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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Vorwort.


Durch ein langes Augenleiden ist die Fortsetzung dieses Buches ver-
zögert worden, und ich will nur wünschen, daß man dem Bande nicht
anmerke, wie schwer mir zuweilen die Arbeit fiel.

Noch weit mehr als seine Vorgänger verdankt der vorliegende Band
den Beiträgen freundlicher Leser. Ohne diesen gütigen Beistand, aus
amtlichen Quellen allein hätte ich manche Ereignisse nicht verstehen können,
und ich bitte auch für die Schilderung der Revolutionsjahre herzlich um
solche Mittheilungen. Die Aufgabe wird immer schwieriger, je mehr die
Erzählung sich der Gegenwart nähert.

Ein Mangel läßt sich bei allem Fleiße nicht ganz beseitigen. Das
Leben der breiten Massen des Volks bleibt in einem Zeitalter reflectirter
Bildung immer geheimnißvoll, und wie viel der Historiker auch an wirth-
schaftlichen, politischen, religiösen Erklärungsgründen vorbringen mag, zu-
letzt kann er doch nur einfach die Thatsache feststellen, daß die Stimmung
der Zeit reif wurde für eine Revolution.

Die Geschichte dieser acht Jahre wirkt wie ein erschütterndes Trauer-
spiel. Zuerst hohe Entwürfe, glänzende Hoffnungen, überschwängliche
Träume, nachher fast überall ein klägliches Mißlingen, ein unvermeidlicher
Zusammenbruch. Den tragischen Ernst, der im Stoffe selber liegt, darf
der Darsteller nicht durch vornehmen Gleichmuth künstlich zu verwischen
suchen.

Welchen Mißbrauch treibt man doch heute mit dem Ausspruch: sine
ira et studio
-- einem Worte, das Niemand weniger befolgt hat als
sein Urheber. Gerecht soll der Historiker reden, freimüthig, unbekümmert

Vorwort.


Durch ein langes Augenleiden iſt die Fortſetzung dieſes Buches ver-
zögert worden, und ich will nur wünſchen, daß man dem Bande nicht
anmerke, wie ſchwer mir zuweilen die Arbeit fiel.

Noch weit mehr als ſeine Vorgänger verdankt der vorliegende Band
den Beiträgen freundlicher Leſer. Ohne dieſen gütigen Beiſtand, aus
amtlichen Quellen allein hätte ich manche Ereigniſſe nicht verſtehen können,
und ich bitte auch für die Schilderung der Revolutionsjahre herzlich um
ſolche Mittheilungen. Die Aufgabe wird immer ſchwieriger, je mehr die
Erzählung ſich der Gegenwart nähert.

Ein Mangel läßt ſich bei allem Fleiße nicht ganz beſeitigen. Das
Leben der breiten Maſſen des Volks bleibt in einem Zeitalter reflectirter
Bildung immer geheimnißvoll, und wie viel der Hiſtoriker auch an wirth-
ſchaftlichen, politiſchen, religiöſen Erklärungsgründen vorbringen mag, zu-
letzt kann er doch nur einfach die Thatſache feſtſtellen, daß die Stimmung
der Zeit reif wurde für eine Revolution.

Die Geſchichte dieſer acht Jahre wirkt wie ein erſchütterndes Trauer-
ſpiel. Zuerſt hohe Entwürfe, glänzende Hoffnungen, überſchwängliche
Träume, nachher faſt überall ein klägliches Mißlingen, ein unvermeidlicher
Zuſammenbruch. Den tragiſchen Ernſt, der im Stoffe ſelber liegt, darf
der Darſteller nicht durch vornehmen Gleichmuth künſtlich zu verwiſchen
ſuchen.

Welchen Mißbrauch treibt man doch heute mit dem Ausſpruch: sine
ira et studio
— einem Worte, das Niemand weniger befolgt hat als
ſein Urheber. Gerecht ſoll der Hiſtoriker reden, freimüthig, unbekümmert

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. [V]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/11>, abgerufen am 28.03.2024.