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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 2. Die constitutionelle Bewegung in Norddeutschland.
um große Feuer, das nichtswürdige Administrations-Bier der alleinberech-
tigten städtischen Brauerei floß in Strömen, und stolz rauchte Jedermann
auf der Straße; denn die ertrotzte Rauchfreiheit galt in allen diesen kleinen
norddeutschen Revolutionen für das Sinnbild des neuen Völkerfrühlings.
Von bestimmten politischen Plänen war keine Rede. Man sang radicale
Lieder, ließ Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit hoch leben; Einzelne empfahlen
auch eine Republik Göttingen unter dem Schutze des Deutschen Bundes.
Die Gesandtschaft aber, welche der neue Gemeinderath nach Hannover
sendete, vermochte sich über die Wünsche des souveränen Volkes so wenig
zu einigen, daß sie schließlich zu gleicher Zeit zwei Eingaben ganz ver-
schiedenen Inhalts der Regierung überreichte. Den großen Höfen erschien
diese so lang anhaltende und so ganz ungestörte revolutionäre Bewegung
völlig unbegreiflich; Metternich bemerkte mit Entsetzen, "bis zu welchem
Grade die Pläne ihrer Urheber gefährlich und verwegen" seien. Die
hannoversche Regierung meldete dem Bundestage sofort, sie sehe sich außer
Stande, Truppen zur Bewachung der deutschen Westgrenze zu stellen, da
sie ihrer bewaffneten Macht im eigenen Lande bedürfe.*) Die geängsteten
Landdrosten und Amtmänner versprachen "den biederen Bewohnern" ihrer
Bezirke demüthig, daß allen Beschwerden "fördersamst" Abhilfe gewährt
werden solle. An die Göttinger erließ der Generalgouverneur Herzog von
Cambridge ein abmahnendes Manifest nach dem andern und fragte sie
väterlich: "Ist es recht, mit Aufruhr und Widersetzlichkeit anzufangen?"
Er faßte sich erst wieder ein Herz, als ihm Dahlmann, der mit einigen
Abgesandten des akademischen Senats nach Hannover gekommen war, ent-
schlossen erklärte: die Aufständischen seien ihrer Thorheit müde, eine mäßige
Truppenmacht könne ohne Blutvergießen die Ordnung herstellen.

So geschah es auch. Als die Truppen am achten Morgen nach dem
Beginne des Aufruhrs endlich einrückten -- über 7000 Mann, mehr als
die Hälfte der hannoverschen Armee -- da waren die Barrikaden an den
Thoren bereits verschwunden, desgleichen die akademische und die bürger-
liche Legion. Rauschenplatt aber floh mit einigen seiner Genossen nach
Straßburg, wo ihm die Studenten einen festlichen Empfang bereiteten;
seines Bleibens war auch hier nicht lange, da Metternich sich bei der
französischen Regierung beschwerte.**) Die anderen Anstifter wurden in
Celle vor eine Gerichtscommission gestellt und dort, nach der grausamen
Weise des alten Strafverfahrens, durch viele Jahre hingehalten. Der
Advokat v. Frankenberg, der lediglich in dem benachbarten Flecken Bo-
venden eine Sicherheitswache befehligt hatte, wartete sechs Jahre lang auf
sein Urtheil; endlich ließ man ihm die Wahl zwischen der gerichtlichen
Entscheidung und der Gnade des Königs; um dem Jammer nur ein

*) Maltzahn's Berichte, 28. 29. Januar 1831.
**) Maltzahn's Bericht, 9. Mai 1831.

IV. 2. Die conſtitutionelle Bewegung in Norddeutſchland.
um große Feuer, das nichtswürdige Adminiſtrations-Bier der alleinberech-
tigten ſtädtiſchen Brauerei floß in Strömen, und ſtolz rauchte Jedermann
auf der Straße; denn die ertrotzte Rauchfreiheit galt in allen dieſen kleinen
norddeutſchen Revolutionen für das Sinnbild des neuen Völkerfrühlings.
Von beſtimmten politiſchen Plänen war keine Rede. Man ſang radicale
Lieder, ließ Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit hoch leben; Einzelne empfahlen
auch eine Republik Göttingen unter dem Schutze des Deutſchen Bundes.
Die Geſandtſchaft aber, welche der neue Gemeinderath nach Hannover
ſendete, vermochte ſich über die Wünſche des ſouveränen Volkes ſo wenig
zu einigen, daß ſie ſchließlich zu gleicher Zeit zwei Eingaben ganz ver-
ſchiedenen Inhalts der Regierung überreichte. Den großen Höfen erſchien
dieſe ſo lang anhaltende und ſo ganz ungeſtörte revolutionäre Bewegung
völlig unbegreiflich; Metternich bemerkte mit Entſetzen, „bis zu welchem
Grade die Pläne ihrer Urheber gefährlich und verwegen“ ſeien. Die
hannoverſche Regierung meldete dem Bundestage ſofort, ſie ſehe ſich außer
Stande, Truppen zur Bewachung der deutſchen Weſtgrenze zu ſtellen, da
ſie ihrer bewaffneten Macht im eigenen Lande bedürfe.*) Die geängſteten
Landdroſten und Amtmänner verſprachen „den biederen Bewohnern“ ihrer
Bezirke demüthig, daß allen Beſchwerden „förderſamſt“ Abhilfe gewährt
werden ſolle. An die Göttinger erließ der Generalgouverneur Herzog von
Cambridge ein abmahnendes Manifeſt nach dem andern und fragte ſie
väterlich: „Iſt es recht, mit Aufruhr und Widerſetzlichkeit anzufangen?“
Er faßte ſich erſt wieder ein Herz, als ihm Dahlmann, der mit einigen
Abgeſandten des akademiſchen Senats nach Hannover gekommen war, ent-
ſchloſſen erklärte: die Aufſtändiſchen ſeien ihrer Thorheit müde, eine mäßige
Truppenmacht könne ohne Blutvergießen die Ordnung herſtellen.

