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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.

Während der Czar also den preußischen Hof mit seinen Kriegsplänen
bestürmte, ließ Kaiser Franz seinen armen Kronprinzen Ferdinand in
Preßburg zum Rex junior Hungariae krönen, damit die nur zu wohl
begründeten Gerüchte über dessen Regierungs-Unfähigkeit durch die That
widerlegt würden. Diesen Anlaß benutzte Nikolaus, um den Grafen Orlow
nach Preßburg zu senden. Metternich empfing den Vertrauten des Czaren
mit offenen Armen, betheuerte lebhaft seine reine Gesinnung: "was die
revolutionäre Regierung fürchtet, das müssen wir lieben; was sie ablehnt,
das müssen wir annehmen." Um sich bei dem Selbstherrscher einzu-
schmeicheln verleumdete er freundnachbarlich den preußischen Hof: nur
Bernstorff's Feigheit und der revolutionäre Geist des preußischen Beamten-
thums trügen die Schuld, wenn der Krieg für das legitime Recht nicht
zu Stande komme. Indeß hütete er sich wohl, irgend eine feste Zusage
zu geben. Die Ostmächte sollten die Gesammtbürgschaft für die Verträge
von 1815 aufrechthalten und für den Nothfall in der Stille rüsten --
solche unbestimmte Rathschläge waren Alles was der Russe aus Preßburg
heimbrachte.

Schon am 28. August, gleich nach dem ersten Brüsseler Aufstande,
sendete der König der Niederlande durch den Adjutanten "de notre
Albert"
einen Hilferuf an den König von Preußen: die Folgen des
Aufruhrs seien nicht zu berechnen; er bitte daher, daß der Gouverneur
der Rheinlande, Prinz Wilhelm der Aeltere, und seine Generale ange-
wiesen würden, "gemäß den bestehenden Verträgen" ihm Beistand zu
leisten, sobald er es verlange. Das Alles, als verstünde sich's von selber.
Friedrich Wilhelm las den Brief mit Befremden; von solchen Vertrags-
pflichten war ihm nichts bekannt. Er ließ sogleich im Auswärtigen Amte
Nachforschungen anstellen, und da sich ergab, daß Preußen keine beson-
deren Verpflichtungen gegen die Niederlande übernommen hatte, sondern
nur ebenso wie die anderen Mächte des Vierbundes an die Verträge von
1815 gebunden war, so erwiderte er am 9. September seinem königlichen
Schwager: er betrachte die Interessen der beiden Kronen als "unzertrennlich"
und wolle sich mit seinen Verbündeten verständigen; er werde auch Truppen
an den Rhein senden und Alles thun, um Frankreich an der Unterstützung
des Aufstands zu verhindern; aber große Vorsicht sei nöthig, da der fran-
zösische Hof erklärt habe, daß auch seine Truppen einrücken würden, falls
ein fremdes Heer Belgien besetze.*) In der That wurde das vierte Armee-
corps sofort aus Sachsen an den Rhein gesendet und das rheinische ver-
stärkt. Schon diese ersten schwachen Rüstungen Preußens genügten, um
die Staatsmänner des Palais Royal mit Besorgniß zu erfüllen. Guizot,

*) König Wilhelm der Niederlande an König Friedrich Wilhelm 28. Aug. Antwort,
9. Sept. Bernstorff, Protokoll der Berathung über das niederl. Schreiben, 1. Sept. 1830,
nebst Denkschrift "über die tractatmäßige Verpflichtung Preußens".
IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.

Während der Czar alſo den preußiſchen Hof mit ſeinen Kriegsplänen
beſtürmte, ließ Kaiſer Franz ſeinen armen Kronprinzen Ferdinand in
Preßburg zum Rex junior Hungariae krönen, damit die nur zu wohl
begründeten Gerüchte über deſſen Regierungs-Unfähigkeit durch die That
widerlegt würden. Dieſen Anlaß benutzte Nikolaus, um den Grafen Orlow
nach Preßburg zu ſenden. Metternich empfing den Vertrauten des Czaren
mit offenen Armen, betheuerte lebhaft ſeine reine Geſinnung: „was die
revolutionäre Regierung fürchtet, das müſſen wir lieben; was ſie ablehnt,
das müſſen wir annehmen.“ Um ſich bei dem Selbſtherrſcher einzu-
ſchmeicheln verleumdete er freundnachbarlich den preußiſchen Hof: nur
Bernſtorff’s Feigheit und der revolutionäre Geiſt des preußiſchen Beamten-
thums trügen die Schuld, wenn der Krieg für das legitime Recht nicht
zu Stande komme. Indeß hütete er ſich wohl, irgend eine feſte Zuſage
zu geben. Die Oſtmächte ſollten die Geſammtbürgſchaft für die Verträge
von 1815 aufrechthalten und für den Nothfall in der Stille rüſten —
ſolche unbeſtimmte Rathſchläge waren Alles was der Ruſſe aus Preßburg
heimbrachte.

