Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

Bild:
<< vorherige Seite

Niederlage des Carlismus.
anzunähern und deren Argwohn gegen Rußland aufzustacheln, da erfuhr
er die schnödeste Zurückweisung. "Wenn Palmerston an meine Thür klopft,
sagte Metternich höhnisch, dann muß er in den letzten Zügen liegen."*)
Nur einem Tory-Cabinet wollten die deutschen Mächte Vertrauen schenken;
aber die Torys gelangten nur einmal, im Herbst 1834, auf wenige Mo-
nate ans Ruder, ohne die englische Politik in andere Bahnen leiten zu
können. Palmerston behauptete sich in der Herrschaft, und seit er in seinen
Reden den Bund der freien Nationen verherrlichte, trugen ihn die Wellen
der Volksgunst.

Also von England mit Eifer, von Frankreich nur lau unterstützt, er-
rangen die Cristinos erst im Jahre 1839 entscheidende Erfolge. Elende
Ränke und Zwistigkeiten hatten die Kraft der Carlisten längst geschwächt,
da wurde Don Carlos durch den Verrath eines seiner Generale gezwungen,
nach Frankreich zu flüchten, wo er in Bourges, dem Wohnsitze des grol-
lenden legitimistischen Adels, seinen feierlich steifen Hofhalt aufschlug.
Noch ein Jahr lang suchte der wilde Cabrera, dem die Cristinos die Mutter
erschossen hatten, den Krieg hinzuhalten; jedoch das Baskenvolk war er-
schöpft von dem ungleichen Kampfe, weithin durch die Berge klang der
Ruf Paz y fueros. Die Regentin entschloß sich endlich, die Sonderrechte
der baskischen Provinzen zu bestätigen, und nunmehr wurde die Herrschaft
der jungen Königin Isabella im ganzen Lande anerkannt. Aber dies neue
Königthum blieb unrechtmäßig von Haus aus -- denn die Rechtsgründe der
Cristinos wogen sehr leicht -- und konnte niemals auf die Empfindung
angestammter Treue zählen. Das alte Spanien war vernichtet, ein neues
nicht begründet. Der Carlismus schlummerte, todt war er nicht. Von
der verheißenen Glückseligkeit des constitutionellen Lebens zeigte sich keine
Spur. Das Heer war durch Parteiung zerrissen, die Verwaltung durch-
aus verderbt. In den Cortes tobte die Aemterjagd, am Hofe rangen die
Gesandten Englands und Frankreichs um die Herrschaft. Wie die Spa-
nier einst für die Idee des katholischen Weltreichs sich fast verblutet hatten,
so boten sie jetzt wieder den entsetzlichen Anblick einer lediglich politisiren-
den Nation. In dem wüsten Gezänk der Parteien ging alle Kraft dieses
verschwenderisch begabten Volkes auf; für Kunst, Forschung, Volkswirth-
schaft, für alle schöpferische Cultur blieb nichts übrig. Erst nach Jahr-
zehnten sollten sich die schwachen Anfänge eines gesünderen Volkslebens zeigen.

Was mit diesem unheilvollen Kriege irgend in Berührung kam ver-
fiel nothwendig dem Fluche der Unwahrheit. Auch die Politik der Ost-
mächte blieb davon nicht frei; immerhin verfuhren sie ehrlicher, ruhiger
als die Westmächte. Sie standen mit ihren Wünschen auf Don Carlos'
Seite, nicht blos weil er der legitime König war, sondern auch weil sie
noch immer auf einen Weltkrieg gefaßt sein mußten und für diesen Fall

*) Ancillon an Maltzan, 17. Aug.; Maltzan's Bericht, 12. Juni 1835.

Niederlage des Carlismus.
anzunähern und deren Argwohn gegen Rußland aufzuſtacheln, da erfuhr
er die ſchnödeſte Zurückweiſung. „Wenn Palmerſton an meine Thür klopft,
ſagte Metternich höhniſch, dann muß er in den letzten Zügen liegen.“*)
Nur einem Tory-Cabinet wollten die deutſchen Mächte Vertrauen ſchenken;
aber die Torys gelangten nur einmal, im Herbſt 1834, auf wenige Mo-
nate ans Ruder, ohne die engliſche Politik in andere Bahnen leiten zu
können. Palmerſton behauptete ſich in der Herrſchaft, und ſeit er in ſeinen
Reden den Bund der freien Nationen verherrlichte, trugen ihn die Wellen
der Volksgunſt.

