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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 7. Das Junge Deutschland.
wagte Gutzkow's jugendlicher Vorwitz eine Leichenschändung. Um die sal-
bungsvollen Klagen der Theologen zu verhöhnen, ließ er plötzlich, gänz-
lich unbefugt, die längst vergessene schwächste Schrift des Todten wieder
erscheinen, die einzige die ihres Verfassers nicht würdig war, die ver-
trauten Briefe über Friedrich Schlegel's Lucinde aus dem Jahre 1800.*)
Schleiermacher hatte sie einst niedergeschrieben weil er seinem bedräng-
ten Freunde Schlegel gegen die Angriffe der platten Moralisten zu Hilfe
kommen wollte; und schon während des Schreibens war ihm nicht wohl
zu Muthe gewesen. Diese Mystik der Liebe, die wohl manches holde
Geheimniß enträthselte, aber auch manches unzart entweihte, stammte
nicht aus der Naturgewalt einer starken Leidenschaft, sondern aus der
halb unbewußten Sophisterei einer überbildeten, fremdem Gefühle nach-
gehenden Empfindung. Als Schleiermacher späterhin der Romantik ent-
wuchs, lernte er bald einsehen, wie unmöglich es ist, die sittlichen Ge-
setze der Gesellschaft allein aus der Idee der Persönlichkeit heraus zu
gestalten. Doch gerade diese subjective Willkür des jugendlichen Roman-
tikers behagte den Jungdeutschen, wie sie ja fast überall nur alte Irrthümer
in neuer Gestalt vorzubringen wußten. Seine warme Vertheidigung der
Sinnlichkeit bot ihren lüsternen Mäulern süße Schnabelweide, und Gutzkow
vergröberte sie zu jener "geistlosen und unwürdigen Libertinage", welche
der junge Schleiermacher selbst ausdrücklich abgewiesen hatte. Er miß-
brauchte den reinen Namen des Theologen um in einer langen Einleitung
kurzab die Unzucht und die Gottlosigkeit zu predigen: "Nicht wahr, Ro-
salie? Erst seitdem Du Sporen trägst an Deinen seidenen Stiefelchen,
weißt Du was es heißt: ich liebe Dich ... Komm her, Franz! Wer ist
Gott? Du weißt es nicht? Unschuldiger Atheist, philosophisches Kind!
Ach hätte die Welt nie von Gott gewußt, sie würde glücklicher sein!" Und
mit diesem läppischen Gerede wähnte er wirklich eine befreiende That
zu vollziehen. "Meine Zähne umschließen die deutschesten Laute, rief er
feierlich, ich glaube an die Reformation der Liebe wie an jede sociale Frage
des Jahrhunderts," und mit Jubel hießen die Genossen diesen sonderbaren
Reformator, der an alle Fragen glaubte, willkommen. Wienbarg schrieb
entzückt: "Das schönste und geistreichste Kind von Schleiermacher war bisher
verstoßen und verleumdet, weil es ein Kind der Liebe war und nicht ein-
mal seines Vaters Namen trug."

Gelesen wurden die Schriften des Jungen Deutschlands wenig, um
so mehr besprochen; und dies war schon ein Erfolg, da die moderne Ge-
sellschaft sich verpflichtet glaubt über Alles was sie kennt oder nicht kennt
mitzureden, also den gemachten Ruhm leichtgläubig hinnimmt. Mit den
Ideen der neuen Pariser Literatur drangen auch ihre betriebsamen Ge-
schäftsgewohnheiten, alle schlechten Künste gegenseitiger Lobpreisung über

*) S. o. I. 206.

IV. 7. Das Junge Deutſchland.
wagte Gutzkow’s jugendlicher Vorwitz eine Leichenſchändung. Um die ſal-
bungsvollen Klagen der Theologen zu verhöhnen, ließ er plötzlich, gänz-
lich unbefugt, die längſt vergeſſene ſchwächſte Schrift des Todten wieder
erſcheinen, die einzige die ihres Verfaſſers nicht würdig war, die ver-
trauten Briefe über Friedrich Schlegel’s Lucinde aus dem Jahre 1800.*)
Schleiermacher hatte ſie einſt niedergeſchrieben weil er ſeinem bedräng-
ten Freunde Schlegel gegen die Angriffe der platten Moraliſten zu Hilfe
kommen wollte; und ſchon während des Schreibens war ihm nicht wohl
zu Muthe geweſen. Dieſe Myſtik der Liebe, die wohl manches holde
Geheimniß enträthſelte, aber auch manches unzart entweihte, ſtammte
nicht aus der Naturgewalt einer ſtarken Leidenſchaft, ſondern aus der
halb unbewußten Sophiſterei einer überbildeten, fremdem Gefühle nach-
gehenden Empfindung. Als Schleiermacher ſpäterhin der Romantik ent-
wuchs, lernte er bald einſehen, wie unmöglich es iſt, die ſittlichen Ge-
ſetze der Geſellſchaft allein aus der Idee der Perſönlichkeit heraus zu
geſtalten. Doch gerade dieſe ſubjective Willkür des jugendlichen Roman-
tikers behagte den Jungdeutſchen, wie ſie ja faſt überall nur alte Irrthümer
in neuer Geſtalt vorzubringen wußten. Seine warme Vertheidigung der
Sinnlichkeit bot ihren lüſternen Mäulern ſüße Schnabelweide, und Gutzkow
vergröberte ſie zu jener „geiſtloſen und unwürdigen Libertinage“, welche
der junge Schleiermacher ſelbſt ausdrücklich abgewieſen hatte. Er miß-
brauchte den reinen Namen des Theologen um in einer langen Einleitung
kurzab die Unzucht und die Gottloſigkeit zu predigen: „Nicht wahr, Ro-
ſalie? Erſt ſeitdem Du Sporen trägſt an Deinen ſeidenen Stiefelchen,
weißt Du was es heißt: ich liebe Dich … Komm her, Franz! Wer iſt
Gott? Du weißt es nicht? Unſchuldiger Atheiſt, philoſophiſches Kind!
Ach hätte die Welt nie von Gott gewußt, ſie würde glücklicher ſein!“ Und
mit dieſem läppiſchen Gerede wähnte er wirklich eine befreiende That
zu vollziehen. „Meine Zähne umſchließen die deutſcheſten Laute, rief er
feierlich, ich glaube an die Reformation der Liebe wie an jede ſociale Frage
des Jahrhunderts,“ und mit Jubel hießen die Genoſſen dieſen ſonderbaren
Reformator, der an alle Fragen glaubte, willkommen. Wienbarg ſchrieb
entzückt: „Das ſchönſte und geiſtreichſte Kind von Schleiermacher war bisher
verſtoßen und verleumdet, weil es ein Kind der Liebe war und nicht ein-
mal ſeines Vaters Namen trug.“

