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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
auf die aufgeklärtesten Grundsätze der Staatskunst begründeten" Bundes
der Westmächte, und die alleinseligmachende Kraft "jener constitutional
rights,
die ein Segen sind für die Völker und ein Aergerniß für ihre
Nachbarn: wenn nur erst die Formen da sind, findet sich allmählich
der Geist hinein!" Die hohlsten Schlagworte des festländischen Libera-
lismus waren ihm willkommen, wenn sie ihm zur Verleumdung der
absoluten Kronen dienen konnten. Er war einst im Ministerrathe selber
bei den diplomatischen Verhandlungen des Jahres 1813 thätig gewesen und
schämte sich doch nicht dem Parlamente das Zeitungsmärchen zu wiederholen:
damals seien die Völker, "aufgeweckt durch den Zauberklang constitutio-
neller Rechte," freiwillig unter die Waffen getreten und dann von ihren
Despoten betrogen worden. Palmerston hatte sich das Loos der Schau-
spieler Samuel Johnson's erwählt: er lebte, um zu gefallen und mußte
gefallen, um zu leben; und schwer war es nicht, die tiefe Unkenntniß
festländischer Dinge, welche die Briten jederzeit auszeichnete, nach Be-
lieben zu mißbrauchen. Das Unterhaus lauschte entzückt, wenn der
liebenswürdige Schalk ihm erzählte, wie weit Preußen und das geknechtete
Osteuropa hinter den freien Spaniern und Portugiesen zurückständen;
denn "die große spanische Nation versucht, wenn auch nur von fern
(though at a distance), dem stolzen Beispiel dieses Landes nachzu-
eifern!"

So trat denn dem legitimistischen Doctrinarismus der Hofburg
eine demagogische Tendenzpolitik entgegen, die ebenso gemeinschädlich und
noch um Vieles unredlicher war; denn Metternich fürchtete sich wirklich
vor der Revolution, während Palmerston mit seinen constitutionellen Kraft-
worten nur arglistig spielte. Die ersten Erfolge dieser seltsamen Staats-
kunst waren glänzend. Es gelang ihr in der That, den Continent der-
maßen in Unruhe zu halten, daß England unterdessen sein Weltreich
ungestört ausbauen konnte. Es gelang ihr auch, die Parteien des Fest-
landes durch das beharrlich wiederholte dünkelhafte Selbstlob der libe-
ralen Westmächte völlig zu bethören; Europa zerfiel, zu seinem Unheil
aber zu Englands Vortheil, zehn Jahre hindurch in die zwei Heerlager
der constitutionellen und der absoluten Kronen, die Liberalen begrüßten
ihren old Pam und das wiedergeborene Frankreich als die Schirmherren
der Freiheit, während die Staatsmänner der Ostmächte das diplomatische
Allerweltsschwefelholz, den Lord Feuerbrand, verwünschten.

Den Staaten wie den Männern wird die Mitwelt selten gerecht;
immer sind einzelne Staaten besser, andere schlechter als ihr Ruf. Zu
jenen zählen die jungen Mächte, welche die öffentliche Meinung Europas
noch nicht beherrschen und das Recht ihres Daseins erst zu erweisen
haben; zu diesen die alten Mächte, vornehmlich England, das bei der
Enthüllung seiner diplomatischen Geschichte nur verlieren kann und darum
auch die Schätze seiner Archive ängstlicher als irgend ein anderer Staat

IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
auf die aufgeklärteſten Grundſätze der Staatskunſt begründeten“ Bundes
der Weſtmächte, und die alleinſeligmachende Kraft „jener constitutional
rights,
die ein Segen ſind für die Völker und ein Aergerniß für ihre
Nachbarn: wenn nur erſt die Formen da ſind, findet ſich allmählich
der Geiſt hinein!“ Die hohlſten Schlagworte des feſtländiſchen Libera-
lismus waren ihm willkommen, wenn ſie ihm zur Verleumdung der
abſoluten Kronen dienen konnten. Er war einſt im Miniſterrathe ſelber
bei den diplomatiſchen Verhandlungen des Jahres 1813 thätig geweſen und
ſchämte ſich doch nicht dem Parlamente das Zeitungsmärchen zu wiederholen:
damals ſeien die Völker, „aufgeweckt durch den Zauberklang conſtitutio-
neller Rechte,“ freiwillig unter die Waffen getreten und dann von ihren
Despoten betrogen worden. Palmerſton hatte ſich das Loos der Schau-
ſpieler Samuel Johnſon’s erwählt: er lebte, um zu gefallen und mußte
gefallen, um zu leben; und ſchwer war es nicht, die tiefe Unkenntniß
feſtländiſcher Dinge, welche die Briten jederzeit auszeichnete, nach Be-
lieben zu mißbrauchen. Das Unterhaus lauſchte entzückt, wenn der
liebenswürdige Schalk ihm erzählte, wie weit Preußen und das geknechtete
Oſteuropa hinter den freien Spaniern und Portugieſen zurückſtänden;
denn „die große ſpaniſche Nation verſucht, wenn auch nur von fern
(though at a distance), dem ſtolzen Beiſpiel dieſes Landes nachzu-
eifern!“

