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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Die Juli-Ordonnanzen.
Krone ungeschmälert seinen Nachfolgern vermachen und strafbare Umtriebe
zu unterdrücken wissen. Er sagte nichts was ihm nicht zustand, jedoch den
erregten Hörern klangen seine Worte wie eine Drohung. Die Kammer
antwortete durch eine unehrerbietige Adresse; sie beschwerte sich über das
Mißtrauen der Monarchen und stellte den Grundsatz auf: die fortwäh-
rende Uebereinstimmung der Ansichten der Regierung mit den Wünschen
des Volks ist die unerläßliche Bedingung des regelmäßigen Ganges der
öffentlichen Angelegenheiten. Derselbe Royer-Collard, der vormals das
parlamentarische Regierungssystem als den Tod der Monarchie bezeichnet
hatte, verlas jetzt vor König Karl die Adresse, welche dies System für
allein zulässig erklärte. Sofort befahl der König die Vertagung der Kam-
mern. Welch ein wüster, unaufrichtiger, gegenstandsloser Zank brodelte
wieder einmal aus dem Hexenkessel der keltischen Leidenschaften empor! Die
Kammer verlangte von der Krone die Entlassung eines Cabinets, das noch
nichts gethan, und der König trieb die Volksvertreter auseinander bevor
sie noch irgend einen Vorschlag der Regierung verworfen hatten! Eben
in diesen Tagen banger Spannung schritt Victor Hugo's Hernani zum
ersten male über die Bretter, die formlose Ausgeburt einer überhitzten
Phantasie; der jubelnde Beifall der Zuschauer bekundete, daß die Nation
ihrer classischen Ideale müde und auch eine literarische Revolution im
Anzug war. Im Mai erfolgte die Auflösung der Kammer. Aus einem
heftigen Wahlkampfe ging die bisherige Mehrheit, erheblich verstärkt, als
Siegerin hervor, was außer dem Könige und seinen Vertrauten Jeder-
mann vorausgesehen hatte. Der Minister aber ließ sich nicht beirren,
fester denn je war er von seinem Rechte überzeugt. Er sagte: der König
würde wie sein Bruder das Schaffot besteigen, wenn er uns entließe! --
und betrieb nun erst ernstlich den Plan eines Staatsstreichs.*)

Von den fremden Gesandten hielt nur noch der Nuntius Lambruschini
bei dem Freunde aus. Selbst Graf Apponyi, der bisher der apostolischen
Partei sehr nahe gestanden, zog sich als die Entscheidung nahte behutsam
zurück, wie vorher schon Lord Stewart; Werther dagegen und Pozzo di Borgo
hatten sich von vornherein zu diesem Cabinet kein Herz fassen wollen. Die
großen Mächte verdammten alle die Haltung der Kammern, aber alle
warnten auch vor der vermessenen Thorheit eines Verfassungsbruchs.**)
Es war vergeblich. Am 25. Juli unterzeichnete der König die verhäng-
nißvollen Ordonnanzen, die auf Grund des vieldeutigen Art. 14 der
Charte das Wahlgesetz abänderten, die Preßfreiheit suspendirten, die neu-
gewählte Kammer auflösten. Die Krone setzte sich selber ins Unrecht,
gab ihren Feinden den erwünschten Vorwand als unschuldige Vertheidiger
der Verfassung aufzutreten. Am übernächsten Tage brach der Aufruhr

*) Werther's Bericht, 27. Juni 1830.
**) Bernstorff an Werther 14. Mai, Werther's Berichte 22. Mai, 10. Juni 1830.

Die Juli-Ordonnanzen.
Krone ungeſchmälert ſeinen Nachfolgern vermachen und ſtrafbare Umtriebe
zu unterdrücken wiſſen. Er ſagte nichts was ihm nicht zuſtand, jedoch den
erregten Hörern klangen ſeine Worte wie eine Drohung. Die Kammer
antwortete durch eine unehrerbietige Adreſſe; ſie beſchwerte ſich über das
Mißtrauen der Monarchen und ſtellte den Grundſatz auf: die fortwäh-
rende Uebereinſtimmung der Anſichten der Regierung mit den Wünſchen
des Volks iſt die unerläßliche Bedingung des regelmäßigen Ganges der
öffentlichen Angelegenheiten. Derſelbe Royer-Collard, der vormals das
parlamentariſche Regierungsſyſtem als den Tod der Monarchie bezeichnet
hatte, verlas jetzt vor König Karl die Adreſſe, welche dies Syſtem für
allein zuläſſig erklärte. Sofort befahl der König die Vertagung der Kam-
mern. Welch ein wüſter, unaufrichtiger, gegenſtandsloſer Zank brodelte
wieder einmal aus dem Hexenkeſſel der keltiſchen Leidenſchaften empor! Die
Kammer verlangte von der Krone die Entlaſſung eines Cabinets, das noch
nichts gethan, und der König trieb die Volksvertreter auseinander bevor
ſie noch irgend einen Vorſchlag der Regierung verworfen hatten! Eben
in dieſen Tagen banger Spannung ſchritt Victor Hugo’s Hernani zum
erſten male über die Bretter, die formloſe Ausgeburt einer überhitzten
Phantaſie; der jubelnde Beifall der Zuſchauer bekundete, daß die Nation
ihrer claſſiſchen Ideale müde und auch eine literariſche Revolution im
Anzug war. Im Mai erfolgte die Auflöſung der Kammer. Aus einem
heftigen Wahlkampfe ging die bisherige Mehrheit, erheblich verſtärkt, als
Siegerin hervor, was außer dem Könige und ſeinen Vertrauten Jeder-
mann vorausgeſehen hatte. Der Miniſter aber ließ ſich nicht beirren,
feſter denn je war er von ſeinem Rechte überzeugt. Er ſagte: der König
würde wie ſein Bruder das Schaffot beſteigen, wenn er uns entließe! —
und betrieb nun erſt ernſtlich den Plan eines Staatsſtreichs.*)

