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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Hallische Jahrbücher. L. Feuerbach.
thum, jede dem Menschen gesetzte objective Ordnung als aufgehobene Mo-
mente negiren würde.

Unter den philosophischen Mitarbeitern der Jahrbücher that sich durch
die Schönheit seiner Sprache Ludwig Feuerbach hervor, ein Sohn des
großen Juristen, ein edler feuriger Schwärmer, der mit unerbittlicher Logik
aus den Sätzen des Meisters, wie er sie verstand, die allerletzten Folge-
rungen zog und endlich, in dem Buche über das Wesen des Christenthums
(1841), zur Vernichtung aller Religion gelangte. Die dialektische Methode
handhabte er mit blendender Geschicklichkeit; von dem historischen Sinne
freilich, der das Hegel'sche System durchgeistigte und manche seiner Irr-
thümer entschuldigte, besaß Feuerbach gar nichts. Er sah im christ-
lichen Glauben lediglich das starre Princip der Weltverneinung; die pro-
teische Kraft des Christenthums, das sich die Jahrhunderte hindurch un-
ablässig fortgebildet und seit der Reformation auch die antiken Ideen der
Weltfreudigkeit in sich aufgenommen hatte, blieb ihm unfaßbar. Darum
hielt er jede Philosophie kurzab für unchristlich. Wirklicher Gotteserkennt-
niß hatte sich die Kirche selbst nie vermessen; das Evangelium verhieß ja
nur denen, die reinen Herzens sind, daß sie dereinst Gott schauen sollten.
Die denkenden Theologen aller Parteien wußten längst, daß der Mensch
sich der Idee Gottes nur zu nähern vermag, indem er das Höchste was
er kennt, das Menschliche, noch zu steigern versucht, und mithin in jeder
Gotteslehre einige anthropomorphische Vorstellungen enthalten sein müssen.
Diese allbekannten und eigentlich nie bestrittenen Erfahrungen bewiesen
eben nur die Beschränktheit des menschlichen Denkvermögens. Feuerbach
aber schloß daraus kurzab, die Gottesidee sei ein Wahnbegriff, alle Theo-
logie sei Anthropologie und müsse sobald dies erkannt worden augenblick-
lich verschwinden; die Idee offenbare sich nicht in Gott, sondern in der
Gattung der Menschheit. Die ganze wundervolle Kirchengeschichte, die so
viele Jahrhunderte mit Geist und Leben erfüllt hat, war also nur eine
entsetzliche Krankheit; und da kein Mensch ohne Glauben zu leben ver-
mag, so blieb dem vollendeten Atheisten allein übrig, an den Staat zu
glauben, den wahren Menschen, der freilich erst in der Form der Republik
seine Vollkommenheit erreichen sollte. Kein Wort in diesen ungeheuer-
lichen Trugschlüssen, das nicht der Lehre Hegel's schnurstracks zuwiderlief;
aber sie waren allesammt mit Hilfe der Hegel'schen Dialektik gefunden,
und sie wurden mit so warmer Begeisterung vorgetragen, daß sie das her-
anwachsende Geschlecht, zumal die jungen ehrgeizigen Naturforscher, leicht
bethören konnten.

Das weitaus bedeutendste, das einzige wahrhaft folgenreiche Werk
der Junghegelianer war das Leben Jesu von David Friedrich Strauß,
das in dem verhängnißvollen Jahre 1835 wie ein Blitzstrahl in die theo-
logische Welt hineinschmetterte. Die Theologie befand sich, obwohl nicht
arm an tüchtigen Männern, doch in einem Zustande der Unwahrheit,

Halliſche Jahrbücher. L. Feuerbach.
thum, jede dem Menſchen geſetzte objective Ordnung als aufgehobene Mo-
mente negiren würde.

Unter den philoſophiſchen Mitarbeitern der Jahrbücher that ſich durch
die Schönheit ſeiner Sprache Ludwig Feuerbach hervor, ein Sohn des
großen Juriſten, ein edler feuriger Schwärmer, der mit unerbittlicher Logik
aus den Sätzen des Meiſters, wie er ſie verſtand, die allerletzten Folge-
rungen zog und endlich, in dem Buche über das Weſen des Chriſtenthums
(1841), zur Vernichtung aller Religion gelangte. Die dialektiſche Methode
handhabte er mit blendender Geſchicklichkeit; von dem hiſtoriſchen Sinne
freilich, der das Hegel’ſche Syſtem durchgeiſtigte und manche ſeiner Irr-
thümer entſchuldigte, beſaß Feuerbach gar nichts. Er ſah im chriſt-
lichen Glauben lediglich das ſtarre Princip der Weltverneinung; die pro-
teiſche Kraft des Chriſtenthums, das ſich die Jahrhunderte hindurch un-
abläſſig fortgebildet und ſeit der Reformation auch die antiken Ideen der
Weltfreudigkeit in ſich aufgenommen hatte, blieb ihm unfaßbar. Darum
hielt er jede Philoſophie kurzab für unchriſtlich. Wirklicher Gotteserkennt-
niß hatte ſich die Kirche ſelbſt nie vermeſſen; das Evangelium verhieß ja
nur denen, die reinen Herzens ſind, daß ſie dereinſt Gott ſchauen ſollten.
Die denkenden Theologen aller Parteien wußten längſt, daß der Menſch
ſich der Idee Gottes nur zu nähern vermag, indem er das Höchſte was
er kennt, das Menſchliche, noch zu ſteigern verſucht, und mithin in jeder
Gotteslehre einige anthropomorphiſche Vorſtellungen enthalten ſein müſſen.
Dieſe allbekannten und eigentlich nie beſtrittenen Erfahrungen bewieſen
eben nur die Beſchränktheit des menſchlichen Denkvermögens. Feuerbach
aber ſchloß daraus kurzab, die Gottesidee ſei ein Wahnbegriff, alle Theo-
logie ſei Anthropologie und müſſe ſobald dies erkannt worden augenblick-
lich verſchwinden; die Idee offenbare ſich nicht in Gott, ſondern in der
Gattung der Menſchheit. Die ganze wundervolle Kirchengeſchichte, die ſo
viele Jahrhunderte mit Geiſt und Leben erfüllt hat, war alſo nur eine
entſetzliche Krankheit; und da kein Menſch ohne Glauben zu leben ver-
mag, ſo blieb dem vollendeten Atheiſten allein übrig, an den Staat zu
glauben, den wahren Menſchen, der freilich erſt in der Form der Republik
ſeine Vollkommenheit erreichen ſollte. Kein Wort in dieſen ungeheuer-
lichen Trugſchlüſſen, das nicht der Lehre Hegel’s ſchnurſtracks zuwiderlief;
aber ſie waren alleſammt mit Hilfe der Hegel’ſchen Dialektik gefunden,
und ſie wurden mit ſo warmer Begeiſterung vorgetragen, daß ſie das her-
anwachſende Geſchlecht, zumal die jungen ehrgeizigen Naturforſcher, leicht
bethören konnten.

