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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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A. v. Arnim. Callot-Hoffmann.
stücke: phantastische Geschichten von Dämonen und Gespenstern, von Träu-
men und Wundern, von Wahnsinn und Verbrechen, das Ungeheuerlichste
was je ein überreiztes Hirn ersann. Es war als ob die Teufelsfratzen
von den Dachtraufen unserer alten Dome herunterstiegen. Der wüste
Spuk drängte sich so nahe, so sinnlich greifbar auf, daß der Leser, wie
vom Alpdruck gelähmt, still halten mußte und dem kecken Humor, der
diabolischen Grazie des meisterhaften Erzählers Alles glaubte. Zuletzt blieb
von dem tollen Spiele freilich nichts zurück als die dumpfe Betäubung
des physischen Schreckens. --

Derweil in Drama und Roman so viele Irrwische ihr unstetes
Wesen trieben, erreichte die lyrische Dichtung der Romantik durch Ludwig
Uhland ihre Vollendung. Die Kritiker der Schule sahen den prosaischen
Menschen über die Achseln an, als seine Gedichte im Jahre 1814 zuerst
herauskamen. Recht als das Gegenbild romantischer Geniesucht erschien
dieser ehrenfeste Kleinbürger: wie er in Paris den Tag hindurch treu-
fleißig in den Manuscripten der altfranzösischen Dichtung forschte und
Abends schweigsam in Gesellschaft des ebenso schweigsamen Immanuel
Bekker die Boulevards entlang ging, mit offenem Munde und geschlossenen
Augen, ganz unberührt von dem lockenden Glanz und den Versuchungen
ringsum; wie er dann in dem heimathlichen Neckarstädtchen seinen be-
häbigen wohlgeordneten Haushalt führte und sich nicht zu gut dünkte an
den prosaischen Verfassungskämpfen Württembergs mit Wort und That
theilzunehmen. Und doch war es gerade diese gesunde Natürlichkeit und
bürgerliche Tüchtigkeit, was den schwäbischen Dichter befähigte die Schran-
ken der Kunstformen weise einzuhalten und den romantischen Idealen
eine lebendige, dem Bewußtsein der Zeit entsprechende Gestaltung zu
geben. Ein denkender Künstler, blieb er doch völlig gleichgiltig gegen das
literarische Gezänk und die ästhetischen Doktrinen der Schule und harrte
geduldig bis die Zeit der Dichterwonne kam, die ihm des Liedes Segen
brachte. Dann wendete er die kritische Schärfe, welche andere Poeten in
den Literaturzeitungen vergeudeten, unerbittlich gegen seine eigenen Werke;
kein anderer deutscher Dichter hat mit so sprödem Künstlerstolze alles
Halbfertige und Halbgelungene im Pulte zurückbehalten. Die Heldenge-
stalten unserer alten Dichtung, des Waltherliedes und der Nibelungen,
erweckten zuerst seine poetische Kraft; an den Gedichten des Alterthums
vermißte er den tiefen, die Phantasie in die Weite lockenden Hintergrund;
doch ein angeborener, streng geschulter Formensinn bewahrte ihn vor der
unklaren Ueberschwänglichkeit der mittelalterlichen Poesie. In festen, siche-
ren Umrissen traten diesem Classiker der Romantik seine Gestalten vor
die Seele.

Während die älteren Romantiker meist durch den phantastischen Reiz
des Fremdartigen und Alterthümlichen in die deutsche Vorzeit hinüber-
gezogen wurden, suchte Uhland in der Vergangenheit das rein Mensch-

A. v. Arnim. Callot-Hoffmann.
ſtücke: phantaſtiſche Geſchichten von Dämonen und Geſpenſtern, von Träu-
men und Wundern, von Wahnſinn und Verbrechen, das Ungeheuerlichſte
was je ein überreiztes Hirn erſann. Es war als ob die Teufelsfratzen
von den Dachtraufen unſerer alten Dome herunterſtiegen. Der wüſte
Spuk drängte ſich ſo nahe, ſo ſinnlich greifbar auf, daß der Leſer, wie
vom Alpdruck gelähmt, ſtill halten mußte und dem kecken Humor, der
diaboliſchen Grazie des meiſterhaften Erzählers Alles glaubte. Zuletzt blieb
von dem tollen Spiele freilich nichts zurück als die dumpfe Betäubung
des phyſiſchen Schreckens. —

