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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Die Westmächte gegen die Sechs Artikel.
der preußischen Monarchie. Der Schmuggel hörte auf, das verwahrloste
Land erholte sich unter einer gerechten Verwaltung, und da die eine Ein-
bruchsstelle der Coburger Sechser nunmehr geschlossen ward, so konnte
der befruchtende Strom der falschen Münzen nur noch von Coburg aus,
in dünnerem Strahle über die Guldenländer hereinfluthen. Die klein-
fürstliche Souveränität hatte zum ersten male ihren Bankbruch erklärt
und eingestehen müssen, daß sie in bewegter Zeit nicht einmal die nächsten
Pflichten jeder Staatsgewalt zu erfüllen vermochte. --

Alles in Allem war der Widerstand, dem die Sechs Artikel begegneten,
überaus schwächlich, und wer den Dingen näher stand konnte nicht ver-
kennen, daß die entschiedene Opposition erst geringen Anhang besaß.
Entmuthigt zog sich in diesen Tagen der Jenenser Luden aus dem Wei-
marischen Landtage zurück, weil er eine Verwahrung gegen die Bundes-
beschlüsse nicht durchzusetzen vermochte. Im Auslande aber erregten die
lauten Weherufe der liberalen Presse den Eindruck, als ob Deutschland
dem Bürgerkriege entgegentriebe. Im englischen Unterhause beantragte
Henry Lytton Bulwer (2. August 1832), der König solle durch eine Adresse
gebeten werden, beim Bundestage den neuen, Deutschlands Unabhängigkeit
vernichtenden Beschlüssen entgegenzutreten. Der feurige Redner, ein ehr-
licher Freund Deutschlands, fragte zornig, ob je eine solche Verletzung
der heiligsten Versprechungen erhört worden sei? und dies in dem Ge-
burtslande der Freiheit, in dem Lande Luther's, dem auch England seinen
geläuterten Glauben verdanke, bei den Nachkommen der Männer, denen
die Freiheit des Gedankens immer als Losungswort zum Siege gedient
habe! Palmerston antwortete behutsam ausweichend, er pries nur in all-
gemeinen Redensarten den beliebten Bund aller constitutionellen Staaten,
und auf seine Bitte ward der Antrag als unzeitgemäß verworfen. Nach
wenigen Tagen wurde der Lord jedoch andern Sinnes. Warum sollte er
auch nicht versuchen, wieder einmal ohne Unkosten den hochherzigen Be-
schützer der Völkerfreiheit zu spielen, durch treuherzigen Zuspruch die
deutschen Höfe gegen einander zu hetzen und also die erfreuliche Ver-
wirrung auf dem Festlande noch zu steigern? Ueberdies hatte der russische
Gesandte Lieven seine Freude über die Bundesbeschlüsse ausgesprochen,
und der mißtrauische Brite schloß daraus sogleich, daß Czar Nikolaus bei
den Sechs Artikeln mitgeholfen habe.*)

Am 7. Septbr. richtete Palmerston an die Gesandtschaften in Deutsch-
land eine Depesche, die für England als einen Mitunterzeichner der Wiener
Verträge das Recht beanspruchte in deutschen Bundesangelegenheiten mit-
zureden. Leider entbehrte diese Anmaßung nicht eines scheinbaren Grun-
des, da die elf ersten Artikel der Bundesakte allerdings in der Schluß-
akte des Wiener Congresses standen. Die liberalen Westmächte waren ja

*) Brockhausen's Bericht, 17. Aug. 1832.

Die Weſtmächte gegen die Sechs Artikel.
der preußiſchen Monarchie. Der Schmuggel hörte auf, das verwahrloſte
Land erholte ſich unter einer gerechten Verwaltung, und da die eine Ein-
bruchsſtelle der Coburger Sechſer nunmehr geſchloſſen ward, ſo konnte
der befruchtende Strom der falſchen Münzen nur noch von Coburg aus,
in dünnerem Strahle über die Guldenländer hereinfluthen. Die klein-
fürſtliche Souveränität hatte zum erſten male ihren Bankbruch erklärt
und eingeſtehen müſſen, daß ſie in bewegter Zeit nicht einmal die nächſten
Pflichten jeder Staatsgewalt zu erfüllen vermochte. —

Alles in Allem war der Widerſtand, dem die Sechs Artikel begegneten,
überaus ſchwächlich, und wer den Dingen näher ſtand konnte nicht ver-
kennen, daß die entſchiedene Oppoſition erſt geringen Anhang beſaß.
Entmuthigt zog ſich in dieſen Tagen der Jenenſer Luden aus dem Wei-
mariſchen Landtage zurück, weil er eine Verwahrung gegen die Bundes-
beſchlüſſe nicht durchzuſetzen vermochte. Im Auslande aber erregten die
lauten Weherufe der liberalen Preſſe den Eindruck, als ob Deutſchland
dem Bürgerkriege entgegentriebe. Im engliſchen Unterhauſe beantragte
Henry Lytton Bulwer (2. Auguſt 1832), der König ſolle durch eine Adreſſe
gebeten werden, beim Bundestage den neuen, Deutſchlands Unabhängigkeit
vernichtenden Beſchlüſſen entgegenzutreten. Der feurige Redner, ein ehr-
licher Freund Deutſchlands, fragte zornig, ob je eine ſolche Verletzung
der heiligſten Verſprechungen erhört worden ſei? und dies in dem Ge-
burtslande der Freiheit, in dem Lande Luther’s, dem auch England ſeinen
geläuterten Glauben verdanke, bei den Nachkommen der Männer, denen
die Freiheit des Gedankens immer als Loſungswort zum Siege gedient
habe! Palmerſton antwortete behutſam ausweichend, er pries nur in all-
gemeinen Redensarten den beliebten Bund aller conſtitutionellen Staaten,
und auf ſeine Bitte ward der Antrag als unzeitgemäß verworfen. Nach
wenigen Tagen wurde der Lord jedoch andern Sinnes. Warum ſollte er
auch nicht verſuchen, wieder einmal ohne Unkoſten den hochherzigen Be-
ſchützer der Völkerfreiheit zu ſpielen, durch treuherzigen Zuſpruch die
deutſchen Höfe gegen einander zu hetzen und alſo die erfreuliche Ver-
wirrung auf dem Feſtlande noch zu ſteigern? Ueberdies hatte der ruſſiſche
Geſandte Lieven ſeine Freude über die Bundesbeſchlüſſe ausgeſprochen,
und der mißtrauiſche Brite ſchloß daraus ſogleich, daß Czar Nikolaus bei
den Sechs Artikeln mitgeholfen habe.*)