Alſo von England mit Eifer, von Frankreich nur lau unterſtützt, er-
rangen die Criſtinos erſt im Jahre 1839 entſcheidende Erfolge. Elende
Ränke und Zwiſtigkeiten hatten die Kraft der Carliſten längſt geſchwächt,
da wurde Don Carlos durch den Verrath eines ſeiner Generale gezwungen,
nach Frankreich zu flüchten, wo er in Bourges, dem Wohnſitze des grol-
lenden legitimiſtiſchen Adels, ſeinen feierlich ſteifen Hofhalt aufſchlug.
Noch ein Jahr lang ſuchte der wilde Cabrera, dem die Criſtinos die Mutter
erſchoſſen hatten, den Krieg hinzuhalten; jedoch das Baskenvolk war er-
ſchöpft von dem ungleichen Kampfe, weithin durch die Berge klang der
Ruf Paz y fueros. Die Regentin entſchloß ſich endlich, die Sonderrechte
der baskiſchen Provinzen zu beſtätigen, und nunmehr wurde die Herrſchaft
der jungen Königin Iſabella im ganzen Lande anerkannt. Aber dies neue
Königthum blieb unrechtmäßig von Haus aus — denn die Rechtsgründe der
Criſtinos wogen ſehr leicht — und konnte niemals auf die Empfindung
angeſtammter Treue zählen. Das alte Spanien war vernichtet, ein neues
nicht begründet. Der Carlismus ſchlummerte, todt war er nicht. Von
der verheißenen Glückſeligkeit des conſtitutionellen Lebens zeigte ſich keine
Spur. Das Heer war durch Parteiung zerriſſen, die Verwaltung durch-
aus verderbt. In den Cortes tobte die Aemterjagd, am Hofe rangen die
Geſandten Englands und Frankreichs um die Herrſchaft. Wie die Spa-
nier einſt für die Idee des katholiſchen Weltreichs ſich faſt verblutet hatten,
ſo boten ſie jetzt wieder den entſetzlichen Anblick einer lediglich politiſiren-
den Nation. In dem wüſten Gezänk der Parteien ging alle Kraft dieſes
verſchwenderiſch begabten Volkes auf; für Kunſt, Forſchung, Volkswirth-
ſchaft, für alle ſchöpferiſche Cultur blieb nichts übrig. Erſt nach Jahr-
zehnten ſollten ſich die ſchwachen Anfänge eines geſünderen Volkslebens zeigen.

Was mit dieſem unheilvollen Kriege irgend in Berührung kam ver-
fiel nothwendig dem Fluche der Unwahrheit. Auch die Politik der Oſt-
mächte blieb davon nicht frei; immerhin verfuhren ſie ehrlicher, ruhiger
als die Weſtmächte. Sie ſtanden mit ihren Wünſchen auf Don Carlos’
Seite, nicht blos weil er der legitime König war, ſondern auch weil ſie
noch immer auf einen Weltkrieg gefaßt ſein mußten und für dieſen Fall

