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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Höchste Ausbildung der absoluten Monarchie.
ist auch jene ernste Auffassung der Pflichten des Königthums, die seit dem
großen Kurfürsten auf dem preußischen Throne herrschte, erst durch
Friedrich in das Bewußtsein der Menschen übergegangen. Erst seit den
blendenden Erfolgen der schlesischen Kriege wendeten sich die Blicke der
Welt, die bisher an der Hofpracht von Versailles bewundernd gehangen,
nachdenklich auf die prunklose Krone der Hohenzollern. Im Kriege und in
der auswärtigen Politik zeigte der König die unvergleichliche schöpferische
Macht seines Geistes; in der inneren Verwaltung war er der Sohn
seines Vaters. Er hat die überlieferten Formen des Staates durch die
Kraft des Genius belebt, das Unfertige in freiem und großem Sinne
weitergebildet; einen Neubau unternahm er nicht. Doch er wußte den
Gedanken des politischen Königthums, den sein Vater als ein handfester
Praktiker verwirklicht hatte, mit der Bildung des Jahrhunderts in Ein-
klang zu bringen; unablässig gab er sich und Andern Rechenschaft von
seinem Thun. Schon als Kronprinz errang er sich einen Platz unter den
politischen Denkern des Zeitalters; sein Anti-Machiavell bleibt, bei allen
Schwächen jugendlicher Unreife, doch das Beste und Tiefste, was jemals
über die Pflichten des fürstlichen Amts in der absoluten Monarchie gesagt
wurde. Nachher, in den ersten Jahren des Siegerglückes, schrieb er den
Fürstenspiegel für den jungen Herzog von Württemberg; doch mächtiger
denn alle Lehren sprachen seine Thaten, da er in den Tagen der Prüfung
seine Worte bewährte und der Welt zeigte was es heiße "als König
denken, leben, sterben". Zuletzt ward ihm noch jene Schicksalsgunst, deren
auch der Genius bedarf, wenn er einem ganzen Zeitalter den Stempel
seines Geistes aufprägen soll: das Glück, in einem reichen Alter sich völlig
auszuleben. Er war jetzt der Nestor, der anerkannt erste Mann des euro-
päischen Fürstenstandes; sein Ruhm hob den Glanz aller Throne, aus
seinen Worten und Werken lernten die Könige groß zu denken von ihrem
Berufe.

Die althergebrachte Vorstellung des Kleinfürstenthums, daß Land
und Leute dem durchlauchtigen Fürstenhause zu eigen gehörten, verlor
an Boden, seit dieser König trocken aussprach: "Der Fürst hat keinen
nähern Verwandten als seinen Staat, dessen Interessen immer den
Banden des Blutes voranstehen müssen." Die dynastische Selbstüberhebung
der Bourbonen erschien in ihrer Nichtigkeit, seit er bei seiner Thronbe-
steigung den leichten Genüssen des Lebens den Rücken wandte mit den
Worten "mein einziger Gott ist meine Pflicht" und nun durch ein halbes
Jahrhundert mit allen Kräften seiner Seele diesem einen Gotte diente
und auf jeden Dank seines Volkes immer nur die gelassene Antwort gab:
"Dafür bin ich da." So weltlich unbefangen hatte noch nie ein gekröntes
Haupt von der fürstlichen Würde geredet, wie dieser Selbstherrscher, der
unbedenklich die Berechtigung der Republik wie des parlamentarischen
Königthums anerkannte und die Größe der absoluten Monarchie allein

Höchſte Ausbildung der abſoluten Monarchie.
iſt auch jene ernſte Auffaſſung der Pflichten des Königthums, die ſeit dem
großen Kurfürſten auf dem preußiſchen Throne herrſchte, erſt durch
Friedrich in das Bewußtſein der Menſchen übergegangen. Erſt ſeit den
blendenden Erfolgen der ſchleſiſchen Kriege wendeten ſich die Blicke der
Welt, die bisher an der Hofpracht von Verſailles bewundernd gehangen,
nachdenklich auf die prunkloſe Krone der Hohenzollern. Im Kriege und in
der auswärtigen Politik zeigte der König die unvergleichliche ſchöpferiſche
Macht ſeines Geiſtes; in der inneren Verwaltung war er der Sohn
ſeines Vaters. Er hat die überlieferten Formen des Staates durch die
Kraft des Genius belebt, das Unfertige in freiem und großem Sinne
weitergebildet; einen Neubau unternahm er nicht. Doch er wußte den
Gedanken des politiſchen Königthums, den ſein Vater als ein handfeſter
Praktiker verwirklicht hatte, mit der Bildung des Jahrhunderts in Ein-
klang zu bringen; unabläſſig gab er ſich und Andern Rechenſchaft von
ſeinem Thun. Schon als Kronprinz errang er ſich einen Platz unter den
politiſchen Denkern des Zeitalters; ſein Anti-Machiavell bleibt, bei allen
Schwächen jugendlicher Unreife, doch das Beſte und Tiefſte, was jemals
über die Pflichten des fürſtlichen Amts in der abſoluten Monarchie geſagt
wurde. Nachher, in den erſten Jahren des Siegerglückes, ſchrieb er den
Fürſtenſpiegel für den jungen Herzog von Württemberg; doch mächtiger
denn alle Lehren ſprachen ſeine Thaten, da er in den Tagen der Prüfung
ſeine Worte bewährte und der Welt zeigte was es heiße „als König
denken, leben, ſterben“. Zuletzt ward ihm noch jene Schickſalsgunſt, deren
auch der Genius bedarf, wenn er einem ganzen Zeitalter den Stempel
ſeines Geiſtes aufprägen ſoll: das Glück, in einem reichen Alter ſich völlig
auszuleben. Er war jetzt der Neſtor, der anerkannt erſte Mann des euro-
päiſchen Fürſtenſtandes; ſein Ruhm hob den Glanz aller Throne, aus
ſeinen Worten und Werken lernten die Könige groß zu denken von ihrem
Berufe.