Von den fremden Geſandten hielt nur noch der Nuntius Lambruschini
bei dem Freunde aus. Selbſt Graf Apponyi, der bisher der apoſtoliſchen
Partei ſehr nahe geſtanden, zog ſich als die Entſcheidung nahte behutſam
zurück, wie vorher ſchon Lord Stewart; Werther dagegen und Pozzo di Borgo
hatten ſich von vornherein zu dieſem Cabinet kein Herz faſſen wollen. Die
großen Mächte verdammten alle die Haltung der Kammern, aber alle
warnten auch vor der vermeſſenen Thorheit eines Verfaſſungsbruchs.**)
Es war vergeblich. Am 25. Juli unterzeichnete der König die verhäng-
nißvollen Ordonnanzen, die auf Grund des vieldeutigen Art. 14 der
Charte das Wahlgeſetz abänderten, die Preßfreiheit ſuspendirten, die neu-
gewählte Kammer auflöſten. Die Krone ſetzte ſich ſelber ins Unrecht,
gab ihren Feinden den erwünſchten Vorwand als unſchuldige Vertheidiger
der Verfaſſung aufzutreten. Am übernächſten Tage brach der Aufruhr

*) Werther’s Bericht, 27. Juni 1830.
**) Bernſtorff an Werther 14. Mai, Werther’s Berichte 22. Mai, 10. Juni 1830.
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[13/0027] Die Juli-Ordonnanzen. Krone ungeſchmälert ſeinen Nachfolgern vermachen und ſtrafbare Umtriebe zu unterdrücken wiſſen. Er ſagte nichts was ihm nicht zuſtand, jedoch den erregten Hörern klangen ſeine Worte wie eine Drohung. Die Kammer antwortete durch eine unehrerbietige Adreſſe; ſie beſchwerte ſich über das Mißtrauen der Monarchen und ſtellte den Grundſatz auf: die fortwäh- rende Uebereinſtimmung der Anſichten der Regierung mit den Wünſchen des Volks iſt die unerläßliche Bedingung des regelmäßigen Ganges der öffentlichen Angelegenheiten. Derſelbe Royer-Collard, der vormals das parlamentariſche Regierungsſyſtem als den Tod der Monarchie bezeichnet hatte, verlas jetzt vor König Karl die Adreſſe, welche dies Syſtem für allein zuläſſig erklärte. Sofort befahl der König die Vertagung der Kam- mern. Welch ein wüſter, unaufrichtiger, gegenſtandsloſer Zank brodelte wieder einmal aus dem Hexenkeſſel der keltiſchen Leidenſchaften empor! Die Kammer verlangte von der Krone die Entlaſſung eines Cabinets, das noch nichts gethan, und der König trieb die Volksvertreter auseinander bevor ſie noch irgend einen Vorſchlag der Regierung verworfen hatten! Eben in dieſen Tagen banger Spannung ſchritt Victor Hugo’s Hernani zum erſten male über die Bretter, die formloſe Ausgeburt einer überhitzten Phantaſie; der jubelnde Beifall der Zuſchauer bekundete, daß die Nation ihrer claſſiſchen Ideale müde und auch eine literariſche Revolution im Anzug war. Im Mai erfolgte die Auflöſung der Kammer. Aus einem heftigen Wahlkampfe ging die bisherige Mehrheit, erheblich verſtärkt, als Siegerin hervor, was außer dem Könige und ſeinen Vertrauten Jeder- mann vorausgeſehen hatte. Der Miniſter aber ließ ſich nicht beirren, feſter denn je war er von ſeinem Rechte überzeugt. Er ſagte: der König würde wie ſein Bruder das Schaffot beſteigen, wenn er uns entließe! — und betrieb nun erſt ernſtlich den Plan eines Staatsſtreichs. *) Von den fremden Geſandten hielt nur noch der Nuntius Lambruschini bei dem Freunde aus. Selbſt Graf Apponyi, der bisher der apoſtoliſchen Partei ſehr nahe geſtanden, zog ſich als die Entſcheidung nahte behutſam zurück, wie vorher ſchon Lord Stewart; Werther dagegen und Pozzo di Borgo hatten ſich von vornherein zu dieſem Cabinet kein Herz faſſen wollen. Die großen Mächte verdammten alle die Haltung der Kammern, aber alle warnten auch vor der vermeſſenen Thorheit eines Verfaſſungsbruchs. **) Es war vergeblich. Am 25. Juli unterzeichnete der König die verhäng- nißvollen Ordonnanzen, die auf Grund des vieldeutigen Art. 14 der Charte das Wahlgeſetz abänderten, die Preßfreiheit ſuspendirten, die neu- gewählte Kammer auflöſten. Die Krone ſetzte ſich ſelber ins Unrecht, gab ihren Feinden den erwünſchten Vorwand als unſchuldige Vertheidiger der Verfaſſung aufzutreten. Am übernächſten Tage brach der Aufruhr *) Werther’s Bericht, 27. Juni 1830. **) Bernſtorff an Werther 14. Mai, Werther’s Berichte 22. Mai, 10. Juni 1830.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/27>, abgerufen am 29.03.2024.