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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 3. Preußens Mittelstellung.

Mittlerweile begann Preußens Bundespolitik sich leise zu ändern.
Zunächst in Folge der Entlassung Bernstorff's, der im Mai 1832 die
Qualen seiner Krankheit nicht länger mehr zu ertragen vermochte.*) Sein
Nachfolger wurde Ancillon, da Werther abgelehnt hatte, Eichhorn als
Feind der Ostmächte verrufen war, und man sonst keinen geeigneten
Diplomaten fand. Der eitle Mann strahlte vor Freuden über die neue,
längst insgeheim erstrebte Würde und warf mit erhabenen Aussprüchen
politischer Weisheit so freigebig um sich, wie Ludwig Philipp von Or-
leans, dem er auch in seiner äußeren Erscheinung auffällig ähnelte. Die
fremden Diplomaten trauten ihm zu, er wolle Preußens Cardinal Fleury
werden. Sein eigener Ehrgeiz ging nicht so weit. Ihm genügte, wenn
die Dinge sich im alten Gleise ruhig weiter schoben und der Weltfrieden
erhalten blieb. Es war kein eigentlicher Systemwechsel, denn der König
behielt die Leitung der auswärtigen Politik in seiner eigenen Hand; doch
die Mattherzigkeit des neuen Ministers machte sich bald fühlbar. War
Bernstorff der Hofburg gegenüber mit den Jahren immer stolzer auf-
getreten, so hatte sich Ancillon seine österreichische Gesinnung nur allzutreu
bewahrt. Sogleich nach Antritt seines Amtes sprach er "dem großen
Staatsmanne, dem Europa so viel Dank schuldet", seine unterthänige
Bewunderung aus und versicherte ihm "die vollständige Gleichheit des
Systems der beiden Mächte."**) Diese beständigen Schmeicheleien für
Metternich und der salbungsvolle Predigerstil seiner endlosen, lehrhaften
Depeschen ließen seine Politik noch schwächlicher erscheinen als sie war.
Weit verderblicher wirkte aber die zunehmende Aufregung in Oberdeutsch-
land. Die trotzige Auflehnung der süddeutschen Liberalen gegen das
Bundesrecht, die maßlose Sprache ihrer Presse, ihr vaterlandsloses Buhlen
mit Frankreich und Polen, ihre wüthenden Ausfälle gegen Preußen, ihre
Drohungen und Verschwörungen -- das Alles zwang den Berliner Hof,
der anfangs die Bewegungen dieser neuen Zeit so nachsichtig beurtheilt
hatte, sich wieder fester an Oesterreich anzuschließen. --


*) Cabinetsordre an das Staatsministerium, 10. Mai 1832.
**) Ancillon an Maltzahn, 7. 28. Mai 1832.
IV. 3. Preußens Mittelſtellung.

Mittlerweile begann Preußens Bundespolitik ſich leiſe zu ändern.
Zunächſt in Folge der Entlaſſung Bernſtorff’s, der im Mai 1832 die
Qualen ſeiner Krankheit nicht länger mehr zu ertragen vermochte.*) Sein
Nachfolger wurde Ancillon, da Werther abgelehnt hatte, Eichhorn als
Feind der Oſtmächte verrufen war, und man ſonſt keinen geeigneten
Diplomaten fand. Der eitle Mann ſtrahlte vor Freuden über die neue,
längſt insgeheim erſtrebte Würde und warf mit erhabenen Ausſprüchen
politiſcher Weisheit ſo freigebig um ſich, wie Ludwig Philipp von Or-
leans, dem er auch in ſeiner äußeren Erſcheinung auffällig ähnelte. Die
fremden Diplomaten trauten ihm zu, er wolle Preußens Cardinal Fleury
werden. Sein eigener Ehrgeiz ging nicht ſo weit. Ihm genügte, wenn
die Dinge ſich im alten Gleiſe ruhig weiter ſchoben und der Weltfrieden
erhalten blieb. Es war kein eigentlicher Syſtemwechſel, denn der König
behielt die Leitung der auswärtigen Politik in ſeiner eigenen Hand; doch
die Mattherzigkeit des neuen Miniſters machte ſich bald fühlbar. War
Bernſtorff der Hofburg gegenüber mit den Jahren immer ſtolzer auf-
getreten, ſo hatte ſich Ancillon ſeine öſterreichiſche Geſinnung nur allzutreu
bewahrt. Sogleich nach Antritt ſeines Amtes ſprach er „dem großen
Staatsmanne, dem Europa ſo viel Dank ſchuldet“, ſeine unterthänige
Bewunderung aus und verſicherte ihm „die vollſtändige Gleichheit des
Syſtems der beiden Mächte.“**) Dieſe beſtändigen Schmeicheleien für
Metternich und der ſalbungsvolle Predigerſtil ſeiner endloſen, lehrhaften
Depeſchen ließen ſeine Politik noch ſchwächlicher erſcheinen als ſie war.
Weit verderblicher wirkte aber die zunehmende Aufregung in Oberdeutſch-
land. Die trotzige Auflehnung der ſüddeutſchen Liberalen gegen das
Bundesrecht, die maßloſe Sprache ihrer Preſſe, ihr vaterlandsloſes Buhlen
mit Frankreich und Polen, ihre wüthenden Ausfälle gegen Preußen, ihre
Drohungen und Verſchwörungen — das Alles zwang den Berliner Hof,
der anfangs die Bewegungen dieſer neuen Zeit ſo nachſichtig beurtheilt
hatte, ſich wieder feſter an Oeſterreich anzuſchließen. —


