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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Politische Ermüdung.
wieder. Aber obschon die fremden Mächte und die kleinen deutschen Höfe
allesammt den nationalen Stolz und das frische geistige Leben dieses Volks-
heeres voll Argwohns beobachteten, so blieb die streng monarchische Gesin-
nung der Offiziere doch allen Parteibestrebungen völlig unzugänglich. Ihre
Kameraden von der russischen Garde hatten in Frankreich zum ersten male
die Ideen der Revolution kennen gelernt und von dort radikale Anschau-
ungen mit heim genommen, welche nachher in thörichten Verschwörungen
ihre Früchte trugen. Auf die preußischen Offiziere dagegen wirkte der
Anblick des allgemeinen Eidbruchs und der wilden Parteikämpfe der Fran-
zosen nur abschreckend; sie fühlten sich wieder, wie in den neunziger Jah-
ren, stolz als Gegner der Revolution, sie rühmten sich der alten preußi-
schen Königstreue und schätzten die neue constitutionelle Doktrin schon
darum gering, weil sie aus Frankreich stammte. Selbst Gneisenau, der
noch vor'm Jahre die schleunige Vollendung der preußischen Verfassung
gefordert hatte, kehrte mit veränderter Gesinnung heim und rieth drin-
gend, die Ausführung solcher Entwürfe nur langsam reifen zu lassen. *)
Der einzige politische Gedanke, der in den Briefen und Gesprächen dieses
Heeres mit Leidenschaft erörtert wurde, war die Hoffnung auf einen
dritten punischen Krieg, der den Deutschen endlich ihre alte Westgrenze
und eine angesehene Stellung unter den Völkern zurückbringen sollte.

Ungleich erregter zeigte sich die Stimmung der jungen Freiwilligen,
die jetzt von den Regimentern zu den Hörsälen der Hochschulen zurück-
kehrten. Vaterländische Begeisterung und religiöse Schwärmerei, Groll
über den faulen Frieden und unklare Vorstellungen von Freiheit und
Gleichheit, die man unbewußt zumeist von den verachteten Franzosen ent-
lehnt hatte, das Alles brodelte in den Köpfen dieser teutonischen Jugend
wirr durch einander und erzeugte eine edle Barbarei, die nur noch die
Tugenden des Bürgers gelten ließ und sich zu dem Ausspruch Fichtes
bekannte: besser ein Leben ohne Wissenschaft, als eine Wissenschaft ohne
Leben. Indeß der überspannte Nationalstolz des Teutonenthums wider-
sprach allzusehr der freien Weitherzigkeit unseres weltbürgerlichen Volkes,
das gar nicht vermag, auf die Dauer gegen fremdes Wesen ungerecht zu
sein; die zur Schau getragene Verachtung aller Anmuth und feinen Bil-
dung war allzu undeutsch, das ganze halb kindlich rührende, halb lächer-
liche Gebahren dieses anmaßlichen Studentenstaates trug allzu sehr den
Charakter des Sektenwesens, als daß sein politischer Fanatismus hätte
auf weite Kreise wirken können. Es blieb bei der alten Regel, daß die
Fünfzig- und Sechzigjährigen die Welt regieren. Unter den älteren Män-
nern aber fanden die politischen Wächterrufe der patriotischen Schrift-
steller zwar vereinzelte Zustimmung; die starke Leidenschaft, welche die
That gebiert, erweckten sie nicht.

*) Gneisenau an Müffling, 25. März 1816.

Politiſche Ermüdung.
wieder. Aber obſchon die fremden Mächte und die kleinen deutſchen Höfe
alleſammt den nationalen Stolz und das friſche geiſtige Leben dieſes Volks-
heeres voll Argwohns beobachteten, ſo blieb die ſtreng monarchiſche Geſin-
nung der Offiziere doch allen Parteibeſtrebungen völlig unzugänglich. Ihre
Kameraden von der ruſſiſchen Garde hatten in Frankreich zum erſten male
die Ideen der Revolution kennen gelernt und von dort radikale Anſchau-
ungen mit heim genommen, welche nachher in thörichten Verſchwörungen
ihre Früchte trugen. Auf die preußiſchen Offiziere dagegen wirkte der
Anblick des allgemeinen Eidbruchs und der wilden Parteikämpfe der Fran-
zoſen nur abſchreckend; ſie fühlten ſich wieder, wie in den neunziger Jah-
ren, ſtolz als Gegner der Revolution, ſie rühmten ſich der alten preußi-
ſchen Königstreue und ſchätzten die neue conſtitutionelle Doktrin ſchon
darum gering, weil ſie aus Frankreich ſtammte. Selbſt Gneiſenau, der
noch vor’m Jahre die ſchleunige Vollendung der preußiſchen Verfaſſung
gefordert hatte, kehrte mit veränderter Geſinnung heim und rieth drin-
gend, die Ausführung ſolcher Entwürfe nur langſam reifen zu laſſen. *)
Der einzige politiſche Gedanke, der in den Briefen und Geſprächen dieſes
Heeres mit Leidenſchaft erörtert wurde, war die Hoffnung auf einen
dritten puniſchen Krieg, der den Deutſchen endlich ihre alte Weſtgrenze
und eine angeſehene Stellung unter den Völkern zurückbringen ſollte.

