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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Das Hambacher Fest.
Rufe zahlreich gefolgt waren, schritt ein Fähnrich mit dem weißrothen
Banner Polens, dann folgten die Festordner mit einer deutschen Fahne,
worauf geschrieben stand: "Deutschlands Wiedergeburt"; die armen Winzer
trugen ein schwarzes Trauerpanier und beklagten in einem schwer-
müthigen Gesange den schlechten Absatz der pfälzischen Weine. Droben
auf dem Schlosse wurden die Fahnen Deutschlands und Polens feierlich
aufgepflanzt; die alten Feinde, der schwarze und der weiße Adler, ge-
sellten sich gemüthlich zusammen -- ein bedenkliches Vorzeichen für die Zu-
kunft dieser deutschen Tricolore, die leider niemals mehr als ein Partei-
Abzeichen werden sollte. Unheimliche Erinnerungen deutscher Knechtschaft
umschwebten das Gemäuer der Kästenburg, der alten Zwingburg der ver-
rufenen Bischöfe von Speier; sie war einst im Bauernkriege durch das
verzweifelte Landvolk gebrochen und nachher auf Befehl des unbarm-
herzigen Fürsten durch die Zerstörer selbst wieder aufgebaut worden; nun
lag sie nochmals in Trümmern, Dank den Franzosen, und sollte durch
das große Volksfest für immer der Freiheit geweiht werden. Die Menge
lagerte sich unter den schönen Kästenbäumen am Abhang, Mancher be-
grüßte mit Jubelruf die Thürme von Speyer und Mannheim, die fern
aus der üppigen Ebene aufragten. Der Wein floß in Strömen. Vater-
ländische Lieder erklangen, alle frei nach Schiller -- denn längst war
Schiller durch sein mächtiges Pathos der Liebling der kleinen Leute ge-
worden -- alle voll Zornes über "der Deutschen schandenvolle Lage":

Tyrannei, auf Gold gebettet,
Lachte Deiner Hoffnung Hohn,
Hat Dich schimpflicher gekettet
An des Nordens blut'gen Thron.

Zahlreiche Adressen ferner Freunde waren eingelaufen, aus mehreren
deutschen Orten, von dem polnischen National-Comite zu Paris, von
dem radicalen Vereine der Amis du peuple in Straßburg. Auch einige
Rheinpreußen hatten ihren Festgruß gesendet; sie beklagten bitterlich "das
muntere Vöglein des Rheines, das zu dem alten finsteren Uhu in den
Käfig gesperrt" sei, wollten aber ihre Namen nicht nennen "um der guten
Sache nicht zu schaden". Dann schilderte Siebenpfeiffer in langer Rede
"den Gedanken des heutigen Festes, des herrlichsten und bedeutungsvollsten,
das seit Jahrhunderten in Deutschland gefeiert ward". Er sah den Tag
kommen, "wo die Fürsten die bunten Hermeline feudalistischer Gottstatt-
halterschaft mit der männlichen Toga deutscher Nationalwürde vertauschen;
wo das deutsche Weib, nicht mehr die dienstpflichtige Magd des herrschenden
Mannes, sondern die freie Genossin des freien Bürgers, unseren Söhnen
und Töchtern schon als stammelnden Säuglingen die Freiheit einflößt",
und schloß mit einem Hoch auf Deutschland, Polen, Frankreich, auf
jedes Volk das seine Ketten bricht, auf Vaterland, Volksfreiheit, Völker-
bund. Noch kräftiger ging Wirth mit der Sprache heraus. Der ließ

Das Hambacher Feſt.
Rufe zahlreich gefolgt waren, ſchritt ein Fähnrich mit dem weißrothen
Banner Polens, dann folgten die Feſtordner mit einer deutſchen Fahne,
worauf geſchrieben ſtand: „Deutſchlands Wiedergeburt“; die armen Winzer
trugen ein ſchwarzes Trauerpanier und beklagten in einem ſchwer-
müthigen Geſange den ſchlechten Abſatz der pfälziſchen Weine. Droben
auf dem Schloſſe wurden die Fahnen Deutſchlands und Polens feierlich
aufgepflanzt; die alten Feinde, der ſchwarze und der weiße Adler, ge-
ſellten ſich gemüthlich zuſammen — ein bedenkliches Vorzeichen für die Zu-
kunft dieſer deutſchen Tricolore, die leider niemals mehr als ein Partei-
Abzeichen werden ſollte. Unheimliche Erinnerungen deutſcher Knechtſchaft
umſchwebten das Gemäuer der Käſtenburg, der alten Zwingburg der ver-
rufenen Biſchöfe von Speier; ſie war einſt im Bauernkriege durch das
verzweifelte Landvolk gebrochen und nachher auf Befehl des unbarm-
herzigen Fürſten durch die Zerſtörer ſelbſt wieder aufgebaut worden; nun
lag ſie nochmals in Trümmern, Dank den Franzoſen, und ſollte durch
das große Volksfeſt für immer der Freiheit geweiht werden. Die Menge
lagerte ſich unter den ſchönen Käſtenbäumen am Abhang, Mancher be-
grüßte mit Jubelruf die Thürme von Speyer und Mannheim, die fern
aus der üppigen Ebene aufragten. Der Wein floß in Strömen. Vater-
ländiſche Lieder erklangen, alle frei nach Schiller — denn längſt war
Schiller durch ſein mächtiges Pathos der Liebling der kleinen Leute ge-
worden — alle voll Zornes über „der Deutſchen ſchandenvolle Lage“:

Tyrannei, auf Gold gebettet,
Lachte Deiner Hoffnung Hohn,
Hat Dich ſchimpflicher gekettet
An des Nordens blut’gen Thron.

