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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 3. Preußens Mittelstellung.
gutmüthige König zu einer Steuer-Erhöhung sich auch nicht entschließen
wollte, so wurden diese Ausgaben vorläufig gedeckt durch Zahlungen aus
dem Staatsschatze, durch kurze Darlehen der Seehandlung, durch die Ein-
ziehung der entbehrlichen Capitalbestände der Staatsverwaltung, ja sogar
der hinterlegten Cautionen der Beamten, und dann nach und nach aus
dem wachsenden Ertrage der neuen Abgaben zurückgezahlt. *) Das Alles
ward mit altpreußischer Genauigkeit abgewickelt; doch wohin sollte dies
geheime Treiben führen, wenn der Zustand des bewaffneten Friedens sich
verlängerte oder gar der Weltkrieg ausbrach? Und war es eines stolzen
Staates würdig, wenn die veröffentlichten Jahresbudgets in solcher Zeit
immer nur von dem vollkommenen Gleichgewichte der regelmäßigen Ein-
nahmen und Ausgaben fälschlich berichteten? Jene schweren Aufwendungen
für Deutschlands Sicherheit wurden ängstlich geheim gehalten, wie die
Schulden eines leichtsinnigen Jünglings; und doch gereichten sie der preu-
ßischen Staatskunst zu hoher Ehre, und doch mußten sie, wenn man sie
offen eingestand, dem Volke der Kleinstaaten, soweit es nicht durch die
Polenschwärmerei verdorben war, handgreiflich beweisen, daß Preußen
allein für das große Vaterland Opfer brachte.

Aber die Noth des Augenblicks ging vorüber, und fester denn je war
der König jetzt überzeugt, mit der Einrichtung der Provinzialstände das
Rechte getroffen zu haben. Er hatte einst, als ihm die Verordnung vom
Mai 1815 vorgelegt wurde, das Steuerbewilligungsrecht des Reichstags
eigenhändig ausgestrichen und dem Reichstage nur berathende Befugnisse
gewährt; er hatte fünf Jahre darauf den künftigen Reichsständen nur
darum die Mitwirkung bei Staatsanleihen zugestanden, weil er bestimmt
hoffte, daß die Monarchie neuer Schulden nicht mehr bedürfe, bei augenblick-
lichen Verlegenheiten aber die Seehandlung eintreten könne; er hatte
damals nachdrücklich ausgesprochen: "Repräsentanten der Nation, Repräsen-
tation des Volks, Landesrepräsentanten, das verbitte ich mir; Reichsstände
liebe ich auch nicht, aber ich habe auch nichts dagegen." **) Nun sah er
sein Volk zufrieden, unvergleichlich zufriedener als die Bewohner der benach-
barten constitutionellen Staaten. Nichts drängte zu einer entscheidenden
Aenderung, und wer das enge, schwunglose Wesen des Königs durchschaute,
mußte voraussehen, daß die Reichsstände bei seinen Lebzeiten niemals zu
Stande kommen würden. Und wie schwer, ja unmöglich erschien ein
solcher Entschluß Angesichts der allgemeinen Lage Europas! Dahin war
es doch gekommen durch die brutale Schroffheit Lord Palmerston's und
des Czaren Nikolaus, daß die Welt in die zwei großen Heerlager der
constitutionellen Staaten und der absoluten Monarchien zerfiel. Wie die

*) Uebersicht über den Staatshaushalt der J. 1830--40 von Rother, Alvensleben,
Voß, 11. Febr. 1841.
**) So erzählt Rother in seiner Denkschrift v. 18. Mai 1847: "Mein Antheil an
den Verordnungen v. 22. Mai 1815 u. 17. Jan. 1820."

IV. 3. Preußens Mittelſtellung.
gutmüthige König zu einer Steuer-Erhöhung ſich auch nicht entſchließen
wollte, ſo wurden dieſe Ausgaben vorläufig gedeckt durch Zahlungen aus
dem Staatsſchatze, durch kurze Darlehen der Seehandlung, durch die Ein-
ziehung der entbehrlichen Capitalbeſtände der Staatsverwaltung, ja ſogar
der hinterlegten Cautionen der Beamten, und dann nach und nach aus
dem wachſenden Ertrage der neuen Abgaben zurückgezahlt. *) Das Alles
ward mit altpreußiſcher Genauigkeit abgewickelt; doch wohin ſollte dies
geheime Treiben führen, wenn der Zuſtand des bewaffneten Friedens ſich
verlängerte oder gar der Weltkrieg ausbrach? Und war es eines ſtolzen
Staates würdig, wenn die veröffentlichten Jahresbudgets in ſolcher Zeit
immer nur von dem vollkommenen Gleichgewichte der regelmäßigen Ein-
nahmen und Ausgaben fälſchlich berichteten? Jene ſchweren Aufwendungen
für Deutſchlands Sicherheit wurden ängſtlich geheim gehalten, wie die
Schulden eines leichtſinnigen Jünglings; und doch gereichten ſie der preu-
ßiſchen Staatskunſt zu hoher Ehre, und doch mußten ſie, wenn man ſie
offen eingeſtand, dem Volke der Kleinſtaaten, ſoweit es nicht durch die
Polenſchwärmerei verdorben war, handgreiflich beweiſen, daß Preußen
allein für das große Vaterland Opfer brachte.

