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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Der hannöversche Steuerverein.
einander durch ein Zoll-Cartell und gegenseitige Ueberweisung von En-
claven. Der Steuerverein verband wie der große Zollverein seine Mit-
glieder zu vollständiger Zollgemeinschaft und vertheilte wie dieser die Ein-
künfte nach der Kopfzahl. Sehr niedrige Finanzzölle sollten den Engländern
und den Hanseaten die Einfuhr erleichtern, dem wohlhabenden Landvolk
wohlfeilen Kaffee und Rothwein verschaffen. Darum ward der Steuer-
verein von dem hannöverschen Landtage ebenso lebhaft gepriesen, wie der
große Zollverein von den süddeutschen Liberalen bekämpft wurde. Diese
deutschen Großbritannier betrachteten es als ein Zeichen überlegener Ge-
sittung, daß bei ihnen der Centner Seidenwaren fast um 98, der Wein
um 5, der Zucker um 7 Thaler niedriger verzollt wurde als im Zollvereine;
und die öffentliche Meinung des Binnenlandes, geneigt wie sie war den
Staat als einen heischenden Feind zu betrachten, fand dies Selbstgefühl
anfangs ganz begreiflich. War doch der Ertrag der Finanzzölle sehr
beträchtlich, 1 Thaler auf den Kopf, um ein Fünftel höher als im Zoll-
vereine. Erst nach und nach begann man zu bemerken, daß dieser Sonder-
bund zum Besten Englands und der Hanseaten die Industrie des eigenen
Landes künstlich darniederhielt, und die Volkswirthschaft in den benach-
barten Gebieten des Zollvereins weit rascher als in Hannover aufblühte.
Die Staatsmänner Oesterreichs aber sanken nach so kläglichen Niederlagen
bald wieder in die alte holde Selbsttäuschung zurück. Der große Zollverein
war kaum jährig, da sagte Münch schon schadenfroh zu Blittersdorff: der
Beitritt so vieler Staaten wird die Sonderinteressen verstärken und bald
die Auflösung des Vereins herbeiführen!*)


Als der Bundespräsidialgesandte diese patriotische Hoffnung aussprach,
hatte der jugendliche Handelsbund freilich schon durch unzweideutige Zeichen
seine Lebenskraft bekundet; er stand im Begriff, auch die letzten Klein-
staaten Süd- und Mitteldeutschlands zu erobern. Baden, der mit Preußen
so nahe befreundete Staat, war noch immer nicht dem Zollvereine beige-
treten -- ein schlagender Beweis für die ungeheure Schwierigkeit dieser
verwickelten Unterhandlungen. Zweimal, in den Jahren 1829 und
1830/31, hatte Preußen versucht, eine handelspolitische Verständigung
zwischen Baden und den oberdeutschen Königen herbeizuführen. Immer
war der unglückliche Sponheimer Handel dazwischen getreten -- zum
schweren Verdruß König Friedrich Wilhelm's, der es als Ehrenpflicht
betrachtete gutes Einvernehmen unter den deutschen Staaten herzustellen.
Der Karlsruher Hof war, trotz seiner dankbaren Ergebenheit gegen Preu-
ßen, noch keineswegs ernstlich gesonnen, zum Besten der deutschen Handels-

*) Blittersdorff's Bericht, 22. Jan. 1835.

Der hannöverſche Steuerverein.
einander durch ein Zoll-Cartell und gegenſeitige Ueberweiſung von En-
claven. Der Steuerverein verband wie der große Zollverein ſeine Mit-
glieder zu vollſtändiger Zollgemeinſchaft und vertheilte wie dieſer die Ein-
künfte nach der Kopfzahl. Sehr niedrige Finanzzölle ſollten den Engländern
und den Hanſeaten die Einfuhr erleichtern, dem wohlhabenden Landvolk
wohlfeilen Kaffee und Rothwein verſchaffen. Darum ward der Steuer-
verein von dem hannöverſchen Landtage ebenſo lebhaft geprieſen, wie der
große Zollverein von den ſüddeutſchen Liberalen bekämpft wurde. Dieſe
deutſchen Großbritannier betrachteten es als ein Zeichen überlegener Ge-
ſittung, daß bei ihnen der Centner Seidenwaren faſt um 98, der Wein
um 5, der Zucker um 7 Thaler niedriger verzollt wurde als im Zollvereine;
und die öffentliche Meinung des Binnenlandes, geneigt wie ſie war den
Staat als einen heiſchenden Feind zu betrachten, fand dies Selbſtgefühl
anfangs ganz begreiflich. War doch der Ertrag der Finanzzölle ſehr
beträchtlich, 1 Thaler auf den Kopf, um ein Fünftel höher als im Zoll-
vereine. Erſt nach und nach begann man zu bemerken, daß dieſer Sonder-
bund zum Beſten Englands und der Hanſeaten die Induſtrie des eigenen
Landes künſtlich darniederhielt, und die Volkswirthſchaft in den benach-
barten Gebieten des Zollvereins weit raſcher als in Hannover aufblühte.
Die Staatsmänner Oeſterreichs aber ſanken nach ſo kläglichen Niederlagen
bald wieder in die alte holde Selbſttäuſchung zurück. Der große Zollverein
war kaum jährig, da ſagte Münch ſchon ſchadenfroh zu Blittersdorff: der
Beitritt ſo vieler Staaten wird die Sonderintereſſen verſtärken und bald
die Auflöſung des Vereins herbeiführen!*)