Zahlreiche Adreſſen ferner Freunde waren eingelaufen, aus mehreren
deutſchen Orten, von dem polniſchen National-Comité zu Paris, von
dem radicalen Vereine der Amis du peuple in Straßburg. Auch einige
Rheinpreußen hatten ihren Feſtgruß geſendet; ſie beklagten bitterlich „das
muntere Vöglein des Rheines, das zu dem alten finſteren Uhu in den
Käfig geſperrt“ ſei, wollten aber ihre Namen nicht nennen „um der guten
Sache nicht zu ſchaden“. Dann ſchilderte Siebenpfeiffer in langer Rede
„den Gedanken des heutigen Feſtes, des herrlichſten und bedeutungsvollſten,
das ſeit Jahrhunderten in Deutſchland gefeiert ward“. Er ſah den Tag
kommen, „wo die Fürſten die bunten Hermeline feudaliſtiſcher Gottſtatt-
halterſchaft mit der männlichen Toga deutſcher Nationalwürde vertauſchen;
wo das deutſche Weib, nicht mehr die dienſtpflichtige Magd des herrſchenden
Mannes, ſondern die freie Genoſſin des freien Bürgers, unſeren Söhnen
und Töchtern ſchon als ſtammelnden Säuglingen die Freiheit einflößt“,
und ſchloß mit einem Hoch auf Deutſchland, Polen, Frankreich, auf
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bund. Noch kräftiger ging Wirth mit der Sprache heraus. Der ließ

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[263/0277] Das Hambacher Feſt. Rufe zahlreich gefolgt waren, ſchritt ein Fähnrich mit dem weißrothen Banner Polens, dann folgten die Feſtordner mit einer deutſchen Fahne, worauf geſchrieben ſtand: „Deutſchlands Wiedergeburt“; die armen Winzer trugen ein ſchwarzes Trauerpanier und beklagten in einem ſchwer- müthigen Geſange den ſchlechten Abſatz der pfälziſchen Weine. Droben auf dem Schloſſe wurden die Fahnen Deutſchlands und Polens feierlich aufgepflanzt; die alten Feinde, der ſchwarze und der weiße Adler, ge- ſellten ſich gemüthlich zuſammen — ein bedenkliches Vorzeichen für die Zu- kunft dieſer deutſchen Tricolore, die leider niemals mehr als ein Partei- Abzeichen werden ſollte. Unheimliche Erinnerungen deutſcher Knechtſchaft umſchwebten das Gemäuer der Käſtenburg, der alten Zwingburg der ver- rufenen Biſchöfe von Speier; ſie war einſt im Bauernkriege durch das verzweifelte Landvolk gebrochen und nachher auf Befehl des unbarm- herzigen Fürſten durch die Zerſtörer ſelbſt wieder aufgebaut worden; nun lag ſie nochmals in Trümmern, Dank den Franzoſen, und ſollte durch das große Volksfeſt für immer der Freiheit geweiht werden. Die Menge lagerte ſich unter den ſchönen Käſtenbäumen am Abhang, Mancher be- grüßte mit Jubelruf die Thürme von Speyer und Mannheim, die fern aus der üppigen Ebene aufragten. Der Wein floß in Strömen. Vater- ländiſche Lieder erklangen, alle frei nach Schiller — denn längſt war Schiller durch ſein mächtiges Pathos der Liebling der kleinen Leute ge- worden — alle voll Zornes über „der Deutſchen ſchandenvolle Lage“: Tyrannei, auf Gold gebettet, Lachte Deiner Hoffnung Hohn, Hat Dich ſchimpflicher gekettet An des Nordens blut’gen Thron. Zahlreiche Adreſſen ferner Freunde waren eingelaufen, aus mehreren deutſchen Orten, von dem polniſchen National-Comité zu Paris, von dem radicalen Vereine der Amis du peuple in Straßburg. Auch einige Rheinpreußen hatten ihren Feſtgruß geſendet; ſie beklagten bitterlich „das muntere Vöglein des Rheines, das zu dem alten finſteren Uhu in den Käfig geſperrt“ ſei, wollten aber ihre Namen nicht nennen „um der guten Sache nicht zu ſchaden“. Dann ſchilderte Siebenpfeiffer in langer Rede „den Gedanken des heutigen Feſtes, des herrlichſten und bedeutungsvollſten, das ſeit Jahrhunderten in Deutſchland gefeiert ward“. Er ſah den Tag kommen, „wo die Fürſten die bunten Hermeline feudaliſtiſcher Gottſtatt- halterſchaft mit der männlichen Toga deutſcher Nationalwürde vertauſchen; wo das deutſche Weib, nicht mehr die dienſtpflichtige Magd des herrſchenden Mannes, ſondern die freie Genoſſin des freien Bürgers, unſeren Söhnen und Töchtern ſchon als ſtammelnden Säuglingen die Freiheit einflößt“, und ſchloß mit einem Hoch auf Deutſchland, Polen, Frankreich, auf jedes Volk das ſeine Ketten bricht, auf Vaterland, Volksfreiheit, Völker- bund. Noch kräftiger ging Wirth mit der Sprache heraus. Der ließ

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/277>, abgerufen am 20.04.2024.