So geſchah es auch. Als die Truppen am achten Morgen nach dem
Beginne des Aufruhrs endlich einrückten — über 7000 Mann, mehr als
die Hälfte der hannoverſchen Armee — da waren die Barrikaden an den
Thoren bereits verſchwunden, desgleichen die akademiſche und die bürger-
liche Legion. Rauſchenplatt aber floh mit einigen ſeiner Genoſſen nach
Straßburg, wo ihm die Studenten einen feſtlichen Empfang bereiteten;
ſeines Bleibens war auch hier nicht lange, da Metternich ſich bei der
franzöſiſchen Regierung beſchwerte.**) Die anderen Anſtifter wurden in
Celle vor eine Gerichtscommiſſion geſtellt und dort, nach der grauſamen
Weiſe des alten Strafverfahrens, durch viele Jahre hingehalten. Der
Advokat v. Frankenberg, der lediglich in dem benachbarten Flecken Bo-
venden eine Sicherheitswache befehligt hatte, wartete ſechs Jahre lang auf
ſein Urtheil; endlich ließ man ihm die Wahl zwiſchen der gerichtlichen
Entſcheidung und der Gnade des Königs; um dem Jammer nur ein

*) Maltzahn’s Berichte, 28. 29. Januar 1831.
**) Maltzahn’s Bericht, 9. Mai 1831.
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[156/0170] IV. 2. Die conſtitutionelle Bewegung in Norddeutſchland. um große Feuer, das nichtswürdige Adminiſtrations-Bier der alleinberech- tigten ſtädtiſchen Brauerei floß in Strömen, und ſtolz rauchte Jedermann auf der Straße; denn die ertrotzte Rauchfreiheit galt in allen dieſen kleinen norddeutſchen Revolutionen für das Sinnbild des neuen Völkerfrühlings. Von beſtimmten politiſchen Plänen war keine Rede. Man ſang radicale Lieder, ließ Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit hoch leben; Einzelne empfahlen auch eine Republik Göttingen unter dem Schutze des Deutſchen Bundes. Die Geſandtſchaft aber, welche der neue Gemeinderath nach Hannover ſendete, vermochte ſich über die Wünſche des ſouveränen Volkes ſo wenig zu einigen, daß ſie ſchließlich zu gleicher Zeit zwei Eingaben ganz ver- ſchiedenen Inhalts der Regierung überreichte. Den großen Höfen erſchien dieſe ſo lang anhaltende und ſo ganz ungeſtörte revolutionäre Bewegung völlig unbegreiflich; Metternich bemerkte mit Entſetzen, „bis zu welchem Grade die Pläne ihrer Urheber gefährlich und verwegen“ ſeien. Die hannoverſche Regierung meldete dem Bundestage ſofort, ſie ſehe ſich außer Stande, Truppen zur Bewachung der deutſchen Weſtgrenze zu ſtellen, da ſie ihrer bewaffneten Macht im eigenen Lande bedürfe. *) Die geängſteten Landdroſten und Amtmänner verſprachen „den biederen Bewohnern“ ihrer Bezirke demüthig, daß allen Beſchwerden „förderſamſt“ Abhilfe gewährt werden ſolle. An die Göttinger erließ der Generalgouverneur Herzog von Cambridge ein abmahnendes Manifeſt nach dem andern und fragte ſie väterlich: „Iſt es recht, mit Aufruhr und Widerſetzlichkeit anzufangen?“ Er faßte ſich erſt wieder ein Herz, als ihm Dahlmann, der mit einigen Abgeſandten des akademiſchen Senats nach Hannover gekommen war, ent- ſchloſſen erklärte: die Aufſtändiſchen ſeien ihrer Thorheit müde, eine mäßige Truppenmacht könne ohne Blutvergießen die Ordnung herſtellen. So geſchah es auch. Als die Truppen am achten Morgen nach dem Beginne des Aufruhrs endlich einrückten — über 7000 Mann, mehr als die Hälfte der hannoverſchen Armee — da waren die Barrikaden an den Thoren bereits verſchwunden, desgleichen die akademiſche und die bürger- liche Legion. Rauſchenplatt aber floh mit einigen ſeiner Genoſſen nach Straßburg, wo ihm die Studenten einen feſtlichen Empfang bereiteten; ſeines Bleibens war auch hier nicht lange, da Metternich ſich bei der franzöſiſchen Regierung beſchwerte. **) Die anderen Anſtifter wurden in Celle vor eine Gerichtscommiſſion geſtellt und dort, nach der grauſamen Weiſe des alten Strafverfahrens, durch viele Jahre hingehalten. Der Advokat v. Frankenberg, der lediglich in dem benachbarten Flecken Bo- venden eine Sicherheitswache befehligt hatte, wartete ſechs Jahre lang auf ſein Urtheil; endlich ließ man ihm die Wahl zwiſchen der gerichtlichen Entſcheidung und der Gnade des Königs; um dem Jammer nur ein *) Maltzahn’s Berichte, 28. 29. Januar 1831. **) Maltzahn’s Bericht, 9. Mai 1831.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/170>, abgerufen am 25.04.2024.