Am 7. Septbr. richtete Palmerſton an die Geſandtſchaften in Deutſch-
land eine Depeſche, die für England als einen Mitunterzeichner der Wiener
Verträge das Recht beanſpruchte in deutſchen Bundesangelegenheiten mit-
zureden. Leider entbehrte dieſe Anmaßung nicht eines ſcheinbaren Grun-
des, da die elf erſten Artikel der Bundesakte allerdings in der Schluß-
akte des Wiener Congreſſes ſtanden. Die liberalen Weſtmächte waren ja

*) Brockhauſen’s Bericht, 17. Aug. 1832.
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[285/0299] Die Weſtmächte gegen die Sechs Artikel. der preußiſchen Monarchie. Der Schmuggel hörte auf, das verwahrloſte Land erholte ſich unter einer gerechten Verwaltung, und da die eine Ein- bruchsſtelle der Coburger Sechſer nunmehr geſchloſſen ward, ſo konnte der befruchtende Strom der falſchen Münzen nur noch von Coburg aus, in dünnerem Strahle über die Guldenländer hereinfluthen. Die klein- fürſtliche Souveränität hatte zum erſten male ihren Bankbruch erklärt und eingeſtehen müſſen, daß ſie in bewegter Zeit nicht einmal die nächſten Pflichten jeder Staatsgewalt zu erfüllen vermochte. — Alles in Allem war der Widerſtand, dem die Sechs Artikel begegneten, überaus ſchwächlich, und wer den Dingen näher ſtand konnte nicht ver- kennen, daß die entſchiedene Oppoſition erſt geringen Anhang beſaß. Entmuthigt zog ſich in dieſen Tagen der Jenenſer Luden aus dem Wei- mariſchen Landtage zurück, weil er eine Verwahrung gegen die Bundes- beſchlüſſe nicht durchzuſetzen vermochte. Im Auslande aber erregten die lauten Weherufe der liberalen Preſſe den Eindruck, als ob Deutſchland dem Bürgerkriege entgegentriebe. Im engliſchen Unterhauſe beantragte Henry Lytton Bulwer (2. Auguſt 1832), der König ſolle durch eine Adreſſe gebeten werden, beim Bundestage den neuen, Deutſchlands Unabhängigkeit vernichtenden Beſchlüſſen entgegenzutreten. Der feurige Redner, ein ehr- licher Freund Deutſchlands, fragte zornig, ob je eine ſolche Verletzung der heiligſten Verſprechungen erhört worden ſei? und dies in dem Ge- burtslande der Freiheit, in dem Lande Luther’s, dem auch England ſeinen geläuterten Glauben verdanke, bei den Nachkommen der Männer, denen die Freiheit des Gedankens immer als Loſungswort zum Siege gedient habe! Palmerſton antwortete behutſam ausweichend, er pries nur in all- gemeinen Redensarten den beliebten Bund aller conſtitutionellen Staaten, und auf ſeine Bitte ward der Antrag als unzeitgemäß verworfen. Nach wenigen Tagen wurde der Lord jedoch andern Sinnes. Warum ſollte er auch nicht verſuchen, wieder einmal ohne Unkoſten den hochherzigen Be- ſchützer der Völkerfreiheit zu ſpielen, durch treuherzigen Zuſpruch die deutſchen Höfe gegen einander zu hetzen und alſo die erfreuliche Ver- wirrung auf dem Feſtlande noch zu ſteigern? Ueberdies hatte der ruſſiſche Geſandte Lieven ſeine Freude über die Bundesbeſchlüſſe ausgeſprochen, und der mißtrauiſche Brite ſchloß daraus ſogleich, daß Czar Nikolaus bei den Sechs Artikeln mitgeholfen habe. *) Am 7. Septbr. richtete Palmerſton an die Geſandtſchaften in Deutſch- land eine Depeſche, die für England als einen Mitunterzeichner der Wiener Verträge das Recht beanſpruchte in deutſchen Bundesangelegenheiten mit- zureden. Leider entbehrte dieſe Anmaßung nicht eines ſcheinbaren Grun- des, da die elf erſten Artikel der Bundesakte allerdings in der Schluß- akte des Wiener Congreſſes ſtanden. Die liberalen Weſtmächte waren ja *) Brockhauſen’s Bericht, 17. Aug. 1832.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/299>, abgerufen am 20.04.2024.