Schon am 28. Auguſt, gleich nach dem erſten Brüſſeler Aufſtande,
ſendete der König der Niederlande durch den Adjutanten „de notre
Albert“
einen Hilferuf an den König von Preußen: die Folgen des
Aufruhrs ſeien nicht zu berechnen; er bitte daher, daß der Gouverneur
der Rheinlande, Prinz Wilhelm der Aeltere, und ſeine Generale ange-
wieſen würden, „gemäß den beſtehenden Verträgen“ ihm Beiſtand zu
leiſten, ſobald er es verlange. Das Alles, als verſtünde ſich’s von ſelber.
Friedrich Wilhelm las den Brief mit Befremden; von ſolchen Vertrags-
pflichten war ihm nichts bekannt. Er ließ ſogleich im Auswärtigen Amte
Nachforſchungen anſtellen, und da ſich ergab, daß Preußen keine beſon-
deren Verpflichtungen gegen die Niederlande übernommen hatte, ſondern
nur ebenſo wie die anderen Mächte des Vierbundes an die Verträge von
1815 gebunden war, ſo erwiderte er am 9. September ſeinem königlichen
Schwager: er betrachte die Intereſſen der beiden Kronen als „unzertrennlich“
und wolle ſich mit ſeinen Verbündeten verſtändigen; er werde auch Truppen
an den Rhein ſenden und Alles thun, um Frankreich an der Unterſtützung
des Aufſtands zu verhindern; aber große Vorſicht ſei nöthig, da der fran-
zöſiſche Hof erklärt habe, daß auch ſeine Truppen einrücken würden, falls
ein fremdes Heer Belgien beſetze.*) In der That wurde das vierte Armee-
corps ſofort aus Sachſen an den Rhein geſendet und das rheiniſche ver-
ſtärkt. Schon dieſe erſten ſchwachen Rüſtungen Preußens genügten, um
die Staatsmänner des Palais Royal mit Beſorgniß zu erfüllen. Guizot,

*) König Wilhelm der Niederlande an König Friedrich Wilhelm 28. Aug. Antwort,
9. Sept. Bernſtorff, Protokoll der Berathung über das niederl. Schreiben, 1. Sept. 1830,
nebſt Denkſchrift „über die tractatmäßige Verpflichtung Preußens“.
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[48/0062] IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede. Während der Czar alſo den preußiſchen Hof mit ſeinen Kriegsplänen beſtürmte, ließ Kaiſer Franz ſeinen armen Kronprinzen Ferdinand in Preßburg zum Rex junior Hungariae krönen, damit die nur zu wohl begründeten Gerüchte über deſſen Regierungs-Unfähigkeit durch die That widerlegt würden. Dieſen Anlaß benutzte Nikolaus, um den Grafen Orlow nach Preßburg zu ſenden. Metternich empfing den Vertrauten des Czaren mit offenen Armen, betheuerte lebhaft ſeine reine Geſinnung: „was die revolutionäre Regierung fürchtet, das müſſen wir lieben; was ſie ablehnt, das müſſen wir annehmen.“ Um ſich bei dem Selbſtherrſcher einzu- ſchmeicheln verleumdete er freundnachbarlich den preußiſchen Hof: nur Bernſtorff’s Feigheit und der revolutionäre Geiſt des preußiſchen Beamten- thums trügen die Schuld, wenn der Krieg für das legitime Recht nicht zu Stande komme. Indeß hütete er ſich wohl, irgend eine feſte Zuſage zu geben. Die Oſtmächte ſollten die Geſammtbürgſchaft für die Verträge von 1815 aufrechthalten und für den Nothfall in der Stille rüſten — ſolche unbeſtimmte Rathſchläge waren Alles was der Ruſſe aus Preßburg heimbrachte. Schon am 28. Auguſt, gleich nach dem erſten Brüſſeler Aufſtande, ſendete der König der Niederlande durch den Adjutanten „de notre Albert“ einen Hilferuf an den König von Preußen: die Folgen des Aufruhrs ſeien nicht zu berechnen; er bitte daher, daß der Gouverneur der Rheinlande, Prinz Wilhelm der Aeltere, und ſeine Generale ange- wieſen würden, „gemäß den beſtehenden Verträgen“ ihm Beiſtand zu leiſten, ſobald er es verlange. Das Alles, als verſtünde ſich’s von ſelber. Friedrich Wilhelm las den Brief mit Befremden; von ſolchen Vertrags- pflichten war ihm nichts bekannt. Er ließ ſogleich im Auswärtigen Amte Nachforſchungen anſtellen, und da ſich ergab, daß Preußen keine beſon- deren Verpflichtungen gegen die Niederlande übernommen hatte, ſondern nur ebenſo wie die anderen Mächte des Vierbundes an die Verträge von 1815 gebunden war, ſo erwiderte er am 9. September ſeinem königlichen Schwager: er betrachte die Intereſſen der beiden Kronen als „unzertrennlich“ und wolle ſich mit ſeinen Verbündeten verſtändigen; er werde auch Truppen an den Rhein ſenden und Alles thun, um Frankreich an der Unterſtützung des Aufſtands zu verhindern; aber große Vorſicht ſei nöthig, da der fran- zöſiſche Hof erklärt habe, daß auch ſeine Truppen einrücken würden, falls ein fremdes Heer Belgien beſetze. *) In der That wurde das vierte Armee- corps ſofort aus Sachſen an den Rhein geſendet und das rheiniſche ver- ſtärkt. Schon dieſe erſten ſchwachen Rüſtungen Preußens genügten, um die Staatsmänner des Palais Royal mit Beſorgniß zu erfüllen. Guizot, *) König Wilhelm der Niederlande an König Friedrich Wilhelm 28. Aug. Antwort, 9. Sept. Bernſtorff, Protokoll der Berathung über das niederl. Schreiben, 1. Sept. 1830, nebſt Denkſchrift „über die tractatmäßige Verpflichtung Preußens“.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/62>, abgerufen am 24.04.2024.