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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Die bairisch-badischen Händel.
Grundsatz getreu, die Unterhandlungen mit den einzelnen Gruppen scharf
auseinander gehalten hätte. Der Vergleich drängt sich unwillkürlich auf:
der Deutsche Zollverein ging aus dem preußisch-hessischen hervor unter
ähnlichen Kämpfen und Bedenken, wie späterhin das Deutsche Reich aus
dem Norddeutschen Bunde. Der Zollverein wie der Norddeutsche Bund
stieß auf die höchsten Schwierigkeiten erst als die größeren Mittelstaaten,
mit ihrem festgewurzelten und nicht ganz unberechtigten Particularismus,
mit der Fülle ihrer scheinbar oder wirklich abweichenden Interessen in die
Verhandlungen eintraten. In Versailles wie vierzig Jahre zuvor in Berlin
gebärdeten sich die süddeutschen Kronen anfangs, als stände man vor einem
Neubau, als sei noch gar kein Grundgesetz vorhanden; erst nach langem
peinlichem Zögern erkannten sie die im Norden bestehende Ordnung an,
doch indem der Bau erweitert wurde, lockerte man zugleich das feste Gefüge
seiner Mauern.

Der Handelsvertrag zwischen Preußen-Hessen und Baiern-Württem-
berg war von vornherein in der Absicht fortschreitender Erweiterung ab-
geschlossen. In München aber begann die ultramontane Partei sofort an
dem neuen Bunde zu zerren und zu nagen. Ihre Führer, Schenk, Görres,
Ringseis, standen durch den k. k. Legationsrath Wolff mit der Hofburg im
Verkehr; der Gesandte in Wien, Graf Bray, war für Metternich gewonnen,
desgleichen neuerdings auch der alte Feldmarschall Wrede. Angesichts dieser
mächtigen Gegner und der unberechenbaren Launen König Ludwig's hielt
Bernstorff für nöthig, allen Begehren Baierns so weit als möglich entgegen-
zukommen. Der Münchener Hof wünschte zunächst den Eintritt Badens
in den bairisch-württembergischen Verein; denn das badische Gebiet ragte
als ein trennender Keil zwischen die bairische Pfalz und die Hauptmasse
der Vereinslande hinein, und unter dem Schutze der gerühmten Karlsruher
Freihandelspolitik, die für die Grenzbewachung wenig that, blühte auf dem
Schwarzwalde wie am Rheinufer ein gefährlicher Schmuggelhandel. War
der kränkelnde süddeutsche Zollverein durch Badens Zutritt neu gekräftigt,
dann erst sollte -- so rechnete König Ludwig -- über die völlige Ver-
schmelzung der beiden Vereine des Nordens und des Südens verhandelt
werden. Motz hatte diesen etwas künstlichen und umständlichen Plan ge-
billigt, und aus Rücksicht auf Baiern hielt Bernstorff auch jetzt noch daran
fest, obwohl Maassen ihm versicherte, man könne getrost weiter gehen und
mit Baiern, Württemberg und Baden sogleich einen wirklichen Zollverein
nach dem Muster des preußisch-hessischen abschließen.*)

Eine handelspolitische Verständigung zwischen Baiern und Baden
blieb aber völlig aussichtslos so lange die beiden Höfe einander noch als
Feinde betrachteten und König Ludwig seine traumhaften Ansprüche auf
badisches Gebiet nicht aufgab. Als Großherzog Ludwig starb und sein

*) Maassen an das Auswärtige Amt, 15. Oct. 1830.

Die bairiſch-badiſchen Händel.
Grundſatz getreu, die Unterhandlungen mit den einzelnen Gruppen ſcharf
auseinander gehalten hätte. Der Vergleich drängt ſich unwillkürlich auf:
der Deutſche Zollverein ging aus dem preußiſch-heſſiſchen hervor unter
ähnlichen Kämpfen und Bedenken, wie ſpäterhin das Deutſche Reich aus
dem Norddeutſchen Bunde. Der Zollverein wie der Norddeutſche Bund
ſtieß auf die höchſten Schwierigkeiten erſt als die größeren Mittelſtaaten,
mit ihrem feſtgewurzelten und nicht ganz unberechtigten Particularismus,
mit der Fülle ihrer ſcheinbar oder wirklich abweichenden Intereſſen in die
Verhandlungen eintraten. In Verſailles wie vierzig Jahre zuvor in Berlin
gebärdeten ſich die ſüddeutſchen Kronen anfangs, als ſtände man vor einem
Neubau, als ſei noch gar kein Grundgeſetz vorhanden; erſt nach langem
peinlichem Zögern erkannten ſie die im Norden beſtehende Ordnung an,
doch indem der Bau erweitert wurde, lockerte man zugleich das feſte Gefüge
ſeiner Mauern.