Als der Bundespräſidialgeſandte dieſe patriotiſche Hoffnung ausſprach,
hatte der jugendliche Handelsbund freilich ſchon durch unzweideutige Zeichen
ſeine Lebenskraft bekundet; er ſtand im Begriff, auch die letzten Klein-
ſtaaten Süd- und Mitteldeutſchlands zu erobern. Baden, der mit Preußen
ſo nahe befreundete Staat, war noch immer nicht dem Zollvereine beige-
treten — ein ſchlagender Beweis für die ungeheure Schwierigkeit dieſer
verwickelten Unterhandlungen. Zweimal, in den Jahren 1829 und
1830/31, hatte Preußen verſucht, eine handelspolitiſche Verſtändigung
zwiſchen Baden und den oberdeutſchen Königen herbeizuführen. Immer
war der unglückliche Sponheimer Handel dazwiſchen getreten — zum
ſchweren Verdruß König Friedrich Wilhelm’s, der es als Ehrenpflicht
betrachtete gutes Einvernehmen unter den deutſchen Staaten herzuſtellen.
Der Karlsruher Hof war, trotz ſeiner dankbaren Ergebenheit gegen Preu-
ßen, noch keineswegs ernſtlich geſonnen, zum Beſten der deutſchen Handels-

*) Blittersdorff’s Bericht, 22. Jan. 1835.
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[393/0407] Der hannöverſche Steuerverein. einander durch ein Zoll-Cartell und gegenſeitige Ueberweiſung von En- claven. Der Steuerverein verband wie der große Zollverein ſeine Mit- glieder zu vollſtändiger Zollgemeinſchaft und vertheilte wie dieſer die Ein- künfte nach der Kopfzahl. Sehr niedrige Finanzzölle ſollten den Engländern und den Hanſeaten die Einfuhr erleichtern, dem wohlhabenden Landvolk wohlfeilen Kaffee und Rothwein verſchaffen. Darum ward der Steuer- verein von dem hannöverſchen Landtage ebenſo lebhaft geprieſen, wie der große Zollverein von den ſüddeutſchen Liberalen bekämpft wurde. Dieſe deutſchen Großbritannier betrachteten es als ein Zeichen überlegener Ge- ſittung, daß bei ihnen der Centner Seidenwaren faſt um 98, der Wein um 5, der Zucker um 7 Thaler niedriger verzollt wurde als im Zollvereine; und die öffentliche Meinung des Binnenlandes, geneigt wie ſie war den Staat als einen heiſchenden Feind zu betrachten, fand dies Selbſtgefühl anfangs ganz begreiflich. War doch der Ertrag der Finanzzölle ſehr beträchtlich, 1 Thaler auf den Kopf, um ein Fünftel höher als im Zoll- vereine. Erſt nach und nach begann man zu bemerken, daß dieſer Sonder- bund zum Beſten Englands und der Hanſeaten die Induſtrie des eigenen Landes künſtlich darniederhielt, und die Volkswirthſchaft in den benach- barten Gebieten des Zollvereins weit raſcher als in Hannover aufblühte. Die Staatsmänner Oeſterreichs aber ſanken nach ſo kläglichen Niederlagen bald wieder in die alte holde Selbſttäuſchung zurück. Der große Zollverein war kaum jährig, da ſagte Münch ſchon ſchadenfroh zu Blittersdorff: der Beitritt ſo vieler Staaten wird die Sonderintereſſen verſtärken und bald die Auflöſung des Vereins herbeiführen! *) Als der Bundespräſidialgeſandte dieſe patriotiſche Hoffnung ausſprach, hatte der jugendliche Handelsbund freilich ſchon durch unzweideutige Zeichen ſeine Lebenskraft bekundet; er ſtand im Begriff, auch die letzten Klein- ſtaaten Süd- und Mitteldeutſchlands zu erobern. Baden, der mit Preußen ſo nahe befreundete Staat, war noch immer nicht dem Zollvereine beige- treten — ein ſchlagender Beweis für die ungeheure Schwierigkeit dieſer verwickelten Unterhandlungen. Zweimal, in den Jahren 1829 und 1830/31, hatte Preußen verſucht, eine handelspolitiſche Verſtändigung zwiſchen Baden und den oberdeutſchen Königen herbeizuführen. Immer war der unglückliche Sponheimer Handel dazwiſchen getreten — zum ſchweren Verdruß König Friedrich Wilhelm’s, der es als Ehrenpflicht betrachtete gutes Einvernehmen unter den deutſchen Staaten herzuſtellen. Der Karlsruher Hof war, trotz ſeiner dankbaren Ergebenheit gegen Preu- ßen, noch keineswegs ernſtlich geſonnen, zum Beſten der deutſchen Handels- *) Blittersdorff’s Bericht, 22. Jan. 1835.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/407>, abgerufen am 28.03.2024.