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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 7. Das Junge Deutschland.
Gedanken auf, wie selige Dämonen, die sich auf den Gipfeln der Ver-
gangenheit glänzend niederlassen." Dabei blieb ihm bis zum Ende "das
ewige Geltenlassen, das Leben und Lebenlassen", das einst Merck an dem
jungen Freunde so gar nicht begreifen wollte; neidlos, wie kaum je ein
Künstler hieß er jede Schöpfung der Mitstrebenden willkommen, wenn sie
nur seinem eigenen Wesen nicht ganz fremd oder widrig schien. In sol-
cher Stimmung fand ihn Christian Rauch und formte dann die Statuette
des alten Goethe, genau so wie er in seinem Arbeitszimmer diktirend auf
und nieder zu gehen pflegte, den Kopf frei aufgerichtet, die Hände über
dem Rücken verschränkt, die einzige Unschönheit der herrlichen Gestalt, die
etwas kurzen Beine durch den lang niederwallenden Hausrock glücklich ver-
deckt -- ein Bild ruhiger Majestät und Güte, erhabener in seiner Schlicht-
heit, als die theatralische Büste David's von Angers, der sich nach Fran-
zosenart den deutschen Dichterfürsten wie einen donnernden Zeus dachte.

Noch war Vieles in dem Treiben der Gegenwart, was den Dichter
abstoßen mußte. Er sah die mit der Juli-Revolution beginnende Zersetzung
der alten Gesellschaft nur zu deutlich voraus, ohne die Lichtseiten der Be-
wegung zu würdigen, und wendete sich verächtlich hinweg von dem Ge-
sinnungsterrorismus der Freiheitshelden des Tages:

Kommt, laßt uns Alles drucken,
Und walten für und für.
Nur sollte Keiner mucken,
Der nicht so denkt wie wir.

Während Jedermann politisirte und das eigene Haus über den Welt-
händeln vergaß, hielt er nur um so fester an seinem alten Glauben, daß
die sittliche Ordnung der Welt zumeist auf der treuen Erfüllung der näch-
sten Pflichten beruhe, und schrieb noch kurz vor seinem Tode -- es waren
wohl seine letzten Verse -- einem jungen Freunde ins Stammbuch: Ein
Jeder kehre vor seiner Thür, und rein ist jedes Stadtquartier! Auch die
tiefe Einsamkeit, die jedem Meister beschieden ist, ward ihm zuweilen
schmerzhaft; er fühlte, daß ihm der Lohn des Dichters, "der zart ant-
wortende Nachklang und der reine Reflex aus der begegnenden Brust"
doch nur selten zu Theil ward. Sehr bitter empfand er die grenzenlose
Dreistigkeit "der Neuesten", des jungen Volkes, das sich einbildete, sein
Tauftag sollte der Schöpfungstag sein; noch bitterer, daß sich in dem
Uebermuthe der jungen Schriftsteller so wenig jugendliche Frische, in den
grellen, häßlichen Gebilden ihrer "Lazarethpoesie" so wenig männliche
Kraft, in ihrem gesucht geistreichen Wesen nur das verfrühte Alter eines
der Naivität und der Ehrfurcht entwachsenen Geschlechtes kundgab. Er
beugte sich in Andacht vor "dem Ewig-Einen, das sich vielfach offenbart",
und konnte nur mit Achselzucken den hohlen Dünkel der neuen Gottes-
leugner betrachten: "der Professor ist eine Person, Gott ist keine!"

Dennoch stand Goethe in seinen letzten Jahren der Welt, die ihn

IV. 7. Das Junge Deutſchland.
Gedanken auf, wie ſelige Dämonen, die ſich auf den Gipfeln der Ver-
gangenheit glänzend niederlaſſen.“ Dabei blieb ihm bis zum Ende „das
ewige Geltenlaſſen, das Leben und Lebenlaſſen“, das einſt Merck an dem
jungen Freunde ſo gar nicht begreifen wollte; neidlos, wie kaum je ein
Künſtler hieß er jede Schöpfung der Mitſtrebenden willkommen, wenn ſie
nur ſeinem eigenen Weſen nicht ganz fremd oder widrig ſchien. In ſol-
cher Stimmung fand ihn Chriſtian Rauch und formte dann die Statuette
des alten Goethe, genau ſo wie er in ſeinem Arbeitszimmer diktirend auf
und nieder zu gehen pflegte, den Kopf frei aufgerichtet, die Hände über
dem Rücken verſchränkt, die einzige Unſchönheit der herrlichen Geſtalt, die
etwas kurzen Beine durch den lang niederwallenden Hausrock glücklich ver-
deckt — ein Bild ruhiger Majeſtät und Güte, erhabener in ſeiner Schlicht-
heit, als die theatraliſche Büſte David’s von Angers, der ſich nach Fran-
zoſenart den deutſchen Dichterfürſten wie einen donnernden Zeus dachte.

Noch war Vieles in dem Treiben der Gegenwart, was den Dichter
abſtoßen mußte. Er ſah die mit der Juli-Revolution beginnende Zerſetzung
der alten Geſellſchaft nur zu deutlich voraus, ohne die Lichtſeiten der Be-
wegung zu würdigen, und wendete ſich verächtlich hinweg von dem Ge-
ſinnungsterrorismus der Freiheitshelden des Tages:

Kommt, laßt uns Alles drucken,
Und walten für und für.
Nur ſollte Keiner mucken,
Der nicht ſo denkt wie wir.

