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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 1. Die Wiener Conferenzen.
Cabinet äußerte sich sehr gereizt über das Mißtrauen seiner deutschen
Bundesgenossen; selbst das nahe befreundete England warnte den Wiener
Hof vertraulich, man möge den Czaren nicht in Frankreichs Arme treiben.*)
Nach alledem wollte sich Metternich nicht zur unbedingten Unterstützung
des preußischen Antrags entschließen; er fürchtete den Bund "vor Europa
zu compromittiren".

Nach einem hartnäckigen und kleinlichen Streite einigte sich die
Conferenz zunächst dahin, daß Kriegserklärungen des Bundes nur durch
Zweidrittel-Mehrheit im Plenum beschlossen werden dürften. Angriffs-
kriege dagegen, welche ein Bundesstaat mit außerdeutschen Besitzungen
als europäische Macht begönne, sollten "dem Bunde ganz fremd" bleiben.
Auf Baierns und Württembergs stürmisches Verlangen mußte dieser
letztere Satz, zur Erhöhung der Feierlichkeit, in einen besonderen Artikel
(46) gestellt werden.**) Nun erst folgte im Art. 47 die Vorschrift für den
Fall eines Angriffs wider die außerbündischen Provinzen deutscher Bun-
desstaaten; in solchem Falle konnte der Bundestag mit einfacher Mehrheit
im engeren Rathe beschließen, daß Gefahr für das Bundesgebiet vor-
handen sei, und dann in der gewöhnlichen Weise den Bundeskrieg erklären.
Daß einzelne Bundesstaaten an den europäischen Kriegen der deutschen
Großmächte theilnähmen, wurde nicht förmlich untersagt und blieb mithin
erlaubt, da ihnen das Recht der Bündnisse zustand. Der König von
Preußen war von dem halben Erfolge seiner Unterhändler wenig erbaut,
und Metternich vertröstete ihn auf die Zukunft, die vielleicht noch einmal
den Abschluß eines ewigen Bundes zwischen Deutschland, Oesterreich,
Preußen und den Niederlanden erlauben würde.***) Erst in weit späterer
Zeit, als die Politik des friedlichen Dualismus in die Brüche ging, sollte
man in Berlin erkennen, welche Ruthe Preußen sich selber mit diesem
Artikel 47 aufgebunden hatte, wie leicht er von der Bundestagsmehrheit
mißbraucht werden konnte, um die norddeutsche Großmacht in die Kriege
des Hauses Oesterreich hineinzureißen. In jenem Augenblicke hätte Nie-
mand solche Befürchtungen auch nur verstanden; alle Parteien hielten
für ausgemacht, daß Oesterreich und Preußen immer zusammen gehen,
die kleinen Staaten immer eine bequeme Neutralität vorziehen würden.

Das Bundesheerwesen gelangte auch in Wien noch nicht zum Ab-
schluß, da Oesterreich diese Angelegenheit mit gewohnter Lässigkeit betrieb;
man verabredete nur, daß die Contingente der kleinsten Bundesstaaten
ausschließlich aus Infanterie bestehen sollten. Ueber die Bundesfestungen
mußte der wackere Wolzogen wieder, wie früher in Frankfurt, mit seinem

*) Bernstorff's Berichte, 7. Dec. 1819, 9. Jan. 1820; Bernstorff an Ancillon,
4. März; Krusemark's Bericht, 5. März 1820.
**) Bernstorff's Bericht, 9. April 1820.
***) Hardenberg's Weisung an Bernstorff, 22. Jan. 1820.

III. 1. Die Wiener Conferenzen.
Cabinet äußerte ſich ſehr gereizt über das Mißtrauen ſeiner deutſchen
Bundesgenoſſen; ſelbſt das nahe befreundete England warnte den Wiener
Hof vertraulich, man möge den Czaren nicht in Frankreichs Arme treiben.*)
Nach alledem wollte ſich Metternich nicht zur unbedingten Unterſtützung
des preußiſchen Antrags entſchließen; er fürchtete den Bund „vor Europa
zu compromittiren“.

Nach einem hartnäckigen und kleinlichen Streite einigte ſich die
Conferenz zunächſt dahin, daß Kriegserklärungen des Bundes nur durch
Zweidrittel-Mehrheit im Plenum beſchloſſen werden dürften. Angriffs-
kriege dagegen, welche ein Bundesſtaat mit außerdeutſchen Beſitzungen
als europäiſche Macht begönne, ſollten „dem Bunde ganz fremd“ bleiben.
Auf Baierns und Württembergs ſtürmiſches Verlangen mußte dieſer
letztere Satz, zur Erhöhung der Feierlichkeit, in einen beſonderen Artikel
(46) geſtellt werden.**) Nun erſt folgte im Art. 47 die Vorſchrift für den
Fall eines Angriffs wider die außerbündiſchen Provinzen deutſcher Bun-
desſtaaten; in ſolchem Falle konnte der Bundestag mit einfacher Mehrheit
im engeren Rathe beſchließen, daß Gefahr für das Bundesgebiet vor-
handen ſei, und dann in der gewöhnlichen Weiſe den Bundeskrieg erklären.
Daß einzelne Bundesſtaaten an den europäiſchen Kriegen der deutſchen
Großmächte theilnähmen, wurde nicht förmlich unterſagt und blieb mithin
erlaubt, da ihnen das Recht der Bündniſſe zuſtand. Der König von
Preußen war von dem halben Erfolge ſeiner Unterhändler wenig erbaut,
und Metternich vertröſtete ihn auf die Zukunft, die vielleicht noch einmal
den Abſchluß eines ewigen Bundes zwiſchen Deutſchland, Oeſterreich,
Preußen und den Niederlanden erlauben würde.***) Erſt in weit ſpäterer
Zeit, als die Politik des friedlichen Dualismus in die Brüche ging, ſollte
man in Berlin erkennen, welche Ruthe Preußen ſich ſelber mit dieſem
Artikel 47 aufgebunden hatte, wie leicht er von der Bundestagsmehrheit
mißbraucht werden konnte, um die norddeutſche Großmacht in die Kriege
des Hauſes Oeſterreich hineinzureißen. In jenem Augenblicke hätte Nie-
mand ſolche Befürchtungen auch nur verſtanden; alle Parteien hielten
für ausgemacht, daß Oeſterreich und Preußen immer zuſammen gehen,
die kleinen Staaten immer eine bequeme Neutralität vorziehen würden.

