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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
näckig betheuerten die Radicalen, die Vertreter des souveränen Volks hätten
den König frei gewählt obgleich er ein Bourbone sei; und in der That hatte
er die Volkssouveränität anerkannt und feierlich ausgesprochen, daß er einen
Vertrag, un pacte d'alliance mit der Nation geschlossen habe. Die neu-
gestaltete Verfassung redete nach altem Brauche noch von der Erblichkeit
der Krone; doch nachdem von den vier letzten Monarchen Frankreichs nur
einer friedlich auf seinem Throne gestorben war, hatte diese Vorschrift blos
noch den Werth einer Redensart, und zum Ueberfluß wurde die Charte
ausdrücklich "dem Muthe und der Vaterlandsliebe der Nationalgarde und
aller französischen Bürger anvertraut" -- das will sagen: dieser König war
verantwortlich und konnte von Rechtswegen entthront werden falls das
souveräne Volk die Charte für verletzt hielt. Er besaß die höchste Gewalt
nur auf Wohlverhalten, trotz des monarchischen Prunkes der ihn umgab;
darum nannte Odilon Barrot den Bürgerkönig die beste der Republiken.

In so schiefer Stellung konnte selbst ein Fürst von schlichtem Grad-
sinn und reinem Namen dem Rufe der Zweizüngigkeit kaum entgehen;
wie viel weniger dieser vielgewandte Orleans, an dessen Hause noch der
schlimme Leumund des nichtswürdigen Regenten und des Bürgers Philipp
Egalite haftete. Ludwig Philipp war in den Grundsätzen der wissens-
stolzen Aufklärung erzogen und hatte nachher als General der Republik an
der Schlacht von Jemappes theilgenommen. Als er dann auswanderte,
da fügte es sein gutes Glück, daß er trotz wiederholter Bemühungen doch
keinen Einlaß in die Heere der Verbündeten erhielt; so konnte er sich mit
einigem Scheine späterhin rühmen niemals im Lager der Feinde Frank-
reichs gefochten zu haben. In den Jahren der Verbannung sammelte er
auf weiten Wanderfahrten eine mannichfaltige Welt- und Menschenkennt-
niß, aber er entwuchs auch gänzlich den Ueberlieferungen des königlichen
Hauses. Der Stolz des französischen Prinzen blieb ihm ebenso fremd
wie das dynastische Pflichtgefühl; die Macht der Geschichte, das tausend-
jährige Recht der Capetinger erweckte in dieser trockenen Seele gar keine
Ehrfurcht. Sobald die Stunde der Rückkehr schlug, war er als sorgsamer
Hausvater zunächst darauf bedacht, das ungeheuere Hausvermögen der
Orleans, das gutentheils aus den Miethen der Spielhöllen im Palais
Royal entstanden war, zurückzugewinnen und seiner Familie auf alle Fälle
ein ruhiges Hauswesen zu sichern. Darum wendete er sich im Jahre 1821
insgeheim an Eugen Beauharnais und ließ ihm einen gegenseitigen Ver-
trag vorschlagen, kraft dessen Jeder von Beiden, falls ihn bei einer neuen
Revolution das Glück begünstigte, dem Anderen ungestörten Aufenthalt
in Frankreich versprechen sollte; der Napoleonide zeigte sich jedoch ritter-
licher als der Bourbone, er lehnte ab, weil er gegebenen Falls nur die
Herrschaft Napoleon's II. ausrufen, also keine bindende Zusage geben könne.*)

*) An diesen Vorfall, dessen auch Du Casse (Memoires du prince Eugene, X, 285)

IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
näckig betheuerten die Radicalen, die Vertreter des ſouveränen Volks hätten
den König frei gewählt obgleich er ein Bourbone ſei; und in der That hatte
er die Volksſouveränität anerkannt und feierlich ausgeſprochen, daß er einen
Vertrag, un pacte d’alliance mit der Nation geſchloſſen habe. Die neu-
geſtaltete Verfaſſung redete nach altem Brauche noch von der Erblichkeit
der Krone; doch nachdem von den vier letzten Monarchen Frankreichs nur
einer friedlich auf ſeinem Throne geſtorben war, hatte dieſe Vorſchrift blos
noch den Werth einer Redensart, und zum Ueberfluß wurde die Charte
ausdrücklich „dem Muthe und der Vaterlandsliebe der Nationalgarde und
aller franzöſiſchen Bürger anvertraut“ — das will ſagen: dieſer König war
verantwortlich und konnte von Rechtswegen entthront werden falls das
ſouveräne Volk die Charte für verletzt hielt. Er beſaß die höchſte Gewalt
nur auf Wohlverhalten, trotz des monarchiſchen Prunkes der ihn umgab;
darum nannte Odilon Barrot den Bürgerkönig die beſte der Republiken.

