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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Neue Unruhen in Dresden.
Ansehen behaupten. Sobald das kleine Königreich an seine inneren Schä-
den die heilende Hand legte, lenkte auch seine deutsche Politik wie von selbst
in ihre natürlichen Bahnen ein; der Groll über die Landestheilung schien
fast vergessen, das Verhältniß zum preußischen Hofe gestaltete sich bald
freundlich. Prinz Friedrich August hatte sich kürzlich bei einem Besuche
in Berlin das besondere Wohlwollen des Königs erworben; Prinz Johann
schloß mit seinem Schwager, dem preußischen Kronprinzen, brüderliche
Freundschaft, die beiden gelehrtesten Fürsten des Zeitalters ergingen sich
gern im Austausch ernster Gedanken, obgleich der nüchterne Albertiner
die romantische Weltanschauung des Hohenzollern nicht theilte.

Es währte noch ein volles Jahr, bis das aufgewühlte Land sich wieder
beruhigte. Die Sachsenzeitung, der Vaterlandsfreund, die Biene des
Zwickauer Bienenvaters Richter führten oft eine aufreizende Sprache, und
was vor der eingeschüchterten sächsischen Censur doch keine Gnade fand
wurde in Winkelpressen gedruckt oder in Altenburg, in Ilmenau unter
dem kraftlosen Regimente der thüringischen Kleinfürsten. Späterhin wirkten
auch einige der polnischen Flüchtlinge mit, denen die Dresdener, eingedenk
der alten Zeiten, eine gastliche Aufnahme bereiteten. Die Behörden zeigten
sich fast überall schwach; fast jede Mißtrauenserklärung der Gemeinden
gegen einen Beamten, einen Geistlichen konnte auf Erhörung rechnen; die
Polizei war durch die vielen kleinen Gassenprügeleien so in Verruf ge-
kommen, daß sie kaum noch brauchbare Leute für ihren Dienst zu finden
vermochte. In Dresden wurde die alte Nationalgarde, weil sie neben der
neuen Communalgarde nicht mehr bestehen konnte, aufgelöst; einige ihrer
Mitglieder widersetzten sich, legten Verwahrung ein gegen die Beschimpfung,
die "der gesammten Nationalgarde nicht blos in Europa sondern auch in
anderen Welttheilen widerfahren" sei, bildeten schmollend einen Bürger-
verein. In diesen Kreisen ward eine von dem Advocaten Mosdorf ent-
worfene "Constitution wie sie die Sachsen wollen" verbreitet. Sie trug
die Aufschrift: "und wird sie nicht gewährt, so pochen wir mit den Flinten-
kolben an," forderte Volkssouveränität, Abschaffung des Adels und des
stehenden Heeres; alle die verworrenen radicalen Gedanken, welche das
starre Adelsregiment unter den Kleinbürgern erweckt hatte, fanden hier
ihren groben Ausdruck.

Als die Regierung endlich im April 1831 einige Verhaftungen vor-
nahm, begann der Straßenlärm in der Hauptstadt von Neuem; der Pöbel
befreite die Gefangenen, die Communalgarde benahm sich feig, ihr Führer
Prinz Johann ward verhöhnt, und erst am zweiten Tage trieb das Feuer
der Truppen die Aufrührer auseinander. Mosdorf ward auf den König-
stein, viele Andere ins Zuchthaus abgeführt. Diese Nachrichten entflammten
in Leipzig wieder die alte Eifersucht auf die Residenz; der Stadtrath sendete
sogleich eine Ergebenheits-Adresse an den Hof und erbot sich, im Nothfall
seine Communalgarde gegen die meuterischen Dresdener auszusenden.

Neue Unruhen in Dresden.
Anſehen behaupten. Sobald das kleine Königreich an ſeine inneren Schä-
den die heilende Hand legte, lenkte auch ſeine deutſche Politik wie von ſelbſt
in ihre natürlichen Bahnen ein; der Groll über die Landestheilung ſchien
faſt vergeſſen, das Verhältniß zum preußiſchen Hofe geſtaltete ſich bald
freundlich. Prinz Friedrich Auguſt hatte ſich kürzlich bei einem Beſuche
in Berlin das beſondere Wohlwollen des Königs erworben; Prinz Johann
ſchloß mit ſeinem Schwager, dem preußiſchen Kronprinzen, brüderliche
Freundſchaft, die beiden gelehrteſten Fürſten des Zeitalters ergingen ſich
gern im Austauſch ernſter Gedanken, obgleich der nüchterne Albertiner
die romantiſche Weltanſchauung des Hohenzollern nicht theilte.

Es währte noch ein volles Jahr, bis das aufgewühlte Land ſich wieder
beruhigte. Die Sachſenzeitung, der Vaterlandsfreund, die Biene des
Zwickauer Bienenvaters Richter führten oft eine aufreizende Sprache, und
was vor der eingeſchüchterten ſächſiſchen Cenſur doch keine Gnade fand
wurde in Winkelpreſſen gedruckt oder in Altenburg, in Ilmenau unter
dem kraftloſen Regimente der thüringiſchen Kleinfürſten. Späterhin wirkten
auch einige der polniſchen Flüchtlinge mit, denen die Dresdener, eingedenk
der alten Zeiten, eine gaſtliche Aufnahme bereiteten. Die Behörden zeigten
ſich faſt überall ſchwach; faſt jede Mißtrauenserklärung der Gemeinden
gegen einen Beamten, einen Geiſtlichen konnte auf Erhörung rechnen; die
Polizei war durch die vielen kleinen Gaſſenprügeleien ſo in Verruf ge-
kommen, daß ſie kaum noch brauchbare Leute für ihren Dienſt zu finden
vermochte. In Dresden wurde die alte Nationalgarde, weil ſie neben der
neuen Communalgarde nicht mehr beſtehen konnte, aufgelöſt; einige ihrer
Mitglieder widerſetzten ſich, legten Verwahrung ein gegen die Beſchimpfung,
die „der geſammten Nationalgarde nicht blos in Europa ſondern auch in
anderen Welttheilen widerfahren“ ſei, bildeten ſchmollend einen Bürger-
verein. In dieſen Kreiſen ward eine von dem Advocaten Mosdorf ent-
worfene „Conſtitution wie ſie die Sachſen wollen“ verbreitet. Sie trug
die Aufſchrift: „und wird ſie nicht gewährt, ſo pochen wir mit den Flinten-
kolben an,“ forderte Volksſouveränität, Abſchaffung des Adels und des
ſtehenden Heeres; alle die verworrenen radicalen Gedanken, welche das
ſtarre Adelsregiment unter den Kleinbürgern erweckt hatte, fanden hier
ihren groben Ausdruck.

