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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 1. Die Wiener Conferenzen.
und der strengen Aufsicht einer Bundesbehörde in Leipzig unterworfen
werden. Nur die bei dieser Generaldirektion eingetragenen Schriften er-
freuen sich des gesetzlichen Schutzes. Als Schutzverwandte können auch
die deutschen Buchhändler des Auslands der Corporation beitreten, aber
nur wenn sie einem Staate, der die Censur handhabt, angehören; denn
offenbar wäre es ein Unrecht, die "vogelfreien" Verleger Englands und
Frankreichs den legitimen Buchhändlern Deutschlands und Rußlands
gleichzustellen. So der "Plan zur Organisation des deutschen Buchhan-
dels". Sein Zweck sprang in die Augen; die Censur, die bisher nur pro-
visorisch auf fünf Jahre eingeführt war, sollte ganz unter der Hand als
eine bleibende Institution des Bundesrechts, als die Vorbedingung des lite-
rarischen Eigenthums anerkannt werden. Aber zu einer Verschärfung
der Karlsbader Beschlüsse zeigte sich die Conferenz nicht geneigt, der Un-
terschied zwischen den legitimen und den vogelfreien Buchhändlern war
ihr zu fein. Adam Müller's Vorschlag blieb liegen, ein lehrreiches Prob-
stück österreichischer Rechtsweisheit. --

Die Conferenz arbeitete mit anhaltendem Fleiße, obgleich es in dem
lustigen Wien auch an Schmäusen und Festlichkeiten nicht fehlte. Tag
für Tag versammelten sich bald die Ausschüsse bald das Plenum um den
langen Tisch in Metternich's Vorzimmer. Die Ernte schien bereits glück-
lich unter Dach gebracht, als Württemberg plötzlich die Frucht der langen
mühsamen Vermittlungsarbeit zu zerstören suchte. Verdrießlich genug hatte
König Wilhelm bisher seinen conservativen Minister Wintzingerode gewähren
lassen, der mit unverhohlener Geringschätzung von "unserer vortrefflichen
Verfassung" sprach und das Vertrauen der beiden Großmächte wiederzu-
gewinnen bemüht war. Von Zeit zu Zeit sendete Metternich ein lehrhaftes
Schreiben nach Stuttgart um den halbbekehrten Hof in seinen guten
Vorsätzen zu bestärken und ihn durch die Schreckbilder der Revolution in
einer wohlthätigen Angst zu erhalten. Deutschland, so schrieb er dem
Gesandten Trauttmansdorff, bedarf der Befestigung der Ordnung sogar
noch dringender als Frankreich; denn jenseits des Rheines ist die revo-
lutionäre Umwälzung aller Besitzverhältnisse bereits vollendet, "die Pläne
der deutschen Demagogen aber gehen zugleich auf die Republik und auf
ein Ackergesetz". Da verlautete im Januar, daß die Conferenz die Formen
des Bundesrechts verletzen, ihre Beschlüsse dem Bundestage kurzweg auf-
erlegen wolle.

Eine so köstliche Gelegenheit, wieder einmal den Anwalt der Freiheit
zu spielen und seinen durchlauchtigen Genossen ein Bein zu stellen, durfte
König Wilhelm sich doch nicht entgehen lassen. Sofort wurde Graf
Mandelsloh angewiesen, feierlich zu erklären, daß der König einem solchen
Plane niemals zustimmen werde; den Bundestag zu umgehen dürfe man
den beiden Großmächten nicht gestatten. Eine harte Zumuthung an den
friedfertigen Gesandten, der jeden Abend stillvergnügt in Metternich's glän-

III. 1. Die Wiener Conferenzen.
und der ſtrengen Aufſicht einer Bundesbehörde in Leipzig unterworfen
werden. Nur die bei dieſer Generaldirektion eingetragenen Schriften er-
freuen ſich des geſetzlichen Schutzes. Als Schutzverwandte können auch
die deutſchen Buchhändler des Auslands der Corporation beitreten, aber
nur wenn ſie einem Staate, der die Cenſur handhabt, angehören; denn
offenbar wäre es ein Unrecht, die „vogelfreien“ Verleger Englands und
Frankreichs den legitimen Buchhändlern Deutſchlands und Rußlands
gleichzuſtellen. So der „Plan zur Organiſation des deutſchen Buchhan-
dels“. Sein Zweck ſprang in die Augen; die Cenſur, die bisher nur pro-
viſoriſch auf fünf Jahre eingeführt war, ſollte ganz unter der Hand als
eine bleibende Inſtitution des Bundesrechts, als die Vorbedingung des lite-
rariſchen Eigenthums anerkannt werden. Aber zu einer Verſchärfung
der Karlsbader Beſchlüſſe zeigte ſich die Conferenz nicht geneigt, der Un-
terſchied zwiſchen den legitimen und den vogelfreien Buchhändlern war
ihr zu fein. Adam Müller’s Vorſchlag blieb liegen, ein lehrreiches Prob-
ſtück öſterreichiſcher Rechtsweisheit. —