Das Bundesheerweſen gelangte auch in Wien noch nicht zum Ab-
ſchluß, da Oeſterreich dieſe Angelegenheit mit gewohnter Läſſigkeit betrieb;
man verabredete nur, daß die Contingente der kleinſten Bundesſtaaten
ausſchließlich aus Infanterie beſtehen ſollten. Ueber die Bundesfeſtungen
mußte der wackere Wolzogen wieder, wie früher in Frankfurt, mit ſeinem

*) Bernſtorff’s Berichte, 7. Dec. 1819, 9. Jan. 1820; Bernſtorff an Ancillon,
4. März; Kruſemark’s Bericht, 5. März 1820.
**) Bernſtorff’s Bericht, 9. April 1820.
***) Hardenberg’s Weiſung an Bernſtorff, 22. Jan. 1820.
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[18/0034] III. 1. Die Wiener Conferenzen. Cabinet äußerte ſich ſehr gereizt über das Mißtrauen ſeiner deutſchen Bundesgenoſſen; ſelbſt das nahe befreundete England warnte den Wiener Hof vertraulich, man möge den Czaren nicht in Frankreichs Arme treiben. *) Nach alledem wollte ſich Metternich nicht zur unbedingten Unterſtützung des preußiſchen Antrags entſchließen; er fürchtete den Bund „vor Europa zu compromittiren“. Nach einem hartnäckigen und kleinlichen Streite einigte ſich die Conferenz zunächſt dahin, daß Kriegserklärungen des Bundes nur durch Zweidrittel-Mehrheit im Plenum beſchloſſen werden dürften. Angriffs- kriege dagegen, welche ein Bundesſtaat mit außerdeutſchen Beſitzungen als europäiſche Macht begönne, ſollten „dem Bunde ganz fremd“ bleiben. Auf Baierns und Württembergs ſtürmiſches Verlangen mußte dieſer letztere Satz, zur Erhöhung der Feierlichkeit, in einen beſonderen Artikel (46) geſtellt werden. **) Nun erſt folgte im Art. 47 die Vorſchrift für den Fall eines Angriffs wider die außerbündiſchen Provinzen deutſcher Bun- desſtaaten; in ſolchem Falle konnte der Bundestag mit einfacher Mehrheit im engeren Rathe beſchließen, daß Gefahr für das Bundesgebiet vor- handen ſei, und dann in der gewöhnlichen Weiſe den Bundeskrieg erklären. Daß einzelne Bundesſtaaten an den europäiſchen Kriegen der deutſchen Großmächte theilnähmen, wurde nicht förmlich unterſagt und blieb mithin erlaubt, da ihnen das Recht der Bündniſſe zuſtand. Der König von Preußen war von dem halben Erfolge ſeiner Unterhändler wenig erbaut, und Metternich vertröſtete ihn auf die Zukunft, die vielleicht noch einmal den Abſchluß eines ewigen Bundes zwiſchen Deutſchland, Oeſterreich, Preußen und den Niederlanden erlauben würde. ***) Erſt in weit ſpäterer Zeit, als die Politik des friedlichen Dualismus in die Brüche ging, ſollte man in Berlin erkennen, welche Ruthe Preußen ſich ſelber mit dieſem Artikel 47 aufgebunden hatte, wie leicht er von der Bundestagsmehrheit mißbraucht werden konnte, um die norddeutſche Großmacht in die Kriege des Hauſes Oeſterreich hineinzureißen. In jenem Augenblicke hätte Nie- mand ſolche Befürchtungen auch nur verſtanden; alle Parteien hielten für ausgemacht, daß Oeſterreich und Preußen immer zuſammen gehen, die kleinen Staaten immer eine bequeme Neutralität vorziehen würden. Das Bundesheerweſen gelangte auch in Wien noch nicht zum Ab- ſchluß, da Oeſterreich dieſe Angelegenheit mit gewohnter Läſſigkeit betrieb; man verabredete nur, daß die Contingente der kleinſten Bundesſtaaten ausſchließlich aus Infanterie beſtehen ſollten. Ueber die Bundesfeſtungen mußte der wackere Wolzogen wieder, wie früher in Frankfurt, mit ſeinem *) Bernſtorff’s Berichte, 7. Dec. 1819, 9. Jan. 1820; Bernſtorff an Ancillon, 4. März; Kruſemark’s Bericht, 5. März 1820. **) Bernſtorff’s Bericht, 9. April 1820. ***) Hardenberg’s Weiſung an Bernſtorff, 22. Jan. 1820.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/34>, abgerufen am 29.03.2024.