Während Jedermann politiſirte und das eigene Haus über den Welt-
händeln vergaß, hielt er nur um ſo feſter an ſeinem alten Glauben, daß
die ſittliche Ordnung der Welt zumeiſt auf der treuen Erfüllung der näch-
ſten Pflichten beruhe, und ſchrieb noch kurz vor ſeinem Tode — es waren
wohl ſeine letzten Verſe — einem jungen Freunde ins Stammbuch: Ein
Jeder kehre vor ſeiner Thür, und rein iſt jedes Stadtquartier! Auch die
tiefe Einſamkeit, die jedem Meiſter beſchieden iſt, ward ihm zuweilen
ſchmerzhaft; er fühlte, daß ihm der Lohn des Dichters, „der zart ant-
wortende Nachklang und der reine Reflex aus der begegnenden Bruſt“
doch nur ſelten zu Theil ward. Sehr bitter empfand er die grenzenloſe
Dreiſtigkeit „der Neueſten“, des jungen Volkes, das ſich einbildete, ſein
Tauftag ſollte der Schöpfungstag ſein; noch bitterer, daß ſich in dem
Uebermuthe der jungen Schriftſteller ſo wenig jugendliche Friſche, in den
grellen, häßlichen Gebilden ihrer „Lazarethpoeſie“ ſo wenig männliche
Kraft, in ihrem geſucht geiſtreichen Weſen nur das verfrühte Alter eines
der Naivität und der Ehrfurcht entwachſenen Geſchlechtes kundgab. Er
beugte ſich in Andacht vor „dem Ewig-Einen, das ſich vielfach offenbart“,
und konnte nur mit Achſelzucken den hohlen Dünkel der neuen Gottes-
leugner betrachten: „der Profeſſor iſt eine Perſon, Gott iſt keine!“

Dennoch ſtand Goethe in ſeinen letzten Jahren der Welt, die ihn

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[410/0424] IV. 7. Das Junge Deutſchland. Gedanken auf, wie ſelige Dämonen, die ſich auf den Gipfeln der Ver- gangenheit glänzend niederlaſſen.“ Dabei blieb ihm bis zum Ende „das ewige Geltenlaſſen, das Leben und Lebenlaſſen“, das einſt Merck an dem jungen Freunde ſo gar nicht begreifen wollte; neidlos, wie kaum je ein Künſtler hieß er jede Schöpfung der Mitſtrebenden willkommen, wenn ſie nur ſeinem eigenen Weſen nicht ganz fremd oder widrig ſchien. In ſol- cher Stimmung fand ihn Chriſtian Rauch und formte dann die Statuette des alten Goethe, genau ſo wie er in ſeinem Arbeitszimmer diktirend auf und nieder zu gehen pflegte, den Kopf frei aufgerichtet, die Hände über dem Rücken verſchränkt, die einzige Unſchönheit der herrlichen Geſtalt, die etwas kurzen Beine durch den lang niederwallenden Hausrock glücklich ver- deckt — ein Bild ruhiger Majeſtät und Güte, erhabener in ſeiner Schlicht- heit, als die theatraliſche Büſte David’s von Angers, der ſich nach Fran- zoſenart den deutſchen Dichterfürſten wie einen donnernden Zeus dachte. Noch war Vieles in dem Treiben der Gegenwart, was den Dichter abſtoßen mußte. Er ſah die mit der Juli-Revolution beginnende Zerſetzung der alten Geſellſchaft nur zu deutlich voraus, ohne die Lichtſeiten der Be- wegung zu würdigen, und wendete ſich verächtlich hinweg von dem Ge- ſinnungsterrorismus der Freiheitshelden des Tages: Kommt, laßt uns Alles drucken, Und walten für und für. Nur ſollte Keiner mucken, Der nicht ſo denkt wie wir. Während Jedermann politiſirte und das eigene Haus über den Welt- händeln vergaß, hielt er nur um ſo feſter an ſeinem alten Glauben, daß die ſittliche Ordnung der Welt zumeiſt auf der treuen Erfüllung der näch- ſten Pflichten beruhe, und ſchrieb noch kurz vor ſeinem Tode — es waren wohl ſeine letzten Verſe — einem jungen Freunde ins Stammbuch: Ein Jeder kehre vor ſeiner Thür, und rein iſt jedes Stadtquartier! Auch die tiefe Einſamkeit, die jedem Meiſter beſchieden iſt, ward ihm zuweilen ſchmerzhaft; er fühlte, daß ihm der Lohn des Dichters, „der zart ant- wortende Nachklang und der reine Reflex aus der begegnenden Bruſt“ doch nur ſelten zu Theil ward. Sehr bitter empfand er die grenzenloſe Dreiſtigkeit „der Neueſten“, des jungen Volkes, das ſich einbildete, ſein Tauftag ſollte der Schöpfungstag ſein; noch bitterer, daß ſich in dem Uebermuthe der jungen Schriftſteller ſo wenig jugendliche Friſche, in den grellen, häßlichen Gebilden ihrer „Lazarethpoeſie“ ſo wenig männliche Kraft, in ihrem geſucht geiſtreichen Weſen nur das verfrühte Alter eines der Naivität und der Ehrfurcht entwachſenen Geſchlechtes kundgab. Er beugte ſich in Andacht vor „dem Ewig-Einen, das ſich vielfach offenbart“, und konnte nur mit Achſelzucken den hohlen Dünkel der neuen Gottes- leugner betrachten: „der Profeſſor iſt eine Perſon, Gott iſt keine!“ Dennoch ſtand Goethe in ſeinen letzten Jahren der Welt, die ihn

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/424>, abgerufen am 19.04.2024.