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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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König Ludwig's Verstimmung.
Gleich ihm war auch der neue Minister des Auswärtigen, Frhr. v. Gise
ein Anhänger Metternich's. Von dem Fürsten Oettingen-Wallerstein,
einem geistreichen Weltmanne, dem der König ganz unvermuthet die Ver-
waltung des Innern übertrug, wußte man bisher noch wenig. Nur so
viel war sicher, daß die neue Regierung der Wiener Hofburg näher stehen
würde als die alte. Unablässig bearbeitete Kaiserin Karoline Auguste
ihren königlichen Bruder mit frommen Rathschlägen; und da in Baiern
eine politisch-conservative Partei außerhalb der Kreise des hohen Beam-
tenthums kaum vorhanden war, so regte sich schon die besorgte Frage, ob
König Ludwig sich nicht bald den mächtigen Clericalen, die seinen ro-
mantischen Anschauungen doch sehr nahe standen, ganz in die Arme
werfen würde. --


Noch eifriger als die Landtage bemühte sich die rasch ins Kraut ge-
schossene Presse Süddeutschlands, die Höfe in die Bahnen der Reaction
hineinzuzwingen. Unter den Zeitschriften des oberländischen Liberalismus
galten die früherhin von Posselt, dann von Murhard, neuerdings von Rotteck
herausgegebenen Politischen Annalen immerhin noch für das anständigste
Blatt, und welch ein thörichtes radicales Weltbürgerthum ward hier ver-
treten. Von Deutschland, von den Pflichten nationaler Ehre und Selbst-
behauptung war gar nicht mehr die Rede. Der ehrliche Freiburger
Doctrinär sah auf der Welt nichts weiter als den Freiheit krähenden
gallischen Hahn und dessen Todfeindin, "die heilige Allianz". "Die Ge-
schichte der Welt, so schrieb Rotteck im Januar 1831, hat kein anderes Jahr
von so unermeßlicher und verhängnißvoller Wichtigkeit aufzuweisen, wie
jenes das soeben zu Ende ging." Darum fand er es entsetzlich, daß
"Lafayette, der Abgott aller wohldenkenden Franzosen, dem schändlichen
Hasse der Aristokraten aufgeopfert" wurde. Darum verlangte er auch
die Einmischung der deutschen Mächte zu Gunsten der aufständischen Polen,
eine Intervention, die grade "aus dem Princip der Nichtintervention zu
rechtfertigen" sei! "Belgien, so unentbehrlich zur Sicherstellung Frank-
reichs gegen die Waffenmacht der heiligen Allianz", wurde zu Rotteck's
Bedauern durch die Friedensliebe der Justemilianer verschmäht, und der
badische Staatsweise wünschte von Herzen, daß diesem friedlichen Ent-
schlusse des freien Frankreichs nicht "eine allzu späte Reue" folgen möchte.
Als der betriebsame bairische Kammerredner Hornthal wieder einmal eine
Schrift herausgab um die Neutralität Deutschlands gegenüber der Juli-
Revolution zu verlangen, da ward er von Rotteck hart angelassen: das
sei zu wenig; jetzt handle es sich um die allgemeine Freiheit und Civili-
sation, also müßten Deutschlands constitutionelle Fürsten Partei ergreifen,
"ihr Wort und ihre Arme legen in die Wagschale der Constitution". So
mit der ganzen harmlosen Unwissenheit des politischen Dilettanten predigte

König Ludwig’s Verſtimmung.
Gleich ihm war auch der neue Miniſter des Auswärtigen, Frhr. v. Giſe
ein Anhänger Metternich’s. Von dem Fürſten Oettingen-Wallerſtein,
einem geiſtreichen Weltmanne, dem der König ganz unvermuthet die Ver-
waltung des Innern übertrug, wußte man bisher noch wenig. Nur ſo
viel war ſicher, daß die neue Regierung der Wiener Hofburg näher ſtehen
würde als die alte. Unabläſſig bearbeitete Kaiſerin Karoline Auguſte
ihren königlichen Bruder mit frommen Rathſchlägen; und da in Baiern
eine politiſch-conſervative Partei außerhalb der Kreiſe des hohen Beam-
tenthums kaum vorhanden war, ſo regte ſich ſchon die beſorgte Frage, ob
König Ludwig ſich nicht bald den mächtigen Clericalen, die ſeinen ro-
mantiſchen Anſchauungen doch ſehr nahe ſtanden, ganz in die Arme
werfen würde. —


