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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 4. Landtage und Feste in Oberdeutschland.
wenig: über die Ablösung der Scharwerke und der Zehnten, über das
längst geplante, dringend nöthige Landesculturgesetz äußerte sie nur aller-
hand Wünsche, ohne sich über ausführbare Vorschläge zu einigen, und
der beschränkten Gewerbefreiheit, welche das neue Concessionssystem ge-
währte, trat sie sogar feindlich entgegen, weil die Kleinbürger, geängstigt
durch den wachsenden Wettbewerb, sich in stürmischen Adressen über die
neue Freiheit beschwerten. Als die Stände um Weihnachten mit wenigen
trockenen Worten heimgeschickt wurden, da trennte man sich zwar noch
in leidlichem Frieden. Ein Bruch war für diesmal vermieden, und das
preußische Auswärtige Amt erkannte dankbar an, daß die Landtagsver-
handlungen hier doch nicht ganz so stürmisch verlaufen waren wie in
Karlsruhe oder Cassel.*) Rotenhan aber und wer sonst unter den be-
sonneneren Abgeordneten dem Hofe nahe stand, schaute voll Besorgniß
in die Zukunft. Denn der König, dessen Wille in dem streng monar-
chischen Staate doch immer den Ausschlag gab, verhehlte nicht seinen
Zorn über die thörichten und aufreizenden Reden dieses "langen und
leidigen Landtags". Er ward irr an den constitutionellen Idealen seiner
Jugend. Nach der Weise enttäuschter Enthusiasten wendete er sich schroff
von diesen holden Träumen ab und ließ den selbstherrlichen Neigungen
seines Charakters die Zügel schießen, obgleich er an die förmliche Auf-
hebung der Verfassung niemals dachte. "Erobert von der Prosa wird
die Welt", so rief er schmerzlich, als ihm die Liberalen seine künstlerischen
Pläne störten und Goethe dem verkannten frommen Bauherrn seine
Theilnahme aussprechen ließ. Er klagte über den Wandel der Volksgunst,
über das Schwinden der alten Treue:

Deutsches Volk, das einst so fromm und bieder,
Nun ergriffen von dem Schwindelgeist,
Redlich wie Du warest werde wieder!
Besser die Geschichte keines weist.

Und es blieb nicht bei den strafenden Worten. Die Opposition
hatte sich gründlich verrechnet, als sie nach der Entlassung Schenk's den
Beginn eines liberalen Regiments erhoffte. Zu Ende des Jahres trat
der alte Zentner aus, der so viele Jahre hindurch Beamtenthum und
Landtag in Eintracht erhalten hatte. Zugleich erhielt auch Armansperg
ungnädigen Abschied, zum großen Leidwesen der preußischen Regierung;
alle seine Verdienste um den Staatshaushalt und den preußisch-bairischen
Zollvertrag galten jetzt nichts mehr, da der österreichische Hof und die
Genossen der Münchener "Congregation" ihn schon längst, durchaus mit
Unrecht, als einen geheimen Gönner des Liberalismus verdächtigt hatten.**)
Nunmehr übernahm Feldmarschall Wrede den Vorsitz im Ministerrath.

*) Ancillon, Weisung an Küster, 8. Jan. 1832.
**) Küster's Berichte, 14. Febr., 18. Apr., 7. 24. Mai, 22. 31. Dec. 1831.

IV. 4. Landtage und Feſte in Oberdeutſchland.
wenig: über die Ablöſung der Scharwerke und der Zehnten, über das
längſt geplante, dringend nöthige Landesculturgeſetz äußerte ſie nur aller-
hand Wünſche, ohne ſich über ausführbare Vorſchläge zu einigen, und
der beſchränkten Gewerbefreiheit, welche das neue Conceſſionsſyſtem ge-
währte, trat ſie ſogar feindlich entgegen, weil die Kleinbürger, geängſtigt
durch den wachſenden Wettbewerb, ſich in ſtürmiſchen Adreſſen über die
neue Freiheit beſchwerten. Als die Stände um Weihnachten mit wenigen
trockenen Worten heimgeſchickt wurden, da trennte man ſich zwar noch
in leidlichem Frieden. Ein Bruch war für diesmal vermieden, und das
preußiſche Auswärtige Amt erkannte dankbar an, daß die Landtagsver-
handlungen hier doch nicht ganz ſo ſtürmiſch verlaufen waren wie in
Karlsruhe oder Caſſel.*) Rotenhan aber und wer ſonſt unter den be-
ſonneneren Abgeordneten dem Hofe nahe ſtand, ſchaute voll Beſorgniß
in die Zukunft. Denn der König, deſſen Wille in dem ſtreng monar-
chiſchen Staate doch immer den Ausſchlag gab, verhehlte nicht ſeinen
Zorn über die thörichten und aufreizenden Reden dieſes „langen und
leidigen Landtags“. Er ward irr an den conſtitutionellen Idealen ſeiner
Jugend. Nach der Weiſe enttäuſchter Enthuſiaſten wendete er ſich ſchroff
von dieſen holden Träumen ab und ließ den ſelbſtherrlichen Neigungen
ſeines Charakters die Zügel ſchießen, obgleich er an die förmliche Auf-
hebung der Verfaſſung niemals dachte. „Erobert von der Proſa wird
die Welt“, ſo rief er ſchmerzlich, als ihm die Liberalen ſeine künſtleriſchen
Pläne ſtörten und Goethe dem verkannten frommen Bauherrn ſeine
Theilnahme ausſprechen ließ. Er klagte über den Wandel der Volksgunſt,
über das Schwinden der alten Treue:

Deutſches Volk, das einſt ſo fromm und bieder,
Nun ergriffen von dem Schwindelgeiſt,
Redlich wie Du wareſt werde wieder!
Beſſer die Geſchichte keines weiſt.

