabenkönig hochentrüſtet: er habe ſchon genug
Opfer gebracht, indem er ſeine gute Stadt zur Bundesfeſtung hergegeben.
Alſo entſpann ſich zwiſchen dieſen beiden Königen, welche die liberale
Partei vor Zeiten als die Bannerträger der nationalen Einheit gefeiert
hatte, ein grimmiger Zank um das Commando einer Feſtung, die noch
gar nicht gebaut war. Dies Schauſpiel freundnachbarlicher Eintracht
entfaltete ſeinen ganzen Reiz erſt als Mieg eine Zeit lang die württem-
bergiſche Stimme führte und mithin genöthigt war ſich ſelber die ſchwä-
biſchen Anzüglichkeiten vor dem Bundestage feierlich vorzuleſen. Ein
voreiliger Bundesbeſchluß, erklärte Württemberg, könne die Verſtändigung

*) Sydow’s Bericht, 22. Jan. 1841.
**) Sydow’s Bericht, 27. März 1841.
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[102/0116] V. 2. Die Kriegsgefahr. Nachfolger brachte die Sache vor den Bundestag. Die kriegeriſche Stim- mung des Augenblicks geſchickt benutzend ließ der neue König den un- ermüdlichen Radowitz noch einmal an den ſüddeutſchen Höfen umherreiſen und verſprach hochherzig, zu den noch bei Amſchel Rothſchild aufbe- wahrten franzöſiſchen Contributionsgeldern einen beträchtlichen Zuſchuß zu leiſten. Weil die für den Bau der vierten Bundesfeſtung beſtimmten 20 Mill. Fr. franzöſiſcher Contributionsgelder vorausſichtlich für zwei Feſtungen nicht ausreichten, ſo erklärte er ſich bereit einen beträchtlichen Zuſchuß (noch gegen 10 Mill. Fr.) zu zahlen, obgleich Preußen bereits die niederrheiniſchen Feſtungen, gutentheils aus ſeinen eigenen Mitteln, er- baut hatte. Alſo bewirkte er, daß die Bundesverſammlung am 26. März 1841 endlich den Bau beider Feſtungen beſchloß. Ulm ſollte als ſüd- deutſcher Hauptwaffenplatz dienen, Raſtatt nur als Verbindungs- und Grenzfeſtung, aber zugleich auch als Waffenplatz für das achte Bundescorps, obwohl bisher noch nie ein Staat auf den wunderſamen Gedanken gerathen war, ſeine Militärvorräthe in einer Grenzfeſtung unterzubringen. Nur für ein ſolches, den Anſprüchen Aller zuſagendes Compromiß konnte man die Mehrheit gewinnen. König Friedrich Wilhelm war überglücklich und ließ der Verſammlung ſeine Freude über ihre föderative Geſinnung ausſprechen. Geh. Rath v. Sydow aber, der nach dem Tode des Generals Schöler die Geſchäfte der deutſchen Bundesgeſandtſchaft führte, ſagte weh- müthig voraus: „Auch die diesjährige Arbeitszeit wird ganz vorübergehen, ohne daß man in Ulm oder Raſtatt eine Schaufel bewegt.“ *) Er kannte ſeine Leute. Schon bei der Abſtimmung hatte Herr v. Mieg einen der beliebten bairiſchen Vorbehalte geſtellt, da „die deutſch-patriotiſche Geſinnung“, welche König Ludwig bei dem Bau von Germersheim bewährt habe, beſondere Rückſichten verdiene. **) Bald darauf verlangte er nach- drücklich, der Gouverneur von Ulm müſſe abwechſelnd von Baiern und von Württemberg ernannt werden; denn die alte Reichsſtadt ſelbſt war württembergiſch, das kleine Neu-Ulm auf dem rechten Donauufer bairiſch. Dawider der Schwabenkönig hochentrüſtet: er habe ſchon genug Opfer gebracht, indem er ſeine gute Stadt zur Bundesfeſtung hergegeben. Alſo entſpann ſich zwiſchen dieſen beiden Königen, welche die liberale Partei vor Zeiten als die Bannerträger der nationalen Einheit gefeiert hatte, ein grimmiger Zank um das Commando einer Feſtung, die noch gar nicht gebaut war. Dies Schauſpiel freundnachbarlicher Eintracht entfaltete ſeinen ganzen Reiz erſt als Mieg eine Zeit lang die württem- bergiſche Stimme führte und mithin genöthigt war ſich ſelber die ſchwä- biſchen Anzüglichkeiten vor dem Bundestage feierlich vorzuleſen. Ein voreiliger Bundesbeſchluß, erklärte Württemberg, könne die Verſtändigung *) Sydow’s Bericht, 22. Jan. 1841. **) Sydow’s Bericht, 27. März 1841.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/116>, abgerufen am 29.03.2024.