Noch eifriger als die Landtage bemühte ſich die raſch ins Kraut ge-
ſchoſſene Preſſe Süddeutſchlands, die Höfe in die Bahnen der Reaction
hineinzuzwingen. Unter den Zeitſchriften des oberländiſchen Liberalismus
galten die früherhin von Poſſelt, dann von Murhard, neuerdings von Rotteck
herausgegebenen Politiſchen Annalen immerhin noch für das anſtändigſte
Blatt, und welch ein thörichtes radicales Weltbürgerthum ward hier ver-
treten. Von Deutſchland, von den Pflichten nationaler Ehre und Selbſt-
behauptung war gar nicht mehr die Rede. Der ehrliche Freiburger
Doctrinär ſah auf der Welt nichts weiter als den Freiheit krähenden
galliſchen Hahn und deſſen Todfeindin, „die heilige Allianz“. „Die Ge-
ſchichte der Welt, ſo ſchrieb Rotteck im Januar 1831, hat kein anderes Jahr
von ſo unermeßlicher und verhängnißvoller Wichtigkeit aufzuweiſen, wie
jenes das ſoeben zu Ende ging.“ Darum fand er es entſetzlich, daß
„Lafayette, der Abgott aller wohldenkenden Franzoſen, dem ſchändlichen
Haſſe der Ariſtokraten aufgeopfert“ wurde. Darum verlangte er auch
die Einmiſchung der deutſchen Mächte zu Gunſten der aufſtändiſchen Polen,
eine Intervention, die grade „aus dem Princip der Nichtintervention zu
rechtfertigen“ ſei! „Belgien, ſo unentbehrlich zur Sicherſtellung Frank-
reichs gegen die Waffenmacht der heiligen Allianz“, wurde zu Rotteck’s
Bedauern durch die Friedensliebe der Juſtemilianer verſchmäht, und der
badiſche Staatsweiſe wünſchte von Herzen, daß dieſem friedlichen Ent-
ſchluſſe des freien Frankreichs nicht „eine allzu ſpäte Reue“ folgen möchte.
Als der betriebſame bairiſche Kammerredner Hornthal wieder einmal eine
Schrift herausgab um die Neutralität Deutſchlands gegenüber der Juli-
Revolution zu verlangen, da ward er von Rotteck hart angelaſſen: das
ſei zu wenig; jetzt handle es ſich um die allgemeine Freiheit und Civili-
ſation, alſo müßten Deutſchlands conſtitutionelle Fürſten Partei ergreifen,
„ihr Wort und ihre Arme legen in die Wagſchale der Conſtitution“. So
mit der ganzen harmloſen Unwiſſenheit des politiſchen Dilettanten predigte

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[247/0261] König Ludwig’s Verſtimmung. Gleich ihm war auch der neue Miniſter des Auswärtigen, Frhr. v. Giſe ein Anhänger Metternich’s. Von dem Fürſten Oettingen-Wallerſtein, einem geiſtreichen Weltmanne, dem der König ganz unvermuthet die Ver- waltung des Innern übertrug, wußte man bisher noch wenig. Nur ſo viel war ſicher, daß die neue Regierung der Wiener Hofburg näher ſtehen würde als die alte. Unabläſſig bearbeitete Kaiſerin Karoline Auguſte ihren königlichen Bruder mit frommen Rathſchlägen; und da in Baiern eine politiſch-conſervative Partei außerhalb der Kreiſe des hohen Beam- tenthums kaum vorhanden war, ſo regte ſich ſchon die beſorgte Frage, ob König Ludwig ſich nicht bald den mächtigen Clericalen, die ſeinen ro- mantiſchen Anſchauungen doch ſehr nahe ſtanden, ganz in die Arme werfen würde. — Noch eifriger als die Landtage bemühte ſich die raſch ins Kraut ge- ſchoſſene Preſſe Süddeutſchlands, die Höfe in die Bahnen der Reaction hineinzuzwingen. Unter den Zeitſchriften des oberländiſchen Liberalismus galten die früherhin von Poſſelt, dann von Murhard, neuerdings von Rotteck herausgegebenen Politiſchen Annalen immerhin noch für das anſtändigſte Blatt, und welch ein thörichtes radicales Weltbürgerthum ward hier ver- treten. Von Deutſchland, von den Pflichten nationaler Ehre und Selbſt- behauptung war gar nicht mehr die Rede. Der ehrliche Freiburger Doctrinär ſah auf der Welt nichts weiter als den Freiheit krähenden galliſchen Hahn und deſſen Todfeindin, „die heilige Allianz“. „Die Ge- ſchichte der Welt, ſo ſchrieb Rotteck im Januar 1831, hat kein anderes Jahr von ſo unermeßlicher und verhängnißvoller Wichtigkeit aufzuweiſen, wie jenes das ſoeben zu Ende ging.“ Darum fand er es entſetzlich, daß „Lafayette, der Abgott aller wohldenkenden Franzoſen, dem ſchändlichen Haſſe der Ariſtokraten aufgeopfert“ wurde. Darum verlangte er auch die Einmiſchung der deutſchen Mächte zu Gunſten der aufſtändiſchen Polen, eine Intervention, die grade „aus dem Princip der Nichtintervention zu rechtfertigen“ ſei! „Belgien, ſo unentbehrlich zur Sicherſtellung Frank- reichs gegen die Waffenmacht der heiligen Allianz“, wurde zu Rotteck’s Bedauern durch die Friedensliebe der Juſtemilianer verſchmäht, und der badiſche Staatsweiſe wünſchte von Herzen, daß dieſem friedlichen Ent- ſchluſſe des freien Frankreichs nicht „eine allzu ſpäte Reue“ folgen möchte. Als der betriebſame bairiſche Kammerredner Hornthal wieder einmal eine Schrift herausgab um die Neutralität Deutſchlands gegenüber der Juli- Revolution zu verlangen, da ward er von Rotteck hart angelaſſen: das ſei zu wenig; jetzt handle es ſich um die allgemeine Freiheit und Civili- ſation, alſo müßten Deutſchlands conſtitutionelle Fürſten Partei ergreifen, „ihr Wort und ihre Arme legen in die Wagſchale der Conſtitution“. So mit der ganzen harmloſen Unwiſſenheit des politiſchen Dilettanten predigte

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/261>, abgerufen am 28.03.2024.