Und es blieb nicht bei den ſtrafenden Worten. Die Oppoſition
hatte ſich gründlich verrechnet, als ſie nach der Entlaſſung Schenk’s den
Beginn eines liberalen Regiments erhoffte. Zu Ende des Jahres trat
der alte Zentner aus, der ſo viele Jahre hindurch Beamtenthum und
Landtag in Eintracht erhalten hatte. Zugleich erhielt auch Armansperg
ungnädigen Abſchied, zum großen Leidweſen der preußiſchen Regierung;
alle ſeine Verdienſte um den Staatshaushalt und den preußiſch-bairiſchen
Zollvertrag galten jetzt nichts mehr, da der öſterreichiſche Hof und die
Genoſſen der Münchener „Congregation“ ihn ſchon längſt, durchaus mit
Unrecht, als einen geheimen Gönner des Liberalismus verdächtigt hatten.**)
Nunmehr übernahm Feldmarſchall Wrede den Vorſitz im Miniſterrath.

*) Ancillon, Weiſung an Küſter, 8. Jan. 1832.
**) Küſter’s Berichte, 14. Febr., 18. Apr., 7. 24. Mai, 22. 31. Dec. 1831.
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[246/0260] IV. 4. Landtage und Feſte in Oberdeutſchland. wenig: über die Ablöſung der Scharwerke und der Zehnten, über das längſt geplante, dringend nöthige Landesculturgeſetz äußerte ſie nur aller- hand Wünſche, ohne ſich über ausführbare Vorſchläge zu einigen, und der beſchränkten Gewerbefreiheit, welche das neue Conceſſionsſyſtem ge- währte, trat ſie ſogar feindlich entgegen, weil die Kleinbürger, geängſtigt durch den wachſenden Wettbewerb, ſich in ſtürmiſchen Adreſſen über die neue Freiheit beſchwerten. Als die Stände um Weihnachten mit wenigen trockenen Worten heimgeſchickt wurden, da trennte man ſich zwar noch in leidlichem Frieden. Ein Bruch war für diesmal vermieden, und das preußiſche Auswärtige Amt erkannte dankbar an, daß die Landtagsver- handlungen hier doch nicht ganz ſo ſtürmiſch verlaufen waren wie in Karlsruhe oder Caſſel. *) Rotenhan aber und wer ſonſt unter den be- ſonneneren Abgeordneten dem Hofe nahe ſtand, ſchaute voll Beſorgniß in die Zukunft. Denn der König, deſſen Wille in dem ſtreng monar- chiſchen Staate doch immer den Ausſchlag gab, verhehlte nicht ſeinen Zorn über die thörichten und aufreizenden Reden dieſes „langen und leidigen Landtags“. Er ward irr an den conſtitutionellen Idealen ſeiner Jugend. Nach der Weiſe enttäuſchter Enthuſiaſten wendete er ſich ſchroff von dieſen holden Träumen ab und ließ den ſelbſtherrlichen Neigungen ſeines Charakters die Zügel ſchießen, obgleich er an die förmliche Auf- hebung der Verfaſſung niemals dachte. „Erobert von der Proſa wird die Welt“, ſo rief er ſchmerzlich, als ihm die Liberalen ſeine künſtleriſchen Pläne ſtörten und Goethe dem verkannten frommen Bauherrn ſeine Theilnahme ausſprechen ließ. Er klagte über den Wandel der Volksgunſt, über das Schwinden der alten Treue: Deutſches Volk, das einſt ſo fromm und bieder, Nun ergriffen von dem Schwindelgeiſt, Redlich wie Du wareſt werde wieder! Beſſer die Geſchichte keines weiſt. Und es blieb nicht bei den ſtrafenden Worten. Die Oppoſition hatte ſich gründlich verrechnet, als ſie nach der Entlaſſung Schenk’s den Beginn eines liberalen Regiments erhoffte. Zu Ende des Jahres trat der alte Zentner aus, der ſo viele Jahre hindurch Beamtenthum und Landtag in Eintracht erhalten hatte. Zugleich erhielt auch Armansperg ungnädigen Abſchied, zum großen Leidweſen der preußiſchen Regierung; alle ſeine Verdienſte um den Staatshaushalt und den preußiſch-bairiſchen Zollvertrag galten jetzt nichts mehr, da der öſterreichiſche Hof und die Genoſſen der Münchener „Congregation“ ihn ſchon längſt, durchaus mit Unrecht, als einen geheimen Gönner des Liberalismus verdächtigt hatten. **) Nunmehr übernahm Feldmarſchall Wrede den Vorſitz im Miniſterrath. *) Ancillon, Weiſung an Küſter, 8. Jan. 1832. **) Küſter’s Berichte, 14. Febr., 18. Apr., 7. 24. Mai, 22. 31. Dec. 1831.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/260>, abgerufen am 19.04.2024.