Alles erreicht was man in Petersburg vorläufig wünschen konnte. In der orientalischen Politik immer zurückhaltend, trat der Berliner Hof diesem Vertrage nicht förmlich bei, doch er billigte ihn lebhaft; denn An- cillon ahnte so wenig wie Metternich, was die neue Freundschaft zwischen dem Czaren und dem Sultan bezweckte. Als die Westmächte, jetzt endlich über die Sachlage aufgeklärt, sich in Petersburg über den Vertrag von Hunkiar Iskelessi beschwerten, da wurden sie hochmüthig abgewiesen, und der preußische Minister freute sich von Herzen "dieser zugleich siegreichen und würdevollen Antwort: die beiden Mächte, meinte er, haben wohl eine Lektion verdient, da sie sich in Dinge mischen, die sie nichts angehen".*) In bestem Glauben, wie Metternich, versicherte er den Westmächten, daß Rußland völlig uneigennützige Gesinnungen hege und nicht beabsichtige den Vertrag von Hunkiar Iskelessi auszuführen; zugleich erging er sich in weihevollen Betrachtungen über die Gebrechlichkeit des armen Groß- türken, dem er damals zuerst den Namen des "kranken Mannes" gab.
Als einen Erfolg durfte Rußland auch einen Vertrag über Polen betrachten, der in Münchengrätz von Oesterreich, bald nachher (16. Oct.) von Preußen unterzeichnet wurde. Während des polnischen Aufstandes hatte Nikolaus einmal daran gedacht, die treulosen Lande westlich der Weichsel als unwürdig der russischen Herrschaft seinen Verbündeten ab- zutreten. Jetzt war von solchen Aufwallungen keine Rede mehr. Der Czar wollte behaupten was er besaß, und Metternich untersagte gehorsam die geheimen Begünstigungen, welche Erzherzog Ferdinand von Este in Galizien den vornehmen polnischen Flüchtlingen bisher gewährt hatte.**) Rußland erlangte, daß die drei Mächte einander ihren polnischen Besitz nochmals verbürgten, und sich gegenseitig Hilfe im Falle von Aufständen, auch die Auslieferung der wegen Hochverraths verfolgten Polen und die Ueberwachung der Theilnehmer an dem letzten Aufruhr versprachen. Wie die Dinge lagen, ließ sich der Vertrag für einige Jahre mindestens durch die Noth entschuldigen, da die Theilungsmächte alle drei durch die Um- triebe der polnischen Verschwörer bedroht waren. Auf die Dauer mußte dies Abkommen doch nur den Moskowitern Gewinn bringen; denn im Völkerverkehre ist der rohere Staat fast immer im Vortheil, zwischen Staaten von ganz verschiedener Gesittung kann die Gegenseitigkeit der Rechte und Pflichten, die Vorbedingung alles Völkerrechtes selten bestehen. Daß ein preußischer Hochverräther in Rußlands freier Luft Zuflucht ge- sucht hätte, war bisher noch niemals vorgekommen; die Last der Aus- lieferungspflicht ruhte mithin allein auf den Schultern der deutschen Mächte, und beide erschienen vor der Welt wie dienstfertige Gehilfen Rußlands.
*) Ancillon, Weisung an Schöler, 27. Nov. 1833.
**) Maltzahn's Bericht, 28. Apr. 1833.
Die Verträge von Münchengrätz.
Alles erreicht was man in Petersburg vorläufig wünſchen konnte. In der orientaliſchen Politik immer zurückhaltend, trat der Berliner Hof dieſem Vertrage nicht förmlich bei, doch er billigte ihn lebhaft; denn An- cillon ahnte ſo wenig wie Metternich, was die neue Freundſchaft zwiſchen dem Czaren und dem Sultan bezweckte. Als die Weſtmächte, jetzt endlich über die Sachlage aufgeklärt, ſich in Petersburg über den Vertrag von Hunkiar Iskeleſſi beſchwerten, da wurden ſie hochmüthig abgewieſen, und der preußiſche Miniſter freute ſich von Herzen „dieſer zugleich ſiegreichen und würdevollen Antwort: die beiden Mächte, meinte er, haben wohl eine Lektion verdient, da ſie ſich in Dinge miſchen, die ſie nichts angehen“.*) In beſtem Glauben, wie Metternich, verſicherte er den Weſtmächten, daß Rußland völlig uneigennützige Geſinnungen hege und nicht beabſichtige den Vertrag von Hunkiar Iskeleſſi auszuführen; zugleich erging er ſich in weihevollen Betrachtungen über die Gebrechlichkeit des armen Groß- türken, dem er damals zuerſt den Namen des „kranken Mannes“ gab.
