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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Kaspar Hauser.
seinem Hennenhofer traute man alles Böse zu, und so fand denn die neue
Legende lebhaften Anklang. Feuerbach selbst schenkte ihr Glauben und
sendete dem Münchener Hofe eine geheime Denkschrift, die seiner Combi-
nationsgabe mehr zur Ehre gereichte als seinem Verstande. König Ludwig
ließ sich ebenso gern überzeugen, wie sein phantastischer Minister Fürst
Wallerstein; der romanhafte Reiz bestach ihn leicht, unwillkürlich mochte
auch sein alter Haß gegen die Zähringer mitspielen. Sogar seine Stief-
mutter Königin Caroline ließ eifrig nachforschen und scheint eine Zeit lang
an das Märchen geglaubt zu haben,*) obgleich sie selbst eine badische Prin-
zessin war und mit ihrem Stiefsohne selten übereinstimmte. Der badische
Hof war längst im Besitze von Aktenstücken, welche den natürlichen Tod
jenes jungen Erbprinzen unzweifelhaft erwiesen, und konnte durch eine
offene Erklärung das boshafte Geschwätz sofort ertöden; er hegte jedoch,
wie alle Höfe jener Zeit, eine fast krankhafte Scheu vor der Oeffentlich-
keit und mochte zudem fürchten, daß durch solche Enthüllungen auch andere,
besser beglaubigte Schmutzgeschichten aus den Zeiten der beiden letzten
Großherzoge zu Tage kommen würden. Genug, er schwieg, und nunmehr
verbreiteten sich die unheimlichen Gerüchte, die allem Anschein nach zuerst
in Baiern aufgetaucht waren, auch weithin über das badische Land. In
Karlsruhe, der klatschsüchtigsten aller deutschen Residenzen, erlebten die
Lästermäuler gute Tage; die verbitterten Liberalen hießen Alles willkommen
was den Fürsten Schande brachte; auch unter dem Breisgauer Adel, der
dem evangelischen Fürstenhause noch nicht recht traute, fanden sich viele
Gläubige.

Nun erdreistete sich der nichtsnutzige Demagog Garnier -- der Rastatter
Ravaillac, wie er sich selber nannte -- in einem albernen Schauerromane
die Leiden des lebendig begrabenen badischen Erbprinzen ausführlich zu
erzählen, und fortan stand die Fabel fest. Brandschriften der ultramontanen
und der radicalen Feinde des badischen Hauses schmückten das Märchen noch
reicher aus; die Hauser-Legende diente den Parteien des Umsturzes als ein
wirksames Mittel um den Massen die Verderbniß der Höfe zu erweisen.
Unglaublich, wie viel Haß und Argwohn durch diese nachbarlichen Zänke-
reien in Süddeutschland gesät wurde. Als Feuerbach einige Monate vor
seinem Schützlinge starb, da behaupteten viele seiner Verehrer unerschütter-
lich, die Seelenmörder Kaspar Hauser's hätten auch dessen mächtigen Gönner
vergiftet; und doch war allbekannt, daß der große Rechtsgelehrte, durch
Arbeit und Gemüthsbewegungen früh gealtert, schon mehrere Schlaganfälle
erlitten hatte. Der Glaube an den badischen Prinzenraub blieb lange Zeit
so mächtig, daß die ernste Wissenschaft sich nicht gern mit der widerlichen
Frage befassen mochte; denn eine tief eingewurzelte Volksüberzeugung darf

*) Darauf deuten einige Bemerkungen in den oft erwähnten Aufzeichnungen ihres
Hofpredigers v. Schmitt.

Kaspar Hauſer.
ſeinem Hennenhofer traute man alles Böſe zu, und ſo fand denn die neue
Legende lebhaften Anklang. Feuerbach ſelbſt ſchenkte ihr Glauben und
ſendete dem Münchener Hofe eine geheime Denkſchrift, die ſeiner Combi-
nationsgabe mehr zur Ehre gereichte als ſeinem Verſtande. König Ludwig
ließ ſich ebenſo gern überzeugen, wie ſein phantaſtiſcher Miniſter Fürſt
Wallerſtein; der romanhafte Reiz beſtach ihn leicht, unwillkürlich mochte
auch ſein alter Haß gegen die Zähringer mitſpielen. Sogar ſeine Stief-
mutter Königin Caroline ließ eifrig nachforſchen und ſcheint eine Zeit lang
an das Märchen geglaubt zu haben,*) obgleich ſie ſelbſt eine badiſche Prin-
zeſſin war und mit ihrem Stiefſohne ſelten übereinſtimmte. Der badiſche
Hof war längſt im Beſitze von Aktenſtücken, welche den natürlichen Tod
jenes jungen Erbprinzen unzweifelhaft erwieſen, und konnte durch eine
offene Erklärung das boshafte Geſchwätz ſofort ertöden; er hegte jedoch,
wie alle Höfe jener Zeit, eine faſt krankhafte Scheu vor der Oeffentlich-
keit und mochte zudem fürchten, daß durch ſolche Enthüllungen auch andere,
beſſer beglaubigte Schmutzgeſchichten aus den Zeiten der beiden letzten
Großherzoge zu Tage kommen würden. Genug, er ſchwieg, und nunmehr
verbreiteten ſich die unheimlichen Gerüchte, die allem Anſchein nach zuerſt
in Baiern aufgetaucht waren, auch weithin über das badiſche Land. In
Karlsruhe, der klatſchſüchtigſten aller deutſchen Reſidenzen, erlebten die
Läſtermäuler gute Tage; die verbitterten Liberalen hießen Alles willkommen
was den Fürſten Schande brachte; auch unter dem Breisgauer Adel, der
dem evangeliſchen Fürſtenhauſe noch nicht recht traute, fanden ſich viele
Gläubige.

