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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Cumberland's Zweizüngigkeit.
umwundene Erklärung verlangen: offenen Protest oder offene Zustimmung.
Aber wie konnten sich diese Stralenheim, Alten, Schulte, von der Wisch
zu einer so ärgerlichen Ombrage entschließen, die den vornehmen alt-
hannoverschen Staatssitten gänzlich widersprochen hätte? Die Minister
berichteten zunächst an den König; und der gemüthliche Herr meinte: man
möge eine ausgleichende Erwiderung an seinen Bruder abgehen lassen;
einen günstigen Erfolg erwarte er freilich nicht, doch würden die abwei-
chenden Ansichten des Herzogs wohl nur ihm selber, nicht dem Lande zum
Nachtheil gereichen -- eine deutliche Anspielung auf Cumberland's schwere
Schuldenlast.*)

Nunmehr beschlossen die Minister dem Thronfolger zu antworten;
denn obwohl sein Brief nach Form und Inhalt nicht für eine eigentliche
Protestation zu halten sei, so könne man doch "die Besorgniß nicht unter-
drücken, daß diesem Aktenstücke früher oder später eine andere Absicht
untergelegt werden könnte." Sie erwiderten also dem Herzoge (11. Dec.):
von seinen früheren Protesten habe sich keine Spur vorgefunden; auch
sei die Zustimmung der Agnaten zu Verfassungs-Aenderungen zwar
wünschenswerth, aber keineswegs nothwendig und schon bei der Union
der Landschaften Calenberg und Grubenhagen im Jahre 1801 nicht mehr
eingeholt worden. Alsdann hielten sie ihm vor, wie gewissenhaft das
Staatsgrundgesetz die königliche Autorität zu stärken suche, und wie sorglich
man des Herzogs Bedenken gegen die Diäten und die Oeffentlichkeit berück-
sichtigt habe.**) Durch diese matte Erwiderung meinten sie ihr Gewissen
beschwichtigt zu haben; und doch mußten sie wissen, daß Cumberland
inzwischen (29. Nov.) seinem Bruder Cambridge noch deutlicher geschrieben
hatte: einigen Bestimmungen des Staatsgrundgesetzes, namentlich der
Anordnung über die Domänen, werde er niemals beipflichten.

Als der Herzog zu Anfang des nächsten Jahres nach London kam,
hatte Geh. Rath Lichtenberg drei amtliche Unterredungen mit ihm wegen
des Staatsgrundgesetzes, und hier ward die Falschheit des Welfen ganz
offenbar. Auf seine früheren beiden Bedenken legte er nur noch geringen
Werth. Wenn ich anfangs nur diese beiden Punkte hervorgehoben habe,
"wird daraus nie der Schluß gezogen werden können, daß ich allem
Uebrigen meinen Beifall gegeben" -- dies wagte er jetzt zu behaupten,
obgleich er einst seinen beiden Brüdern ausdrücklich erklärt hatte, er sei
mit Allem und Jedem einverstanden. Am anstößigsten erschien ihm jetzt
die Kassenvereinigung, die er früher gebilligt hatte; niemals, so wieder-
holte er feierlich, könne und werde er einer solchen Neuerung zustimmen.

*) Bericht des hannov. Ministeriums an Ompteda in London, 13. November.
Bericht des Geh. Raths Lichtenberg an das Ministerium, London 3. Dec. 1833.
**) Schreiben des Ministeriums an Cumberland, 11. Dec. Antwort des Mini-
steriums an Lichtenberg, 13. Dec. 1833.

Cumberland’s Zweizüngigkeit.
umwundene Erklärung verlangen: offenen Proteſt oder offene Zuſtimmung.
Aber wie konnten ſich dieſe Stralenheim, Alten, Schulte, von der Wiſch
zu einer ſo ärgerlichen Ombrage entſchließen, die den vornehmen alt-
hannoverſchen Staatsſitten gänzlich widerſprochen hätte? Die Miniſter
berichteten zunächſt an den König; und der gemüthliche Herr meinte: man
möge eine ausgleichende Erwiderung an ſeinen Bruder abgehen laſſen;
einen günſtigen Erfolg erwarte er freilich nicht, doch würden die abwei-
chenden Anſichten des Herzogs wohl nur ihm ſelber, nicht dem Lande zum
Nachtheil gereichen — eine deutliche Anſpielung auf Cumberland’s ſchwere
Schuldenlaſt.*)

Nunmehr beſchloſſen die Miniſter dem Thronfolger zu antworten;
denn obwohl ſein Brief nach Form und Inhalt nicht für eine eigentliche
Proteſtation zu halten ſei, ſo könne man doch „die Beſorgniß nicht unter-
drücken, daß dieſem Aktenſtücke früher oder ſpäter eine andere Abſicht
untergelegt werden könnte.“ Sie erwiderten alſo dem Herzoge (11. Dec.):
von ſeinen früheren Proteſten habe ſich keine Spur vorgefunden; auch
ſei die Zuſtimmung der Agnaten zu Verfaſſungs-Aenderungen zwar
wünſchenswerth, aber keineswegs nothwendig und ſchon bei der Union
der Landſchaften Calenberg und Grubenhagen im Jahre 1801 nicht mehr
eingeholt worden. Alsdann hielten ſie ihm vor, wie gewiſſenhaft das
Staatsgrundgeſetz die königliche Autorität zu ſtärken ſuche, und wie ſorglich
man des Herzogs Bedenken gegen die Diäten und die Oeffentlichkeit berück-
ſichtigt habe.**) Durch dieſe matte Erwiderung meinten ſie ihr Gewiſſen
beſchwichtigt zu haben; und doch mußten ſie wiſſen, daß Cumberland
inzwiſchen (29. Nov.) ſeinem Bruder Cambridge noch deutlicher geſchrieben
hatte: einigen Beſtimmungen des Staatsgrundgeſetzes, namentlich der
Anordnung über die Domänen, werde er niemals beipflichten.