Derweil in Drama und Roman ſo viele Irrwiſche ihr unſtetes
Weſen trieben, erreichte die lyriſche Dichtung der Romantik durch Ludwig
Uhland ihre Vollendung. Die Kritiker der Schule ſahen den proſaiſchen
Menſchen über die Achſeln an, als ſeine Gedichte im Jahre 1814 zuerſt
herauskamen. Recht als das Gegenbild romantiſcher Genieſucht erſchien
dieſer ehrenfeſte Kleinbürger: wie er in Paris den Tag hindurch treu-
fleißig in den Manuſcripten der altfranzöſiſchen Dichtung forſchte und
Abends ſchweigſam in Geſellſchaft des ebenſo ſchweigſamen Immanuel
Bekker die Boulevards entlang ging, mit offenem Munde und geſchloſſenen
Augen, ganz unberührt von dem lockenden Glanz und den Verſuchungen
ringsum; wie er dann in dem heimathlichen Neckarſtädtchen ſeinen be-
häbigen wohlgeordneten Haushalt führte und ſich nicht zu gut dünkte an
den proſaiſchen Verfaſſungskämpfen Württembergs mit Wort und That
theilzunehmen. Und doch war es gerade dieſe geſunde Natürlichkeit und
bürgerliche Tüchtigkeit, was den ſchwäbiſchen Dichter befähigte die Schran-
ken der Kunſtformen weiſe einzuhalten und den romantiſchen Idealen
eine lebendige, dem Bewußtſein der Zeit entſprechende Geſtaltung zu
geben. Ein denkender Künſtler, blieb er doch völlig gleichgiltig gegen das
literariſche Gezänk und die äſthetiſchen Doktrinen der Schule und harrte
geduldig bis die Zeit der Dichterwonne kam, die ihm des Liedes Segen
brachte. Dann wendete er die kritiſche Schärfe, welche andere Poeten in
den Literaturzeitungen vergeudeten, unerbittlich gegen ſeine eigenen Werke;
kein anderer deutſcher Dichter hat mit ſo ſprödem Künſtlerſtolze alles
Halbfertige und Halbgelungene im Pulte zurückbehalten. Die Heldenge-
ſtalten unſerer alten Dichtung, des Waltherliedes und der Nibelungen,
erweckten zuerſt ſeine poetiſche Kraft; an den Gedichten des Alterthums
vermißte er den tiefen, die Phantaſie in die Weite lockenden Hintergrund;
doch ein angeborener, ſtreng geſchulter Formenſinn bewahrte ihn vor der
unklaren Ueberſchwänglichkeit der mittelalterlichen Poeſie. In feſten, ſiche-
ren Umriſſen traten dieſem Claſſiker der Romantik ſeine Geſtalten vor
die Seele.

Während die älteren Romantiker meiſt durch den phantaſtiſchen Reiz
des Fremdartigen und Alterthümlichen in die deutſche Vorzeit hinüber-
gezogen wurden, ſuchte Uhland in der Vergangenheit das rein Menſch-

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[29/0043] A. v. Arnim. Callot-Hoffmann. ſtücke: phantaſtiſche Geſchichten von Dämonen und Geſpenſtern, von Träu- men und Wundern, von Wahnſinn und Verbrechen, das Ungeheuerlichſte was je ein überreiztes Hirn erſann. Es war als ob die Teufelsfratzen von den Dachtraufen unſerer alten Dome herunterſtiegen. Der wüſte Spuk drängte ſich ſo nahe, ſo ſinnlich greifbar auf, daß der Leſer, wie vom Alpdruck gelähmt, ſtill halten mußte und dem kecken Humor, der diaboliſchen Grazie des meiſterhaften Erzählers Alles glaubte. Zuletzt blieb von dem tollen Spiele freilich nichts zurück als die dumpfe Betäubung des phyſiſchen Schreckens. — Derweil in Drama und Roman ſo viele Irrwiſche ihr unſtetes Weſen trieben, erreichte die lyriſche Dichtung der Romantik durch Ludwig Uhland ihre Vollendung. Die Kritiker der Schule ſahen den proſaiſchen Menſchen über die Achſeln an, als ſeine Gedichte im Jahre 1814 zuerſt herauskamen. Recht als das Gegenbild romantiſcher Genieſucht erſchien dieſer ehrenfeſte Kleinbürger: wie er in Paris den Tag hindurch treu- fleißig in den Manuſcripten der altfranzöſiſchen Dichtung forſchte und Abends ſchweigſam in Geſellſchaft des ebenſo ſchweigſamen Immanuel Bekker die Boulevards entlang ging, mit offenem Munde und geſchloſſenen Augen, ganz unberührt von dem lockenden Glanz und den Verſuchungen ringsum; wie er dann in dem heimathlichen Neckarſtädtchen ſeinen be- häbigen wohlgeordneten Haushalt führte und ſich nicht zu gut dünkte an den proſaiſchen Verfaſſungskämpfen Württembergs mit Wort und That theilzunehmen. Und doch war es gerade dieſe geſunde Natürlichkeit und bürgerliche Tüchtigkeit, was den ſchwäbiſchen Dichter befähigte die Schran- ken der Kunſtformen weiſe einzuhalten und den romantiſchen Idealen eine lebendige, dem Bewußtſein der Zeit entſprechende Geſtaltung zu geben. Ein denkender Künſtler, blieb er doch völlig gleichgiltig gegen das literariſche Gezänk und die äſthetiſchen Doktrinen der Schule und harrte geduldig bis die Zeit der Dichterwonne kam, die ihm des Liedes Segen brachte. Dann wendete er die kritiſche Schärfe, welche andere Poeten in den Literaturzeitungen vergeudeten, unerbittlich gegen ſeine eigenen Werke; kein anderer deutſcher Dichter hat mit ſo ſprödem Künſtlerſtolze alles Halbfertige und Halbgelungene im Pulte zurückbehalten. Die Heldenge- ſtalten unſerer alten Dichtung, des Waltherliedes und der Nibelungen, erweckten zuerſt ſeine poetiſche Kraft; an den Gedichten des Alterthums vermißte er den tiefen, die Phantaſie in die Weite lockenden Hintergrund; doch ein angeborener, ſtreng geſchulter Formenſinn bewahrte ihn vor der unklaren Ueberſchwänglichkeit der mittelalterlichen Poeſie. In feſten, ſiche- ren Umriſſen traten dieſem Claſſiker der Romantik ſeine Geſtalten vor die Seele. Während die älteren Romantiker meiſt durch den phantaſtiſchen Reiz des Fremdartigen und Alterthümlichen in die deutſche Vorzeit hinüber- gezogen wurden, ſuchte Uhland in der Vergangenheit das rein Menſch-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/43>, abgerufen am 16.04.2024.