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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
muß aber unfehlbar die Regierung des Königs, die Bourbonen und
Frankreich selbst in den Abgrund reißen."*) Jener unverzeihliche Schritt
zur Revolution geschah, und die Verblendung der liberalen Parteien trug
die Schuld daran.

Großes hatte Frankreich der Herrschaft seines wiederhergestellten
Königthums zu verdanken. Wunderbar leicht wurden die Leiden der
Kriegsjahre überwunden, der Volkswohlstand und das geistige Leben
blühten fröhlich auf, Heer und Haushalt standen wieder in guter Ord-
nung; die Charte blieb unangetastet, die constitutionellen Ideen schienen
schon so fest mit dem Volke verwachsen, daß Niebuhr noch im Sommer
1829 sagen konnte, bei dem gegenwärtigen Zustande der Dinge sei an
keine Revolution mehr zu denken. Vor Kurzem noch hatte das Land
drei Jahre lang die polizeiliche Aufsicht der europäischen Occupationstruppen
ertragen müssen, noch auf dem Aachener Congresse wurde sein Minister
von den vier Mächten wie ein Schulknabe zum Wohlverhalten ermahnt.
Jetzt behauptete der Tuilerienhof wieder eine würdige, seiner Macht ent-
sprechende Stellung in der Staatengesellschaft, um seine Freundschaft be-
mühten sich alle Großmächte, unter seiner Mitwirkung wurde die Schlacht
von Navarin geschlagen und schließlich, durch den Zug nach Morea, die
Unabhängigkeit Griechenlands gesichert. Der Verfassung treu und dem
königlichen Hause ritterlich ergeben, durfte Graf Martignac wohl auf
den Beistand aller gemäßigten Parteien zählen, als er der Charte durch
eine freiere Gemeindeverfassung einen festen Unterbau zu schaffen unter-
nahm; denn Jedermann wußte, daß König Karl schon dies Ministerium
nur ungern ertrug und nimmermehr den Liberalen noch weiter entgegen-
kommen würde.

Trotzdem wurde das Cabinet bei den Verhandlungen über die Ge-
meinderathswahlen von seinen natürlichen Freunden verlassen und zum
Rücktritt genöthigt. Der letzte ehrliche Versuch, das constitutionelle Frank-
reich mit dem alten Herrscherhause zu versöhnen, war gescheitert. Der
Eigensinn der Parteien trug den Sieg davon über die Gebote der Pflicht
und der Klugheit. Auch die Ränkesucht spielte mit, jene alte französische
Sünde, die in den höfischen Cabalen des alten Jahrhunderts zur Meister-
schaft ausgebildet, längst schon in die parlamentarischen Sitten der neuen
Zeit eingedrungen war: Graf Mole und der Vertraute des Herzogs von
Orleans, General Sebastiani schürten den Widerstand gegen Martignac,
weil sie selber seine Erbschaft anzutreten hofften.**) König Karl meinte
befriedigt: "ich sagte es ja, mit diesen Leuten ist nichts anzufangen," und
betraute seinen Günstling, den Fürsten Polignac, mit der Bildung des
neuen Cabinets.

*) Werther's Bericht, 5. Juni 1828.
**) Werther's Bericht, 6. December 1828.

IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
muß aber unfehlbar die Regierung des Königs, die Bourbonen und
Frankreich ſelbſt in den Abgrund reißen.“*) Jener unverzeihliche Schritt
zur Revolution geſchah, und die Verblendung der liberalen Parteien trug
die Schuld daran.

Großes hatte Frankreich der Herrſchaft ſeines wiederhergeſtellten
Königthums zu verdanken. Wunderbar leicht wurden die Leiden der
Kriegsjahre überwunden, der Volkswohlſtand und das geiſtige Leben
blühten fröhlich auf, Heer und Haushalt ſtanden wieder in guter Ord-
nung; die Charte blieb unangetaſtet, die conſtitutionellen Ideen ſchienen
ſchon ſo feſt mit dem Volke verwachſen, daß Niebuhr noch im Sommer
1829 ſagen konnte, bei dem gegenwärtigen Zuſtande der Dinge ſei an
keine Revolution mehr zu denken. Vor Kurzem noch hatte das Land
drei Jahre lang die polizeiliche Aufſicht der europäiſchen Occupationstruppen
ertragen müſſen, noch auf dem Aachener Congreſſe wurde ſein Miniſter
von den vier Mächten wie ein Schulknabe zum Wohlverhalten ermahnt.
Jetzt behauptete der Tuilerienhof wieder eine würdige, ſeiner Macht ent-
ſprechende Stellung in der Staatengeſellſchaft, um ſeine Freundſchaft be-
mühten ſich alle Großmächte, unter ſeiner Mitwirkung wurde die Schlacht
von Navarin geſchlagen und ſchließlich, durch den Zug nach Morea, die
Unabhängigkeit Griechenlands geſichert. Der Verfaſſung treu und dem
königlichen Hauſe ritterlich ergeben, durfte Graf Martignac wohl auf
den Beiſtand aller gemäßigten Parteien zählen, als er der Charte durch
eine freiere Gemeindeverfaſſung einen feſten Unterbau zu ſchaffen unter-
nahm; denn Jedermann wußte, daß König Karl ſchon dies Miniſterium
nur ungern ertrug und nimmermehr den Liberalen noch weiter entgegen-
kommen würde.

