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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Rotteck und Welcker.
Angriffe ihrer eigenen Untergebenen Schritt für Schritt zurückgedrängt.
Schon während des stürmischen Wahlkampfes konnte scharfen Beobachtern
nicht entgehen, daß sich in der Stille bereits eine radicale Partei gebildet
hatte, deren Pläne weit über die Ziele der Liberalen hinausgingen. Zu
selbständigem Auftreten fühlte sie sich aber noch zu schwach, und Adam
v. Itzstein, der unter allen den Neugewählten ihr am nächsten stand,
war viel zu klug um sich offen zu ihr zu bekennen. Nicht umsonst hatte
Itzstein einst in seiner Mainzer Heimath das Treiben der Clubisten mit
angesehen; sein kalter Fanatismus erinnerte an die gewiegten jacobinischen
Parteimänner des Convents. Darum fürchtete ihn Metternich als den
einzigen gefährlichen Mann der badischen Opposition. Immer im Stillen
thätig, verstand er meisterhaft, durch diplomatisches Zureden die Schwan-
kenden bei der Stange zu halten. Oeffentlich sprach er nur selten, aber
die Schärfe seiner Rede verletzte tödlich, weil man fühlte, daß jedes krän-
kende Wort genau erwogen war.

Der ehrliche Rotteck hatte inzwischen längst die radicalen theoreti-
schen Folgerungen gezogen, welche sich aus seiner Lehre von der Volks-
souveränität unausweichlich ergaben; in seinem Lehrbuche des Vernunft-
rechts erklärte er kurzab, nur die Republik sei gerecht und gut, nur nach
dem Maße der Annäherung an dieses ideale Ziel dürfe eine Verfassung
gepriesen werden. Als praktischer Parlamentarier ließ er sich indessen
wohl gefallen, daß in Baden noch ein Theil der ursprünglichen Volks-
gewalt dem Monarchen übertragen war, und durch die gutherzige Freund-
lichkeit seines Auftretens brach er mancher seiner scharfen Aeußerungen selber
die Spitze ab. Von anderem Schlage war Welcker, ein untersetzter Mann
mit geröthetem strengem Gesicht und zornig funkelnden großen Augen; wie
ein Kampfstier erhob er sich zum Sprechen, über der tobenden Heftigkeit
seiner unaufhaltsam dahinbrausenden Reden vergaß man ganz, daß er
mindestens in der Theorie nicht so weit ging wie Rotteck. Er nannte
sich gern einen alten Soldaten der Freiheit, er lebte und webte in dem
Kampfe wider die Reaktion und betrachtete den Bundestag als seinen
persönlichen Feind. Ueber die Bosheit der Fürsten tröstete er sich nur
auf Augenblicke, wenn er in seinem Zimmer die lange Reihe der Bürger-
kronen und Ehrenbecher, lauter Weihgeschenke des gesinnungstüchtigen
Volkes, wohlgefällig musterte. Von den berühmten Heidelberger Professoren
erschien nur der gutkatholische Altbaier Mittermaier, ein Jurist von un-
geheuerer Belesenheit, weltberühmt durch seine Kenntniß des ausländischen
Rechts, seit Langem eifrig bemüht für die Einführung der Schwurgerichte
und die Verbesserung der Gefängnisse, freilich mehr ein vielwissender Ge-
lehrter als ein selbständiger Denker, gemäßigt in seinen politischen Grund-
sätzen, aber keineswegs unempfänglich für die Tageslaunen der öffentlichen
Meinung. An diese Führer schloß sich eine ganze Schaar treuer Bekenner
des liberalen Vernunftrechts: aus Freiburg der geschäftskundige Jurist

Rotteck und Welcker.
Angriffe ihrer eigenen Untergebenen Schritt für Schritt zurückgedrängt.
Schon während des ſtürmiſchen Wahlkampfes konnte ſcharfen Beobachtern
nicht entgehen, daß ſich in der Stille bereits eine radicale Partei gebildet
hatte, deren Pläne weit über die Ziele der Liberalen hinausgingen. Zu
ſelbſtändigem Auftreten fühlte ſie ſich aber noch zu ſchwach, und Adam
v. Itzſtein, der unter allen den Neugewählten ihr am nächſten ſtand,
war viel zu klug um ſich offen zu ihr zu bekennen. Nicht umſonſt hatte
Itzſtein einſt in ſeiner Mainzer Heimath das Treiben der Clubiſten mit
angeſehen; ſein kalter Fanatismus erinnerte an die gewiegten jacobiniſchen
Parteimänner des Convents. Darum fürchtete ihn Metternich als den
einzigen gefährlichen Mann der badiſchen Oppoſition. Immer im Stillen
thätig, verſtand er meiſterhaft, durch diplomatiſches Zureden die Schwan-
kenden bei der Stange zu halten. Oeffentlich ſprach er nur ſelten, aber
die Schärfe ſeiner Rede verletzte tödlich, weil man fühlte, daß jedes krän-
kende Wort genau erwogen war.

