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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 5. Wiederbefestigung der alten Gewalten.
Warnungen fanden taube Ohren. Die kleinen Kronen wußten wohl, daß
in Wien nur eine Halbheit, eine Unwahrheit beschlossen war. Der Bun-
destag mußte sich bequemen, die Artikel über das Bundesschiedsgericht in
Gestalt eines Bundesgesetzes zu veröffentlichen (30. October 1834). Aber
dies von allen amtlichen Blättern pomphaft angepriesene Tribunal trat
bis zum Jahre 1848 nie in Thätigkeit; denn die constitutionellen Fürsten
zogen sämmtlich vor, ihre schwarze Wäsche daheim zu waschen statt den
immer verdächtigen Schiedsspruch des Bundes anzurufen, und als die
kurhessischen Stände einmal um Einberufung des Bundesschiedsgerichts
baten, wies sie der Bundestag selber ab. Nachher wurden auch die Artikel
über die Universitäten und über die Aktenversendung als Bundesgesetze
verkündigt. Alles Uebrige blieb, wie beschlossen war, tief geheim, und die
Frankfurter Gesandten klagten bitterlich, wie schmählich man den Bundestag
wieder einmal an die Wand gedrückt habe. Die Nation aber konnte in
diesem undurchdringlichen Geheimniß nur ein Zeichen bösen Gewissens
sehen, sie glaubte tolle Märchen über die Wiener Teufeleien. Als endlich,
nach beinahe zehn Jahren, Welcker das Schlußprotokoll herausgab, da
schoben die längst auf das Schlimmste gefaßten Leser allen Artikeln, auch
den harmlosen oder nichtssagenden, einen so argen Sinn unter, daß die
Wiener Conferenz einen nur halb verdienten höllischen Ruf erlangte. Erst
nach einem vollen Menschenalter (1865) hat F. v. Weech alles Wesentliche
aus den Protokollen veröffentlicht.

Die verfassungstreuen constitutionellen Minister gelangten allesammt
bald zu dem stillen Entschlusse, es mit der Ausführung der Wiener Ver-
einbarungen nicht sehr genau zu nehmen. Lindenau in Dresden erklärte
dem preußischen Gesandten aufrichtig: die zu Bundesbeschlüssen erhobenen
Artikel werden wir streng ausführen, die anderen auch -- wenn unsere
Kammern nicht widersprechen. Die Reaktionäre aber grollten. Seit den
Wiener Conferenzen weiß ich, sagte der Herzog von Nassau, daß Oester-
reich in Deutschland nicht mehr die Initiative ergreifen kann, ich sage
mich los von dem österreichischen Systeme.*) Und du Thil suchte noch
nach Jahren den letzten Grund der Revolution von 1848 in der Untreue
jener liberalisirenden Minister, welche das Wiener Schlußprotokoll zum
todten Buchstaben gemacht hätten. Ebenso schwermüthig, aber unbefan-
gener urtheilte Münch-Bellinghausen. Er sagte: die Conferenzen haben
nur ein halbes Ergebniß gebracht, denn die Richtung, welche Deutschland
seit der Juli-Revolution eingeschlagen ist nicht mehr aufzuhalten.**)

So stand es wirklich. Es war gelungen, den offenen Aufruhr zu
bändigen, auch den Ruf nach Preßfreiheit und viele andere wohlberechtigte
Forderungen der Zeit vorläufig abzuweisen. Aber die neuen parlamen-

*) Blittersdorff's Bericht, 21. Febr. 1835.
**) Blittersdorff's Bericht, 27. Oct. 1834.

IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.
Warnungen fanden taube Ohren. Die kleinen Kronen wußten wohl, daß
in Wien nur eine Halbheit, eine Unwahrheit beſchloſſen war. Der Bun-
destag mußte ſich bequemen, die Artikel über das Bundesſchiedsgericht in
Geſtalt eines Bundesgeſetzes zu veröffentlichen (30. October 1834). Aber
dies von allen amtlichen Blättern pomphaft angeprieſene Tribunal trat
bis zum Jahre 1848 nie in Thätigkeit; denn die conſtitutionellen Fürſten
zogen ſämmtlich vor, ihre ſchwarze Wäſche daheim zu waſchen ſtatt den
immer verdächtigen Schiedsſpruch des Bundes anzurufen, und als die
kurheſſiſchen Stände einmal um Einberufung des Bundesſchiedsgerichts
baten, wies ſie der Bundestag ſelber ab. Nachher wurden auch die Artikel
über die Univerſitäten und über die Aktenverſendung als Bundesgeſetze
verkündigt. Alles Uebrige blieb, wie beſchloſſen war, tief geheim, und die
Frankfurter Geſandten klagten bitterlich, wie ſchmählich man den Bundestag
wieder einmal an die Wand gedrückt habe. Die Nation aber konnte in
dieſem undurchdringlichen Geheimniß nur ein Zeichen böſen Gewiſſens
ſehen, ſie glaubte tolle Märchen über die Wiener Teufeleien. Als endlich,
nach beinahe zehn Jahren, Welcker das Schlußprotokoll herausgab, da
ſchoben die längſt auf das Schlimmſte gefaßten Leſer allen Artikeln, auch
den harmloſen oder nichtsſagenden, einen ſo argen Sinn unter, daß die
Wiener Conferenz einen nur halb verdienten hölliſchen Ruf erlangte. Erſt
nach einem vollen Menſchenalter (1865) hat F. v. Weech alles Weſentliche
aus den Protokollen veröffentlicht.