In ſo ſchiefer Stellung konnte ſelbſt ein Fürſt von ſchlichtem Grad-
ſinn und reinem Namen dem Rufe der Zweizüngigkeit kaum entgehen;
wie viel weniger dieſer vielgewandte Orleans, an deſſen Hauſe noch der
ſchlimme Leumund des nichtswürdigen Regenten und des Bürgers Philipp
Egalité haftete. Ludwig Philipp war in den Grundſätzen der wiſſens-
ſtolzen Aufklärung erzogen und hatte nachher als General der Republik an
der Schlacht von Jemappes theilgenommen. Als er dann auswanderte,
da fügte es ſein gutes Glück, daß er trotz wiederholter Bemühungen doch
keinen Einlaß in die Heere der Verbündeten erhielt; ſo konnte er ſich mit
einigem Scheine ſpäterhin rühmen niemals im Lager der Feinde Frank-
reichs gefochten zu haben. In den Jahren der Verbannung ſammelte er
auf weiten Wanderfahrten eine mannichfaltige Welt- und Menſchenkennt-
niß, aber er entwuchs auch gänzlich den Ueberlieferungen des königlichen
Hauſes. Der Stolz des franzöſiſchen Prinzen blieb ihm ebenſo fremd
wie das dynaſtiſche Pflichtgefühl; die Macht der Geſchichte, das tauſend-
jährige Recht der Capetinger erweckte in dieſer trockenen Seele gar keine
Ehrfurcht. Sobald die Stunde der Rückkehr ſchlug, war er als ſorgſamer
Hausvater zunächſt darauf bedacht, das ungeheuere Hausvermögen der
Orleans, das gutentheils aus den Miethen der Spielhöllen im Palais
Royal entſtanden war, zurückzugewinnen und ſeiner Familie auf alle Fälle
ein ruhiges Hausweſen zu ſichern. Darum wendete er ſich im Jahre 1821
insgeheim an Eugen Beauharnais und ließ ihm einen gegenſeitigen Ver-
trag vorſchlagen, kraft deſſen Jeder von Beiden, falls ihn bei einer neuen
Revolution das Glück begünſtigte, dem Anderen ungeſtörten Aufenthalt
in Frankreich verſprechen ſollte; der Napoleonide zeigte ſich jedoch ritter-
licher als der Bourbone, er lehnte ab, weil er gegebenen Falls nur die
Herrſchaft Napoleon’s II. ausrufen, alſo keine bindende Zuſage geben könne.*)

*) An dieſen Vorfall, deſſen auch Du Caſſe (Mémoires du prince Eugène, X, 285)
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[18/0032] IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede. näckig betheuerten die Radicalen, die Vertreter des ſouveränen Volks hätten den König frei gewählt obgleich er ein Bourbone ſei; und in der That hatte er die Volksſouveränität anerkannt und feierlich ausgeſprochen, daß er einen Vertrag, un pacte d’alliance mit der Nation geſchloſſen habe. Die neu- geſtaltete Verfaſſung redete nach altem Brauche noch von der Erblichkeit der Krone; doch nachdem von den vier letzten Monarchen Frankreichs nur einer friedlich auf ſeinem Throne geſtorben war, hatte dieſe Vorſchrift blos noch den Werth einer Redensart, und zum Ueberfluß wurde die Charte ausdrücklich „dem Muthe und der Vaterlandsliebe der Nationalgarde und aller franzöſiſchen Bürger anvertraut“ — das will ſagen: dieſer König war verantwortlich und konnte von Rechtswegen entthront werden falls das ſouveräne Volk die Charte für verletzt hielt. Er beſaß die höchſte Gewalt nur auf Wohlverhalten, trotz des monarchiſchen Prunkes der ihn umgab; darum nannte Odilon Barrot den Bürgerkönig die beſte der Republiken. In ſo ſchiefer Stellung konnte ſelbſt ein Fürſt von ſchlichtem Grad- ſinn und reinem Namen dem Rufe der Zweizüngigkeit kaum entgehen; wie viel weniger dieſer vielgewandte Orleans, an deſſen Hauſe noch der ſchlimme Leumund des nichtswürdigen Regenten und des Bürgers Philipp Egalité haftete. Ludwig Philipp war in den Grundſätzen der wiſſens- ſtolzen Aufklärung erzogen und hatte nachher als General der Republik an der Schlacht von Jemappes theilgenommen. Als er dann auswanderte, da fügte es ſein gutes Glück, daß er trotz wiederholter Bemühungen doch keinen Einlaß in die Heere der Verbündeten erhielt; ſo konnte er ſich mit einigem Scheine ſpäterhin rühmen niemals im Lager der Feinde Frank- reichs gefochten zu haben. In den Jahren der Verbannung ſammelte er auf weiten Wanderfahrten eine mannichfaltige Welt- und Menſchenkennt- niß, aber er entwuchs auch gänzlich den Ueberlieferungen des königlichen Hauſes. Der Stolz des franzöſiſchen Prinzen blieb ihm ebenſo fremd wie das dynaſtiſche Pflichtgefühl; die Macht der Geſchichte, das tauſend- jährige Recht der Capetinger erweckte in dieſer trockenen Seele gar keine Ehrfurcht. Sobald die Stunde der Rückkehr ſchlug, war er als ſorgſamer Hausvater zunächſt darauf bedacht, das ungeheuere Hausvermögen der Orleans, das gutentheils aus den Miethen der Spielhöllen im Palais Royal entſtanden war, zurückzugewinnen und ſeiner Familie auf alle Fälle ein ruhiges Hausweſen zu ſichern. Darum wendete er ſich im Jahre 1821 insgeheim an Eugen Beauharnais und ließ ihm einen gegenſeitigen Ver- trag vorſchlagen, kraft deſſen Jeder von Beiden, falls ihn bei einer neuen Revolution das Glück begünſtigte, dem Anderen ungeſtörten Aufenthalt in Frankreich verſprechen ſollte; der Napoleonide zeigte ſich jedoch ritter- licher als der Bourbone, er lehnte ab, weil er gegebenen Falls nur die Herrſchaft Napoleon’s II. ausrufen, alſo keine bindende Zuſage geben könne. *) *) An dieſen Vorfall, deſſen auch Du Caſſe (Mémoires du prince Eugène, X, 285)

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/32>, abgerufen am 29.03.2024.