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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 1. Die Wiener Conferenzen.
sachen beugte. Dahin war der Deutsche Bund in kurzen fünf Jahren
gelangt: jede noch so bescheidene Verbesserung seines Grundgesetzes konnte
nur durch die Umgehung und Demüthigung seiner höchsten Behörde er-
reicht werden. --

Die sogenannte Schlußakte, welche nunmehr auf Metternich's Antrag
aus den gefaßten Beschlüssen zusammengestellt wurde, enthielt in den 34
Artikeln ihres ersten Theils ausführliche Vorschriften über Wesen und
Wirkungskreis des Bundes. Fast jeder Satz dieser allgemeinen Bestim-
mungen war ein Triumph des Partikularismus. In der ersten Sitzung
nannte Metternich den Bundestag noch die oberste gesetzgebende Behörde des
Bundes und versprach, die Souveränität jedes einzelnen Staates solle
"nur insofern beschränkt werden, als es der Zweck der Einheit Deutsch-
lands erfordere". Da legte Zentner sogleich Verwahrung ein: das Wort
"deutsche Einheit" gebe Anlaß zu Mißverständnissen, eine oberste gesetzgebende
Gewalt sei in einem Bunde unmöglich -- worauf denn Metternich als-
bald einlenkte und begütigend erwiderte, natürlich habe er nur an eine
vertragsmäßige Gesetzgebung gedacht. Den also angeschlagenen Ton hielt
die Mehrheit auch im weiteren Verlaufe der Verhandlungen ein; die
Schlußakte erklärte den Deutschen Bund für einen völkerrechtlichen Verein,
eine Gemeinschaft unabhängiger Staaten mit wechselseitigen gleichen Ver-
tragsrechten -- eine Fassung, welche dem württembergischen Hofe sogar
noch allzu unitarisch vorkam. Dem redlichen Fritsch ward doch zuweilen
schwül ums Herz, da er das deutsche Gemeinwesen sich dergestalt in ein
lockeres Vertragsverhältniß verflüchtigen sah; so suche man Deutschland
zu entnationalisiren, schrieb er klagend, diese souveränen selbständigen
Staaten würden ihre Unterthanen noch so unglücklich machen, "daß der
Ruf nach Einheit zur Volksstimme und zur Volksrevolution wird." Trotz-
dem schloß sich der Gesandte der Ernestiner zuletzt unbedenklich den Be-
schlüssen der Mehrheit an. Auch Bernstorff trat der partikularistischen
Auslegung des Bundesrechts nicht entgegen, da sie unleugbar den Worten
und dem Sinne der Bundesakte entsprach. Ihm genügte, daß sich unter
diesen doktrinären allgemeinen Sätzen doch eine praktisch werthvolle Be-
stimmung befand: der Art. 6 gestattete die Abtretung von Souveränitäts-
rechten zu Gunsten eines Mitverbündeten, und damit erhielt Preußen,
ohne daß die Mehrheit es gewahr ward, freie Hand für seine Zollan-
schluß-Verträge.

Der Bundestag sollte den Bund "in seiner Gesammtheit vorstellen";
seine Mitglieder blieben von ihren Souveränen "unbedingt abhängig",
ihnen allein für die Befolgung ihrer Instruktionen sowie für ihre Ge-
schäftsführung verantwortlich (Art. 8). Durch diese Vorschrift dachte man
zugleich jedem eigenmächtigen Verfahren der Bundesgesandten vorzubeugen
und den Landtagen jeden Eingriff in die Bundesverhandlungen zu unter-
sagen. Hier zeigte sich aber, wie wenig ein Diplomatencongreß schweren

III. 1. Die Wiener Conferenzen.
ſachen beugte. Dahin war der Deutſche Bund in kurzen fünf Jahren
gelangt: jede noch ſo beſcheidene Verbeſſerung ſeines Grundgeſetzes konnte
nur durch die Umgehung und Demüthigung ſeiner höchſten Behörde er-
reicht werden. —

Die ſogenannte Schlußakte, welche nunmehr auf Metternich’s Antrag
aus den gefaßten Beſchlüſſen zuſammengeſtellt wurde, enthielt in den 34
Artikeln ihres erſten Theils ausführliche Vorſchriften über Weſen und
Wirkungskreis des Bundes. Faſt jeder Satz dieſer allgemeinen Beſtim-
mungen war ein Triumph des Partikularismus. In der erſten Sitzung
nannte Metternich den Bundestag noch die oberſte geſetzgebende Behörde des
Bundes und verſprach, die Souveränität jedes einzelnen Staates ſolle
„nur inſofern beſchränkt werden, als es der Zweck der Einheit Deutſch-
lands erfordere“. Da legte Zentner ſogleich Verwahrung ein: das Wort
„deutſche Einheit“ gebe Anlaß zu Mißverſtändniſſen, eine oberſte geſetzgebende
Gewalt ſei in einem Bunde unmöglich — worauf denn Metternich als-
bald einlenkte und begütigend erwiderte, natürlich habe er nur an eine
vertragsmäßige Geſetzgebung gedacht. Den alſo angeſchlagenen Ton hielt
die Mehrheit auch im weiteren Verlaufe der Verhandlungen ein; die
Schlußakte erklärte den Deutſchen Bund für einen völkerrechtlichen Verein,
eine Gemeinſchaft unabhängiger Staaten mit wechſelſeitigen gleichen Ver-
tragsrechten — eine Faſſung, welche dem württembergiſchen Hofe ſogar
noch allzu unitariſch vorkam. Dem redlichen Fritſch ward doch zuweilen
ſchwül ums Herz, da er das deutſche Gemeinweſen ſich dergeſtalt in ein
lockeres Vertragsverhältniß verflüchtigen ſah; ſo ſuche man Deutſchland
zu entnationaliſiren, ſchrieb er klagend, dieſe ſouveränen ſelbſtändigen
Staaten würden ihre Unterthanen noch ſo unglücklich machen, „daß der
Ruf nach Einheit zur Volksſtimme und zur Volksrevolution wird.“ Trotz-
dem ſchloß ſich der Geſandte der Erneſtiner zuletzt unbedenklich den Be-
ſchlüſſen der Mehrheit an. Auch Bernſtorff trat der partikulariſtiſchen
Auslegung des Bundesrechts nicht entgegen, da ſie unleugbar den Worten
und dem Sinne der Bundesakte entſprach. Ihm genügte, daß ſich unter
dieſen doktrinären allgemeinen Sätzen doch eine praktiſch werthvolle Be-
ſtimmung befand: der Art. 6 geſtattete die Abtretung von Souveränitäts-
rechten zu Gunſten eines Mitverbündeten, und damit erhielt Preußen,
ohne daß die Mehrheit es gewahr ward, freie Hand für ſeine Zollan-
ſchluß-Verträge.