Als einen Erfolg durfte Rußland auch einen Vertrag über Polen betrachten, der in Münchengrätz von Oeſterreich, bald nachher (16. Oct.) von Preußen unterzeichnet wurde. Während des polniſchen Aufſtandes hatte Nikolaus einmal daran gedacht, die treuloſen Lande weſtlich der Weichſel als unwürdig der ruſſiſchen Herrſchaft ſeinen Verbündeten ab- zutreten. Jetzt war von ſolchen Aufwallungen keine Rede mehr. Der Czar wollte behaupten was er beſaß, und Metternich unterſagte gehorſam die geheimen Begünſtigungen, welche Erzherzog Ferdinand von Eſte in Galizien den vornehmen polniſchen Flüchtlingen bisher gewährt hatte.**) Rußland erlangte, daß die drei Mächte einander ihren polniſchen Beſitz nochmals verbürgten, und ſich gegenſeitig Hilfe im Falle von Aufſtänden, auch die Auslieferung der wegen Hochverraths verfolgten Polen und die Ueberwachung der Theilnehmer an dem letzten Aufruhr verſprachen. Wie die Dinge lagen, ließ ſich der Vertrag für einige Jahre mindeſtens durch die Noth entſchuldigen, da die Theilungsmächte alle drei durch die Um- triebe der polniſchen Verſchwörer bedroht waren. Auf die Dauer mußte dies Abkommen doch nur den Moskowitern Gewinn bringen; denn im Völkerverkehre iſt der rohere Staat faſt immer im Vortheil, zwiſchen Staaten von ganz verſchiedener Geſittung kann die Gegenſeitigkeit der Rechte und Pflichten, die Vorbedingung alles Völkerrechtes ſelten beſtehen. Daß ein preußiſcher Hochverräther in Rußlands freier Luft Zuflucht ge- ſucht hätte, war bisher noch niemals vorgekommen; die Laſt der Aus- lieferungspflicht ruhte mithin allein auf den Schultern der deutſchen Mächte, und beide erſchienen vor der Welt wie dienſtfertige Gehilfen Rußlands.
*) Ancillon, Weiſung an Schöler, 27. Nov. 1833.
**) Maltzahn’s Bericht, 28. Apr. 1833.
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Die Verträge von Münchengrätz.
Alles erreicht was man in Petersburg vorläufig wünſchen konnte. In
der orientaliſchen Politik immer zurückhaltend, trat der Berliner Hof
dieſem Vertrage nicht förmlich bei, doch er billigte ihn lebhaft; denn An-
cillon ahnte ſo wenig wie Metternich, was die neue Freundſchaft zwiſchen
dem Czaren und dem Sultan bezweckte. Als die Weſtmächte, jetzt endlich
über die Sachlage aufgeklärt, ſich in Petersburg über den Vertrag von
Hunkiar Iskeleſſi beſchwerten, da wurden ſie hochmüthig abgewieſen, und
der preußiſche Miniſter freute ſich von Herzen „dieſer zugleich ſiegreichen
und würdevollen Antwort: die beiden Mächte, meinte er, haben wohl eine
Lektion verdient, da ſie ſich in Dinge miſchen, die ſie nichts angehen“. *)
In beſtem Glauben, wie Metternich, verſicherte er den Weſtmächten, daß
Rußland völlig uneigennützige Geſinnungen hege und nicht beabſichtige
den Vertrag von Hunkiar Iskeleſſi auszuführen; zugleich erging er ſich
in weihevollen Betrachtungen über die Gebrechlichkeit des armen Groß-
türken, dem er damals zuerſt den Namen des „kranken Mannes“ gab.
Als einen Erfolg durfte Rußland auch einen Vertrag über Polen
betrachten, der in Münchengrätz von Oeſterreich, bald nachher (16. Oct.)
von Preußen unterzeichnet wurde. Während des polniſchen Aufſtandes
hatte Nikolaus einmal daran gedacht, die treuloſen Lande weſtlich der
Weichſel als unwürdig der ruſſiſchen Herrſchaft ſeinen Verbündeten ab-
zutreten. Jetzt war von ſolchen Aufwallungen keine Rede mehr. Der
Czar wollte behaupten was er beſaß, und Metternich unterſagte gehorſam
die geheimen Begünſtigungen, welche Erzherzog Ferdinand von Eſte in
Galizien den vornehmen polniſchen Flüchtlingen bisher gewährt hatte. **)
Rußland erlangte, daß die drei Mächte einander ihren polniſchen Beſitz
nochmals verbürgten, und ſich gegenſeitig Hilfe im Falle von Aufſtänden,
auch die Auslieferung der wegen Hochverraths verfolgten Polen und die
Ueberwachung der Theilnehmer an dem letzten Aufruhr verſprachen. Wie
die Dinge lagen, ließ ſich der Vertrag für einige Jahre mindeſtens durch
die Noth entſchuldigen, da die Theilungsmächte alle drei durch die Um-
triebe der polniſchen Verſchwörer bedroht waren. Auf die Dauer mußte
dies Abkommen doch nur den Moskowitern Gewinn bringen; denn im
Völkerverkehre iſt der rohere Staat faſt immer im Vortheil, zwiſchen
Staaten von ganz verſchiedener Geſittung kann die Gegenſeitigkeit der
Rechte und Pflichten, die Vorbedingung alles Völkerrechtes ſelten beſtehen.
Daß ein preußiſcher Hochverräther in Rußlands freier Luft Zuflucht ge-
ſucht hätte, war bisher noch niemals vorgekommen; die Laſt der Aus-
lieferungspflicht ruhte mithin allein auf den Schultern der deutſchen
Mächte, und beide erſchienen vor der Welt wie dienſtfertige Gehilfen
Rußlands.
*) Ancillon, Weiſung an Schöler, 27. Nov. 1833.
**) Maltzahn’s Bericht, 28. Apr. 1833.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/345>, abgerufen am 19.04.2024.
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