So trat denn dem legitimiſtiſchen Doctrinarismus der Hofburg
eine demagogiſche Tendenzpolitik entgegen, die ebenſo gemeinſchädlich und
noch um Vieles unredlicher war; denn Metternich fürchtete ſich wirklich
vor der Revolution, während Palmerſton mit ſeinen conſtitutionellen Kraft-
worten nur argliſtig ſpielte. Die erſten Erfolge dieſer ſeltſamen Staats-
kunſt waren glänzend. Es gelang ihr in der That, den Continent der-
maßen in Unruhe zu halten, daß England unterdeſſen ſein Weltreich
ungeſtört ausbauen konnte. Es gelang ihr auch, die Parteien des Feſt-
landes durch das beharrlich wiederholte dünkelhafte Selbſtlob der libe-
ralen Weſtmächte völlig zu bethören; Europa zerfiel, zu ſeinem Unheil
aber zu Englands Vortheil, zehn Jahre hindurch in die zwei Heerlager
der conſtitutionellen und der abſoluten Kronen, die Liberalen begrüßten
ihren old Pam und das wiedergeborene Frankreich als die Schirmherren
der Freiheit, während die Staatsmänner der Oſtmächte das diplomatiſche
Allerweltsſchwefelholz, den Lord Feuerbrand, verwünſchten.

Den Staaten wie den Männern wird die Mitwelt ſelten gerecht;
immer ſind einzelne Staaten beſſer, andere ſchlechter als ihr Ruf. Zu
jenen zählen die jungen Mächte, welche die öffentliche Meinung Europas
noch nicht beherrſchen und das Recht ihres Daſeins erſt zu erweiſen
haben; zu dieſen die alten Mächte, vornehmlich England, das bei der
Enthüllung ſeiner diplomatiſchen Geſchichte nur verlieren kann und darum
auch die Schätze ſeiner Archive ängſtlicher als irgend ein anderer Staat

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[30/0044] IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede. auf die aufgeklärteſten Grundſätze der Staatskunſt begründeten“ Bundes der Weſtmächte, und die alleinſeligmachende Kraft „jener constitutional rights, die ein Segen ſind für die Völker und ein Aergerniß für ihre Nachbarn: wenn nur erſt die Formen da ſind, findet ſich allmählich der Geiſt hinein!“ Die hohlſten Schlagworte des feſtländiſchen Libera- lismus waren ihm willkommen, wenn ſie ihm zur Verleumdung der abſoluten Kronen dienen konnten. Er war einſt im Miniſterrathe ſelber bei den diplomatiſchen Verhandlungen des Jahres 1813 thätig geweſen und ſchämte ſich doch nicht dem Parlamente das Zeitungsmärchen zu wiederholen: damals ſeien die Völker, „aufgeweckt durch den Zauberklang conſtitutio- neller Rechte,“ freiwillig unter die Waffen getreten und dann von ihren Despoten betrogen worden. Palmerſton hatte ſich das Loos der Schau- ſpieler Samuel Johnſon’s erwählt: er lebte, um zu gefallen und mußte gefallen, um zu leben; und ſchwer war es nicht, die tiefe Unkenntniß feſtländiſcher Dinge, welche die Briten jederzeit auszeichnete, nach Be- lieben zu mißbrauchen. Das Unterhaus lauſchte entzückt, wenn der liebenswürdige Schalk ihm erzählte, wie weit Preußen und das geknechtete Oſteuropa hinter den freien Spaniern und Portugieſen zurückſtänden; denn „die große ſpaniſche Nation verſucht, wenn auch nur von fern (though at a distance), dem ſtolzen Beiſpiel dieſes Landes nachzu- eifern!“ So trat denn dem legitimiſtiſchen Doctrinarismus der Hofburg eine demagogiſche Tendenzpolitik entgegen, die ebenſo gemeinſchädlich und noch um Vieles unredlicher war; denn Metternich fürchtete ſich wirklich vor der Revolution, während Palmerſton mit ſeinen conſtitutionellen Kraft- worten nur argliſtig ſpielte. Die erſten Erfolge dieſer ſeltſamen Staats- kunſt waren glänzend. Es gelang ihr in der That, den Continent der- maßen in Unruhe zu halten, daß England unterdeſſen ſein Weltreich ungeſtört ausbauen konnte. Es gelang ihr auch, die Parteien des Feſt- landes durch das beharrlich wiederholte dünkelhafte Selbſtlob der libe- ralen Weſtmächte völlig zu bethören; Europa zerfiel, zu ſeinem Unheil aber zu Englands Vortheil, zehn Jahre hindurch in die zwei Heerlager der conſtitutionellen und der abſoluten Kronen, die Liberalen begrüßten ihren old Pam und das wiedergeborene Frankreich als die Schirmherren der Freiheit, während die Staatsmänner der Oſtmächte das diplomatiſche Allerweltsſchwefelholz, den Lord Feuerbrand, verwünſchten. Den Staaten wie den Männern wird die Mitwelt ſelten gerecht; immer ſind einzelne Staaten beſſer, andere ſchlechter als ihr Ruf. Zu jenen zählen die jungen Mächte, welche die öffentliche Meinung Europas noch nicht beherrſchen und das Recht ihres Daſeins erſt zu erweiſen haben; zu dieſen die alten Mächte, vornehmlich England, das bei der Enthüllung ſeiner diplomatiſchen Geſchichte nur verlieren kann und darum auch die Schätze ſeiner Archive ängſtlicher als irgend ein anderer Staat

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/44>, abgerufen am 29.03.2024.