Als die Regierung endlich im April 1831 einige Verhaftungen vor-
nahm, begann der Straßenlärm in der Hauptſtadt von Neuem; der Pöbel
befreite die Gefangenen, die Communalgarde benahm ſich feig, ihr Führer
Prinz Johann ward verhöhnt, und erſt am zweiten Tage trieb das Feuer
der Truppen die Aufrührer auseinander. Mosdorf ward auf den König-
ſtein, viele Andere ins Zuchthaus abgeführt. Dieſe Nachrichten entflammten
in Leipzig wieder die alte Eiferſucht auf die Reſidenz; der Stadtrath ſendete
ſogleich eine Ergebenheits-Adreſſe an den Hof und erbot ſich, im Nothfall
ſeine Communalgarde gegen die meuteriſchen Dresdener auszuſenden.

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[149/0163] Neue Unruhen in Dresden. Anſehen behaupten. Sobald das kleine Königreich an ſeine inneren Schä- den die heilende Hand legte, lenkte auch ſeine deutſche Politik wie von ſelbſt in ihre natürlichen Bahnen ein; der Groll über die Landestheilung ſchien faſt vergeſſen, das Verhältniß zum preußiſchen Hofe geſtaltete ſich bald freundlich. Prinz Friedrich Auguſt hatte ſich kürzlich bei einem Beſuche in Berlin das beſondere Wohlwollen des Königs erworben; Prinz Johann ſchloß mit ſeinem Schwager, dem preußiſchen Kronprinzen, brüderliche Freundſchaft, die beiden gelehrteſten Fürſten des Zeitalters ergingen ſich gern im Austauſch ernſter Gedanken, obgleich der nüchterne Albertiner die romantiſche Weltanſchauung des Hohenzollern nicht theilte. Es währte noch ein volles Jahr, bis das aufgewühlte Land ſich wieder beruhigte. Die Sachſenzeitung, der Vaterlandsfreund, die Biene des Zwickauer Bienenvaters Richter führten oft eine aufreizende Sprache, und was vor der eingeſchüchterten ſächſiſchen Cenſur doch keine Gnade fand wurde in Winkelpreſſen gedruckt oder in Altenburg, in Ilmenau unter dem kraftloſen Regimente der thüringiſchen Kleinfürſten. Späterhin wirkten auch einige der polniſchen Flüchtlinge mit, denen die Dresdener, eingedenk der alten Zeiten, eine gaſtliche Aufnahme bereiteten. Die Behörden zeigten ſich faſt überall ſchwach; faſt jede Mißtrauenserklärung der Gemeinden gegen einen Beamten, einen Geiſtlichen konnte auf Erhörung rechnen; die Polizei war durch die vielen kleinen Gaſſenprügeleien ſo in Verruf ge- kommen, daß ſie kaum noch brauchbare Leute für ihren Dienſt zu finden vermochte. In Dresden wurde die alte Nationalgarde, weil ſie neben der neuen Communalgarde nicht mehr beſtehen konnte, aufgelöſt; einige ihrer Mitglieder widerſetzten ſich, legten Verwahrung ein gegen die Beſchimpfung, die „der geſammten Nationalgarde nicht blos in Europa ſondern auch in anderen Welttheilen widerfahren“ ſei, bildeten ſchmollend einen Bürger- verein. In dieſen Kreiſen ward eine von dem Advocaten Mosdorf ent- worfene „Conſtitution wie ſie die Sachſen wollen“ verbreitet. Sie trug die Aufſchrift: „und wird ſie nicht gewährt, ſo pochen wir mit den Flinten- kolben an,“ forderte Volksſouveränität, Abſchaffung des Adels und des ſtehenden Heeres; alle die verworrenen radicalen Gedanken, welche das ſtarre Adelsregiment unter den Kleinbürgern erweckt hatte, fanden hier ihren groben Ausdruck. Als die Regierung endlich im April 1831 einige Verhaftungen vor- nahm, begann der Straßenlärm in der Hauptſtadt von Neuem; der Pöbel befreite die Gefangenen, die Communalgarde benahm ſich feig, ihr Führer Prinz Johann ward verhöhnt, und erſt am zweiten Tage trieb das Feuer der Truppen die Aufrührer auseinander. Mosdorf ward auf den König- ſtein, viele Andere ins Zuchthaus abgeführt. Dieſe Nachrichten entflammten in Leipzig wieder die alte Eiferſucht auf die Reſidenz; der Stadtrath ſendete ſogleich eine Ergebenheits-Adreſſe an den Hof und erbot ſich, im Nothfall ſeine Communalgarde gegen die meuteriſchen Dresdener auszuſenden.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/163>, abgerufen am 23.04.2024.