Das weitaus bedeutendſte, das einzige wahrhaft folgenreiche Werk
der Junghegelianer war das Leben Jeſu von David Friedrich Strauß,
das in dem verhängnißvollen Jahre 1835 wie ein Blitzſtrahl in die theo-
logiſche Welt hineinſchmetterte. Die Theologie befand ſich, obwohl nicht
arm an tüchtigen Männern, doch in einem Zuſtande der Unwahrheit,

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[487/0501] Halliſche Jahrbücher. L. Feuerbach. thum, jede dem Menſchen geſetzte objective Ordnung als aufgehobene Mo- mente negiren würde. Unter den philoſophiſchen Mitarbeitern der Jahrbücher that ſich durch die Schönheit ſeiner Sprache Ludwig Feuerbach hervor, ein Sohn des großen Juriſten, ein edler feuriger Schwärmer, der mit unerbittlicher Logik aus den Sätzen des Meiſters, wie er ſie verſtand, die allerletzten Folge- rungen zog und endlich, in dem Buche über das Weſen des Chriſtenthums (1841), zur Vernichtung aller Religion gelangte. Die dialektiſche Methode handhabte er mit blendender Geſchicklichkeit; von dem hiſtoriſchen Sinne freilich, der das Hegel’ſche Syſtem durchgeiſtigte und manche ſeiner Irr- thümer entſchuldigte, beſaß Feuerbach gar nichts. Er ſah im chriſt- lichen Glauben lediglich das ſtarre Princip der Weltverneinung; die pro- teiſche Kraft des Chriſtenthums, das ſich die Jahrhunderte hindurch un- abläſſig fortgebildet und ſeit der Reformation auch die antiken Ideen der Weltfreudigkeit in ſich aufgenommen hatte, blieb ihm unfaßbar. Darum hielt er jede Philoſophie kurzab für unchriſtlich. Wirklicher Gotteserkennt- niß hatte ſich die Kirche ſelbſt nie vermeſſen; das Evangelium verhieß ja nur denen, die reinen Herzens ſind, daß ſie dereinſt Gott ſchauen ſollten. Die denkenden Theologen aller Parteien wußten längſt, daß der Menſch ſich der Idee Gottes nur zu nähern vermag, indem er das Höchſte was er kennt, das Menſchliche, noch zu ſteigern verſucht, und mithin in jeder Gotteslehre einige anthropomorphiſche Vorſtellungen enthalten ſein müſſen. Dieſe allbekannten und eigentlich nie beſtrittenen Erfahrungen bewieſen eben nur die Beſchränktheit des menſchlichen Denkvermögens. Feuerbach aber ſchloß daraus kurzab, die Gottesidee ſei ein Wahnbegriff, alle Theo- logie ſei Anthropologie und müſſe ſobald dies erkannt worden augenblick- lich verſchwinden; die Idee offenbare ſich nicht in Gott, ſondern in der Gattung der Menſchheit. Die ganze wundervolle Kirchengeſchichte, die ſo viele Jahrhunderte mit Geiſt und Leben erfüllt hat, war alſo nur eine entſetzliche Krankheit; und da kein Menſch ohne Glauben zu leben ver- mag, ſo blieb dem vollendeten Atheiſten allein übrig, an den Staat zu glauben, den wahren Menſchen, der freilich erſt in der Form der Republik ſeine Vollkommenheit erreichen ſollte. Kein Wort in dieſen ungeheuer- lichen Trugſchlüſſen, das nicht der Lehre Hegel’s ſchnurſtracks zuwiderlief; aber ſie waren alleſammt mit Hilfe der Hegel’ſchen Dialektik gefunden, und ſie wurden mit ſo warmer Begeiſterung vorgetragen, daß ſie das her- anwachſende Geſchlecht, zumal die jungen ehrgeizigen Naturforſcher, leicht bethören konnten. Das weitaus bedeutendſte, das einzige wahrhaft folgenreiche Werk der Junghegelianer war das Leben Jeſu von David Friedrich Strauß, das in dem verhängnißvollen Jahre 1835 wie ein Blitzſtrahl in die theo- logiſche Welt hineinſchmetterte. Die Theologie befand ſich, obwohl nicht arm an tüchtigen Männern, doch in einem Zuſtande der Unwahrheit,

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 487. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/501>, abgerufen am 29.03.2024.