Der ehrliche Rotteck hatte inzwiſchen längſt die radicalen theoreti-
ſchen Folgerungen gezogen, welche ſich aus ſeiner Lehre von der Volks-
ſouveränität unausweichlich ergaben; in ſeinem Lehrbuche des Vernunft-
rechts erklärte er kurzab, nur die Republik ſei gerecht und gut, nur nach
dem Maße der Annäherung an dieſes ideale Ziel dürfe eine Verfaſſung
geprieſen werden. Als praktiſcher Parlamentarier ließ er ſich indeſſen
wohl gefallen, daß in Baden noch ein Theil der urſprünglichen Volks-
gewalt dem Monarchen übertragen war, und durch die gutherzige Freund-
lichkeit ſeines Auftretens brach er mancher ſeiner ſcharfen Aeußerungen ſelber
die Spitze ab. Von anderem Schlage war Welcker, ein unterſetzter Mann
mit geröthetem ſtrengem Geſicht und zornig funkelnden großen Augen; wie
ein Kampfſtier erhob er ſich zum Sprechen, über der tobenden Heftigkeit
ſeiner unaufhaltſam dahinbrauſenden Reden vergaß man ganz, daß er
mindeſtens in der Theorie nicht ſo weit ging wie Rotteck. Er nannte
ſich gern einen alten Soldaten der Freiheit, er lebte und webte in dem
Kampfe wider die Reaktion und betrachtete den Bundestag als ſeinen
perſönlichen Feind. Ueber die Bosheit der Fürſten tröſtete er ſich nur
auf Augenblicke, wenn er in ſeinem Zimmer die lange Reihe der Bürger-
kronen und Ehrenbecher, lauter Weihgeſchenke des geſinnungstüchtigen
Volkes, wohlgefällig muſterte. Von den berühmten Heidelberger Profeſſoren
erſchien nur der gutkatholiſche Altbaier Mittermaier, ein Juriſt von un-
geheuerer Beleſenheit, weltberühmt durch ſeine Kenntniß des ausländiſchen
Rechts, ſeit Langem eifrig bemüht für die Einführung der Schwurgerichte
und die Verbeſſerung der Gefängniſſe, freilich mehr ein vielwiſſender Ge-
lehrter als ein ſelbſtändiger Denker, gemäßigt in ſeinen politiſchen Grund-
ſätzen, aber keineswegs unempfänglich für die Tageslaunen der öffentlichen
Meinung. An dieſe Führer ſchloß ſich eine ganze Schaar treuer Bekenner
des liberalen Vernunftrechts: aus Freiburg der geſchäftskundige Juriſt

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[229/0243] Rotteck und Welcker. Angriffe ihrer eigenen Untergebenen Schritt für Schritt zurückgedrängt. Schon während des ſtürmiſchen Wahlkampfes konnte ſcharfen Beobachtern nicht entgehen, daß ſich in der Stille bereits eine radicale Partei gebildet hatte, deren Pläne weit über die Ziele der Liberalen hinausgingen. Zu ſelbſtändigem Auftreten fühlte ſie ſich aber noch zu ſchwach, und Adam v. Itzſtein, der unter allen den Neugewählten ihr am nächſten ſtand, war viel zu klug um ſich offen zu ihr zu bekennen. Nicht umſonſt hatte Itzſtein einſt in ſeiner Mainzer Heimath das Treiben der Clubiſten mit angeſehen; ſein kalter Fanatismus erinnerte an die gewiegten jacobiniſchen Parteimänner des Convents. Darum fürchtete ihn Metternich als den einzigen gefährlichen Mann der badiſchen Oppoſition. Immer im Stillen thätig, verſtand er meiſterhaft, durch diplomatiſches Zureden die Schwan- kenden bei der Stange zu halten. Oeffentlich ſprach er nur ſelten, aber die Schärfe ſeiner Rede verletzte tödlich, weil man fühlte, daß jedes krän- kende Wort genau erwogen war. Der ehrliche Rotteck hatte inzwiſchen längſt die radicalen theoreti- ſchen Folgerungen gezogen, welche ſich aus ſeiner Lehre von der Volks- ſouveränität unausweichlich ergaben; in ſeinem Lehrbuche des Vernunft- rechts erklärte er kurzab, nur die Republik ſei gerecht und gut, nur nach dem Maße der Annäherung an dieſes ideale Ziel dürfe eine Verfaſſung geprieſen werden. Als praktiſcher Parlamentarier ließ er ſich indeſſen wohl gefallen, daß in Baden noch ein Theil der urſprünglichen Volks- gewalt dem Monarchen übertragen war, und durch die gutherzige Freund- lichkeit ſeines Auftretens brach er mancher ſeiner ſcharfen Aeußerungen ſelber die Spitze ab. Von anderem Schlage war Welcker, ein unterſetzter Mann mit geröthetem ſtrengem Geſicht und zornig funkelnden großen Augen; wie ein Kampfſtier erhob er ſich zum Sprechen, über der tobenden Heftigkeit ſeiner unaufhaltſam dahinbrauſenden Reden vergaß man ganz, daß er mindeſtens in der Theorie nicht ſo weit ging wie Rotteck. Er nannte ſich gern einen alten Soldaten der Freiheit, er lebte und webte in dem Kampfe wider die Reaktion und betrachtete den Bundestag als ſeinen perſönlichen Feind. Ueber die Bosheit der Fürſten tröſtete er ſich nur auf Augenblicke, wenn er in ſeinem Zimmer die lange Reihe der Bürger- kronen und Ehrenbecher, lauter Weihgeſchenke des geſinnungstüchtigen Volkes, wohlgefällig muſterte. Von den berühmten Heidelberger Profeſſoren erſchien nur der gutkatholiſche Altbaier Mittermaier, ein Juriſt von un- geheuerer Beleſenheit, weltberühmt durch ſeine Kenntniß des ausländiſchen Rechts, ſeit Langem eifrig bemüht für die Einführung der Schwurgerichte und die Verbeſſerung der Gefängniſſe, freilich mehr ein vielwiſſender Ge- lehrter als ein ſelbſtändiger Denker, gemäßigt in ſeinen politiſchen Grund- ſätzen, aber keineswegs unempfänglich für die Tageslaunen der öffentlichen Meinung. An dieſe Führer ſchloß ſich eine ganze Schaar treuer Bekenner des liberalen Vernunftrechts: aus Freiburg der geſchäftskundige Juriſt

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/243>, abgerufen am 25.04.2024.