Aber die Noth des Augenblicks ging vorüber, und feſter denn je war
der König jetzt überzeugt, mit der Einrichtung der Provinzialſtände das
Rechte getroffen zu haben. Er hatte einſt, als ihm die Verordnung vom
Mai 1815 vorgelegt wurde, das Steuerbewilligungsrecht des Reichstags
eigenhändig ausgeſtrichen und dem Reichstage nur berathende Befugniſſe
gewährt; er hatte fünf Jahre darauf den künftigen Reichsſtänden nur
darum die Mitwirkung bei Staatsanleihen zugeſtanden, weil er beſtimmt
hoffte, daß die Monarchie neuer Schulden nicht mehr bedürfe, bei augenblick-
lichen Verlegenheiten aber die Seehandlung eintreten könne; er hatte
damals nachdrücklich ausgeſprochen: „Repräſentanten der Nation, Repräſen-
tation des Volks, Landesrepräſentanten, das verbitte ich mir; Reichsſtände
liebe ich auch nicht, aber ich habe auch nichts dagegen.“ **) Nun ſah er
ſein Volk zufrieden, unvergleichlich zufriedener als die Bewohner der benach-
barten conſtitutionellen Staaten. Nichts drängte zu einer entſcheidenden
Aenderung, und wer das enge, ſchwungloſe Weſen des Königs durchſchaute,
mußte vorausſehen, daß die Reichsſtände bei ſeinen Lebzeiten niemals zu
Stande kommen würden. Und wie ſchwer, ja unmöglich erſchien ein
ſolcher Entſchluß Angeſichts der allgemeinen Lage Europas! Dahin war
es doch gekommen durch die brutale Schroffheit Lord Palmerſton’s und
des Czaren Nikolaus, daß die Welt in die zwei großen Heerlager der
conſtitutionellen Staaten und der abſoluten Monarchien zerfiel. Wie die

*) Ueberſicht über den Staatshaushalt der J. 1830—40 von Rother, Alvensleben,
Voß, 11. Febr. 1841.
**) So erzählt Rother in ſeiner Denkſchrift v. 18. Mai 1847: „Mein Antheil an
den Verordnungen v. 22. Mai 1815 u. 17. Jan. 1820.“
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[190/0204] IV. 3. Preußens Mittelſtellung. gutmüthige König zu einer Steuer-Erhöhung ſich auch nicht entſchließen wollte, ſo wurden dieſe Ausgaben vorläufig gedeckt durch Zahlungen aus dem Staatsſchatze, durch kurze Darlehen der Seehandlung, durch die Ein- ziehung der entbehrlichen Capitalbeſtände der Staatsverwaltung, ja ſogar der hinterlegten Cautionen der Beamten, und dann nach und nach aus dem wachſenden Ertrage der neuen Abgaben zurückgezahlt. *) Das Alles ward mit altpreußiſcher Genauigkeit abgewickelt; doch wohin ſollte dies geheime Treiben führen, wenn der Zuſtand des bewaffneten Friedens ſich verlängerte oder gar der Weltkrieg ausbrach? Und war es eines ſtolzen Staates würdig, wenn die veröffentlichten Jahresbudgets in ſolcher Zeit immer nur von dem vollkommenen Gleichgewichte der regelmäßigen Ein- nahmen und Ausgaben fälſchlich berichteten? Jene ſchweren Aufwendungen für Deutſchlands Sicherheit wurden ängſtlich geheim gehalten, wie die Schulden eines leichtſinnigen Jünglings; und doch gereichten ſie der preu- ßiſchen Staatskunſt zu hoher Ehre, und doch mußten ſie, wenn man ſie offen eingeſtand, dem Volke der Kleinſtaaten, ſoweit es nicht durch die Polenſchwärmerei verdorben war, handgreiflich beweiſen, daß Preußen allein für das große Vaterland Opfer brachte. Aber die Noth des Augenblicks ging vorüber, und feſter denn je war der König jetzt überzeugt, mit der Einrichtung der Provinzialſtände das Rechte getroffen zu haben. Er hatte einſt, als ihm die Verordnung vom Mai 1815 vorgelegt wurde, das Steuerbewilligungsrecht des Reichstags eigenhändig ausgeſtrichen und dem Reichstage nur berathende Befugniſſe gewährt; er hatte fünf Jahre darauf den künftigen Reichsſtänden nur darum die Mitwirkung bei Staatsanleihen zugeſtanden, weil er beſtimmt hoffte, daß die Monarchie neuer Schulden nicht mehr bedürfe, bei augenblick- lichen Verlegenheiten aber die Seehandlung eintreten könne; er hatte damals nachdrücklich ausgeſprochen: „Repräſentanten der Nation, Repräſen- tation des Volks, Landesrepräſentanten, das verbitte ich mir; Reichsſtände liebe ich auch nicht, aber ich habe auch nichts dagegen.“ **) Nun ſah er ſein Volk zufrieden, unvergleichlich zufriedener als die Bewohner der benach- barten conſtitutionellen Staaten. Nichts drängte zu einer entſcheidenden Aenderung, und wer das enge, ſchwungloſe Weſen des Königs durchſchaute, mußte vorausſehen, daß die Reichsſtände bei ſeinen Lebzeiten niemals zu Stande kommen würden. Und wie ſchwer, ja unmöglich erſchien ein ſolcher Entſchluß Angeſichts der allgemeinen Lage Europas! Dahin war es doch gekommen durch die brutale Schroffheit Lord Palmerſton’s und des Czaren Nikolaus, daß die Welt in die zwei großen Heerlager der conſtitutionellen Staaten und der abſoluten Monarchien zerfiel. Wie die *) Ueberſicht über den Staatshaushalt der J. 1830—40 von Rother, Alvensleben, Voß, 11. Febr. 1841. **) So erzählt Rother in ſeiner Denkſchrift v. 18. Mai 1847: „Mein Antheil an den Verordnungen v. 22. Mai 1815 u. 17. Jan. 1820.“

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/204>, abgerufen am 29.03.2024.