Die Conferenz arbeitete mit anhaltendem Fleiße, obgleich es in dem
luſtigen Wien auch an Schmäuſen und Feſtlichkeiten nicht fehlte. Tag
für Tag verſammelten ſich bald die Ausſchüſſe bald das Plenum um den
langen Tiſch in Metternich’s Vorzimmer. Die Ernte ſchien bereits glück-
lich unter Dach gebracht, als Württemberg plötzlich die Frucht der langen
mühſamen Vermittlungsarbeit zu zerſtören ſuchte. Verdrießlich genug hatte
König Wilhelm bisher ſeinen conſervativen Miniſter Wintzingerode gewähren
laſſen, der mit unverhohlener Geringſchätzung von „unſerer vortrefflichen
Verfaſſung“ ſprach und das Vertrauen der beiden Großmächte wiederzu-
gewinnen bemüht war. Von Zeit zu Zeit ſendete Metternich ein lehrhaftes
Schreiben nach Stuttgart um den halbbekehrten Hof in ſeinen guten
Vorſätzen zu beſtärken und ihn durch die Schreckbilder der Revolution in
einer wohlthätigen Angſt zu erhalten. Deutſchland, ſo ſchrieb er dem
Geſandten Trauttmansdorff, bedarf der Befeſtigung der Ordnung ſogar
noch dringender als Frankreich; denn jenſeits des Rheines iſt die revo-
lutionäre Umwälzung aller Beſitzverhältniſſe bereits vollendet, „die Pläne
der deutſchen Demagogen aber gehen zugleich auf die Republik und auf
ein Ackergeſetz“. Da verlautete im Januar, daß die Conferenz die Formen
des Bundesrechts verletzen, ihre Beſchlüſſe dem Bundestage kurzweg auf-
erlegen wolle.

Eine ſo köſtliche Gelegenheit, wieder einmal den Anwalt der Freiheit
zu ſpielen und ſeinen durchlauchtigen Genoſſen ein Bein zu ſtellen, durfte
König Wilhelm ſich doch nicht entgehen laſſen. Sofort wurde Graf
Mandelsloh angewieſen, feierlich zu erklären, daß der König einem ſolchen
Plane niemals zuſtimmen werde; den Bundestag zu umgehen dürfe man
den beiden Großmächten nicht geſtatten. Eine harte Zumuthung an den
friedfertigen Geſandten, der jeden Abend ſtillvergnügt in Metternich’s glän-

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[24/0040] III. 1. Die Wiener Conferenzen. und der ſtrengen Aufſicht einer Bundesbehörde in Leipzig unterworfen werden. Nur die bei dieſer Generaldirektion eingetragenen Schriften er- freuen ſich des geſetzlichen Schutzes. Als Schutzverwandte können auch die deutſchen Buchhändler des Auslands der Corporation beitreten, aber nur wenn ſie einem Staate, der die Cenſur handhabt, angehören; denn offenbar wäre es ein Unrecht, die „vogelfreien“ Verleger Englands und Frankreichs den legitimen Buchhändlern Deutſchlands und Rußlands gleichzuſtellen. So der „Plan zur Organiſation des deutſchen Buchhan- dels“. Sein Zweck ſprang in die Augen; die Cenſur, die bisher nur pro- viſoriſch auf fünf Jahre eingeführt war, ſollte ganz unter der Hand als eine bleibende Inſtitution des Bundesrechts, als die Vorbedingung des lite- rariſchen Eigenthums anerkannt werden. Aber zu einer Verſchärfung der Karlsbader Beſchlüſſe zeigte ſich die Conferenz nicht geneigt, der Un- terſchied zwiſchen den legitimen und den vogelfreien Buchhändlern war ihr zu fein. Adam Müller’s Vorſchlag blieb liegen, ein lehrreiches Prob- ſtück öſterreichiſcher Rechtsweisheit. — Die Conferenz arbeitete mit anhaltendem Fleiße, obgleich es in dem luſtigen Wien auch an Schmäuſen und Feſtlichkeiten nicht fehlte. Tag für Tag verſammelten ſich bald die Ausſchüſſe bald das Plenum um den langen Tiſch in Metternich’s Vorzimmer. Die Ernte ſchien bereits glück- lich unter Dach gebracht, als Württemberg plötzlich die Frucht der langen mühſamen Vermittlungsarbeit zu zerſtören ſuchte. Verdrießlich genug hatte König Wilhelm bisher ſeinen conſervativen Miniſter Wintzingerode gewähren laſſen, der mit unverhohlener Geringſchätzung von „unſerer vortrefflichen Verfaſſung“ ſprach und das Vertrauen der beiden Großmächte wiederzu- gewinnen bemüht war. Von Zeit zu Zeit ſendete Metternich ein lehrhaftes Schreiben nach Stuttgart um den halbbekehrten Hof in ſeinen guten Vorſätzen zu beſtärken und ihn durch die Schreckbilder der Revolution in einer wohlthätigen Angſt zu erhalten. Deutſchland, ſo ſchrieb er dem Geſandten Trauttmansdorff, bedarf der Befeſtigung der Ordnung ſogar noch dringender als Frankreich; denn jenſeits des Rheines iſt die revo- lutionäre Umwälzung aller Beſitzverhältniſſe bereits vollendet, „die Pläne der deutſchen Demagogen aber gehen zugleich auf die Republik und auf ein Ackergeſetz“. Da verlautete im Januar, daß die Conferenz die Formen des Bundesrechts verletzen, ihre Beſchlüſſe dem Bundestage kurzweg auf- erlegen wolle. Eine ſo köſtliche Gelegenheit, wieder einmal den Anwalt der Freiheit zu ſpielen und ſeinen durchlauchtigen Genoſſen ein Bein zu ſtellen, durfte König Wilhelm ſich doch nicht entgehen laſſen. Sofort wurde Graf Mandelsloh angewieſen, feierlich zu erklären, daß der König einem ſolchen Plane niemals zuſtimmen werde; den Bundestag zu umgehen dürfe man den beiden Großmächten nicht geſtatten. Eine harte Zumuthung an den friedfertigen Geſandten, der jeden Abend ſtillvergnügt in Metternich’s glän-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/40>, abgerufen am 25.04.2024.