Der Handelsvertrag zwiſchen Preußen-Heſſen und Baiern-Württem-
berg war von vornherein in der Abſicht fortſchreitender Erweiterung ab-
geſchloſſen. In München aber begann die ultramontane Partei ſofort an
dem neuen Bunde zu zerren und zu nagen. Ihre Führer, Schenk, Görres,
Ringseis, ſtanden durch den k. k. Legationsrath Wolff mit der Hofburg im
Verkehr; der Geſandte in Wien, Graf Bray, war für Metternich gewonnen,
desgleichen neuerdings auch der alte Feldmarſchall Wrede. Angeſichts dieſer
mächtigen Gegner und der unberechenbaren Launen König Ludwig’s hielt
Bernſtorff für nöthig, allen Begehren Baierns ſo weit als möglich entgegen-
zukommen. Der Münchener Hof wünſchte zunächſt den Eintritt Badens
in den bairiſch-württembergiſchen Verein; denn das badiſche Gebiet ragte
als ein trennender Keil zwiſchen die bairiſche Pfalz und die Hauptmaſſe
der Vereinslande hinein, und unter dem Schutze der gerühmten Karlsruher
Freihandelspolitik, die für die Grenzbewachung wenig that, blühte auf dem
Schwarzwalde wie am Rheinufer ein gefährlicher Schmuggelhandel. War
der kränkelnde ſüddeutſche Zollverein durch Badens Zutritt neu gekräftigt,
dann erſt ſollte — ſo rechnete König Ludwig — über die völlige Ver-
ſchmelzung der beiden Vereine des Nordens und des Südens verhandelt
werden. Motz hatte dieſen etwas künſtlichen und umſtändlichen Plan ge-
billigt, und aus Rückſicht auf Baiern hielt Bernſtorff auch jetzt noch daran
feſt, obwohl Maaſſen ihm verſicherte, man könne getroſt weiter gehen und
mit Baiern, Württemberg und Baden ſogleich einen wirklichen Zollverein
nach dem Muſter des preußiſch-heſſiſchen abſchließen.*)

Eine handelspolitiſche Verſtändigung zwiſchen Baiern und Baden
blieb aber völlig ausſichtslos ſo lange die beiden Höfe einander noch als
Feinde betrachteten und König Ludwig ſeine traumhaften Anſprüche auf
badiſches Gebiet nicht aufgab. Als Großherzog Ludwig ſtarb und ſein

*) Maaſſen an das Auswärtige Amt, 15. Oct. 1830.
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[357/0371] Die bairiſch-badiſchen Händel. Grundſatz getreu, die Unterhandlungen mit den einzelnen Gruppen ſcharf auseinander gehalten hätte. Der Vergleich drängt ſich unwillkürlich auf: der Deutſche Zollverein ging aus dem preußiſch-heſſiſchen hervor unter ähnlichen Kämpfen und Bedenken, wie ſpäterhin das Deutſche Reich aus dem Norddeutſchen Bunde. Der Zollverein wie der Norddeutſche Bund ſtieß auf die höchſten Schwierigkeiten erſt als die größeren Mittelſtaaten, mit ihrem feſtgewurzelten und nicht ganz unberechtigten Particularismus, mit der Fülle ihrer ſcheinbar oder wirklich abweichenden Intereſſen in die Verhandlungen eintraten. In Verſailles wie vierzig Jahre zuvor in Berlin gebärdeten ſich die ſüddeutſchen Kronen anfangs, als ſtände man vor einem Neubau, als ſei noch gar kein Grundgeſetz vorhanden; erſt nach langem peinlichem Zögern erkannten ſie die im Norden beſtehende Ordnung an, doch indem der Bau erweitert wurde, lockerte man zugleich das feſte Gefüge ſeiner Mauern. Der Handelsvertrag zwiſchen Preußen-Heſſen und Baiern-Württem- berg war von vornherein in der Abſicht fortſchreitender Erweiterung ab- geſchloſſen. In München aber begann die ultramontane Partei ſofort an dem neuen Bunde zu zerren und zu nagen. Ihre Führer, Schenk, Görres, Ringseis, ſtanden durch den k. k. Legationsrath Wolff mit der Hofburg im Verkehr; der Geſandte in Wien, Graf Bray, war für Metternich gewonnen, desgleichen neuerdings auch der alte Feldmarſchall Wrede. Angeſichts dieſer mächtigen Gegner und der unberechenbaren Launen König Ludwig’s hielt Bernſtorff für nöthig, allen Begehren Baierns ſo weit als möglich entgegen- zukommen. Der Münchener Hof wünſchte zunächſt den Eintritt Badens in den bairiſch-württembergiſchen Verein; denn das badiſche Gebiet ragte als ein trennender Keil zwiſchen die bairiſche Pfalz und die Hauptmaſſe der Vereinslande hinein, und unter dem Schutze der gerühmten Karlsruher Freihandelspolitik, die für die Grenzbewachung wenig that, blühte auf dem Schwarzwalde wie am Rheinufer ein gefährlicher Schmuggelhandel. War der kränkelnde ſüddeutſche Zollverein durch Badens Zutritt neu gekräftigt, dann erſt ſollte — ſo rechnete König Ludwig — über die völlige Ver- ſchmelzung der beiden Vereine des Nordens und des Südens verhandelt werden. Motz hatte dieſen etwas künſtlichen und umſtändlichen Plan ge- billigt, und aus Rückſicht auf Baiern hielt Bernſtorff auch jetzt noch daran feſt, obwohl Maaſſen ihm verſicherte, man könne getroſt weiter gehen und mit Baiern, Württemberg und Baden ſogleich einen wirklichen Zollverein nach dem Muſter des preußiſch-heſſiſchen abſchließen. *) Eine handelspolitiſche Verſtändigung zwiſchen Baiern und Baden blieb aber völlig ausſichtslos ſo lange die beiden Höfe einander noch als Feinde betrachteten und König Ludwig ſeine traumhaften Anſprüche auf badiſches Gebiet nicht aufgab. Als Großherzog Ludwig ſtarb und ſein *) Maaſſen an das Auswärtige Amt, 15. Oct. 1830.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/371>, abgerufen am 25.04.2024.