Ungleich erregter zeigte ſich die Stimmung der jungen Freiwilligen,
die jetzt von den Regimentern zu den Hörſälen der Hochſchulen zurück-
kehrten. Vaterländiſche Begeiſterung und religiöſe Schwärmerei, Groll
über den faulen Frieden und unklare Vorſtellungen von Freiheit und
Gleichheit, die man unbewußt zumeiſt von den verachteten Franzoſen ent-
lehnt hatte, das Alles brodelte in den Köpfen dieſer teutoniſchen Jugend
wirr durch einander und erzeugte eine edle Barbarei, die nur noch die
Tugenden des Bürgers gelten ließ und ſich zu dem Ausſpruch Fichtes
bekannte: beſſer ein Leben ohne Wiſſenſchaft, als eine Wiſſenſchaft ohne
Leben. Indeß der überſpannte Nationalſtolz des Teutonenthums wider-
ſprach allzuſehr der freien Weitherzigkeit unſeres weltbürgerlichen Volkes,
das gar nicht vermag, auf die Dauer gegen fremdes Weſen ungerecht zu
ſein; die zur Schau getragene Verachtung aller Anmuth und feinen Bil-
dung war allzu undeutſch, das ganze halb kindlich rührende, halb lächer-
liche Gebahren dieſes anmaßlichen Studentenſtaates trug allzu ſehr den
Charakter des Sektenweſens, als daß ſein politiſcher Fanatismus hätte
auf weite Kreiſe wirken können. Es blieb bei der alten Regel, daß die
Fünfzig- und Sechzigjährigen die Welt regieren. Unter den älteren Män-
nern aber fanden die politiſchen Wächterrufe der patriotiſchen Schrift-
ſteller zwar vereinzelte Zuſtimmung; die ſtarke Leidenſchaft, welche die
That gebiert, erweckten ſie nicht.

*) Gneiſenau an Müffling, 25. März 1816.
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[5/0019] Politiſche Ermüdung. wieder. Aber obſchon die fremden Mächte und die kleinen deutſchen Höfe alleſammt den nationalen Stolz und das friſche geiſtige Leben dieſes Volks- heeres voll Argwohns beobachteten, ſo blieb die ſtreng monarchiſche Geſin- nung der Offiziere doch allen Parteibeſtrebungen völlig unzugänglich. Ihre Kameraden von der ruſſiſchen Garde hatten in Frankreich zum erſten male die Ideen der Revolution kennen gelernt und von dort radikale Anſchau- ungen mit heim genommen, welche nachher in thörichten Verſchwörungen ihre Früchte trugen. Auf die preußiſchen Offiziere dagegen wirkte der Anblick des allgemeinen Eidbruchs und der wilden Parteikämpfe der Fran- zoſen nur abſchreckend; ſie fühlten ſich wieder, wie in den neunziger Jah- ren, ſtolz als Gegner der Revolution, ſie rühmten ſich der alten preußi- ſchen Königstreue und ſchätzten die neue conſtitutionelle Doktrin ſchon darum gering, weil ſie aus Frankreich ſtammte. Selbſt Gneiſenau, der noch vor’m Jahre die ſchleunige Vollendung der preußiſchen Verfaſſung gefordert hatte, kehrte mit veränderter Geſinnung heim und rieth drin- gend, die Ausführung ſolcher Entwürfe nur langſam reifen zu laſſen. *) Der einzige politiſche Gedanke, der in den Briefen und Geſprächen dieſes Heeres mit Leidenſchaft erörtert wurde, war die Hoffnung auf einen dritten puniſchen Krieg, der den Deutſchen endlich ihre alte Weſtgrenze und eine angeſehene Stellung unter den Völkern zurückbringen ſollte. Ungleich erregter zeigte ſich die Stimmung der jungen Freiwilligen, die jetzt von den Regimentern zu den Hörſälen der Hochſchulen zurück- kehrten. Vaterländiſche Begeiſterung und religiöſe Schwärmerei, Groll über den faulen Frieden und unklare Vorſtellungen von Freiheit und Gleichheit, die man unbewußt zumeiſt von den verachteten Franzoſen ent- lehnt hatte, das Alles brodelte in den Köpfen dieſer teutoniſchen Jugend wirr durch einander und erzeugte eine edle Barbarei, die nur noch die Tugenden des Bürgers gelten ließ und ſich zu dem Ausſpruch Fichtes bekannte: beſſer ein Leben ohne Wiſſenſchaft, als eine Wiſſenſchaft ohne Leben. Indeß der überſpannte Nationalſtolz des Teutonenthums wider- ſprach allzuſehr der freien Weitherzigkeit unſeres weltbürgerlichen Volkes, das gar nicht vermag, auf die Dauer gegen fremdes Weſen ungerecht zu ſein; die zur Schau getragene Verachtung aller Anmuth und feinen Bil- dung war allzu undeutſch, das ganze halb kindlich rührende, halb lächer- liche Gebahren dieſes anmaßlichen Studentenſtaates trug allzu ſehr den Charakter des Sektenweſens, als daß ſein politiſcher Fanatismus hätte auf weite Kreiſe wirken können. Es blieb bei der alten Regel, daß die Fünfzig- und Sechzigjährigen die Welt regieren. Unter den älteren Män- nern aber fanden die politiſchen Wächterrufe der patriotiſchen Schrift- ſteller zwar vereinzelte Zuſtimmung; die ſtarke Leidenſchaft, welche die That gebiert, erweckten ſie nicht. *) Gneiſenau an Müffling, 25. März 1816.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/19>, abgerufen am 29.03.2024.