Der Bundestag ſollte den Bund „in ſeiner Geſammtheit vorſtellen“;
ſeine Mitglieder blieben von ihren Souveränen „unbedingt abhängig“,
ihnen allein für die Befolgung ihrer Inſtruktionen ſowie für ihre Ge-
ſchäftsführung verantwortlich (Art. 8). Durch dieſe Vorſchrift dachte man
zugleich jedem eigenmächtigen Verfahren der Bundesgeſandten vorzubeugen
und den Landtagen jeden Eingriff in die Bundesverhandlungen zu unter-
ſagen. Hier zeigte ſich aber, wie wenig ein Diplomatencongreß ſchweren

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[14/0030] III. 1. Die Wiener Conferenzen. ſachen beugte. Dahin war der Deutſche Bund in kurzen fünf Jahren gelangt: jede noch ſo beſcheidene Verbeſſerung ſeines Grundgeſetzes konnte nur durch die Umgehung und Demüthigung ſeiner höchſten Behörde er- reicht werden. — Die ſogenannte Schlußakte, welche nunmehr auf Metternich’s Antrag aus den gefaßten Beſchlüſſen zuſammengeſtellt wurde, enthielt in den 34 Artikeln ihres erſten Theils ausführliche Vorſchriften über Weſen und Wirkungskreis des Bundes. Faſt jeder Satz dieſer allgemeinen Beſtim- mungen war ein Triumph des Partikularismus. In der erſten Sitzung nannte Metternich den Bundestag noch die oberſte geſetzgebende Behörde des Bundes und verſprach, die Souveränität jedes einzelnen Staates ſolle „nur inſofern beſchränkt werden, als es der Zweck der Einheit Deutſch- lands erfordere“. Da legte Zentner ſogleich Verwahrung ein: das Wort „deutſche Einheit“ gebe Anlaß zu Mißverſtändniſſen, eine oberſte geſetzgebende Gewalt ſei in einem Bunde unmöglich — worauf denn Metternich als- bald einlenkte und begütigend erwiderte, natürlich habe er nur an eine vertragsmäßige Geſetzgebung gedacht. Den alſo angeſchlagenen Ton hielt die Mehrheit auch im weiteren Verlaufe der Verhandlungen ein; die Schlußakte erklärte den Deutſchen Bund für einen völkerrechtlichen Verein, eine Gemeinſchaft unabhängiger Staaten mit wechſelſeitigen gleichen Ver- tragsrechten — eine Faſſung, welche dem württembergiſchen Hofe ſogar noch allzu unitariſch vorkam. Dem redlichen Fritſch ward doch zuweilen ſchwül ums Herz, da er das deutſche Gemeinweſen ſich dergeſtalt in ein lockeres Vertragsverhältniß verflüchtigen ſah; ſo ſuche man Deutſchland zu entnationaliſiren, ſchrieb er klagend, dieſe ſouveränen ſelbſtändigen Staaten würden ihre Unterthanen noch ſo unglücklich machen, „daß der Ruf nach Einheit zur Volksſtimme und zur Volksrevolution wird.“ Trotz- dem ſchloß ſich der Geſandte der Erneſtiner zuletzt unbedenklich den Be- ſchlüſſen der Mehrheit an. Auch Bernſtorff trat der partikulariſtiſchen Auslegung des Bundesrechts nicht entgegen, da ſie unleugbar den Worten und dem Sinne der Bundesakte entſprach. Ihm genügte, daß ſich unter dieſen doktrinären allgemeinen Sätzen doch eine praktiſch werthvolle Be- ſtimmung befand: der Art. 6 geſtattete die Abtretung von Souveränitäts- rechten zu Gunſten eines Mitverbündeten, und damit erhielt Preußen, ohne daß die Mehrheit es gewahr ward, freie Hand für ſeine Zollan- ſchluß-Verträge. Der Bundestag ſollte den Bund „in ſeiner Geſammtheit vorſtellen“; ſeine Mitglieder blieben von ihren Souveränen „unbedingt abhängig“, ihnen allein für die Befolgung ihrer Inſtruktionen ſowie für ihre Ge- ſchäftsführung verantwortlich (Art. 8). Durch dieſe Vorſchrift dachte man zugleich jedem eigenmächtigen Verfahren der Bundesgeſandten vorzubeugen und den Landtagen jeden Eingriff in die Bundesverhandlungen zu unter- ſagen. Hier zeigte ſich aber, wie wenig ein Diplomatencongreß ſchweren

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/30>, abgerufen am 20.04.2024.