*) Ancillon an Maltzan, 17. Aug.; Maltzan’s Bericht, 12. Juni 1835.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0523" n="509"/><fw place="top" type="header">Niederlage des Carlismus.</fw><lb/>
anzunähern und deren Argwohn gegen Rußland aufzu&#x017F;tacheln, da erfuhr<lb/>
er die &#x017F;chnöde&#x017F;te Zurückwei&#x017F;ung. &#x201E;Wenn Palmer&#x017F;ton an meine Thür klopft,<lb/>
&#x017F;agte Metternich höhni&#x017F;ch, dann muß er in den letzten Zügen liegen.&#x201C;<note place="foot" n="*)">Ancillon an Maltzan, 17. Aug.; Maltzan&#x2019;s Bericht, 12. Juni 1835.</note><lb/>
Nur einem Tory-Cabinet wollten die deut&#x017F;chen Mächte Vertrauen &#x017F;chenken;<lb/>
aber die Torys gelangten nur einmal, im Herb&#x017F;t 1834, auf wenige Mo-<lb/>
nate ans Ruder, ohne die engli&#x017F;che Politik in andere Bahnen leiten zu<lb/>
können. Palmer&#x017F;ton behauptete &#x017F;ich in der Herr&#x017F;chaft, und &#x017F;eit er in &#x017F;einen<lb/>
Reden den Bund der freien Nationen verherrlichte, trugen ihn die Wellen<lb/>
der Volksgun&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Al&#x017F;o von England mit Eifer, von Frankreich nur lau unter&#x017F;tützt, er-<lb/>
rangen die Cri&#x017F;tinos er&#x017F;t im Jahre 1839 ent&#x017F;cheidende Erfolge. Elende<lb/>
Ränke und Zwi&#x017F;tigkeiten hatten die Kraft der Carli&#x017F;ten läng&#x017F;t ge&#x017F;chwächt,<lb/>
da wurde Don Carlos durch den Verrath eines &#x017F;einer Generale gezwungen,<lb/>
nach Frankreich zu flüchten, wo er in Bourges, dem Wohn&#x017F;itze des grol-<lb/>
lenden legitimi&#x017F;ti&#x017F;chen Adels, &#x017F;einen feierlich &#x017F;teifen Hofhalt auf&#x017F;chlug.<lb/>
Noch ein Jahr lang &#x017F;uchte der wilde Cabrera, dem die Cri&#x017F;tinos die Mutter<lb/>
er&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en hatten, den Krieg hinzuhalten; jedoch das Baskenvolk war er-<lb/>
&#x017F;chöpft von dem ungleichen Kampfe, weithin durch die Berge klang der<lb/>
Ruf <hi rendition="#aq">Paz y fueros.</hi> Die Regentin ent&#x017F;chloß &#x017F;ich endlich, die Sonderrechte<lb/>
der baski&#x017F;chen Provinzen zu be&#x017F;tätigen, und nunmehr wurde die Herr&#x017F;chaft<lb/>
der jungen Königin I&#x017F;abella im ganzen Lande anerkannt. Aber dies neue<lb/>
Königthum blieb unrechtmäßig von Haus aus &#x2014; denn die Rechtsgründe der<lb/>
Cri&#x017F;tinos wogen &#x017F;ehr leicht &#x2014; und konnte niemals auf die Empfindung<lb/>
ange&#x017F;tammter Treue zählen. Das alte Spanien war vernichtet, ein neues<lb/>
nicht begründet. Der Carlismus &#x017F;chlummerte, todt war er nicht. Von<lb/>
der verheißenen Glück&#x017F;eligkeit des con&#x017F;titutionellen Lebens zeigte &#x017F;ich keine<lb/>
Spur. Das Heer war durch Parteiung zerri&#x017F;&#x017F;en, die Verwaltung durch-<lb/>
aus verderbt. In den Cortes tobte die Aemterjagd, am Hofe rangen die<lb/>
Ge&#x017F;andten Englands und Frankreichs um die Herr&#x017F;chaft. Wie die Spa-<lb/>
nier ein&#x017F;t für die Idee des katholi&#x017F;chen Weltreichs &#x017F;ich fa&#x017F;t verblutet hatten,<lb/>
&#x017F;o boten &#x017F;ie jetzt wieder den ent&#x017F;etzlichen Anblick einer lediglich politi&#x017F;iren-<lb/>
den Nation. In dem wü&#x017F;ten Gezänk der Parteien ging alle Kraft die&#x017F;es<lb/>
ver&#x017F;chwenderi&#x017F;ch begabten Volkes auf; für Kun&#x017F;t, For&#x017F;chung, Volkswirth-<lb/>
&#x017F;chaft, für alle &#x017F;chöpferi&#x017F;che Cultur blieb nichts übrig. Er&#x017F;t nach Jahr-<lb/>
zehnten &#x017F;ollten &#x017F;ich die &#x017F;chwachen Anfänge eines ge&#x017F;ünderen Volkslebens zeigen.</p><lb/>
          <p>Was mit die&#x017F;em unheilvollen Kriege irgend in Berührung kam ver-<lb/>