Die verfaſſungstreuen conſtitutionellen Miniſter gelangten alleſammt
bald zu dem ſtillen Entſchluſſe, es mit der Ausführung der Wiener Ver-
einbarungen nicht ſehr genau zu nehmen. Lindenau in Dresden erklärte
dem preußiſchen Geſandten aufrichtig: die zu Bundesbeſchlüſſen erhobenen
Artikel werden wir ſtreng ausführen, die anderen auch — wenn unſere
Kammern nicht widerſprechen. Die Reaktionäre aber grollten. Seit den
Wiener Conferenzen weiß ich, ſagte der Herzog von Naſſau, daß Oeſter-
reich in Deutſchland nicht mehr die Initiative ergreifen kann, ich ſage
mich los von dem öſterreichiſchen Syſteme.*) Und du Thil ſuchte noch
nach Jahren den letzten Grund der Revolution von 1848 in der Untreue
jener liberaliſirenden Miniſter, welche das Wiener Schlußprotokoll zum
todten Buchſtaben gemacht hätten. Ebenſo ſchwermüthig, aber unbefan-
gener urtheilte Münch-Bellinghauſen. Er ſagte: die Conferenzen haben
nur ein halbes Ergebniß gebracht, denn die Richtung, welche Deutſchland
ſeit der Juli-Revolution eingeſchlagen iſt nicht mehr aufzuhalten.**)

So ſtand es wirklich. Es war gelungen, den offenen Aufruhr zu
bändigen, auch den Ruf nach Preßfreiheit und viele andere wohlberechtigte
Forderungen der Zeit vorläufig abzuweiſen. Aber die neuen parlamen-

*) Blittersdorff’s Bericht, 21. Febr. 1835.
**) Blittersdorff’s Bericht, 27. Oct. 1834.
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[348/0362] IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten. Warnungen fanden taube Ohren. Die kleinen Kronen wußten wohl, daß in Wien nur eine Halbheit, eine Unwahrheit beſchloſſen war. Der Bun- destag mußte ſich bequemen, die Artikel über das Bundesſchiedsgericht in Geſtalt eines Bundesgeſetzes zu veröffentlichen (30. October 1834). Aber dies von allen amtlichen Blättern pomphaft angeprieſene Tribunal trat bis zum Jahre 1848 nie in Thätigkeit; denn die conſtitutionellen Fürſten zogen ſämmtlich vor, ihre ſchwarze Wäſche daheim zu waſchen ſtatt den immer verdächtigen Schiedsſpruch des Bundes anzurufen, und als die kurheſſiſchen Stände einmal um Einberufung des Bundesſchiedsgerichts baten, wies ſie der Bundestag ſelber ab. Nachher wurden auch die Artikel über die Univerſitäten und über die Aktenverſendung als Bundesgeſetze verkündigt. Alles Uebrige blieb, wie beſchloſſen war, tief geheim, und die Frankfurter Geſandten klagten bitterlich, wie ſchmählich man den Bundestag wieder einmal an die Wand gedrückt habe. Die Nation aber konnte in dieſem undurchdringlichen Geheimniß nur ein Zeichen böſen Gewiſſens ſehen, ſie glaubte tolle Märchen über die Wiener Teufeleien. Als endlich, nach beinahe zehn Jahren, Welcker das Schlußprotokoll herausgab, da ſchoben die längſt auf das Schlimmſte gefaßten Leſer allen Artikeln, auch den harmloſen oder nichtsſagenden, einen ſo argen Sinn unter, daß die Wiener Conferenz einen nur halb verdienten hölliſchen Ruf erlangte. Erſt nach einem vollen Menſchenalter (1865) hat F. v. Weech alles Weſentliche aus den Protokollen veröffentlicht. Die verfaſſungstreuen conſtitutionellen Miniſter gelangten alleſammt bald zu dem ſtillen Entſchluſſe, es mit der Ausführung der Wiener Ver- einbarungen nicht ſehr genau zu nehmen. Lindenau in Dresden erklärte dem preußiſchen Geſandten aufrichtig: die zu Bundesbeſchlüſſen erhobenen Artikel werden wir ſtreng ausführen, die anderen auch — wenn unſere Kammern nicht widerſprechen. Die Reaktionäre aber grollten. Seit den Wiener Conferenzen weiß ich, ſagte der Herzog von Naſſau, daß Oeſter- reich in Deutſchland nicht mehr die Initiative ergreifen kann, ich ſage mich los von dem öſterreichiſchen Syſteme. *) Und du Thil ſuchte noch nach Jahren den letzten Grund der Revolution von 1848 in der Untreue jener liberaliſirenden Miniſter, welche das Wiener Schlußprotokoll zum todten Buchſtaben gemacht hätten. Ebenſo ſchwermüthig, aber unbefan- gener urtheilte Münch-Bellinghauſen. Er ſagte: die Conferenzen haben nur ein halbes Ergebniß gebracht, denn die Richtung, welche Deutſchland ſeit der Juli-Revolution eingeſchlagen iſt nicht mehr aufzuhalten. **) So ſtand es wirklich. Es war gelungen, den offenen Aufruhr zu bändigen, auch den Ruf nach Preßfreiheit und viele andere wohlberechtigte Forderungen der Zeit vorläufig abzuweiſen. Aber die neuen parlamen- *) Blittersdorff’s Bericht, 21. Febr. 1835. **) Blittersdorff’s Bericht, 27. Oct. 1834.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/362>, abgerufen am 29.03.2024.