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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 7. Das Junge Deutschland.
sellschaft; er war der Künstler der vornehmen Welt, malte die Prinzen und
die Hofleute ebenso vortrefflich wie ihre edlen Rosse, Alles ohne Schön-
färberei, treu und wahr, mit jener Freude am Wirklichen, welche Chodo-
wiecki zuerst unter den Berliner Malern erweckt hatte. In den großen
Paradebildern, die ihm der Hof auftrug, mußte er den denkbar ungünstig-
sten Stoff bewältigen, die schnurgeraden Fronten der Grenadiere mit ihren
häßlichen Fräcken und steifen Halsbinden, die hohen Federhüte der Generale
und die Stutzschwänze ihrer Pferde. Wie reich, bedeutsam, markig er-
schienen gleichwohl seine Gemälde; welche Fülle des Lebens lag in der Ge-
schichte dieses Staates, wenn man sie nur zu packen verstand. Niemand
wußte das besser als der junge Adolf Menzel, der noch wenig beachtet
einherging. Sein Genie sollte dereinst vollenden was die Berliner Realisten
Chodowiecki und Krüger begonnen hatten; auf die Sittenbilder und die
Paradebilder folgten die Heldenbilder der preußischen Geschichte. --

Auch in Rauch's Herzen glühte dieser preußische Stolz. In tiefster
Seele hatten ihn einst die Tage des Unheils und dann die wunderbare
Erhebung ergriffen. Immer war es ihm eine Lust wenn er die Bilder der
Männer, die bei jenen Kämpfen mitgewirkt, in Erz oder Marmor gestalten
durfte. Er nannte sein edles Handwerk die eigentlich historische Kunst und
wiederholte gern das Goethische Wort: "Das beste Monument des Men-
schen ist der Mensch." Selbst aus Schleiermacher's unschönem Kopfe fand
er das Lebendige, das Unsterbliche heraus. In die Züge des Königs, der
ihm auch als Mensch immer theuerer wurde, hatte er sich ganz eingelebt;
eine Büste folgte der anderen, wie er auch das Grabbild seiner Königin,
blos um sich selber genug zu thun, noch einmal ausführte. Für sein Preußen
war ihm keine Arbeit zu gering. Immer wieder formte er den Adler für
Festungsthore und Brückenpfeiler, bis das geliebte Wappenthier endlich die
rechte monumentale Gestalt erhielt; auch die schwarzen Husaren empfingen
von seiner Hand die verschönerten Todtenköpfe für ihre Kolpaks. Mit
Freuden übernahm er das Standbild Friedrich Wilhelm's I. für die Stadt
Gumbinnen; es that ihm wohl, daß er dort in der dankbaren Ostmark
den gestrengen Soldatenkönig in seiner menschlichen Güte, als "Litthauens
Wiederhersteller" darstellen durfte. Gleichwohl blieb er zu sehr ein Classiker
um sich ganz heimisch zu fühlen in dieser formlosen nordischen Welt. Seine
liebsten Erinnerungen hingen doch an Italien, an jenen glücklichen Jugend-
tagen, da die neue germanische Völkerwanderung in die ewige Stadt ein-
gezogen war um die entartete Kunst zu retten wie vordem die entartete
Kirche. Wie war ihm dort die Seele weit geworden, wenn er unter den
Statuen des Vaticans einherwandelte oder in Carrara die schneeweißen,
gleich Zuckerhüten in die blaue Luft ragenden Berggipfel bestaunte und
dann mit seinem Freunde Tieck durch die Schluchten kletterte um den edelsten
Marmor auszusuchen.

Darin liegt die selten verstandene hohe Schönheit der neuen deut-

IV. 7. Das Junge Deutſchland.
ſellſchaft; er war der Künſtler der vornehmen Welt, malte die Prinzen und
die Hofleute ebenſo vortrefflich wie ihre edlen Roſſe, Alles ohne Schön-
färberei, treu und wahr, mit jener Freude am Wirklichen, welche Chodo-
wiecki zuerſt unter den Berliner Malern erweckt hatte. In den großen
Paradebildern, die ihm der Hof auftrug, mußte er den denkbar ungünſtig-
ſten Stoff bewältigen, die ſchnurgeraden Fronten der Grenadiere mit ihren
häßlichen Fräcken und ſteifen Halsbinden, die hohen Federhüte der Generale
und die Stutzſchwänze ihrer Pferde. Wie reich, bedeutſam, markig er-
ſchienen gleichwohl ſeine Gemälde; welche Fülle des Lebens lag in der Ge-
ſchichte dieſes Staates, wenn man ſie nur zu packen verſtand. Niemand
wußte das beſſer als der junge Adolf Menzel, der noch wenig beachtet
einherging. Sein Genie ſollte dereinſt vollenden was die Berliner Realiſten
Chodowiecki und Krüger begonnen hatten; auf die Sittenbilder und die
Paradebilder folgten die Heldenbilder der preußiſchen Geſchichte. —