Geleſen wurden die Schriften des Jungen Deutſchlands wenig, um
ſo mehr beſprochen; und dies war ſchon ein Erfolg, da die moderne Ge-
ſellſchaft ſich verpflichtet glaubt über Alles was ſie kennt oder nicht kennt
mitzureden, alſo den gemachten Ruhm leichtgläubig hinnimmt. Mit den
Ideen der neuen Pariſer Literatur drangen auch ihre betriebſamen Ge-
ſchäftsgewohnheiten, alle ſchlechten Künſte gegenſeitiger Lobpreiſung über

*) S. o. I. 206.
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[432/0446] IV. 7. Das Junge Deutſchland. wagte Gutzkow’s jugendlicher Vorwitz eine Leichenſchändung. Um die ſal- bungsvollen Klagen der Theologen zu verhöhnen, ließ er plötzlich, gänz- lich unbefugt, die längſt vergeſſene ſchwächſte Schrift des Todten wieder erſcheinen, die einzige die ihres Verfaſſers nicht würdig war, die ver- trauten Briefe über Friedrich Schlegel’s Lucinde aus dem Jahre 1800. *) Schleiermacher hatte ſie einſt niedergeſchrieben weil er ſeinem bedräng- ten Freunde Schlegel gegen die Angriffe der platten Moraliſten zu Hilfe kommen wollte; und ſchon während des Schreibens war ihm nicht wohl zu Muthe geweſen. Dieſe Myſtik der Liebe, die wohl manches holde Geheimniß enträthſelte, aber auch manches unzart entweihte, ſtammte nicht aus der Naturgewalt einer ſtarken Leidenſchaft, ſondern aus der halb unbewußten Sophiſterei einer überbildeten, fremdem Gefühle nach- gehenden Empfindung. Als Schleiermacher ſpäterhin der Romantik ent- wuchs, lernte er bald einſehen, wie unmöglich es iſt, die ſittlichen Ge- ſetze der Geſellſchaft allein aus der Idee der Perſönlichkeit heraus zu geſtalten. Doch gerade dieſe ſubjective Willkür des jugendlichen Roman- tikers behagte den Jungdeutſchen, wie ſie ja faſt überall nur alte Irrthümer in neuer Geſtalt vorzubringen wußten. Seine warme Vertheidigung der Sinnlichkeit bot ihren lüſternen Mäulern ſüße Schnabelweide, und Gutzkow vergröberte ſie zu jener „geiſtloſen und unwürdigen Libertinage“, welche der junge Schleiermacher ſelbſt ausdrücklich abgewieſen hatte. Er miß- brauchte den reinen Namen des Theologen um in einer langen Einleitung kurzab die Unzucht und die Gottloſigkeit zu predigen: „Nicht wahr, Ro- ſalie? Erſt ſeitdem Du Sporen trägſt an Deinen ſeidenen Stiefelchen, weißt Du was es heißt: ich liebe Dich … Komm her, Franz! Wer iſt Gott? Du weißt es nicht? Unſchuldiger Atheiſt, philoſophiſches Kind! Ach hätte die Welt nie von Gott gewußt, ſie würde glücklicher ſein!“ Und mit dieſem läppiſchen Gerede wähnte er wirklich eine befreiende That zu vollziehen. „Meine Zähne umſchließen die deutſcheſten Laute, rief er feierlich, ich glaube an die Reformation der Liebe wie an jede ſociale Frage des Jahrhunderts,“ und mit Jubel hießen die Genoſſen dieſen ſonderbaren Reformator, der an alle Fragen glaubte, willkommen. Wienbarg ſchrieb entzückt: „Das ſchönſte und geiſtreichſte Kind von Schleiermacher war bisher verſtoßen und verleumdet, weil es ein Kind der Liebe war und nicht ein- mal ſeines Vaters Namen trug.“ Geleſen wurden die Schriften des Jungen Deutſchlands wenig, um ſo mehr beſprochen; und dies war ſchon ein Erfolg, da die moderne Ge- ſellſchaft ſich verpflichtet glaubt über Alles was ſie kennt oder nicht kennt mitzureden, alſo den gemachten Ruhm leichtgläubig hinnimmt. Mit den Ideen der neuen Pariſer Literatur drangen auch ihre betriebſamen Ge- ſchäftsgewohnheiten, alle ſchlechten Künſte gegenſeitiger Lobpreiſung über *) S. o. I. 206.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/446>, abgerufen am 28.03.2024.