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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Provinzialstände für Schleswig und Holstein.
erfahrene Männer aus den Herzogthümern nach Kopenhagen, um mit
ihnen die Grundzüge der Provinzialverfassungen festzustellen. Unterstützt
von Niebuhr's Freunde, dem feurigen Romantiker Grafen Adam Moltke,
versuchte hier Falck nochmals einen gemeinsamen Landtag für Schleswig-
holstein durchzusetzen. Er unterlag. Am 15. Mai 1834 wurde endlich
die Bildung der beiden Provinziallandtage für die Herzogthümer ange-
ordnet.

In beiden erhielten Ritterschaft und Großgrundbesitz nur etwa ein
Drittel der Stimmen; je ein Drittel der Abgeordneten sollte von den
städtischen und den ländlichen Grundbesitzern unmittelbar gewählt werden.
Diese kühne Neuerung überraschte allgemein; denn fast in allen anderen
deutschen Staaten bestand das System der indirekten Wahlen, und selbst
die Liberalen hegten noch überall das Vorurtheil, daß nur so die öffent-
liche Ordnung gesichert werden könne. Noch größer war das Erstaunen,
als der König nicht nur den alten nexus socialis der schleswigholstei-
nischen Ritterschaft sowie alle die anderen, beide Herzogthümer verbinden-
den Rechtsverhältnisse ausdrücklich anerkannte, sondern sogar neue hoch-
wichtige gemeinsame Institutionen einführte: ein Oberappellationsgericht,
das in Kiel, eine gemeinschaftliche Provinzialregierung, die auf dem Schlosse
Gottorp hausen und das schleswigholsteinische Wappen führen sollte. In
demselben Augenblicke, da man die Landstände der Herzogthümer trennte,
wurde also die Einheit ihrer Rechtspflege und Verwaltung neu befestigt,
stärker befestigt als Lornsen selbst zu fordern gewagt hatte. Offenbar
wußte König Friedrich nicht genau was er that; er fühlte nur dunkel,
daß er seinen deutschen Landen irgend ein Zugeständniß schuldig sei, und
ahnte nicht die unausbleiblichen Folgen der Gewährung.

In Schleswigholstein waren selbst Falck und die Ritterschaft sofort
entschlossen, ihrer Rechtsbedenken ungeachtet das königliche Geschenk anzu-
nehmen; denn durch die Errichtung der Provinzialstände wurde die Un-
theilbarkeit der Lande nicht gradezu aufgehoben, erhielt doch auch Jütland
seinen eigenen Landtag neben den Inseln. Da die Landtage beider Herzog-
thümer nach denselben Grundsätzen gebildet waren und beide der Regel
nach dieselben Gesetze vorgelegt erhielten, so erschienen sie fast wie zwei
Curien einer Ständeversammlung und konnten vielleicht im Laufe der
Zeit förmlich vereinigt werden. In solchem Sinne verfaßte Franz Hege-
wisch, der geistvolle, beim Adel und Bürgerthum gleich angesehene Kieler
Arzt, eine Schrift: "Für Holstein, nicht gegen Dänemark." Wie alle
Patrioten der Nordmark hielt er die Verbindung mit Dänemark noch für
ein Glück und meinte arglos, dieser heilsame Bund werde am besten ge-
sichert, wenn die Herzogthümer unter sich eng vereinigt blieben und
Schleswig also das Bindeglied bilde zwischen dem deutschen Bundeslande
Holstein und den dänischen Provinzen. In der That konnte nur eine
ehrliche Politik, die das alte Recht der ihrem Königshause so treu er-

Provinzialſtände für Schleswig und Holſtein.
erfahrene Männer aus den Herzogthümern nach Kopenhagen, um mit
ihnen die Grundzüge der Provinzialverfaſſungen feſtzuſtellen. Unterſtützt
von Niebuhr’s Freunde, dem feurigen Romantiker Grafen Adam Moltke,
verſuchte hier Falck nochmals einen gemeinſamen Landtag für Schleswig-
holſtein durchzuſetzen. Er unterlag. Am 15. Mai 1834 wurde endlich
die Bildung der beiden Provinziallandtage für die Herzogthümer ange-
ordnet.

In beiden erhielten Ritterſchaft und Großgrundbeſitz nur etwa ein
Drittel der Stimmen; je ein Drittel der Abgeordneten ſollte von den
ſtädtiſchen und den ländlichen Grundbeſitzern unmittelbar gewählt werden.
Dieſe kühne Neuerung überraſchte allgemein; denn faſt in allen anderen
deutſchen Staaten beſtand das Syſtem der indirekten Wahlen, und ſelbſt
die Liberalen hegten noch überall das Vorurtheil, daß nur ſo die öffent-
liche Ordnung geſichert werden könne. Noch größer war das Erſtaunen,
als der König nicht nur den alten nexus socialis der ſchleswigholſtei-
niſchen Ritterſchaft ſowie alle die anderen, beide Herzogthümer verbinden-
den Rechtsverhältniſſe ausdrücklich anerkannte, ſondern ſogar neue hoch-
wichtige gemeinſame Inſtitutionen einführte: ein Oberappellationsgericht,
das in Kiel, eine gemeinſchaftliche Provinzialregierung, die auf dem Schloſſe
Gottorp hauſen und das ſchleswigholſteiniſche Wappen führen ſollte. In
demſelben Augenblicke, da man die Landſtände der Herzogthümer trennte,
wurde alſo die Einheit ihrer Rechtspflege und Verwaltung neu befeſtigt,
ſtärker befeſtigt als Lornſen ſelbſt zu fordern gewagt hatte. Offenbar
wußte König Friedrich nicht genau was er that; er fühlte nur dunkel,
daß er ſeinen deutſchen Landen irgend ein Zugeſtändniß ſchuldig ſei, und
ahnte nicht die unausbleiblichen Folgen der Gewährung.

