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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Der neue hannoversche Landtag.
bürgerlichen Vertreter der zweiten Kammer einigermaßen in Einklang zu
bringen.

Erst im Mai 1832 trat der Landtag wieder zusammen, in ver-
jüngter Gestalt, da die zinspflichtigen Bauern inzwischen eine Vertretung,
die Bürgerschaften ein erweitertes Wahlrecht erhalten hatten; und erst
nach beinahe zehn Monaten kam er mit dem Verfassungswerke endlich
ins Reine. Die Verhandlungen bewiesen, wie zuvor der Göttinger
Aufstand, daß die Fluthen des neufranzösischen Liberalismus in einigen
schmalen Rinnsalen doch auch in dies zähe niederdeutsche Sonderleben
eingedrungen waren. Prachtvoll erklangen die Schlagworte des Rotteck-
Welcker'schen Vernunftrechts aus dem Munde des Lüneburger Advokaten
Christiani, eines warmherzigen Schöngeistes, der jetzt für die norwegische
Verfassung ebenso feurig schwärmte wie früher für Goethe, und die lyrische
Bilderpracht der Damenalmanache in die parlamentarische Beredsamkeit
hinübernahm. Sein Freund H. Heine nannte ihn den Mirabeau der
Lüneburger Haide und sang ihm zu:

Hast Du wirklich Dich erhoben
Aus dem müßig kalten Dunstkreis,
Womit einst der kluge Kunstgreis
Dich von Weimar aus umwoben?

Außer dem geschwätzigen Göttinger Professor Saalfeld fand der Lüneburger
Mirabeau freilich nur wenige Anhänger. Es war der Vortheil des feu-
dalen Adels, daß er allein sich zu einer geschlossenen Partei geschaart
hatte. Den bürgerlichen Abgeordneten erschien es noch wie eine Ketzerei, als
der welterfahrene greise Rehberg in den "Constitutionellen Phantasien
eines alten Steuermannes" ihnen zurief: "Man erschrecke nicht über das
verhaßte Wort: Parteien werden sich bilden!" Christiani selbst blieb bei
aller Kühnheit seiner Theorien dem welfischen Hause treu ergeben; über
den Bürgerkönig Wilhelm sagte er einmal: "Seine Seele, hell und mild
wie der Tag des Mai's, aber stark wie die Felsen des Hochlandes
und frei wie das sein Vaterland umfluthende Meer, das er schon als
Knabe befuhr, kann Alles, nur den Druck seines Volkes nicht ertragen."

Trotz ihrer Zahmheit erschien diese liberale Opposition der conserva-
tiven Mehrheit hochgefährlich; und als sie gar in einer Aufwallung weichen
Gefühles die Begnadigung der "Märtyrer der Freiheit", der Göttinger
Aufrührer verlangte, da erhob sich Dahlmann zornig: "Auflehnung gegen
Alles was unter Menschen hochgehalten und würdig ist, Hintansetzung
aller beschworenen Treue, das sind keine bewundernswerthen Thaten.
Einen Liberalismus von unbedingtem Werthe, das heißt: einerlei durch
welche Mittel er sich verwirkliche, giebt es nicht. Der guten Zwecke rühmt
sich Jedermann, darum soll man die Menschen nach ihren Mitteln be-
urtheilen." Mit der ganzen Wucht seiner markigen, aus den Tiefen der
Seele dringenden Beredsamkeit bekannte er sich zu dem altväterischen

Der neue hannoverſche Landtag.
bürgerlichen Vertreter der zweiten Kammer einigermaßen in Einklang zu
bringen.

Erſt im Mai 1832 trat der Landtag wieder zuſammen, in ver-
jüngter Geſtalt, da die zinspflichtigen Bauern inzwiſchen eine Vertretung,
die Bürgerſchaften ein erweitertes Wahlrecht erhalten hatten; und erſt
nach beinahe zehn Monaten kam er mit dem Verfaſſungswerke endlich
ins Reine. Die Verhandlungen bewieſen, wie zuvor der Göttinger
Aufſtand, daß die Fluthen des neufranzöſiſchen Liberalismus in einigen
ſchmalen Rinnſalen doch auch in dies zähe niederdeutſche Sonderleben
eingedrungen waren. Prachtvoll erklangen die Schlagworte des Rotteck-
Welcker’ſchen Vernunftrechts aus dem Munde des Lüneburger Advokaten
Chriſtiani, eines warmherzigen Schöngeiſtes, der jetzt für die norwegiſche
Verfaſſung ebenſo feurig ſchwärmte wie früher für Goethe, und die lyriſche
Bilderpracht der Damenalmanache in die parlamentariſche Beredſamkeit
hinübernahm. Sein Freund H. Heine nannte ihn den Mirabeau der
Lüneburger Haide und ſang ihm zu:

Haſt Du wirklich Dich erhoben
Aus dem müßig kalten Dunſtkreis,
Womit einſt der kluge Kunſtgreis
Dich von Weimar aus umwoben?