Die althergebrachte Vorſtellung des Kleinfürſtenthums, daß Land
und Leute dem durchlauchtigen Fürſtenhauſe zu eigen gehörten, verlor
an Boden, ſeit dieſer König trocken ausſprach: „Der Fürſt hat keinen
nähern Verwandten als ſeinen Staat, deſſen Intereſſen immer den
Banden des Blutes voranſtehen müſſen.“ Die dynaſtiſche Selbſtüberhebung
der Bourbonen erſchien in ihrer Nichtigkeit, ſeit er bei ſeiner Thronbe-
ſteigung den leichten Genüſſen des Lebens den Rücken wandte mit den
Worten „mein einziger Gott iſt meine Pflicht“ und nun durch ein halbes
Jahrhundert mit allen Kräften ſeiner Seele dieſem einen Gotte diente
und auf jeden Dank ſeines Volkes immer nur die gelaſſene Antwort gab:
„Dafür bin ich da.“ So weltlich unbefangen hatte noch nie ein gekröntes
Haupt von der fürſtlichen Würde geredet, wie dieſer Selbſtherrſcher, der
unbedenklich die Berechtigung der Republik wie des parlamentariſchen
Königthums anerkannte und die Größe der abſoluten Monarchie allein

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[71/0087] Höchſte Ausbildung der abſoluten Monarchie. iſt auch jene ernſte Auffaſſung der Pflichten des Königthums, die ſeit dem großen Kurfürſten auf dem preußiſchen Throne herrſchte, erſt durch Friedrich in das Bewußtſein der Menſchen übergegangen. Erſt ſeit den blendenden Erfolgen der ſchleſiſchen Kriege wendeten ſich die Blicke der Welt, die bisher an der Hofpracht von Verſailles bewundernd gehangen, nachdenklich auf die prunkloſe Krone der Hohenzollern. Im Kriege und in der auswärtigen Politik zeigte der König die unvergleichliche ſchöpferiſche Macht ſeines Geiſtes; in der inneren Verwaltung war er der Sohn ſeines Vaters. Er hat die überlieferten Formen des Staates durch die Kraft des Genius belebt, das Unfertige in freiem und großem Sinne weitergebildet; einen Neubau unternahm er nicht. Doch er wußte den Gedanken des politiſchen Königthums, den ſein Vater als ein handfeſter Praktiker verwirklicht hatte, mit der Bildung des Jahrhunderts in Ein- klang zu bringen; unabläſſig gab er ſich und Andern Rechenſchaft von ſeinem Thun. Schon als Kronprinz errang er ſich einen Platz unter den politiſchen Denkern des Zeitalters; ſein Anti-Machiavell bleibt, bei allen Schwächen jugendlicher Unreife, doch das Beſte und Tiefſte, was jemals über die Pflichten des fürſtlichen Amts in der abſoluten Monarchie geſagt wurde. Nachher, in den erſten Jahren des Siegerglückes, ſchrieb er den Fürſtenſpiegel für den jungen Herzog von Württemberg; doch mächtiger denn alle Lehren ſprachen ſeine Thaten, da er in den Tagen der Prüfung ſeine Worte bewährte und der Welt zeigte was es heiße „als König denken, leben, ſterben“. Zuletzt ward ihm noch jene Schickſalsgunſt, deren auch der Genius bedarf, wenn er einem ganzen Zeitalter den Stempel ſeines Geiſtes aufprägen ſoll: das Glück, in einem reichen Alter ſich völlig auszuleben. Er war jetzt der Neſtor, der anerkannt erſte Mann des euro- päiſchen Fürſtenſtandes; ſein Ruhm hob den Glanz aller Throne, aus ſeinen Worten und Werken lernten die Könige groß zu denken von ihrem Berufe. Die althergebrachte Vorſtellung des Kleinfürſtenthums, daß Land und Leute dem durchlauchtigen Fürſtenhauſe zu eigen gehörten, verlor an Boden, ſeit dieſer König trocken ausſprach: „Der Fürſt hat keinen nähern Verwandten als ſeinen Staat, deſſen Intereſſen immer den Banden des Blutes voranſtehen müſſen.“ Die dynaſtiſche Selbſtüberhebung der Bourbonen erſchien in ihrer Nichtigkeit, ſeit er bei ſeiner Thronbe- ſteigung den leichten Genüſſen des Lebens den Rücken wandte mit den Worten „mein einziger Gott iſt meine Pflicht“ und nun durch ein halbes Jahrhundert mit allen Kräften ſeiner Seele dieſem einen Gotte diente und auf jeden Dank ſeines Volkes immer nur die gelaſſene Antwort gab: „Dafür bin ich da.“ So weltlich unbefangen hatte noch nie ein gekröntes Haupt von der fürſtlichen Würde geredet, wie dieſer Selbſtherrſcher, der unbedenklich die Berechtigung der Republik wie des parlamentariſchen Königthums anerkannte und die Größe der abſoluten Monarchie allein

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/87>, abgerufen am 24.04.2024.