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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 2. Die constitutionelle Bewegung in Norddeutschland.
sondern ließ sich nur von der Strömung der Zeit treiben, und versicherte
dem Bruder herzlich, daß er bei dem Entwurfe besonders an die Inter-
essen seiner Nachfolger gedacht habe, "an Sie und Ihren hoffnungsvollen
Sohn. Es schien mir von der äußersten Wichtigkeit für die Wohlfahrt
und das Glück des Landes und für Ihre eigene Behaglichkeit und Ruhe,
daß Sie von den mir gemachten Vorschlägen vollständig unterrichtet wür-
den". Die Bedenken des Herzogs gegen die Oeffentlichkeit und die Tage-
gelder fand der König wohlbegründet; er versprach, daß sie von der
Regierung erwogen und nach den Umständen berücksichtigt werden sollten.*)
Und er hielt Wort. Lediglich dem Thronfolger zu Liebe wurde die dem
Landtage so oft verheißene Oeffentlichkeit dahin abgeschwächt, daß den beiden
Kammern nur gestattet sein sollte Zuhörer zuzulassen; und aus demselben
Grunde verwies man die Zusage der Diäten in ein vorläufiges Regle-
ment. Weiter ließ sich die zarte Rücksicht auf einen rechtlich bodenlosen
Einspruch in der That nicht treiben. Neue Einwendungen konnte die
Regierung jetzt um so weniger erwarten, da Ernst August die einzige
Vorschrift des Staatsgrundgesetzes, welche vielleicht der Zustimmung der
Agnaten bedurfte, die dem königlichen Hause so vortheilhafte Kassenver-
einigung mit warmer Dankbarkeit gebilligt hatte.

Aber mittlerweile begann Schele seine unterirdische Arbeit; er schil-
derte dem Herzog das Staatsgrundgesetz als ein Werk ruchloser Dema-
gogen und wußte vornehmlich die Parteivorurtheile des Hochtorys wider
die Civilliste gewandt auszunutzen: die Kassenvereinigung, die fast in allen
größeren Bundesstaaten längst bestand, sollte in Hannover "das monar-
chische Princip" vernichten! Aus den Berichten des Gesandten Münchhausen
in Berlin erfuhr der König bald, daß sein Bruder sich sehr abfällig über
die neue Verfassung äußere. Als die Minister im October 1833 dem
Thronfolger das erlassene Staatsgrundgesetz mittheilten und ihn fragten,
ob er seinen Sitz in der ersten Kammer einnehmen wolle, da empfingen
sie eine kurze, schnöde Antwort (29. October). Der Herzog erwähnte, daß
er schon bei seinem seligen Bruder gegen die Einführung der allgemeinen
Stände protestirt habe, weil die Einwilligung der Agnaten dazu nicht
eingeholt worden sei, und schloß trocken: "Von Allem was weiter vorge-
kommen bin ich nicht gehörig unterrichtet und kann mich deshalb auch
durch das neue Gesetz noch nicht gebunden halten."**) Die Absicht dieses
hinterhaltigen Schreibens war durchsichtig genug: zu ehrlichem Einspruch
hatte der Welfe nicht den Muth, doch für den Fall seiner Thronbesteigung
dachte er sich die Hände frei zu halten. Wollte die Regierung nicht die
ganze Zukunft des Staatsgrundgesetzes gefährden, so mußte sie, nach einer
solchen Probe welfischer Zweizüngigkeit, von dem Thronfolger eine un-

*) König Wilhelm an Cumberland, 3. Nov. 1831.
**) Cumberland an das k. Ministerium in Hannover, 29. October 1833.

IV. 2. Die conſtitutionelle Bewegung in Norddeutſchland.
ſondern ließ ſich nur von der Strömung der Zeit treiben, und verſicherte
dem Bruder herzlich, daß er bei dem Entwurfe beſonders an die Inter-
eſſen ſeiner Nachfolger gedacht habe, „an Sie und Ihren hoffnungsvollen
Sohn. Es ſchien mir von der äußerſten Wichtigkeit für die Wohlfahrt
und das Glück des Landes und für Ihre eigene Behaglichkeit und Ruhe,
daß Sie von den mir gemachten Vorſchlägen vollſtändig unterrichtet wür-
den“. Die Bedenken des Herzogs gegen die Oeffentlichkeit und die Tage-
gelder fand der König wohlbegründet; er verſprach, daß ſie von der
Regierung erwogen und nach den Umſtänden berückſichtigt werden ſollten.*)
Und er hielt Wort. Lediglich dem Thronfolger zu Liebe wurde die dem
Landtage ſo oft verheißene Oeffentlichkeit dahin abgeſchwächt, daß den beiden
Kammern nur geſtattet ſein ſollte Zuhörer zuzulaſſen; und aus demſelben
Grunde verwies man die Zuſage der Diäten in ein vorläufiges Regle-
ment. Weiter ließ ſich die zarte Rückſicht auf einen rechtlich bodenloſen
Einſpruch in der That nicht treiben. Neue Einwendungen konnte die
Regierung jetzt um ſo weniger erwarten, da Ernſt Auguſt die einzige
Vorſchrift des Staatsgrundgeſetzes, welche vielleicht der Zuſtimmung der
Agnaten bedurfte, die dem königlichen Hauſe ſo vortheilhafte Kaſſenver-
einigung mit warmer Dankbarkeit gebilligt hatte.