Als der Herzog zu Anfang des nächſten Jahres nach London kam,
hatte Geh. Rath Lichtenberg drei amtliche Unterredungen mit ihm wegen
des Staatsgrundgeſetzes, und hier ward die Falſchheit des Welfen ganz
offenbar. Auf ſeine früheren beiden Bedenken legte er nur noch geringen
Werth. Wenn ich anfangs nur dieſe beiden Punkte hervorgehoben habe,
„wird daraus nie der Schluß gezogen werden können, daß ich allem
Uebrigen meinen Beifall gegeben“ — dies wagte er jetzt zu behaupten,
obgleich er einſt ſeinen beiden Brüdern ausdrücklich erklärt hatte, er ſei
mit Allem und Jedem einverſtanden. Am anſtößigſten erſchien ihm jetzt
die Kaſſenvereinigung, die er früher gebilligt hatte; niemals, ſo wieder-
holte er feierlich, könne und werde er einer ſolchen Neuerung zuſtimmen.

*) Bericht des hannov. Miniſteriums an Ompteda in London, 13. November.
Bericht des Geh. Raths Lichtenberg an das Miniſterium, London 3. Dec. 1833.
**) Schreiben des Miniſteriums an Cumberland, 11. Dec. Antwort des Mini-
ſteriums an Lichtenberg, 13. Dec. 1833.
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[167/0181] Cumberland’s Zweizüngigkeit. umwundene Erklärung verlangen: offenen Proteſt oder offene Zuſtimmung. Aber wie konnten ſich dieſe Stralenheim, Alten, Schulte, von der Wiſch zu einer ſo ärgerlichen Ombrage entſchließen, die den vornehmen alt- hannoverſchen Staatsſitten gänzlich widerſprochen hätte? Die Miniſter berichteten zunächſt an den König; und der gemüthliche Herr meinte: man möge eine ausgleichende Erwiderung an ſeinen Bruder abgehen laſſen; einen günſtigen Erfolg erwarte er freilich nicht, doch würden die abwei- chenden Anſichten des Herzogs wohl nur ihm ſelber, nicht dem Lande zum Nachtheil gereichen — eine deutliche Anſpielung auf Cumberland’s ſchwere Schuldenlaſt. *) Nunmehr beſchloſſen die Miniſter dem Thronfolger zu antworten; denn obwohl ſein Brief nach Form und Inhalt nicht für eine eigentliche Proteſtation zu halten ſei, ſo könne man doch „die Beſorgniß nicht unter- drücken, daß dieſem Aktenſtücke früher oder ſpäter eine andere Abſicht untergelegt werden könnte.“ Sie erwiderten alſo dem Herzoge (11. Dec.): von ſeinen früheren Proteſten habe ſich keine Spur vorgefunden; auch ſei die Zuſtimmung der Agnaten zu Verfaſſungs-Aenderungen zwar wünſchenswerth, aber keineswegs nothwendig und ſchon bei der Union der Landſchaften Calenberg und Grubenhagen im Jahre 1801 nicht mehr eingeholt worden. Alsdann hielten ſie ihm vor, wie gewiſſenhaft das Staatsgrundgeſetz die königliche Autorität zu ſtärken ſuche, und wie ſorglich man des Herzogs Bedenken gegen die Diäten und die Oeffentlichkeit berück- ſichtigt habe. **) Durch dieſe matte Erwiderung meinten ſie ihr Gewiſſen beſchwichtigt zu haben; und doch mußten ſie wiſſen, daß Cumberland inzwiſchen (29. Nov.) ſeinem Bruder Cambridge noch deutlicher geſchrieben hatte: einigen Beſtimmungen des Staatsgrundgeſetzes, namentlich der Anordnung über die Domänen, werde er niemals beipflichten. Als der Herzog zu Anfang des nächſten Jahres nach London kam, hatte Geh. Rath Lichtenberg drei amtliche Unterredungen mit ihm wegen des Staatsgrundgeſetzes, und hier ward die Falſchheit des Welfen ganz offenbar. Auf ſeine früheren beiden Bedenken legte er nur noch geringen Werth. Wenn ich anfangs nur dieſe beiden Punkte hervorgehoben habe, „wird daraus nie der Schluß gezogen werden können, daß ich allem Uebrigen meinen Beifall gegeben“ — dies wagte er jetzt zu behaupten, obgleich er einſt ſeinen beiden Brüdern ausdrücklich erklärt hatte, er ſei mit Allem und Jedem einverſtanden. Am anſtößigſten erſchien ihm jetzt die Kaſſenvereinigung, die er früher gebilligt hatte; niemals, ſo wieder- holte er feierlich, könne und werde er einer ſolchen Neuerung zuſtimmen. *) Bericht des hannov. Miniſteriums an Ompteda in London, 13. November. Bericht des Geh. Raths Lichtenberg an das Miniſterium, London 3. Dec. 1833. **) Schreiben des Miniſteriums an Cumberland, 11. Dec. Antwort des Mini- ſteriums an Lichtenberg, 13. Dec. 1833.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/181>, abgerufen am 19.04.2024.