In Schleswigholſtein waren ſelbſt Falck und die Ritterſchaft ſofort
entſchloſſen, ihrer Rechtsbedenken ungeachtet das königliche Geſchenk anzu-
nehmen; denn durch die Errichtung der Provinzialſtände wurde die Un-
theilbarkeit der Lande nicht gradezu aufgehoben, erhielt doch auch Jütland
ſeinen eigenen Landtag neben den Inſeln. Da die Landtage beider Herzog-
thümer nach denſelben Grundſätzen gebildet waren und beide der Regel
nach dieſelben Geſetze vorgelegt erhielten, ſo erſchienen ſie faſt wie zwei
Curien einer Ständeverſammlung und konnten vielleicht im Laufe der
Zeit förmlich vereinigt werden. In ſolchem Sinne verfaßte Franz Hege-
wiſch, der geiſtvolle, beim Adel und Bürgerthum gleich angeſehene Kieler
Arzt, eine Schrift: „Für Holſtein, nicht gegen Dänemark.“ Wie alle
Patrioten der Nordmark hielt er die Verbindung mit Dänemark noch für
ein Glück und meinte arglos, dieſer heilſame Bund werde am beſten ge-
ſichert, wenn die Herzogthümer unter ſich eng vereinigt blieben und
Schleswig alſo das Bindeglied bilde zwiſchen dem deutſchen Bundeslande
Holſtein und den däniſchen Provinzen. In der That konnte nur eine
ehrliche Politik, die das alte Recht der ihrem Königshauſe ſo treu er-

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[173/0187] Provinzialſtände für Schleswig und Holſtein. erfahrene Männer aus den Herzogthümern nach Kopenhagen, um mit ihnen die Grundzüge der Provinzialverfaſſungen feſtzuſtellen. Unterſtützt von Niebuhr’s Freunde, dem feurigen Romantiker Grafen Adam Moltke, verſuchte hier Falck nochmals einen gemeinſamen Landtag für Schleswig- holſtein durchzuſetzen. Er unterlag. Am 15. Mai 1834 wurde endlich die Bildung der beiden Provinziallandtage für die Herzogthümer ange- ordnet. In beiden erhielten Ritterſchaft und Großgrundbeſitz nur etwa ein Drittel der Stimmen; je ein Drittel der Abgeordneten ſollte von den ſtädtiſchen und den ländlichen Grundbeſitzern unmittelbar gewählt werden. Dieſe kühne Neuerung überraſchte allgemein; denn faſt in allen anderen deutſchen Staaten beſtand das Syſtem der indirekten Wahlen, und ſelbſt die Liberalen hegten noch überall das Vorurtheil, daß nur ſo die öffent- liche Ordnung geſichert werden könne. Noch größer war das Erſtaunen, als der König nicht nur den alten nexus socialis der ſchleswigholſtei- niſchen Ritterſchaft ſowie alle die anderen, beide Herzogthümer verbinden- den Rechtsverhältniſſe ausdrücklich anerkannte, ſondern ſogar neue hoch- wichtige gemeinſame Inſtitutionen einführte: ein Oberappellationsgericht, das in Kiel, eine gemeinſchaftliche Provinzialregierung, die auf dem Schloſſe Gottorp hauſen und das ſchleswigholſteiniſche Wappen führen ſollte. In demſelben Augenblicke, da man die Landſtände der Herzogthümer trennte, wurde alſo die Einheit ihrer Rechtspflege und Verwaltung neu befeſtigt, ſtärker befeſtigt als Lornſen ſelbſt zu fordern gewagt hatte. Offenbar wußte König Friedrich nicht genau was er that; er fühlte nur dunkel, daß er ſeinen deutſchen Landen irgend ein Zugeſtändniß ſchuldig ſei, und ahnte nicht die unausbleiblichen Folgen der Gewährung. In Schleswigholſtein waren ſelbſt Falck und die Ritterſchaft ſofort entſchloſſen, ihrer Rechtsbedenken ungeachtet das königliche Geſchenk anzu- nehmen; denn durch die Errichtung der Provinzialſtände wurde die Un- theilbarkeit der Lande nicht gradezu aufgehoben, erhielt doch auch Jütland ſeinen eigenen Landtag neben den Inſeln. Da die Landtage beider Herzog- thümer nach denſelben Grundſätzen gebildet waren und beide der Regel nach dieſelben Geſetze vorgelegt erhielten, ſo erſchienen ſie faſt wie zwei Curien einer Ständeverſammlung und konnten vielleicht im Laufe der Zeit förmlich vereinigt werden. In ſolchem Sinne verfaßte Franz Hege- wiſch, der geiſtvolle, beim Adel und Bürgerthum gleich angeſehene Kieler Arzt, eine Schrift: „Für Holſtein, nicht gegen Dänemark.“ Wie alle Patrioten der Nordmark hielt er die Verbindung mit Dänemark noch für ein Glück und meinte arglos, dieſer heilſame Bund werde am beſten ge- ſichert, wenn die Herzogthümer unter ſich eng vereinigt blieben und Schleswig alſo das Bindeglied bilde zwiſchen dem deutſchen Bundeslande Holſtein und den däniſchen Provinzen. In der That konnte nur eine ehrliche Politik, die das alte Recht der ihrem Königshauſe ſo treu er-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/187>, abgerufen am 29.03.2024.