Nun erdreiſtete ſich der nichtsnutzige Demagog Garnier — der Raſtatter
Ravaillac, wie er ſich ſelber nannte — in einem albernen Schauerromane
die Leiden des lebendig begrabenen badiſchen Erbprinzen ausführlich zu
erzählen, und fortan ſtand die Fabel feſt. Brandſchriften der ultramontanen
und der radicalen Feinde des badiſchen Hauſes ſchmückten das Märchen noch
reicher aus; die Hauſer-Legende diente den Parteien des Umſturzes als ein
wirkſames Mittel um den Maſſen die Verderbniß der Höfe zu erweiſen.
Unglaublich, wie viel Haß und Argwohn durch dieſe nachbarlichen Zänke-
reien in Süddeutſchland geſät wurde. Als Feuerbach einige Monate vor
ſeinem Schützlinge ſtarb, da behaupteten viele ſeiner Verehrer unerſchütter-
lich, die Seelenmörder Kaspar Hauſer’s hätten auch deſſen mächtigen Gönner
vergiftet; und doch war allbekannt, daß der große Rechtsgelehrte, durch
Arbeit und Gemüthsbewegungen früh gealtert, ſchon mehrere Schlaganfälle
erlitten hatte. Der Glaube an den badiſchen Prinzenraub blieb lange Zeit
ſo mächtig, daß die ernſte Wiſſenſchaft ſich nicht gern mit der widerlichen
Frage befaſſen mochte; denn eine tief eingewurzelte Volksüberzeugung darf

*) Darauf deuten einige Bemerkungen in den oft erwähnten Aufzeichnungen ihres
Hofpredigers v. Schmitt.
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[363/0377] Kaspar Hauſer. ſeinem Hennenhofer traute man alles Böſe zu, und ſo fand denn die neue Legende lebhaften Anklang. Feuerbach ſelbſt ſchenkte ihr Glauben und ſendete dem Münchener Hofe eine geheime Denkſchrift, die ſeiner Combi- nationsgabe mehr zur Ehre gereichte als ſeinem Verſtande. König Ludwig ließ ſich ebenſo gern überzeugen, wie ſein phantaſtiſcher Miniſter Fürſt Wallerſtein; der romanhafte Reiz beſtach ihn leicht, unwillkürlich mochte auch ſein alter Haß gegen die Zähringer mitſpielen. Sogar ſeine Stief- mutter Königin Caroline ließ eifrig nachforſchen und ſcheint eine Zeit lang an das Märchen geglaubt zu haben, *) obgleich ſie ſelbſt eine badiſche Prin- zeſſin war und mit ihrem Stiefſohne ſelten übereinſtimmte. Der badiſche Hof war längſt im Beſitze von Aktenſtücken, welche den natürlichen Tod jenes jungen Erbprinzen unzweifelhaft erwieſen, und konnte durch eine offene Erklärung das boshafte Geſchwätz ſofort ertöden; er hegte jedoch, wie alle Höfe jener Zeit, eine faſt krankhafte Scheu vor der Oeffentlich- keit und mochte zudem fürchten, daß durch ſolche Enthüllungen auch andere, beſſer beglaubigte Schmutzgeſchichten aus den Zeiten der beiden letzten Großherzoge zu Tage kommen würden. Genug, er ſchwieg, und nunmehr verbreiteten ſich die unheimlichen Gerüchte, die allem Anſchein nach zuerſt in Baiern aufgetaucht waren, auch weithin über das badiſche Land. In Karlsruhe, der klatſchſüchtigſten aller deutſchen Reſidenzen, erlebten die Läſtermäuler gute Tage; die verbitterten Liberalen hießen Alles willkommen was den Fürſten Schande brachte; auch unter dem Breisgauer Adel, der dem evangeliſchen Fürſtenhauſe noch nicht recht traute, fanden ſich viele Gläubige. Nun erdreiſtete ſich der nichtsnutzige Demagog Garnier — der Raſtatter Ravaillac, wie er ſich ſelber nannte — in einem albernen Schauerromane die Leiden des lebendig begrabenen badiſchen Erbprinzen ausführlich zu erzählen, und fortan ſtand die Fabel feſt. Brandſchriften der ultramontanen und der radicalen Feinde des badiſchen Hauſes ſchmückten das Märchen noch reicher aus; die Hauſer-Legende diente den Parteien des Umſturzes als ein wirkſames Mittel um den Maſſen die Verderbniß der Höfe zu erweiſen. Unglaublich, wie viel Haß und Argwohn durch dieſe nachbarlichen Zänke- reien in Süddeutſchland geſät wurde. Als Feuerbach einige Monate vor ſeinem Schützlinge ſtarb, da behaupteten viele ſeiner Verehrer unerſchütter- lich, die Seelenmörder Kaspar Hauſer’s hätten auch deſſen mächtigen Gönner vergiftet; und doch war allbekannt, daß der große Rechtsgelehrte, durch Arbeit und Gemüthsbewegungen früh gealtert, ſchon mehrere Schlaganfälle erlitten hatte. Der Glaube an den badiſchen Prinzenraub blieb lange Zeit ſo mächtig, daß die ernſte Wiſſenſchaft ſich nicht gern mit der widerlichen Frage befaſſen mochte; denn eine tief eingewurzelte Volksüberzeugung darf *) Darauf deuten einige Bemerkungen in den oft erwähnten Aufzeichnungen ihres Hofpredigers v. Schmitt.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/377>, abgerufen am 24.04.2024.