Außer dem geſchwätzigen Göttinger Profeſſor Saalfeld fand der Lüneburger
Mirabeau freilich nur wenige Anhänger. Es war der Vortheil des feu-
dalen Adels, daß er allein ſich zu einer geſchloſſenen Partei geſchaart
hatte. Den bürgerlichen Abgeordneten erſchien es noch wie eine Ketzerei, als
der welterfahrene greiſe Rehberg in den „Conſtitutionellen Phantaſien
eines alten Steuermannes“ ihnen zurief: „Man erſchrecke nicht über das
verhaßte Wort: Parteien werden ſich bilden!“ Chriſtiani ſelbſt blieb bei
aller Kühnheit ſeiner Theorien dem welfiſchen Hauſe treu ergeben; über
den Bürgerkönig Wilhelm ſagte er einmal: „Seine Seele, hell und mild
wie der Tag des Mai’s, aber ſtark wie die Felſen des Hochlandes
und frei wie das ſein Vaterland umfluthende Meer, das er ſchon als
Knabe befuhr, kann Alles, nur den Druck ſeines Volkes nicht ertragen.“

Trotz ihrer Zahmheit erſchien dieſe liberale Oppoſition der conſerva-
tiven Mehrheit hochgefährlich; und als ſie gar in einer Aufwallung weichen
Gefühles die Begnadigung der „Märtyrer der Freiheit“, der Göttinger
Aufrührer verlangte, da erhob ſich Dahlmann zornig: „Auflehnung gegen
Alles was unter Menſchen hochgehalten und würdig iſt, Hintanſetzung
aller beſchworenen Treue, das ſind keine bewundernswerthen Thaten.
Einen Liberalismus von unbedingtem Werthe, das heißt: einerlei durch
welche Mittel er ſich verwirkliche, giebt es nicht. Der guten Zwecke rühmt
ſich Jedermann, darum ſoll man die Menſchen nach ihren Mitteln be-
urtheilen.“ Mit der ganzen Wucht ſeiner markigen, aus den Tiefen der
Seele dringenden Beredſamkeit bekannte er ſich zu dem altväteriſchen

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[159/0173] Der neue hannoverſche Landtag. bürgerlichen Vertreter der zweiten Kammer einigermaßen in Einklang zu bringen. Erſt im Mai 1832 trat der Landtag wieder zuſammen, in ver- jüngter Geſtalt, da die zinspflichtigen Bauern inzwiſchen eine Vertretung, die Bürgerſchaften ein erweitertes Wahlrecht erhalten hatten; und erſt nach beinahe zehn Monaten kam er mit dem Verfaſſungswerke endlich ins Reine. Die Verhandlungen bewieſen, wie zuvor der Göttinger Aufſtand, daß die Fluthen des neufranzöſiſchen Liberalismus in einigen ſchmalen Rinnſalen doch auch in dies zähe niederdeutſche Sonderleben eingedrungen waren. Prachtvoll erklangen die Schlagworte des Rotteck- Welcker’ſchen Vernunftrechts aus dem Munde des Lüneburger Advokaten Chriſtiani, eines warmherzigen Schöngeiſtes, der jetzt für die norwegiſche Verfaſſung ebenſo feurig ſchwärmte wie früher für Goethe, und die lyriſche Bilderpracht der Damenalmanache in die parlamentariſche Beredſamkeit hinübernahm. Sein Freund H. Heine nannte ihn den Mirabeau der Lüneburger Haide und ſang ihm zu: Haſt Du wirklich Dich erhoben Aus dem müßig kalten Dunſtkreis, Womit einſt der kluge Kunſtgreis Dich von Weimar aus umwoben? Außer dem geſchwätzigen Göttinger Profeſſor Saalfeld fand der Lüneburger Mirabeau freilich nur wenige Anhänger. Es war der Vortheil des feu- dalen Adels, daß er allein ſich zu einer geſchloſſenen Partei geſchaart hatte. Den bürgerlichen Abgeordneten erſchien es noch wie eine Ketzerei, als der welterfahrene greiſe Rehberg in den „Conſtitutionellen Phantaſien eines alten Steuermannes“ ihnen zurief: „Man erſchrecke nicht über das verhaßte Wort: Parteien werden ſich bilden!“ Chriſtiani ſelbſt blieb bei aller Kühnheit ſeiner Theorien dem welfiſchen Hauſe treu ergeben; über den Bürgerkönig Wilhelm ſagte er einmal: „Seine Seele, hell und mild wie der Tag des Mai’s, aber ſtark wie die Felſen des Hochlandes und frei wie das ſein Vaterland umfluthende Meer, das er ſchon als Knabe befuhr, kann Alles, nur den Druck ſeines Volkes nicht ertragen.“ Trotz ihrer Zahmheit erſchien dieſe liberale Oppoſition der conſerva- tiven Mehrheit hochgefährlich; und als ſie gar in einer Aufwallung weichen Gefühles die Begnadigung der „Märtyrer der Freiheit“, der Göttinger Aufrührer verlangte, da erhob ſich Dahlmann zornig: „Auflehnung gegen Alles was unter Menſchen hochgehalten und würdig iſt, Hintanſetzung aller beſchworenen Treue, das ſind keine bewundernswerthen Thaten. Einen Liberalismus von unbedingtem Werthe, das heißt: einerlei durch welche Mittel er ſich verwirkliche, giebt es nicht. Der guten Zwecke rühmt ſich Jedermann, darum ſoll man die Menſchen nach ihren Mitteln be- urtheilen.“ Mit der ganzen Wucht ſeiner markigen, aus den Tiefen der Seele dringenden Beredſamkeit bekannte er ſich zu dem altväteriſchen

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/173>, abgerufen am 29.03.2024.