Aber mittlerweile begann Schele ſeine unterirdiſche Arbeit; er ſchil-
derte dem Herzog das Staatsgrundgeſetz als ein Werk ruchloſer Dema-
gogen und wußte vornehmlich die Parteivorurtheile des Hochtorys wider
die Civilliſte gewandt auszunutzen: die Kaſſenvereinigung, die faſt in allen
größeren Bundesſtaaten längſt beſtand, ſollte in Hannover „das monar-
chiſche Princip“ vernichten! Aus den Berichten des Geſandten Münchhauſen
in Berlin erfuhr der König bald, daß ſein Bruder ſich ſehr abfällig über
die neue Verfaſſung äußere. Als die Miniſter im October 1833 dem
Thronfolger das erlaſſene Staatsgrundgeſetz mittheilten und ihn fragten,
ob er ſeinen Sitz in der erſten Kammer einnehmen wolle, da empfingen
ſie eine kurze, ſchnöde Antwort (29. October). Der Herzog erwähnte, daß
er ſchon bei ſeinem ſeligen Bruder gegen die Einführung der allgemeinen
Stände proteſtirt habe, weil die Einwilligung der Agnaten dazu nicht
eingeholt worden ſei, und ſchloß trocken: „Von Allem was weiter vorge-
kommen bin ich nicht gehörig unterrichtet und kann mich deshalb auch
durch das neue Geſetz noch nicht gebunden halten.“**) Die Abſicht dieſes
hinterhaltigen Schreibens war durchſichtig genug: zu ehrlichem Einſpruch
hatte der Welfe nicht den Muth, doch für den Fall ſeiner Thronbeſteigung
dachte er ſich die Hände frei zu halten. Wollte die Regierung nicht die
ganze Zukunft des Staatsgrundgeſetzes gefährden, ſo mußte ſie, nach einer
ſolchen Probe welfiſcher Zweizüngigkeit, von dem Thronfolger eine un-

*) König Wilhelm an Cumberland, 3. Nov. 1831.
**) Cumberland an das k. Miniſterium in Hannover, 29. October 1833.
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[166/0180] IV. 2. Die conſtitutionelle Bewegung in Norddeutſchland. ſondern ließ ſich nur von der Strömung der Zeit treiben, und verſicherte dem Bruder herzlich, daß er bei dem Entwurfe beſonders an die Inter- eſſen ſeiner Nachfolger gedacht habe, „an Sie und Ihren hoffnungsvollen Sohn. Es ſchien mir von der äußerſten Wichtigkeit für die Wohlfahrt und das Glück des Landes und für Ihre eigene Behaglichkeit und Ruhe, daß Sie von den mir gemachten Vorſchlägen vollſtändig unterrichtet wür- den“. Die Bedenken des Herzogs gegen die Oeffentlichkeit und die Tage- gelder fand der König wohlbegründet; er verſprach, daß ſie von der Regierung erwogen und nach den Umſtänden berückſichtigt werden ſollten. *) Und er hielt Wort. Lediglich dem Thronfolger zu Liebe wurde die dem Landtage ſo oft verheißene Oeffentlichkeit dahin abgeſchwächt, daß den beiden Kammern nur geſtattet ſein ſollte Zuhörer zuzulaſſen; und aus demſelben Grunde verwies man die Zuſage der Diäten in ein vorläufiges Regle- ment. Weiter ließ ſich die zarte Rückſicht auf einen rechtlich bodenloſen Einſpruch in der That nicht treiben. Neue Einwendungen konnte die Regierung jetzt um ſo weniger erwarten, da Ernſt Auguſt die einzige Vorſchrift des Staatsgrundgeſetzes, welche vielleicht der Zuſtimmung der Agnaten bedurfte, die dem königlichen Hauſe ſo vortheilhafte Kaſſenver- einigung mit warmer Dankbarkeit gebilligt hatte. Aber mittlerweile begann Schele ſeine unterirdiſche Arbeit; er ſchil- derte dem Herzog das Staatsgrundgeſetz als ein Werk ruchloſer Dema- gogen und wußte vornehmlich die Parteivorurtheile des Hochtorys wider die Civilliſte gewandt auszunutzen: die Kaſſenvereinigung, die faſt in allen größeren Bundesſtaaten längſt beſtand, ſollte in Hannover „das monar- chiſche Princip“ vernichten! Aus den Berichten des Geſandten Münchhauſen in Berlin erfuhr der König bald, daß ſein Bruder ſich ſehr abfällig über die neue Verfaſſung äußere. Als die Miniſter im October 1833 dem Thronfolger das erlaſſene Staatsgrundgeſetz mittheilten und ihn fragten, ob er ſeinen Sitz in der erſten Kammer einnehmen wolle, da empfingen ſie eine kurze, ſchnöde Antwort (29. October). Der Herzog erwähnte, daß er ſchon bei ſeinem ſeligen Bruder gegen die Einführung der allgemeinen Stände proteſtirt habe, weil die Einwilligung der Agnaten dazu nicht eingeholt worden ſei, und ſchloß trocken: „Von Allem was weiter vorge- kommen bin ich nicht gehörig unterrichtet und kann mich deshalb auch durch das neue Geſetz noch nicht gebunden halten.“ **) Die Abſicht dieſes hinterhaltigen Schreibens war durchſichtig genug: zu ehrlichem Einſpruch hatte der Welfe nicht den Muth, doch für den Fall ſeiner Thronbeſteigung dachte er ſich die Hände frei zu halten. Wollte die Regierung nicht die ganze Zukunft des Staatsgrundgeſetzes gefährden, ſo mußte ſie, nach einer ſolchen Probe welfiſcher Zweizüngigkeit, von dem Thronfolger eine un- *) König Wilhelm an Cumberland, 3. Nov. 1831. **) Cumberland an das k. Miniſterium in Hannover, 29. October 1833.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/180>, abgerufen am 18.04.2024.