fiel nothwendig dem Fluche der Unwahrheit. Auch die Politik der O&#x017F;t-<lb/>
mächte blieb davon nicht frei; immerhin verfuhren &#x017F;ie ehrlicher, ruhiger<lb/>
als die We&#x017F;tmächte. Sie &#x017F;tanden mit ihren Wün&#x017F;chen auf Don Carlos&#x2019;<lb/>
Seite, nicht blos weil er der legitime König war, &#x017F;ondern auch weil &#x017F;ie<lb/>
noch immer auf einen Weltkrieg gefaßt &#x017F;ein mußten und für die&#x017F;en Fall<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[509/0523] Niederlage des Carlismus. anzunähern und deren Argwohn gegen Rußland aufzuſtacheln, da erfuhr er die ſchnödeſte Zurückweiſung. „Wenn Palmerſton an meine Thür klopft, ſagte Metternich höhniſch, dann muß er in den letzten Zügen liegen.“ *) Nur einem Tory-Cabinet wollten die deutſchen Mächte Vertrauen ſchenken; aber die Torys gelangten nur einmal, im Herbſt 1834, auf wenige Mo- nate ans Ruder, ohne die engliſche Politik in andere Bahnen leiten zu können. Palmerſton behauptete ſich in der Herrſchaft, und ſeit er in ſeinen Reden den Bund der freien Nationen verherrlichte, trugen ihn die Wellen der Volksgunſt. Alſo von England mit Eifer, von Frankreich nur lau unterſtützt, er- rangen die Criſtinos erſt im Jahre 1839 entſcheidende Erfolge. Elende Ränke und Zwiſtigkeiten hatten die Kraft der Carliſten längſt geſchwächt, da wurde Don Carlos durch den Verrath eines ſeiner Generale gezwungen, nach Frankreich zu flüchten, wo er in Bourges, dem Wohnſitze des grol- lenden legitimiſtiſchen Adels, ſeinen feierlich ſteifen Hofhalt aufſchlug. Noch ein Jahr lang ſuchte der wilde Cabrera, dem die Criſtinos die Mutter erſchoſſen hatten, den Krieg hinzuhalten; jedoch das Baskenvolk war er- ſchöpft von dem ungleichen Kampfe, weithin durch die Berge klang der Ruf Paz y fueros. Die Regentin entſchloß ſich endlich, die Sonderrechte der baskiſchen Provinzen zu beſtätigen, und nunmehr wurde die Herrſchaft der jungen Königin Iſabella im ganzen Lande anerkannt. Aber dies neue Königthum blieb unrechtmäßig von Haus aus — denn die Rechtsgründe der Criſtinos wogen ſehr leicht — und konnte niemals auf die Empfindung angeſtammter Treue zählen. Das alte Spanien war vernichtet, ein neues nicht begründet. Der Carlismus ſchlummerte, todt war er nicht. Von der verheißenen Glückſeligkeit des conſtitutionellen Lebens zeigte ſich keine Spur. Das Heer war durch Parteiung zerriſſen, die Verwaltung durch- aus verderbt. In den Cortes tobte die Aemterjagd, am Hofe rangen die Geſandten Englands und Frankreichs um die Herrſchaft. Wie die Spa- nier einſt für die Idee des katholiſchen Weltreichs ſich faſt verblutet hatten, ſo boten ſie jetzt wieder den entſetzlichen Anblick einer lediglich politiſiren- den Nation. In dem wüſten Gezänk der Parteien ging alle Kraft dieſes verſchwenderiſch begabten Volkes auf; für Kunſt, Forſchung, Volkswirth- ſchaft, für alle ſchöpferiſche Cultur blieb nichts übrig. Erſt nach Jahr- zehnten ſollten ſich die ſchwachen Anfänge eines geſünderen Volkslebens zeigen. Was mit dieſem unheilvollen Kriege irgend in Berührung kam ver- fiel nothwendig dem Fluche der Unwahrheit. Auch die Politik der Oſt- mächte blieb davon nicht frei; immerhin verfuhren ſie ehrlicher, ruhiger als die Weſtmächte. Sie ſtanden mit ihren Wünſchen auf Don Carlos’ Seite, nicht blos weil er der legitime König war, ſondern auch weil ſie noch immer auf einen Weltkrieg gefaßt ſein mußten und für dieſen Fall *) Ancillon an Maltzan, 17. Aug.; Maltzan’s Bericht, 12. Juni 1835.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/523
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 509. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/523>, abgerufen am 18.04.2024.