Trotzdem wurde das Cabinet bei den Verhandlungen über die Ge-
meinderathswahlen von ſeinen natürlichen Freunden verlaſſen und zum
Rücktritt genöthigt. Der letzte ehrliche Verſuch, das conſtitutionelle Frank-
reich mit dem alten Herrſcherhauſe zu verſöhnen, war geſcheitert. Der
Eigenſinn der Parteien trug den Sieg davon über die Gebote der Pflicht
und der Klugheit. Auch die Ränkeſucht ſpielte mit, jene alte franzöſiſche
Sünde, die in den höfiſchen Cabalen des alten Jahrhunderts zur Meiſter-
ſchaft ausgebildet, längſt ſchon in die parlamentariſchen Sitten der neuen
Zeit eingedrungen war: Graf Molé und der Vertraute des Herzogs von
Orleans, General Sebaſtiani ſchürten den Widerſtand gegen Martignac,
weil ſie ſelber ſeine Erbſchaft anzutreten hofften.**) König Karl meinte
befriedigt: „ich ſagte es ja, mit dieſen Leuten iſt nichts anzufangen,“ und
betraute ſeinen Günſtling, den Fürſten Polignac, mit der Bildung des
neuen Cabinets.

*) Werther’s Bericht, 5. Juni 1828.
**) Werther’s Bericht, 6. December 1828.
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[8/0022] IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede. muß aber unfehlbar die Regierung des Königs, die Bourbonen und Frankreich ſelbſt in den Abgrund reißen.“ *) Jener unverzeihliche Schritt zur Revolution geſchah, und die Verblendung der liberalen Parteien trug die Schuld daran. Großes hatte Frankreich der Herrſchaft ſeines wiederhergeſtellten Königthums zu verdanken. Wunderbar leicht wurden die Leiden der Kriegsjahre überwunden, der Volkswohlſtand und das geiſtige Leben blühten fröhlich auf, Heer und Haushalt ſtanden wieder in guter Ord- nung; die Charte blieb unangetaſtet, die conſtitutionellen Ideen ſchienen ſchon ſo feſt mit dem Volke verwachſen, daß Niebuhr noch im Sommer 1829 ſagen konnte, bei dem gegenwärtigen Zuſtande der Dinge ſei an keine Revolution mehr zu denken. Vor Kurzem noch hatte das Land drei Jahre lang die polizeiliche Aufſicht der europäiſchen Occupationstruppen ertragen müſſen, noch auf dem Aachener Congreſſe wurde ſein Miniſter von den vier Mächten wie ein Schulknabe zum Wohlverhalten ermahnt. Jetzt behauptete der Tuilerienhof wieder eine würdige, ſeiner Macht ent- ſprechende Stellung in der Staatengeſellſchaft, um ſeine Freundſchaft be- mühten ſich alle Großmächte, unter ſeiner Mitwirkung wurde die Schlacht von Navarin geſchlagen und ſchließlich, durch den Zug nach Morea, die Unabhängigkeit Griechenlands geſichert. Der Verfaſſung treu und dem königlichen Hauſe ritterlich ergeben, durfte Graf Martignac wohl auf den Beiſtand aller gemäßigten Parteien zählen, als er der Charte durch eine freiere Gemeindeverfaſſung einen feſten Unterbau zu ſchaffen unter- nahm; denn Jedermann wußte, daß König Karl ſchon dies Miniſterium nur ungern ertrug und nimmermehr den Liberalen noch weiter entgegen- kommen würde. Trotzdem wurde das Cabinet bei den Verhandlungen über die Ge- meinderathswahlen von ſeinen natürlichen Freunden verlaſſen und zum Rücktritt genöthigt. Der letzte ehrliche Verſuch, das conſtitutionelle Frank- reich mit dem alten Herrſcherhauſe zu verſöhnen, war geſcheitert. Der Eigenſinn der Parteien trug den Sieg davon über die Gebote der Pflicht und der Klugheit. Auch die Ränkeſucht ſpielte mit, jene alte franzöſiſche Sünde, die in den höfiſchen Cabalen des alten Jahrhunderts zur Meiſter- ſchaft ausgebildet, längſt ſchon in die parlamentariſchen Sitten der neuen Zeit eingedrungen war: Graf Molé und der Vertraute des Herzogs von Orleans, General Sebaſtiani ſchürten den Widerſtand gegen Martignac, weil ſie ſelber ſeine Erbſchaft anzutreten hofften. **) König Karl meinte befriedigt: „ich ſagte es ja, mit dieſen Leuten iſt nichts anzufangen,“ und betraute ſeinen Günſtling, den Fürſten Polignac, mit der Bildung des neuen Cabinets. *) Werther’s Bericht, 5. Juni 1828. **) Werther’s Bericht, 6. December 1828.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/22>, abgerufen am 29.03.2024.