*) Cabinetsordre an das Staatsminiſterium, 10. Mai 1832.
**) Ancillon an Maltzahn, 7. 28. Mai 1832.
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[220/0234] IV. 3. Preußens Mittelſtellung. Mittlerweile begann Preußens Bundespolitik ſich leiſe zu ändern. Zunächſt in Folge der Entlaſſung Bernſtorff’s, der im Mai 1832 die Qualen ſeiner Krankheit nicht länger mehr zu ertragen vermochte. *) Sein Nachfolger wurde Ancillon, da Werther abgelehnt hatte, Eichhorn als Feind der Oſtmächte verrufen war, und man ſonſt keinen geeigneten Diplomaten fand. Der eitle Mann ſtrahlte vor Freuden über die neue, längſt insgeheim erſtrebte Würde und warf mit erhabenen Ausſprüchen politiſcher Weisheit ſo freigebig um ſich, wie Ludwig Philipp von Or- leans, dem er auch in ſeiner äußeren Erſcheinung auffällig ähnelte. Die fremden Diplomaten trauten ihm zu, er wolle Preußens Cardinal Fleury werden. Sein eigener Ehrgeiz ging nicht ſo weit. Ihm genügte, wenn die Dinge ſich im alten Gleiſe ruhig weiter ſchoben und der Weltfrieden erhalten blieb. Es war kein eigentlicher Syſtemwechſel, denn der König behielt die Leitung der auswärtigen Politik in ſeiner eigenen Hand; doch die Mattherzigkeit des neuen Miniſters machte ſich bald fühlbar. War Bernſtorff der Hofburg gegenüber mit den Jahren immer ſtolzer auf- getreten, ſo hatte ſich Ancillon ſeine öſterreichiſche Geſinnung nur allzutreu bewahrt. Sogleich nach Antritt ſeines Amtes ſprach er „dem großen Staatsmanne, dem Europa ſo viel Dank ſchuldet“, ſeine unterthänige Bewunderung aus und verſicherte ihm „die vollſtändige Gleichheit des Syſtems der beiden Mächte.“ **) Dieſe beſtändigen Schmeicheleien für Metternich und der ſalbungsvolle Predigerſtil ſeiner endloſen, lehrhaften Depeſchen ließen ſeine Politik noch ſchwächlicher erſcheinen als ſie war. Weit verderblicher wirkte aber die zunehmende Aufregung in Oberdeutſch- land. Die trotzige Auflehnung der ſüddeutſchen Liberalen gegen das Bundesrecht, die maßloſe Sprache ihrer Preſſe, ihr vaterlandsloſes Buhlen mit Frankreich und Polen, ihre wüthenden Ausfälle gegen Preußen, ihre Drohungen und Verſchwörungen — das Alles zwang den Berliner Hof, der anfangs die Bewegungen dieſer neuen Zeit ſo nachſichtig beurtheilt hatte, ſich wieder feſter an Oeſterreich anzuſchließen. — *) Cabinetsordre an das Staatsminiſterium, 10. Mai 1832. **) Ancillon an Maltzahn, 7. 28. Mai 1832.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/234>, abgerufen am 29.03.2024.