Auch in Rauch’s Herzen glühte dieſer preußiſche Stolz. In tiefſter
Seele hatten ihn einſt die Tage des Unheils und dann die wunderbare
Erhebung ergriffen. Immer war es ihm eine Luſt wenn er die Bilder der
Männer, die bei jenen Kämpfen mitgewirkt, in Erz oder Marmor geſtalten
durfte. Er nannte ſein edles Handwerk die eigentlich hiſtoriſche Kunſt und
wiederholte gern das Goethiſche Wort: „Das beſte Monument des Men-
ſchen iſt der Menſch.“ Selbſt aus Schleiermacher’s unſchönem Kopfe fand
er das Lebendige, das Unſterbliche heraus. In die Züge des Königs, der
ihm auch als Menſch immer theuerer wurde, hatte er ſich ganz eingelebt;
eine Büſte folgte der anderen, wie er auch das Grabbild ſeiner Königin,
blos um ſich ſelber genug zu thun, noch einmal ausführte. Für ſein Preußen
war ihm keine Arbeit zu gering. Immer wieder formte er den Adler für
Feſtungsthore und Brückenpfeiler, bis das geliebte Wappenthier endlich die
rechte monumentale Geſtalt erhielt; auch die ſchwarzen Huſaren empfingen
von ſeiner Hand die verſchönerten Todtenköpfe für ihre Kolpaks. Mit
Freuden übernahm er das Standbild Friedrich Wilhelm’s I. für die Stadt
Gumbinnen; es that ihm wohl, daß er dort in der dankbaren Oſtmark
den geſtrengen Soldatenkönig in ſeiner menſchlichen Güte, als „Litthauens
Wiederherſteller“ darſtellen durfte. Gleichwohl blieb er zu ſehr ein Claſſiker
um ſich ganz heimiſch zu fühlen in dieſer formloſen nordiſchen Welt. Seine
liebſten Erinnerungen hingen doch an Italien, an jenen glücklichen Jugend-
tagen, da die neue germaniſche Völkerwanderung in die ewige Stadt ein-
gezogen war um die entartete Kunſt zu retten wie vordem die entartete
Kirche. Wie war ihm dort die Seele weit geworden, wenn er unter den
Statuen des Vaticans einherwandelte oder in Carrara die ſchneeweißen,
gleich Zuckerhüten in die blaue Luft ragenden Berggipfel beſtaunte und
dann mit ſeinem Freunde Tieck durch die Schluchten kletterte um den edelſten
Marmor auszuſuchen.

Darin liegt die ſelten verſtandene hohe Schönheit der neuen deut-

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[460/0474] IV. 7. Das Junge Deutſchland. ſellſchaft; er war der Künſtler der vornehmen Welt, malte die Prinzen und die Hofleute ebenſo vortrefflich wie ihre edlen Roſſe, Alles ohne Schön- färberei, treu und wahr, mit jener Freude am Wirklichen, welche Chodo- wiecki zuerſt unter den Berliner Malern erweckt hatte. In den großen Paradebildern, die ihm der Hof auftrug, mußte er den denkbar ungünſtig- ſten Stoff bewältigen, die ſchnurgeraden Fronten der Grenadiere mit ihren häßlichen Fräcken und ſteifen Halsbinden, die hohen Federhüte der Generale und die Stutzſchwänze ihrer Pferde. Wie reich, bedeutſam, markig er- ſchienen gleichwohl ſeine Gemälde; welche Fülle des Lebens lag in der Ge- ſchichte dieſes Staates, wenn man ſie nur zu packen verſtand. Niemand wußte das beſſer als der junge Adolf Menzel, der noch wenig beachtet einherging. Sein Genie ſollte dereinſt vollenden was die Berliner Realiſten Chodowiecki und Krüger begonnen hatten; auf die Sittenbilder und die Paradebilder folgten die Heldenbilder der preußiſchen Geſchichte. — Auch in Rauch’s Herzen glühte dieſer preußiſche Stolz. In tiefſter Seele hatten ihn einſt die Tage des Unheils und dann die wunderbare Erhebung ergriffen. Immer war es ihm eine Luſt wenn er die Bilder der Männer, die bei jenen Kämpfen mitgewirkt, in Erz oder Marmor geſtalten durfte. Er nannte ſein edles Handwerk die eigentlich hiſtoriſche Kunſt und wiederholte gern das Goethiſche Wort: „Das beſte Monument des Men- ſchen iſt der Menſch.“ Selbſt aus Schleiermacher’s unſchönem Kopfe fand er das Lebendige, das Unſterbliche heraus. In die Züge des Königs, der ihm auch als Menſch immer theuerer wurde, hatte er ſich ganz eingelebt; eine Büſte folgte der anderen, wie er auch das Grabbild ſeiner Königin, blos um ſich ſelber genug zu thun, noch einmal ausführte. Für ſein Preußen war ihm keine Arbeit zu gering. Immer wieder formte er den Adler für Feſtungsthore und Brückenpfeiler, bis das geliebte Wappenthier endlich die rechte monumentale Geſtalt erhielt; auch die ſchwarzen Huſaren empfingen von ſeiner Hand die verſchönerten Todtenköpfe für ihre Kolpaks. Mit Freuden übernahm er das Standbild Friedrich Wilhelm’s I. für die Stadt Gumbinnen; es that ihm wohl, daß er dort in der dankbaren Oſtmark den geſtrengen Soldatenkönig in ſeiner menſchlichen Güte, als „Litthauens Wiederherſteller“ darſtellen durfte. Gleichwohl blieb er zu ſehr ein Claſſiker um ſich ganz heimiſch zu fühlen in dieſer formloſen nordiſchen Welt. Seine liebſten Erinnerungen hingen doch an Italien, an jenen glücklichen Jugend- tagen, da die neue germaniſche Völkerwanderung in die ewige Stadt ein- gezogen war um die entartete Kunſt zu retten wie vordem die entartete Kirche. Wie war ihm dort die Seele weit geworden, wenn er unter den Statuen des Vaticans einherwandelte oder in Carrara die ſchneeweißen, gleich Zuckerhüten in die blaue Luft ragenden Berggipfel beſtaunte und dann mit ſeinem Freunde Tieck durch die Schluchten kletterte um den edelſten Marmor auszuſuchen. Darin liegt die ſelten verſtandene hohe Schönheit der neuen deut-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 460. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/474>, abgerufen am 29.03.2024.